Zur Datenspeicherung trotz Freispruchs

BVerfG, Mitteilung vom 20. 6. 2002 – 56/02 (lexetius.com/2002,799)

[1] Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat deutlich gemacht, dass die fortdauernde Speicherung von personenbezogenen Daten, die im Rahmen der Strafverfolgung rechtmäßig erhoben wurden, nicht automatisch unzulässig ist, wenn der Betroffene im Strafverfahren freigesprochen wurde. Mit Beschluss vom 16. Mai 2002 hat die Kammer deshalb eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, deren Beschwerdeführer (Bf) erfolglos vor den Verwaltungsgerichten die Löschung von über ihn beim Landeskriminalamt geführten Daten verlangt hatte.
[2] Gegen den Bf war wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt worden; das Amtsgericht hatte ihn aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Ein zweites Verfahren gleicher Art wurde nach § 153 a StPO eingestellt. Der Bf sah in der fortdauernden Speicherung seiner Daten unter Anderem einen Verstoß gegen das Gebot der Unschuldsvermutung.
[3] Wie die Kammer feststellt, steht die Unschuldsvermutung der weiteren Speicherung und Verwendung von Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten grundsätzlich auch dann nicht entgegen, wenn der Betroffene rechtskräftig freigesprochen worden ist, sofern die Verdachtsmomente dadurch nicht ausgeräumt sind. Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, zudem in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Sie schützt den Beschuldigten auch vor Nachteilen, die einem Schuldspruch oder der Verhängung einer Strafe gleichkommen, ohne dass ein rechtsstaatliches Verfahren zur Schuldfeststellung vorausgegangen ist. Die Feststellung eines Tatverdachts ist jedoch etwas substanziell anderes als eine Schuldfeststellung. Dementsprechend ist bei einer Verfahrensbeendigung durch Einstellung nach § 153 StPO oder bei einem Freispruch unter Hinweis auf einen Mangel an Beweisen der Tatverdacht nicht notwendig ausgeräumt. Andererseits kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Freispruch keine Auswirkungen auf die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Speicherung hat. Vielmehr ist er bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Datenspeicherung erfüllt sind und sie im konkreten Fall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt. Diese Prüfung ist von den Fachgerichten zutreffend vorgenommen worden. Das Oberverwaltungsgericht durfte im konkreten Fall auch von einer hinreichenden Wiederholungsgefahr ausgehen.
BVerfG, Beschluss vom 16. 5. 2002 – 1 BvR 2257/01