Bundesarbeitsgericht
Rufbereitschaft – Zeitvorgabe zur Arbeitsaufnahme

BAG, Urteil vom 31. 1. 2002 – 6 AZR 214/00 (lexetius.com/2002,1120)

[1] 1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. Februar 2000 – 7 Sa 995/99 – aufgehoben.
[2] 2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 6. Mai 1999 – 1 Ca 353/99 – wird zurückgewiesen.
[3] 3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
[4] Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, bei Rufbereitschaft innerhalb von 20 Minuten nach Abruf die Arbeit aufzunehmen.
[5] Der Kläger ist bei der Beklagten als Krankenpfleger im Funktionsbereich Anästhesie beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Nach § 9 a AVR bestimmt sich die Arbeitszeit der Mitarbeiter nach der Arbeitszeitregelung der Anlage 5 zu den AVR. Anlage 5 lautet auszugsweise wie folgt:
[6] "§ 7. Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. (1) Auf Anordnung des Dienstgebers haben Mitarbeiter außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Dienstleistungen in der Form des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft zu erbringen. Der Dienstgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, daß zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Eine Rufbereitschaft darf er nur anordnen, wenn innerhalb eines Zeitraums von sechs Kalendermonaten im Durchschnitt weniger Arbeit als zu einem Achtel der Zeit der Rufbereitschaft anfällt. (2) Bei Bereitschaftsdiensten ist der Mitarbeiter verpflichtet, sich außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der Einrichtung aufzuhalten und im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Als Bereitschaftsdienst gilt nicht das Wohnen im Bereich der Einrichtung. (3) Während der Rufbereitschaft hält sich der Mitarbeiter außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem von ihm selbst gewählten, dem Dienstgeber oder dessen Bevollmächtigten anzuzeigenden Ort auf, um bei Abruf kurzfristig die Arbeit aufzunehmen. Als Rufbereitschaft gilt nicht das Wohnen im Bereich der Einrichtung. …"
[7] Der Kläger wird seit dem 1. April 1998 zur Rufbereitschaft herangezogen. Am 30. März 1998 hatte die Beklagte angeordnet, daß bei Rufbereitschaft die Arbeit innerhalb von 20 Minuten nach Abruf aufzunehmen sei. Dies ist dem Kläger von seinem Wohnort Borken aus nicht möglich. Von dort aus benötigt er in der Regel ca. 25 bis 30 Minuten, um den Arbeitsplatz zu erreichen. Von April bis September 1998 hielt der Kläger sich deshalb bei Rufbereitschaft nicht zu Hause, sondern bei Bekannten in Bocholt auf, um der Anordnung der Beklagten Folge leisten zu können. Ein vom Kläger angerufenes Schlichtungsverfahren mit dem Ziel, die Festlegung der Höchstzeit, die zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit bei Rufbereitschaft liegen darf, aufzuheben, blieb ohne Erfolg.
[8] Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe durch die Anweisung vom 30. März 1998 ihr Direktionsrecht überschritten. Nach Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR könne er bei Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort frei bestimmen. Er sei nur verpflichtet, die Arbeit nach Abruf kurzfristig aufzunehmen. Die Beklagte sei nicht berechtigt, den Begriff "kurzfristig" auf eine genau festgelegte Zeitspanne einzuschränken. Durch die Anordnung greife sie unzulässig in sein Recht zur freien Bestimmung des Aufenthaltsorts ein, weil es ihm nicht möglich sei, die Zeitvorgabe von 20 Minuten einzuhalten, wenn er sich zu Hause aufhalte.
[9] Der Kläger hat beantragt, 1. festzustellen, daß die Anweisung der Beklagten an den Kläger, im Falle der Rufbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 der Anlage 5 der AVR, innerhalb von 20 Minuten nach Abruf die Arbeit aufzunehmen, unwirksam ist; 2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.013,93 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
[10] Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, sie könne nach Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR festlegen, in welcher Zeit bei Rufbereitschaft die Arbeit aufzunehmen sei. Bei der zeitlichen Konkretisierung auf 20 Minuten nach Abruf habe sie die Grenzen billigen Ermessens nicht überschritten, sondern die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt. Die Einführung des Rufdienstes sei erforderlich gewesen, um mögliche Komplikationen im Bereitschaftsdienst sachgerecht auffangen zu können. Dies sei im Bereich Anästhesie entsprechend einer Empfehlung der Chefärztekonferenz nur bei einer Beschränkung der Zeit zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme auf 20 Minuten gewährleistet. Alle im Rufdienst eingesetzten Fachärzte seien gehalten, innerhalb dieser Zeit die Arbeit aufzunehmen. Parallel dazu sei dies für das Pflegepersonal geboten. Diese zeitliche Festlegung werde auch der Rechtsprechung zu Haftpflichtfragen gerecht. Für den Kläger sei dies nicht unbillig. Er habe keinen Anspruch darauf, sich bei Rufbereitschaft zu Hause aufzuhalten. Bei weiter Entfernung der Wohnung vom Krankenhaus müsse der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort so wählen, daß er "kurzfristig" die Arbeit aufnehmen könne.
[11] Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und auch den Feststellungsantrag abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[12] Entscheidungsgründe: Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Wiederherstellung der dem Feststellungsantrag stattgebenden Entscheidung des Arbeitsgerichts.
[13] A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe nach Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR die Zeitdauer zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme entsprechend den Bedürfnissen der anästhesistischen Abteilung und zum Zwecke der Begrenzung ihres Haftungsrisikos zeitlich festlegen können. Durch die Konkretisierung auf 20 Minuten habe sie nicht in unzulässiger Weise in das Recht des Klägers eingegriffen, bei Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen. Die Rufbereitschaft unterstütze den Bereitschaftsdienst und müsse eingreifen können, wenn mehrere Notfälle aufträten und der Bereitschaftsdienst überfordert sei. Deshalb sei es geboten, angemessene Zeiträume auch für die Arbeitsaufnahme des Notdienstes zu bestimmen. Diese würden in Fachkreisen mit 20 Minuten beschrieben. Nach der einschlägigen haftungsrechtlichen Rechtsprechung entspreche es nicht dem medizinischen Standard, wenn ein Anästhesist erst nach Ablauf von 20 bis 25 Minuten nach telefonischer Anforderung zur Verfügung stehe. Vielmehr obliege es dem Krankenhausträger, die notwendige ärztliche Versorgung durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sicherzustellen. Da der Pfleger dem Arzt assistiere, sei erforderlich, daß der pflegerische Rufdienst zumindest zeitgleich mit dem Arzt und dem Operateur zugegen sei. Der Krankenhausträger sei deshalb gehalten, auch für den pflegerischen Rufdienst die Zeit zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme auf maximal 20 Minuten einzuschränken.
[14] B. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Kläger ist nicht verpflichtet, bei Rufbereitschaft die Arbeit innerhalb von 20 Minuten nach Abruf aufzunehmen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Beklagte nicht berechtigt, eine genaue Zeitspanne festzulegen, in welcher die Arbeit nach Abruf längstens aufzunehmen ist.
[15] I. Die Verpflichtung des Klägers, außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Rufbereitschaft zu leisten, ergibt sich ausschließlich aus § 9 a AVR iVm. Anlage 5 § 7 Abs. 1 und Abs. 3 AVR, die nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.
[16] Nach Anlage 5 § 7 Abs. 1 Unterabs. 1 AVR haben die Mitarbeiter auf Anordnung des Dienstgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Dienstleistungen in Form des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft zu erbringen. Für die Rufbereitschaft bestimmt Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR, daß sich der Mitarbeiter außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem von ihm selbst gewählten, dem Dienstgeber oder dessen Bevollmächtigten anzuzeigenden Ort aufhält, um bei Abruf kurzfristig die Arbeit aufzunehmen. Dies bedeutet nicht, daß die Zeit zwischen dem Abruf und der Aufnahme der Arbeit 20 Minuten nicht überschreiten darf.
[17] 1. Der Begriff "kurzfristig" in Anlage 5 § 7 Abs. 3 Unterabs. 1 AVR eröffnet dem Arbeitgeber entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht die Möglichkeit, die Zeit zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme zu konkretisieren und diese unter Beachtung der Grundsätze billigen Ermessens (§ 315 BGB) festzulegen. Ein solches Bestimmungsrecht, das grundsätzlich einer Arbeitsvertragspartei durch Tarifvertrag, einzelvertragliche Vereinbarung oder, wie hier, durch die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen AVR, eingeräumt werden kann, sieht Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR nicht vor. Dazu wäre erforderlich, daß in der Vorschrift die Rufbereitschaft nicht abschließend geregelt wäre, sondern der Richtliniengeber nur Rahmenbedingungen aufgestellt und deren Konkretisierung Dritten – hier: dem Arbeitgeber – überlassen hätte (vgl. etwa BAG 28. November 1984 – 5 AZR 123/83BAGE 47, 238 und – 5 AZR 195/83AP TVG § 4 Bestimmungsrecht Nr. 2 = EzA TVG § 4 Rundfunk Nr. 12; 5. August 1999 – 6 AZR 22/98BAGE 92, 175 zu tariflichen Bestimmungsnormen). Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Die Voraussetzungen der Rufbereitschaft sind in Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR abschließend geregelt. Die Bestimmung weist dem Arbeitgeber keine Konkretisierungsbefugnis zu. Der Arbeitgeber kann daher außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Rufbereitschaft nur mit dem in Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR vorgegebenen Inhalt anordnen.
[18] 2. Rufbereitschaft iSd. Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR erfordert nicht zwingend die Arbeitsaufnahme innerhalb von 20 Minuten nach Abruf.
[19] Die Rufbereitschaft unterscheidet sich vom Bereitschaftsdienst (Anlage 5 § 7 Abs. 2 AVR) dadurch, daß sich der Mitarbeiter in der Zeit, für die sie angeordnet ist, nicht in der Einrichtung aufhalten muß, sondern seinen Aufenthaltsort selbst bestimmen kann (vgl. dazu etwa BAG 19. Dezember 1991 – 6 AZR 592/89AP BMT-G II § 67 Nr. 1 = EzA BGB § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 1 zu der insoweit vergleichbaren Bestimmung in § 67 Nr. 32 BMT-G II; 3. Dezember 1986 – 4 AZR 7/86 – AP MTB II § 30 Nr. 1 zu der vergleichbaren Bestimmung in Nr. 8 SR 2 a MTB II mwN; 26. Juni 1967 – 3 AZR 439/66AP BGB § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 1 zu § 4 Abs. 1 LTV Bundesbahn). Allerdings ist der Arbeitnehmer in der Bestimmung seines Aufenthaltsorts nicht völlig frei. Nach Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR muß der Mitarbeiter die Arbeit kurzfristig nach Abruf aufnehmen. Durch die Verwendung des Begriffs "kurzfristig" unterscheidet sich Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR von anderen Vorschriften, die ebenfalls Rufbereitschaft regeln, zB. § 15 Abs. 6 b BAT und § 67 Nr. 32 BMT-G II, wonach der Arbeitnehmer "auf Abruf die Arbeit aufzunehmen" hat, von Nr. 8 Abs. 1 Buchst. b SR 2 a MTB II, wonach der Arbeitnehmer "im Bedarfsfall auf Abruf sofort die Arbeit aufnehmen" muß, und von § 4 Abs. 1 LTV Bundesbahn, wonach er "sich in seiner Wohnung aufzuhalten oder dort oder bei der Dienststelle zu hinterlassen" hat, "von wo er im Bedarfsfall zur sofortigen Arbeitsaufnahme herbeigerufen werden kann". Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu diesen Bestimmungen darf zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme nur eine solche Zeitspanne liegen, daß hierdurch der Einsatz nicht gefährdet wird und im Bedarfsfall die Arbeitsaufnahme gewährleistet ist (26. Juni 1967 – 3 AZR 439/66 – aaO, zu I 1 a der Gründe mwN). Der Arbeitnehmer muß bei Abruf seine Arbeit alsbald aufnehmen können (BAG 12. Februar 1969 – 4 AZR 308/68 – BAGE 21, 348, 352). Dies bedeutet, daß sich der Aufenthaltsort des Arbeitnehmers noch in einer Entfernung von der Arbeitsstelle befinden muß, die es ihm gestattet, diese in angemessen kurzer Zeit zu erreichen. Der Arbeitnehmer darf sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die dem Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft (BAG 19. Dezember 1991 – 6 AZR 592/89 – aaO, zu II 2 der Gründe mwN). In diesem Sinne ist auch der Begriff "kurzfristig" in Anlage 5 § 7 Abs. 3 AVR zu verstehen. "Kurzfristig" bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch "nicht lange dauernd, von kurzer Frist, ohne lange Wartezeit, nur eine kurze Zeit dauernd, in möglichst kurzer Zeit, rasch entschlossen" (vgl. Brockhaus/Wahrig Deutsches Wörterbuch; Duden Das Wörterbuch der deutschen Sprache). Das Tatbestandsmerkmal "kurzfristig" soll daher sicherstellen, daß der Mitarbeiter sich während der Rufbereitschaft nur an solchen Orten aufhält, von denen er in kurzer Zeit nach Abruf die Arbeit aufnehmen kann. Dadurch soll eine Gefährdung des Einsatzes durch lange Wegezeiten vermieden werden. Dies kann zwar unter Umständen zur Folge haben, daß sich der Mitarbeiter bei Rufbereitschaft nicht zu Hause aufhalten kann, dann nämlich, wenn seine Wohnung so weit vom Arbeitsort entfernt liegt, daß die Arbeitsaufnahme in angemessen kurzer Zeit nicht möglich ist und der Einsatz deshalb gefährdet wäre (BAG 26. Juni 1967 – 3 AZR 439/66AP BGB § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 1, zu I 1 b der Gründe). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn der Arbeitsplatz von der Wohnung des Mitarbeiters, wie hier, in ca. 25 bis 30 Minuten erreichbar ist. Wegezeiten in dieser Größenordnung sind nicht unüblich und deshalb vom Arbeitgeber auch bei Rufbereitschaft, die herkömmlicherweise überwiegend zu Hause geleistet wird, generell hinzunehmen. Im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst, der im Bedarfsfall die sofortige Arbeitsaufnahme ermöglichen soll und der deshalb nach Anlage 5 § 7 Abs. 2 AVR in der Einrichtung zu leisten ist, ermöglicht die Rufbereitschaft dem Arbeitnehmer grundsätzlich die Gestaltung seiner an sich arbeitsfreien Zeit. Dies bedeutet, daß der Arbeitnehmer die Möglichkeit haben muß, sich um persönliche und familiäre Angelegenheiten zu kümmern, an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen, sich mit Freunden zu treffen etc. Dies ist bei einer zeitlichen Vorgabe von 20 Minuten zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme nicht möglich. Bei einer solchen Zeitvorgabe ist der Arbeitnehmer faktisch gezwungen, sich in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes aufzuhalten, um die Arbeit bei Bedarf fristgerecht aufnehmen zu können. Dies ist mit dem Wesen der Rufbereitschaft nicht zu vereinbaren. Denn durch den Faktor Zeit bestimmt der Arbeitgeber – ebenso wie bei einer Zeitvorgabe von 10 Minuten zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme, die der erkennende Senat durch Urteil vom 19. Dezember 1991 (- 6 AZR 592/89 – aaO) für unzulässig angesehen hat – den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers. Die Beklagte mag zwar zur ordnungsgemäßen medizinischen Versorgung der Patienten und aus Haftungsgründen darauf angewiesen sein, daß das Pflegepersonal in Notfällen innerhalb von 20 Minuten oder sogar in noch kürzerer Zeit tätig wird. Solche Notfälle können jedoch grundsätzlich nicht mit Pflegepersonal in Rufbereitschaft behandelt werden. Sie erfordern in der Regel den Einsatz von Pflegekräften, die innerhalb der für sie geltenden regelmäßigen Arbeitszeit tätig sind oder die Bereitschaftsdienst leisten. Pflegekräfte in Rufbereitschaft dürften für diese Aufgaben nur ausnahmsweise geeignet sein. Zwar dürfte die Rufbereitschaft für die Beklagte in der Regel kostengünstiger sein als Bereitschaftsdienst oder der Einsatz von Personal während der regelmäßigen Arbeitszeit im Schichtdienst. Dies hat jedoch seinen Grund darin, daß der Arbeitnehmer bei Rufbereitschaft – im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst – in seiner Freizeitgestaltung weitgehend frei ist. Deshalb schuldet der Arbeitgeber für Zeiten der Rufbereitschaft lediglich 12, 5 % der Überstundenvergütung (Anlage 5 § 8 Abs. 3 Unterabs. 1 AVR), wohingegen Bereitschaftsdienste mit 25 % der Überstundenvergütung zu vergüten sind (Anlage 5 § 8 Abs. 2 Unterabs. 1 AVR). Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine zeitliche Vorgabe von 20 Minuten zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme zwingen könnte, sich in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes aufzuhalten, und ihm dadurch die Möglichkeit, seine Freizeit weitgehend selbst zu gestalten, nehmen würde. Dies käme der Anordnung von Bereitschaftsdienst gleich.
[20] C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.