Risikozuschläge bei Tarifwechsel in der Krankenkosten-Vollversicherung

BVerwG, Mitteilung vom 5. 3. 1999 – 9/99 (lexetius.com/1999,2402)

[1] Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, bietet in mehreren Tarifen mit gleichartigem Versicherungsschutz eine Krankheitskosten-Vollversicherung an. Während sie zunächst in den alten Tarifen auch bei erhöhtem Gesundheitsrisiko nur eine Pauschalprämie erhob, ging sie später dazu über, mit neuen Versicherungsnehmern bei Vorerkrankungen individuelle Risikozuschläge zu vereinbaren. Auch in einem seit 1990 angebotenen neuen Tarif sind bei erhöhtem Risiko Zuschläge vorgesehen.
[2] Will ein Versicherungsnehmer aus den alten, wegen der ungünstigen Versichertenstruktur inzwischen mit stark gestiegenen Prämien verbundenen Tarifen in den neuen Tarif wechseln, macht die Klägerin dies von der Zahlung eines Risikozuschlages abhängig, den sie auf der Grundlage des bei Vertragsbeginn festgestellten Gesundheitszustandes nach Maßgabe ihrer gegenwärtigen Annahmegrundsätze festlegt. Nach Auffassung des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen verstößt sie damit gegen § 178 f des Versicherungsvertragsgesetzes. Nach dieser Vorschrift sind die Versicherungsnehmer berechtigt, unter Anrechnung ihrer aus dem bisherigen Vertrag erworbenen Rechte in einen anderen Tarif mit gleichartigem Versicherungsschutz zu wechseln. Das Amt verlangt im Wege der Mißstandsaufsicht, bei einem Tarifwechsel keinen Risikozuschlag zu erheben, wenn auch nach den alten Tarifen ein solcher nicht gefordert wurde, und keinen höheren Risikozuschlag als in den alten Tarifen zu erheben.
[3] Das Bundesverwaltungsgericht hat die Aufsichtsverfügung des Bundesamtes aufgehoben. Es hat entschieden, daß zu den erworbenen und bei einem Tarifwechsel anzurechnenden Rechten neben der Erfüllung von Wartezeiten die Position gehört, die sich aus der Entscheidung des Versicherers ergibt, den Versicherten nach Maßgabe seines bei Vertragsbeginn festgestellten Gesundheitszustandes zu versichern. Hat der Versicherer wie die Klägerin den Gesundheitszustand nach einer eigenen Risikoskala eingeschätzt, so darf er im weiteren Vertragsverlauf einschließlich eines Tarifwechsels von dieser Einstufung nicht zu Ungunsten des Versicherten abweichen, und zwar auch dann nicht, wenn sie im Lichte späterer Erkenntnisse zu günstig war. Diese versicherungstechnische Bewertung von Vorerkrankungen nach Risikostufen begründet demnach ein beim Tarifwechsel anzurechnendes Recht.
[4] Im übrigen bestimmt sich das Vertragsverhältnis bei einem Tarifwechsel nach dem neuen Tarif. Sieht der neue Tarif die Erhebung eines Risikozuschlages vor, so hat der Versicherungsnehmer Anspruch darauf, daß dieser nach Maßgabe der bei Vertragsbeginn festgelegten Risikoeinstufung festgesetzt wird, gegebenenfalls unter Anpassung an eine neue Risikoskala. Nicht entscheidend ist, ob der Risikozuschlag absolut oder prozentual höher ausfällt als ein in den alten Tarifen erhobener Zuschlag.
[5] Wechselt der Versicherungsnehmer aus einem Tarif mit einer Pauschalprämie, in die ein durch Vorerkrankungen der Versicherten bedingtes Gesamtrisiko einkalkuliert war, in einen solchen mit Risikozuschlägen, so ist nach diesen Grundsätzen der Versicherer nicht gehindert, im neuen Tarif Risikozuschläge zu erheben, sofern dies für die Risikoklasse vorgesehen ist, in die der Versicherer den Versicherten ursprünglich eingestuft hatte. Die innere Rechtfertigung hierfür liegt darin, daß die Krankenversicherung auch in den alten Tarifen mit den bei Vertragsbeginn bereits vorhandenen Erkrankungen nur gegen eine verhältnismäßig hohe Prämie abgeschlossen werden konnte. Würde der Versicherte zu dem preiswerteren Grundbeitrag des neuen Tarifs ohne jeden Risikozuschlag versichert, läge darin eine Begünstigung, die weder gegenüber dem Versicherer noch gegenüber neuen Versicherungsnehmern sachlich gerechtfertigt wäre.
BVerwG, Urteil vom 5. 3. 1999 – 1 A 1.97