Bundessozialgericht

BSG, Urteil vom 2. 3. 2000 – B7 AL 46/99 R (lexetius.com/2000,32)

[1] Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2000 durch die Vizepräsidentin Dr. Wolff, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtliche Richterin Vorwerk und den ehrenamtlichen Richter Dr. Brandenburg für Recht erkannt:
[2] Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1998 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
[3] Gründe: I. Der Kläger begehrt die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten gemäß § 2 Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
[4] Das zuständige Versorgungsamt stellte zugunsten des 1950 geborenen Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen nachstehender Behinderungen fest: "degeneratives Wirbelsäulensyndrom, Lendenwirbelkörper 1 Fraktur, Bandscheibenschaden, Speiseröhrenentzündung, Zwerchfellgleitbruch, Zeigefingergrundgelenksverschleiß rechts" (Bescheid vom 8. Dezember 1993; Ergänzung durch Vergleich vom 18. Dezember 1995 um "neurogene Blasenschließmuskelstörung, Reizhusten"). Bereits zuvor hatte die frühere Arbeitgeberin des Klägers, eine GmbH, das seit 19. März 1990 bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers (Lkw-Fahrer im Tiefbau) am 12. November 1993 zum 15. Dezember 1993 gekündigt; gegen diese Kündigung hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. In der Folgezeit wurde ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gegen die frühere Arbeitgeberin des Klägers gestellt, der mit Beschluß des Amtsgerichts Arnsberg vom 15. Februar 1996 mangels Masse abgewiesen worden ist; am 5. Juni 1998 wurde deshalb die Löschung der früheren Arbeitgeberin des Klägers von Amts wegen im Handelsregister eingetragen.
[5] Nach Erlaß des Bescheids des Versorgungsamts hatte der Kläger am 13. Dezember 1993 bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten beantragt; die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 25. Januar 1994; Widerspruchsbescheid vom 8. November 1994). Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts [SG] vom 4. August 1997; Beschluß des Landessozialgerichts [LSG] vom 24. August 1998). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, eine Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten wegen der Gefahr, den vorhandenen geeigneten Arbeitsplatz zu verlieren, scheide schon deshalb aus, weil der Arbeitsplatz bei der früheren Arbeitgeberin nicht mehr existiere. Eine Gleichstellung zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes könne andererseits nicht erfolgen, weil konkrete Arbeitsplatzangebote nicht vorhanden seien und deshalb nicht festgestellt werden könne, ob der Kläger tatsächlich im Wettbewerb mit anderen, nicht behinderten Bewerbern, benachteiligt sei. Es bedürfe immer konkreter Anhaltspunkte zu der von § 2 Abs 1 SchwbG verlangten Prognose über die Schutzbedürftigkeit des Behinderten.
[6] Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 SchwbG. Er ist der Ansicht, die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien erfüllt, weil er infolge seiner Behinderungen ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen könne. Verfehlt sei die Ansicht des LSG, dies müsse immer an einem konkreten Arbeitsplatz gemessen werden.
[7] Der Kläger beantragt, den Beschluß des LSG und das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
[8] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[9] Sie ist der Ansicht, das Vorhandensein eines konkreten Arbeitsplatzes sei Voraussetzung für die Gleichstellung. Im Interesse der Schwerbehinderten insgesamt sei es nicht gerechtfertigt, Personen mit einem festgestellten GdB von weniger als 50 den Schutz des SchwbG lediglich vorsorglich zukommen zu lassen. Bisher sei es leider nicht möglich gewesen, dem Kläger einen geeigneten Arbeitsplatz anzubieten.
[10] II. Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Zwar ergeben die Gründe der zweitinstanzlichen Entscheidung eine Gesetzesverletzung; jedoch reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht für ein Urteil darüber aus, ob sich die Entscheidung des LSG aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).
[11] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1994, gegen den sich der Kläger mit einer Anfechtungs und Verpflichtungsklage wehrt. Allerdings ist der Kläger nach seinem eigenen Vortrag in der Zwischenzeit mit Bescheid vom 13. August 1997 einem Schwerbehinderten gleichgestellt worden; dieser Bescheid soll später wieder aufgehoben bzw zurückgenommen worden sein, so daß die Voraussetzungen des § 96 Abs 1 SGG vorgelegen haben könnten. Entsprechende Feststellungen des LSG hierzu fehlen jedoch. Das LSG wird nach der Zurückverweisung diese Bescheide zu beachten und ggf in seine Entscheidung miteinzubeziehen haben. Je nach Inhalt dieser Bescheide wird es auf eine eventuelle Korrektur des Klageantrags hinzuwirken und ggf zu prüfen haben, ob der Kläger für einen Teilzeitraum bereits klaglos gestellt ist (vgl die in § 2 Abs 1 Satz 2 SchwbG angeordnete Rückwirkung der Gleichstellung auf den Tag des Eingangs des Gleichstellungsantrags) und ob die Beklagte überhaupt berechtigt war, die erteilte Gleichstellung wieder "rückgängig zu machen" (§§ 38 f SchwbG, 45 ff Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren [SGB X]). Wegen der ohnedies erforderlichen Zurückverweisung der Sache an das LSG kann dahinstehen, ob der Senat all dies in dem vorliegenden Revisionsverfahren trotz fehlender Verfahrensrüge von Amts wegen zu beachten hätte.
[12] Nach § 2 Abs 1 SchwbG sollen Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen im übrigen die Voraussetzungen des § 1 vorliegen, aufgrund einer Feststellung nach § 4 auf ihren Antrag vom Arbeitsamt Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 7 Abs 1 (= Stellen, auf denen Arbeiter, Angestellte, Beamte, Richter sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden) nicht erlangen oder nicht behalten können (Satz 1). Die Gleichstellung wird mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam (Satz 2). Sie kann befristet werden (Satz 3).
[13] Zwar erfüllt der Kläger die Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 (vgl BSG SozR 33870 § 4 Nr 24 S 98 f) und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland (§ 1 SchwbG); jedoch ist der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht behalten oder erlangen konnte bzw erlangen kann. Die vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsansicht, eine Gleichstellung wegen der Gefahr, den vorhandenen geeigneten Arbeitsplatz zu verlieren, scheide schon deshalb aus, weil dieser Arbeitsplatz mittlerweile nicht mehr existiert, trägt die Entscheidung über die Zurückweisung der zulässigen Berufung jedenfalls bis zu dem dem Senat nicht bekannten Zeitpunkt des Wegfalls des Arbeitsplatzes nicht. Außerdem verstößt die Entscheidung des LSG, eine Gleichstellung zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes könne nicht erfolgen, weil eine solche Gleichstellung nur im Hinblick auf einen konkreten Arbeitsplatz erfolgen könne, gegen § 2 SchwbG.
[14] Soweit es die Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten "zum Behalten eines geeigneten Arbeitsplatzes" betrifft, rechtfertigt sich die Entscheidung des LSG nicht bereits deshalb, weil der Arbeitsplatz des Klägers irgendwann weggefallen ist und eine Gleichstellung, die anders als die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft konstitutive Wirkung besitzt (vgl nur Großmann in Gemeinschaftskommentar zum SchwbG, 1992, RdNrn 107 ff und 53 ff zu § 15 mwN), damit für die Zukunft nicht mehr in Frage komme. Eine derartige Sicht widerspricht der in § 2 Abs 1 Satz 2 SchwbG angeordneten Rückwirkung der Gleichstellung auf den Tag des Antragseingangs. Satz 2 wurde nämlich mit der Neufassung des SchwbG vom 26. August 1986 (BGBl I 1421) eingefügt, um in Fällen der Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten den in § 15 SchwbG angeordneten Kündigungsschutz auch auf die zwischen Antragstellung und Entscheidung über die Gleichstellung ausgesprochenen Kündigungen zu erstrecken (vgl: BT-Drucks 10/3138, S 16 zu § 2; zur gesamten Entwicklung der gesetzlichen Regelung des § 2 auch Neumann/Pahlen, SchwbG, 9. Aufl 1999, RdNrn 1 bis 4 zu § 2). Diese Zielsetzung würde unterlaufen, wenn der spätere Abbau des betroffenen Arbeitsplatzes eine Gleichstellung mit Wirkung ex tunc verhindern könnte.
[15] Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung nach § 2 SchwbG ist deshalb in erster Linie der Zeitpunkt der Antragstellung. Ein dem widersprechender allgemeiner Grundsatz, wonach für die Beurteilung von Verpflichtungsklagen die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Rechtslage maßgebend sei, ist dem geltenden Recht nicht zu entnehmen (BSG SozR 34100 § 152 Nr 7 S 17 f mwN). Selbst wenn eine entsprechende Faustregel aufgestellt werden kann, die regelmäßig zu praktisch einleuchtenden Ergebnissen führt, so handelt es sich doch nicht um einen abschließenden Rechtssatz; es besteht vielmehr unter Sachgesichtspunkten Anlaß zu der Prüfung, ob die einschlägigen gesetzlichen Regelungen nicht hiervon eine Ausnahme machen (vgl BSG aaO, S 18). Das ist hier der Fall; denn das Ziel des § 2 Abs 1 Satz 2 SchwbG, Kündigungsschutz nicht erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung über die Gleichstellung zu gewähren (vgl zum früheren Recht: BVerwGE 42, 189, 192; Cramer, SchwbG, 4. Aufl 1992, RdNr 22 zu § 2), setzt ein Abstellen auf die Sach und Rechtslage vor Erlaß des Bescheides voraus. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber dem Behinderten den Kündigungsschutz rückwirkend auch für den Fall zukommen lassen wollte, daß zum Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen für eine Gleichstellung (noch) nicht vorlagen. Zudem kann jede Gleichstellung widerrufen, aufgehoben oder entzogen werden (§§ 38 Abs 2, 39 SchwbG, §§ 47, 48 SGB X), so daß neben dem Sach und Streitstand bei Antragstellung alle wesentlichen Änderungen der Sach und Rechtslage bis zur letzten mündlichen Verhandlung Berücksichtigung finden müssen. Es wäre nicht begründbar, hinsichtlich der gesetzlichen Anordnung einer Rückwirkung der Gleichstellung einen Rechtszustand bis zur endgültigen Entscheidung über die Gleichstellung fortzuschreiben, wenn zwischenzeitlich die Voraussetzungen für eine Gleichstellung entfallen sind. Mit anderen Worten: Zwar ordnet das Gesetz in § 2 Abs 1 Satz 2 SchwbG mit der konstitutiven Feststellung der Gleichstellung eine Rückwirkung dieser Gleichstellung für die Zeit ab Antragstellung an; jedoch setzt dies voraus, daß die Sach und Rechtslage bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Gleichstellung rechtfertigte und nicht in der Folgezeit die Voraussetzungen für eine Gleichstellung entfallen sind. Hieraus können sich im einzelnen von der gesetzlichen Regelung in § 2 Abs 1 Satz 2 SchwbG abweichende Zeitpunkte für den Beginn der Gleichstellung, aber auch für das Ende der Gleichstellung ergeben. Dabei ist auch zu beachten, daß der Wegfall einer der Voraussetzungen der Gleichstellung hier der Wegfall des Arbeitsplatzes nicht notwendig zur Beendigung der Gleichstellung führt, wenn der Behinderte zugleich infolge der Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Beide Voraussetzungen sind also Elemente einer einheitlichen Entscheidung.
[16] Das LSG wird deshalb zu prüfen haben, ob und ggf bis wann der Kläger infolge seiner Behinderung ohne Gleichstellung seinen Arbeitsplatz bei der früheren Arbeitgeberin nicht behalten konnte, falls dieser Arbeitsplatz iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SchwbG geeignet war. Daß ihm ggf bereits vor der Antragstellung gekündigt und deshalb diese Kündigung nicht mit Rücksicht auf das Fehlen einer erforderlichen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nach § 15 SchwbG unwirksam war (vgl: Cramer, SchwbG, 4. Aufl 1992, RdNr 4 zu § 15, Neumann/Pahlen, SchwbG, 9. Aufl 1999, RdNr 26 zu § 15, und Großmann in Gemeinschaftskommentar zum SchwbG, 1992, RdNr 109 zu § 15), steht dem nicht zwangsläufig entgegen. Denn eine Kündigung kann auch aus anderen Gründen unwirksam sein, so daß bei Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens wie vorliegend die Chance zum Behalten eines Arbeitsplatzes bestehen kann. Die erforderliche Geeignetheit des Arbeitsplatzes bestimmt sich individuell nach dem Eignungs und Leistungspotential des Klägers als Behinderten (vgl nur Schimanski in Gemeinschaftskommentar zum SchwbG, RdNrn 35 ff zu § 2).
[17] Sollte es sich bei dem früheren Arbeitsplatz des Klägers um einen geeigneten Arbeitsplatz gehandelt haben, wäre mit Rücksicht auf die vom Gesetz geforderte Kausalität ("infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung nicht behalten können") zu prüfen, ob bei wertender Betrachtung in der Behinderung, also gerade in ihrer Art und Schwere, die Schwierigkeit der Erhaltung des Arbeitsplatzes liegt (vgl hierzu BVerwGE 42, 189, 193). Da der Behinderte insoweit in seiner ungünstigen Konkurrenzsituation am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu sehen ist und die Gleichstellung wie die Anerkennung als Schwerbehinderter eine Rehabilitationsmaßnahme in einem weiten Sinne darstellt (BVerwGE aaO), ist bei der erforderlichen Prognose über das Behaltenkönnen des Arbeitsplatzes keine absolute Sicherheit erforderlich. Es genügt vielmehr, daß durch eine Gleichstellung der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden kann (BVerwGE 42, 189, 195). Dies ist bereits durch den besonderen Kündigungsschutz des § 15 SchwbG der Fall. War der Kläger mithin auf seinem früheren Arbeitsplatz gegenüber Nichtbehinderten nicht mehr konkurrenzfähig, so würde diese ungünstige Konkurrenzsituation durch eine Gleichstellung verbessert und somit der Arbeitsplatz sicherer gemacht. Den gesetzlichen Anforderungen des "Nichtbehaltenkönnens eines geeigneten Arbeitsplatzes ohne die Gleichstellung" wäre dann genügt.
[18] Sollten indes die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Satz 1 2. Alternative (Alt) SchwbG (Gleichstellung zum Behalten eines geeigneten Arbeitsplatzes) zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen haben bzw später zB mit dem Wegfall des Arbeitsplatzes entfallen sein, so müßte das LSG die Voraussetzung des § 2 Abs 1 Satz 1 1. Alt SchwbG (Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes) prüfen. Eine solche Prüfung käme im übrigen auch neben der der Voraussetzungen der 2. Alt in Betracht, weil sich insbesondere in den Fällen, in denen wie vorliegend bereits eine Kündigung erfolgt ist, auch eine Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt insgesamt ergibt. Insoweit ist das LSG aber bei seiner Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, daß eine Gleichstellung nach der 1. Alt des § 2 Abs 1 Satz 1 SchwbG ein konkretes Arbeitsplatzangebot voraussetzt, also eine Gleichstellung nur mit Rücksicht auf die Erlangung eines konkreten Arbeitsplatzes möglich sei. Schon der Wortlaut der Norm bietet entgegen der Ansicht der Beklagten für eine derartige Auslegung keinerlei Anhaltspunkte; sie verstieße zudem gegen Sinn und Zweck der Regelung unter Berücksichtigung ihrer historischen Entwicklung und systematischen Stellung im Rahmen des SchwbG.
[19] In § 2 des Schwerbeschädigtengesetzes vom 14. August 1961 (BGBl I 1233) war noch vorgesehen, daß die Gleichstellung (zur Erlangung und zum Behalten eines geeigneten Arbeitsplatzes) auf bestimmte Betriebe beschränkt werden solle. Diese Regelung wurde jedoch mit dem SchwbG idF vom 29. April 1974 (BGBl I 1005) gestrichen, "weil sie die berufliche Beweglichkeit des Gleichgestellten zu sehr einschränke und der gesetzliche Schutz bei einem Wechsel des Betriebs automatisch verlorengehe und für den neuen Betrieb erst wieder beantragt werden müsse" (BT-Drucks 7/656, S 25 zu Nr 3). Diese Gesetzesbegründung erteilt damit der Forderung nach einem konkreten Arbeitsplatz für die Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes eine deutliche Absage. Dies gilt um so mehr, als ein Behinderter, der einer ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt unterworfen ist, unter Zugrundelegung der Rechtsansicht der Beklagten selbst dann nicht einem Schwerbehinderten gleichgestellt werden könnte, wenn ihm gerade wegen der Behinderung kein konkretes Arbeitsplatzangebot gemacht werden kann. Daß dies dem Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß widerspricht, liegt auf der Hand.
[20] Die Zugrundelegung eines arbeitsplatzbezogenen Maßstabs steht im übrigen mit dem Gleichstellungsprinzip des SchwbG im Widerspruch. Auch für die Schwerbehinderten gilt nämlich kein arbeitsplatz und leistungsbezogener Schwerbehindertenbegriff (vgl: BT-Drucks 10/3138, S 13; Cramer, SchwbG, 4. Aufl 1992, RdNr 7a zu § 1). Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, daß jeder Schwerbehinderte nach § 1 SchwbG besonders schutzbedürftig ist (vgl nur Schimanski in aaO, RdNrn 12 ff zu § 1), und stellt damit im Ergebnis die unwiderlegbare Vermutung auf, daß der Schwerbehinderte hinsichtlich seiner beruflichen und gesellschaftlichen Integration immer einer besonderen gesetzlichen Hilfe und eines entsprechenden Schutzes bedarf, ohne daß es auf die individuellen Umstände ankommt. § 1 SchwbG läßt demnach typisierend einer besonderen Gruppe der Behinderten den gesetzlichen Schutz eines Schwerbehinderten zukommen, und zwar im Rahmen einer abstrakten Bewertung. Demgegenüber trägt § 2 SchwbG dem Personenkreis Rechnung, der bei einer konkreten Betrachtung wegen seiner individuellen Behinderung besonders schutzbedürftig ist. Unter diesem Blickwinkel ist es nicht gerechtfertigt, bei einem Gleichzustellenden anders als bei einem Schwerbehinderten einen arbeitsplatzbezogenen Maßstab anzusetzen; entscheidendes Kriterium der Gleichstellung ist allein die mangelnde Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Daß dies automatisch zu einer gewissen Verschlechterung der Situation der Schwerbehinderten führt, ist ohne Bedeutung und vom Gesetzgeber gewollt. Denn die frühere Einschränkung, daß durch die Gleichstellung "im Einzelfall die Unterbringung von Schwerbeschädigten nicht beeinträchtigt" werden dürfe (§ 2 Abs 1 Schwerbeschädigtengesetz vom 14. August 1961 BGBl I 1233), ist entfallen.
[21] Das LSG wird deshalb bei seiner erneuten Entscheidung zu prüfen haben, ob der Kläger infolge seiner Behinderungen auch der nicht im Bescheid aufgeführten Behinderungen (BSG SozR 33870 § 4 Nr 24 S 99) bei wertender Betrachtung (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar war bzw ist. Sollte dies der Fall gewesen sein bzw sein, wäre eine Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes gerechtfertigt; denn die Gleichstellung hat zur Folge, daß der Gleichgestellte gemäß § 5 SchwbG auf die Pflichtplatzquote des Arbeitgebers angerechnet wird. Für einen potentiellen Arbeitgeber wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, den Arbeitslosen einzustellen. Darüber hinaus ergeben sich vor und nach Einstellung besondere Pflichten des (potentiellen) Arbeitgebers nach § 14 SchwbG. Wie bei der Alternative der Erhaltung eines geeigneten Arbeitsplatzes bedarf es also keiner Prognose darüber, daß die Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes führt; vielmehr ist Ziel der Gleichstellung auch im Rahmen der 1. Alt des § 2 Abs 1 Satz 1 SchwbG die rechtzeitige Hilfe für den behinderten Menschen zur Behebung einer ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt.
[22] Die Prüfung des LSG wird sich insoweit darauf zu erstrecken haben, welche Arbeitsplätze für den Kläger nach seinen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten, nach seinen gesundheitlichen Voraussetzungen zumutbar in Betracht kommen, ob und inwieweit hierfür (geeignete) Arbeitsplätze vorhanden sind und inwieweit der Kläger im Hinblick auf diese Arbeitsplätze gegenüber Nichtbehinderten bzw Behinderten mit einem GdB von weniger als 30 bei der bestehenden Arbeitsmarktlage konkurrenzfähig ist. Die Konkurrenzfähigkeit des Klägers mißt sich allerdings nicht allein an seiner früheren Tätigkeit und seinen beruflichen Wünschen, sondern auch an den Tätigkeiten, auf die das Arbeitsamt Vermittlungsbemühungen erstrecken darf (Zumutbarkeit).
[23] Sollte das LSG zur Erkenntnis gelangen, daß die Voraussetzungen für eine Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten seit Antragstellung durchgängig vorlagen, bedürfte es keines gesonderten Ausspruchs über Beginn und Ende der Gleichstellungswirkung. Sollten sich indes wie oben beschrieben unterschiedliche Beurteilungen für die Zeit zwischen Antragstellung und dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ergeben, wäre diesem Umstand durch eine entsprechende zeitliche Begrenzung der Gleichstellung Rechnung zu tragen (vgl auch die Befristungsmöglichkeit in § 2 Abs 1 Satz 3 SchwbG), falls nicht bereits eine Erledigung iS des § 39 Abs 2 SGB X eingetreten wäre. Ggf könnte das LSG auf eine streitgegenständliche Beschränkung hinwirken.
[24] Bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Gleichstellung müßte eine Gleichstellung erfolgen, es sei denn, es läge ein atypischer Fall vor. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 1 Satz 1 SchwbG hat der Gesetzgeber nämlich wie auch in anderen vergleichbaren Fällen, etwa in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X dem Arbeitsamt ein gebundenes Ermessen zugestanden (vgl: Neumann/Pahlen, SchwbG, 9. Aufl 1999, RdNr 24 zu § 2 mwN; Schimanski in Gemeinschaftskommentar zum SchwbG, 1992, RdNrn 81 f zu § 2; Cramer, SchwbG, 4. Aufl 1992, RdNr 9 zu § 2). Die Sollvorschrift gibt dem Arbeitsamt nur dann die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, etwa wenn der Behinderte bereits eine Altersrente bezieht. Die Sollvorschrift kann dann aber auch im Einzelfall zur Ablehnung einer Gleichstellung zwingen, etwa wenn ein Behinderter überhaupt nicht an der Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes interessiert ist. Vorliegend bestehen zwar keine Anhaltspunkte für die Annahme eines atypischen Falls; das LSG hat dies jedoch ausgehend von seiner Rechtsansicht nicht geprüft; es wird dies ggf nachzuholen haben. Es wird im übrigen über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.