Bundesarbeitsgericht
Arbeitnehmerüberlassung – Begründung eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes

BAG, Urteil vom 19. 1. 2000 – 7 AZR 11/99 (lexetius.com/2000,4732)

[1] Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 7. September 1998 – 10 Sa 130/98 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
[2] Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zustandegekommen ist.
[3] Der Kläger wurde im September 1988 bei der – zwischenzeitlich mehrfach umfirmierten – M GmbH (Bewachungsunternehmen) als Inspektor eingestellt. Das Bewachungsunternehmen besitzt keine Erlaubnis zur Verleihung von Arbeitnehmern.
[4] Am 23. August 1988 schloß das Bewachungsunternehmen mit den Stadtwerken München einen Konsortialvertrag zur Gründung einer GmbH für die Bewachung der Städtischen U-Bahn-Anlagen. Durch notariellen Vertrag vom selben Tag wurde die Beklagte errichtet, wobei den Stadtwerken 51 % und dem Bewachungsunternehmen 49 % der Gesellschaftsanteile übertragen wurden. Gesellschaftszweck ist nach § 4 des Gesellschaftsvertrags die Bewachung der Städtischen U-Bahn-Anlagen im Auftrage und nach Weisung der Stadtwerke entsprechend deren U-Bahn-Bewachungsordnung (UBO). Nach § 7 des Gesellschaftsvertrags übernimmt das Bewachungsunternehmen die Durchführung der Bewachungsleistungen nach Maßgabe der UBO mit eigenem Personal. Demgegenüber verpflichteten sich die Stadtwerke in § 6 des Gesellschaftsvertrags, Art, Umfang sowie Dauer der Überwachungsleistungen in einer UBO sowie verbindlichen Vorgaben über die Anzahl und Bewertung der Stellen für das Bewachungspersonal festzulegen. Weitere Aufgaben der Gesellschaft konnten nach § 5 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags durch Beschluß der Gesellschafterversammlung einem oder beiden Gesellschaftern zugewiesen werden. Einzelheiten darüber waren in einem Geschäftsbesorgungsvertrag zu regeln. Daraufhin übertrug die Beklagte durch Geschäftsbesorgungsvertrag vom 10. Oktober 1988 dem Bewachungsunternehmen die Personalverwaltung einschließlich der Personalsteuerung, die Personalwerbung, die Durchführung des laufenden Geschäftsbetriebs und die Beschaffung sowie Bestandsverwaltung für Dienstkleidung, Kfz und sonstige Ausrüstungsgegenstände. Ferner sind in dem Geschäftsbesorgungsvertrag die gemeinsame Durchführung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die in der U-Bahn-Bewachung eingesetzten Arbeitnehmer durch die Gesellschafter sowie die Verpflichtung der Stadtwerke gegenüber dem Bewachungsunternehmen zum Kostenersatz für die von ihm insgesamt zu erbringenden Leistungen geregelt.
[5] Die Beklagte beschäftigt kein eigenes Personal. Es existieren lediglich Dienstverträge mit ihren Geschäftsführern. Sie verfügt nicht über eigene Räumlichkeiten. Die Büros ihrer Geschäftsführer befinden sich in den Räumlichkeiten ihrer Gesellschafter.
[6] Der Kläger hat zuletzt die U-Bahn-Wache München geleitet. Das Arbeitsverhältnis mit dem Bewachungsunternehmen wurde durch Aufhebungsvertrag vom 11. Dezember 1996 zum 30. Juni 1997 beendet. Mit Schreiben vom 1. Juli 1997 bot der Kläger ohne Erfolg der Beklagten seine Dienste als Leiter der U-Bahn-Wache an.
[7] Er hat die Auffassung vertreten, zwischen ihm und der Beklagten sei infolge unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung durch das Bewachungsunternehmen ein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes zustande gekommen. Die Beklagte habe zur Bewachung der Münchner U-Bahn-Anlagen keine eigenen Arbeitnehmer eingesetzt, sondern sich dazu der Arbeitnehmer bedient, die ihr von dem Bewachungsunternehmen zur Verfügung gestellt worden seien. Zwar habe er als Leiter der U-Bahn-Wache die Dienstpläne erstellt und die Arbeitnehmer des Bewachungsunternehmens angewiesen. Dabei habe er als Bevollmächtigter der Beklagten bzw. der Stadtwerke gehandelt, weil er die Dienstpläne sowie sonstige Schreiben auf dem Geschäftspapier der Beklagten gefertigt und bei sonstigen Anweisungen deren Dienstkleidung bzw. Dienstausweis getragen habe. Teilweise habe der Geschäftsführer der Beklagten, etwa bei Sperrkontrollen, die Arbeitnehmer direkt angewiesen. Die Unterstellung unter die Personalhoheit der Beklagten werde deutlich an einer einheitlichen Dienstkleidung, einheitlichen Ausrüstungsgegenständen und daran, daß die zur Bewachung der U-Bahn-Anlagen eingesetzten Arbeitnehmer des Bewachungsunternehmens mehrfach von der Beklagten als ihre Mitarbeiter bezeichnet worden seien. Ferner habe die Beklagte aktiv bei der Personalauswahl für das U-Bahn-Bewachungspersonal mitgewirkt und die Aus- und Fortbildung dieser Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Bewachungsunternehmen durchgeführt. Auch die Sachmittel wie Dienstkleidung, Kfz und sonstige Ausrüstungsgegenstände seien Eigentum der Beklagten. In Betracht käme ferner auch die Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung mit den Stadtwerken.
[8] Der Kläger hat den Stadtwerken erstinstanzlich den Streit verkündet und beantragt festzustellen, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.
[9] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
[10] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er sein bisheriges Klageziel verfolgt. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zwar zu Unrecht die Klage schon deswegen für unbegründet gehalten, weil bereits der zwischen dem Kläger und dem Bewachungsunternehmen geschlossene Aufhebungsvertrag auch ein mit dem Beklagten nach dem AÜG zustande gekommenes Arbeitsverhältnis beendet hätte. Das führt jedoch nicht zur Aufhebung des Berufungsurteils. Das Landesarbeitsgericht hat in seiner Hilfsbegründung zutreffend erkannt, daß der Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen für das Vorliegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung nicht schlüssig vorgetragen hat.
[12] I. Der zwischen dem Kläger und dem Bewachungsunternehmen geschlossene Aufhebungsvertrag hätte ein mit dem Beklagten nach dem AÜG zustande gekommenes Arbeitsverhältnis nicht beenden können.
[13] 1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG bedarf ein Verleiher, der Arbeitnehmer Dritten gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überläßt, einer Erlaubnis. Bei Fehlen dieser Erlaubnis ist der Vertrag zwischen dem Verleiher und seinem Arbeitnehmer unwirksam (§ 9 Nr. 1 AÜG). Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG gilt in diesem Fall ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Arbeitnehmer als zustande gekommen.
[14] 2. Diese Rechtsfolge tritt auch in Fällen einer als unerlaubten Arbeitsvermittlung anzusehenden Überlassung nach § 1 Abs. 2 AÜG ein. Das folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (BAG 3. Dezember 1997 – 7 AZR 764/96 – AP AÜG § 1 Nr. 24 = EzA AÜG § 1 Nr. 9 zu II 2 a der Gründe mwN) aus dem vorliegend noch anwendbaren § 13 AÜG, der durch Art. 63 Nr. 9 AFRG vom 24. März 1997 (BGBl. I S 594, 714) mit Wirkung zum 1. April 1997 aufgehoben worden ist. Damit erhält der Arbeitnehmer alle arbeitsvertraglichen Ansprüche gegenüber dem Entleiher, ohne daß seine Rechtsstellung gegenüber dem ursprünglichen Vertragsarbeitgeber (Verleiher) beeinträchtigt wird. Deshalb besteht bei einer als unerlaubten Arbeitsvermittlung anzusehenden Überlassung im Sinne des § 1 Abs. 2 AÜG sowohl ein Arbeitsverhältnis zum Verleiher als auch ein Kraft gesetzlicher Fiktion nach § 13 AÜG entstandenes Arbeitsverhältnis zum Entleiher.
[15] 3. Nach der Rechtsprechung des Senats steht ein nach § 10 Abs. 1 Satz 1 bzw. nach § 13 AÜG zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher entstandenes Arbeitsverhältnis einem vertraglich begründeten Arbeitsverhältnis gleich (BAG 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89BAGE 67, 125 zu IV 4 der Gründe; 15. April 1999 – 7 AZR 437/97 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Es kann daher auch durch Auflösungsvertrag beendet werden. Dazu bedarf es entsprechender Willenserklärungen des Arbeitnehmers bzw. des Entleihers, an denen es vorliegend fehlt. Der ohne Beteiligung der Beklagten zwischen dem Kläger und dem Bewachungsunternehmen geschlossene Aufhebungsvertrag konnte nur im Verhältnis dieser Vertragsparteien und nicht gegenüber der Beklagten wirken.
[16] II. Der Kläger hat die Voraussetzungen für das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1 Abs. 1 AÜG oder der als unerlaubten Arbeitsvermittlung geltenden Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 2 AÜG nicht vorgetragen.
[17] 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG durch eine vertragliche Beziehung zwischen dem Verleiher und dem Entleiher und dem Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer gekennzeichnet. Danach setzt das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG den Abschluß eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags voraus, der auch konkludent erfolgen kann. Notwendiger Inhalt dieses Vertrags ist die Verpflichtung des Verleihers, dem Entleiher zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen (BAG 3. Dezember 1997 – 7 AZR 764/96 – AP AÜG § 1 Nr. 24 = EzA AÜG § 1 Nr. 9 zu I 1 der Gründe mwN). Diese anspruchsbegründende Voraussetzung hat derjenige darzulegen und ggf. unter Beweis zu stellen, der sich auf die Begründung des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes beruft (BAG 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89BAGE 67, 125; 3. Dezember 1997 – 7 AZR 764/96 – aaO). Das ist vorliegend der Kläger.
[18] 2. Der Kläger hat seiner Darlegungspflicht nicht genügt. Aufgrund seines Vorbringens läßt sich der Tatbestand einer Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG nicht feststellen.
[19] a) Der Vortrag des Klägers läßt nicht erkennen, daß sich das Bewachungsunternehmen als Vertragsarbeitgeber des Klägers gegenüber der Beklagten verpflichtet hat, der Beklagten gegen Entgelt die Arbeitsleistung des Klägers zu verschaffen. Die von dem Kläger vorgelegten Verträge belegen das Gegenteil. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 23. August 1988 war das Bewachungsunternehmen gegenüber der Beklagten zur Erbringung von Bewachungsleistungen durch eigenes Personal verpflichtet. Danach bezog sich die Verpflichtung des Bewachungsunternehmens gerade nicht darauf, der Beklagten Personal zur Verfügung zu stellen, das sie ihrerseits für die Erledigung der Bewachungsaufgaben einsetzen konnte.
[20] b) Nach dem Vorbringen des Klägers läßt sich auch nicht feststellen, daß er seine Arbeitsleistung für die Beklagte und nicht für das Bewachungsunternehmen als seinen Vertragsarbeitgeber erbracht hat. Nach den mit zulässigen Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte der Kläger im Auftrag des Bewachungsunternehmens die Dienstpläne für die Bewachung der Mitarbeiter der U-Bahn erstellt und dafür auch das Personal des Bewachungsunternehmens eingesetzt. Seine eigene Arbeit hat er in Abstimmung mit seinem Stellvertreter abgestimmt, der ebenfalls in einem Arbeitsverhältnis zum Bewachungsunternehmen steht.
[21] c) Das gesamte Vorbringen des Klägers läßt auch nicht erkennen, inwieweit die Beklagte über seine Arbeitsleistung verfügt haben soll. Die gelegentlichen Anweisungen zum Einsatz einzelner Arbeitnehmer des Bewachungsunternehmens aus Anlaß von Sperrkontrollen betreffen die Ausübung von Kontrollbefugnissen hinsichtlich der vom Bewachungsunternehmen geschuldeten Leistung. Sie sind kein Indiz für einen umfassenden und letztlich auf einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag beruhender Weisungsbefugnis der Beklagten. Nichts anderes gilt für den Vortrag des Klägers zum einheitlichen Erscheinungsbild des von ihm eingesetzten Personals des Bewachungsunternehmens. Das einheitliche Erscheinungsbild entspricht einer vertraglichen Verpflichtung des Bewachungsunternehmens, wie sich aus der Nr. 2. 10 der UBO ergibt. Auch die weiteren vom Kläger benannten Indizien wie die Beteiligung an der Aus- und Fortbildung oder Einstellung der neuen Bewachungsunternehmen für die Bewachung der Münchner U-Bahn-Anlagen eingesetzten Arbeitnehmer oder die von der Beklagten gewählte Bezeichnung dieser Mitarbeiter läßt nicht auf das Vorliegen einer auf Arbeitnehmerüberlassung gerichteten Vereinbarung schließen. Ohne eine solche Vereinbarung kann der Tatbestand einer Arbeitnehmerüberlassung aber nicht erfüllt sein (vgl. BAG 26. April 1995 – 7 AZR 850/94BAGE 80, 46 zu II 2 der Gründe). Es bedarf daher keiner Entscheidung zu den sonstigen Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung. Demnach kann offenbleiben, ob die Beklagte auch tatsächlich über eine eigenständige betriebliche Organisation verfügt, in die der Kläger eingegliedert gewesen sein könnte.