Europäischer Gerichtshof
Assoziation EWG-Türkei – Auslegung von Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und von Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates – Aufhebung der Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs – Stillhalteklauseln – Unmittelbare Wirkung – Bedeutung – Regelung eines Mitgliedstaats, nach der auf dem Gebiet des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs eine Arbeitserlaubnis erforderlich ist
- Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde, und Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurde, kommt in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung zu, so dass die türkischen Staatsangehörigen, für die diese Bestimmungen gelten, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf sie berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen.
- Die genannten Bestimmungen verbieten ganz generell die Einführung neuer innerstaatlicher Beschränkungen des Niederlassungsrechts sowie des freien Dienstleistungsverkehrs und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer von dem Zeitpunkt an, zu dem der Rechtsakt, zu dem diese Artikel gehören, im Aufnahmemitgliedstaat in Kraft getreten ist.
- Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 ist auf türkische Staatsangehörige nur dann anzuwenden, wenn diese sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch während eines hinreichend langen Zeitraums aufhalten, um sich dort schrittweise integrieren zu können.
- Unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren ist Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls auf grenzüberschreitende Gütertransporte aus der Türkei auf der Straße anzuwenden, wenn Leistungen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erbracht werden.
- Auf Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls können sich nicht nur Unternehmen mit Sitz in der Türkei, die Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat erbringen, sondern auch die Beschäftigten solcher Unternehmen berufen, um sich gegen eine neue Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu wenden; ein Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat kann sich hierfür hingegen nicht auf diese Bestimmung berufen, wenn die Dienstleistungsempfänger im selben Mitgliedstaat ansässig sind.
- Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls verbietet es, im nationalen Recht eines Mitgliedstaats für die Erbringung von Dienstleistungen im Inland durch ein Unternehmen mit Sitz in der Türkei den Besitz einer Arbeitserlaubnis vorzuschreiben, wenn eine solche Arbeitserlaubnis nicht bereits beim Inkrafttreten dieses Zusatzprotokolls erforderlich war.
- Es ist Sache der innerstaatlichen Gerichte, festzustellen, ob die auf türkische Staatsangehörige wie die Kläger in den Ausgangsverfahren angewandte innerstaatliche Regelung weniger günstig ist als diejenige, die beim Inkrafttreten dieses Zusatzprotokolls für sie galt.
EuGH, Urteil vom 21. 10. 2003 – C-317/01 (lexetius.com/2003,2137)
[1] In den verbundenen Rechtssachen C-317/01 und C-369/01 betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom deutschen Bundessozialgericht in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten Eran Abatay u. a. (C-317/01), Nadi Sahin (C-369/01) gegen Bundesanstalt für Arbeit vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde, und von Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurde, erlässt DER GERICHTSHOF unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, C. Gulmann, J. N. Cunha Rodrigues und A. Rosas sowie der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola, J.-P. Puissochet, R. Schintgen (Berichterstatter), der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie des Richters S. von Bahr, Generalanwalt: J. Mischo, Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat, unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen – der Herren Abatay u. a., vertreten durch Rechtsanwalt T. Helbing, – von Herrn Sahin, vertreten durch Rechtsanwalt R. Gutmann, – der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und R. Stüwe als Bevollmächtigte, – der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und S. Pailler als Bevollmächtigte, – der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte, – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin und H. Kreppel als Bevollmächtigte, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Herren Abatay u. a., von Herrn Sahin, der deutschen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 14. Januar 2003, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Mai 2003 folgendes Urteil (1):
[2] 1. Das Bundessozialgericht hat mit Beschlüssen vom 20. Juni und 2. August 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 13. August und 25. September 2001, gemäß Artikel 234 EG mehrere Fragen nach der Auslegung von Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Zusatzprotokoll), und von Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685; im Folgenden: Assoziierungsabkommen) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
[3] 2. Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen einerseits den Klägern Abatay u. a. und Nadi Sahin und andererseits der Bundesanstalt für Arbeit (im Folgenden: Bundesanstalt) darüber, dass diese von türkischen Kraftfahrern zur Durchführung von grenzüberschreitendem Güterkraftverkehr den Besitz einer Arbeitserlaubnis in Deutschland verlangt.
Rechtlicher Rahmen
Die Assoziation EWG-Türkei
[4] 3. Das Assoziierungsabkommen hat nach seinem Artikel 2 Absatz 1 das Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern, und zwar im Bereich der Arbeitskräfte durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artikel 12) sowie durch die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (Artikel 13) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Artikel 14), um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu verbessern und später den Beitritt der Republik Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern (vierte Begründungserwägung der Präambel und Artikel 28).
[5] 4. Das Assoziierungsabkommen sieht hierzu eine Vorbereitungsphase vor, die es der Republik Türkei ermöglichen soll, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen (Artikel 3), eine Übergangsphase, in der die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken erfolgen (Artikel 4), und eine Endphase, die auf der Zollunion beruht und eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Vertragsparteien einschließt (Artikel 5).
[6] 5. Artikel 6 des Assoziierungsabkommens lautet: Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind.
[7] 6. Artikel 8 des Assoziierungsabkommens, der zu Titel II – Durchführung der Übergangsphase – gehört, bestimmt: Zur Verwirklichung der in Artikel 4 genannten Ziele bestimmt der Assoziationsrat vor Beginn der Übergangsphase nach dem in Artikel 1 des Vorläufigen Protokolls geregelten Verfahren die Bedingungen, die Einzelheiten und den Zeitplan für die Durchführung der Bestimmungen bezüglich der einzelnen Sachbereiche des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft, die zu berücksichtigen sind; dies gilt insbesondere für die in diesem Titel enthaltenen Sachbereiche sowie für Schutzklauseln aller Art, die sich als zweckmäßig erweisen.
[8] 7. Die Artikel 12, 13, 14, 15 und 16 des Assoziierungsabkommens finden sich gleichfalls in Titel II, und zwar in Kapitel 3 – Sonstige Bestimmungen wirtschaftlicher Art.
[9] 8. Artikel 12 sieht vor: Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.
[10] 9. Artikel 13 bestimmt: Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 52 bis 56 und 58 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben.
[11] 10. Artikel 14 schreibt vor: Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 55, 56 und 58 bis 65 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs aufzuheben.
[12] 11. Artikel 15 lautet: Die Bedingungen und Einzelheiten der Ausdehnung der den Verkehr betreffenden Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft und der aufgrund dieser Bestimmungen ergangenen Maßnahmen auf die Türkei werden unter Berücksichtigung der geografischen Lage der Türkei festgelegt.
[13] 12. Artikel 16 hat folgenden Wortlaut: Die Vertragsparteien erkennen an, dass die Grundsätze der Bestimmungen des Dritten Teils Titel I des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft über den Wettbewerb, die Steuern und die Angleichung der Rechtsvorschriften auch im Rahmen ihres Assoziationsverhältnisses anwendbar zu machen sind.
[14] 13. In Artikel 22 Absatz 1 des Assoziierungsabkommens heißt es: Zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den darin vorgesehenen Fällen ist der Assoziationsrat befugt, Beschlüsse zu fassen. Jede der beiden Parteien ist verpflichtet, die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu treffen …
[15] 14. Das Zusatzprotokoll, das nach seinem Artikel 62 Bestandteil des Assoziierungsabkommens ist, legt in Artikel 1 die Bedingungen, die Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Artikel 4 dieses Abkommens genannten Übergangsphase fest.
[16] 15. Das Zusatzprotokoll enthält in Titel II – Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr – Kapitel I – Arbeitskräfte – und Kapitel II – Niederlassungsrecht, Dienstleistungen und Verkehr.
[17] 16. Artikel 36 des Zusatzprotokolls, der sich in Titel II Kapitel I findet, sieht vor, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des Abkommens schrittweise hergestellt wird und dass der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln festlegt.
[18] 17. Artikel 41 des Zusatzprotokolls, der sich in dessen Titel II Kapitel II findet, lautet: (1) Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. (2) Der Assoziationsrat setzt nach den Grundsätzen der Artikel 13 und 14 des Assoziierungsabkommens die Zeitfolge und die Einzelheiten fest, nach denen die Vertragsparteien die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs untereinander schrittweise beseitigen. Der Assoziationsrat berücksichtigt bei der Festsetzung der Zeitfolge und der Einzelheiten für die verschiedenen Arten von Tätigkeiten die entsprechenden Bestimmungen, welche die Gemeinschaft auf diesen Gebieten bereits erlassen hat, sowie die besondere wirtschaftliche und soziale Lage der Türkei. Die Tätigkeiten, die in besonderem Maß zur Entwicklung der Erzeugung und des Handelsverkehrs beitragen, werden vorrangig behandelt.
[19] 18. Artikel 42 Absatz 1 des Zusatzprotokolls, der in dessen Titel II Kapitel II enthalten ist, bestimmt: Der Assoziationsrat dehnt die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft, die den Verkehr betreffen, entsprechend den von ihm vor allem unter Berücksichtigung der geografischen Lage der Türkei festgelegten Einzelheiten auf die Türkei aus. Er kann unter den gleichen Bedingungen die Akte, welche die Gemeinschaft zur Durchführung dieser Bestimmungen für den Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr erlassen hat, auf die Türkei ausdehnen.
[20] 19. Am 19. September 1980 erließ der durch das Assoziierungsabkommen geschaffene Assoziationsrat, der aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften einerseits und Mitgliedern der türkischen Regierung andererseits besteht, den Beschluss Nr. 1/80.
[21] 20. Artikel 6 dieses Beschlusses befindet sich in dessen Kapitel II – Soziale Bestimmungen – Abschnitt 1 – Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Artikel 6 Absätze 1 und 2 lautet: 1. Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat – nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; – nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; – nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. 2. Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
[22] 21. Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80, der gleichfalls in diesem Abschnitt 1 enthalten ist, lautet: Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.
[23] 22. Der Beschluss Nr. 1/80 ist gemäß seinem Artikel 30 am 1. Juli 1980 in Kraft getreten. Nach Artikel 16 dieses Beschlusses sind die Bestimmungen des Abschnitts 1 Kapitel II dieses Beschlusses ab 1. Dezember 1980 anwendbar.
Nationales Recht
[24] 23. Das Zusatzprotokoll wurde vom Bundestag mit Gesetz vom 19. Mai 1972 (BGBl. 1972 II S. 385) ratifiziert und trat in Deutschland am 1. Januar 1973 in Kraft.
[25] 24. In § 9 der Verordnung über die Arbeitserlaubnis für nichtdeutsche Arbeitnehmer (Arbeitserlaubnisverordnung) vom 2. März 1971 (BGBl. 1971 I S. 152; im Folgenden: AEVO) in der am 1. Januar 1973 geltenden Fassung hieß es: Keiner Arbeitsgenehmigung bedürfen … 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr … für eine Tätigkeit bei Unternehmen mit Sitz im Geltungsbereich dieser Verordnung.
[26] 25. § 9 Nummer 2 AEVO wurde durch die am 1. September 1993 erlassene und in Kraft getretene zehnte Änderungsverordnung (BGBl. 1993 I S. 1527) dahin gehend geändert, dass die Ausnahmeregelung zur Arbeitserlaubnispflicht auf im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr fahrendes Personal bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland beschränkt wurde.
[27] 26. Am 30. September 1996 wurde § 9 Nummer 2 AEVO erneut geändert (BGBl. 1996 I S. 1491). Die ab 10. Oktober 1996 geltende Fassung lautete wie folgt: 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, sofern a) das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist, b) das Fahrzeug im Geltungsbereich der Verordnung zugelassen ist für eine Tätigkeit der Arbeitnehmer im Linienverkehr mit Omnibussen; …
[28] 27. Seit dem 25. September 1998 sind die Ausnahmen zur Arbeitserlaubnispflicht in § 9 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (ArGV) vom 17. September 1998 (BGBl. 1998 I S. 2899) geregelt, die an die Stelle der AEVO getreten ist. Jedoch wurde der Inhalt von § 9 Nummer 2 AEVO in der seit dem 10. Oktober 1996 geltenden Fassung in § 9 Nummer 3 ArGV unverändert übernommen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-317/01
[29] 28. Dem Vorlagebeschluss zufolge sind die Kläger Abatay u. a. türkische Staatsangehörige, wohnen in der Türkei und sind hauptsächlich als Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig. Sie sind angestellt bei der Firma Baqir Dis Tic. Ve Paz. Ltd St (im Folgenden: Baqir Dis) mit Sitz in Mersin (Türkei), einem Tochterunternehmen der in Stuttgart (Deutschland) ansässigen Baqir GmbH. Die Baqir Dis und die Baqir GmbH führen Obst und Gemüse, das größtenteils aus eigenem Anbau in der Türkei stammt, nach Deutschland ein. Die Ware wird mittels Lastkraftwagen, die auf die Baqir GmbH in Deutschland zugelassen sind und u. a. von den Klägern Abatay u. a. gefahren werden, von diesem Land nach Deutschland transportiert.
[30] 29. Die Bundesanstalt hatte jedem dieser Fahrer eine bis zum 30. September 1996 geltende Arbeitserlaubnis ausgestellt. Für die Zeit danach lehnte sie jedoch die Erteilung von Arbeitserlaubnissen ab.
[31] 30. Auf ihre Klagen stellte das Sozialgericht Nürnberg (Deutschland) mit Urteilen vom 27. Oktober 1998 fest, dass die Kläger keiner Arbeitserlaubnis bedürften.
[32] 31. Mit Urteil vom 25. Juli 2000 wies das Bayerische Landessozialgericht die von der Bundesanstalt gegen diese Urteile eingelegten Berufungen zurück.
[33] 32. Es nahm an, die Stillhalteklausel in Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 konserviere das zu dem Zeitpunkt, zu dem die Tätigkeit der türkischen Kraftfahrer in Deutschland begonnen habe, geltende Recht und erfasse auch die Beschäftigung türkischer Fahrer auf dem in der genannten Vorschrift erwähnten Arbeitsmarkt. Ursprünglich seien die auf die deutschen Teilstrecken im grenzüberschreitenden Güterverkehr entfallenden Beschäftigungen der Kläger Abatay u. a. nämlich ordnungsgemäß im Sinne dieses Artikels 13 gewesen, denn sie hätten nach § 9 Nummer 2 AEVO in der ursprünglichen ebenso wie in der ab dem 1. September 1993 geltenden Fassung als fahrendes Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis bedurft. Mit der ab dem 10. Oktober 1996 geltenden Neufassung des § 9 Nummer 2 AEVO und der seit dem 25. September 1998 geltenden wortgleichen Regelung des § 9 Nummer 3 Buchstabe a ArGV sei unter Verstoß gegen Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 eine wesentliche Beschränkung des Zugangs der in Rede stehenden türkischen Kraftfahrer zum deutschen Arbeitsmarkt eingetreten.
[34] 33. Die Bundesanstalt stützt ihre gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts eingelegte Revision darauf, dass für Arbeitnehmer keine Stillhalteklausel in der in Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls aufgenommenen Form vorgesehen sei. Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 beziehe sich seinem Wortlaut nach nur auf türkische Arbeitnehmer, die sich bereits ordnungsgemäß im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhielten, und finde somit im vorliegenden Fall keine Anwendung. Die 1993 und 1996 erfolgten Änderungen des nationalen Rechts verstießen nicht gegen das in Artikel 41 des Zusatzprotokolls festgelegte Verbot der Einführung neuer Beschränkungen zwischen den Vertragsparteien, die das Zusatzprotokoll abgeschlossen hätten, denn es würde dem Sinn und Zweck des Assoziationsabkommens widersprechen, wenn diese den freien Dienstleistungsverkehr betreffende Stillhalteklausel mittelbare Wirkungen auf das Recht des Arbeitsmarktzugangs entfalten könnte.
[35] 34. Die Kläger Abatay u. a. halten demgegenüber die Urteile des Sozialgerichts Nürnberg und des Bayerischen Landessozialgerichts für zutreffend. Der Anspruch auf Feststellung der Arbeitserlaubnisfreiheit folge unmittelbar aus Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80. Hilfsweise verweisen sie auf Artikel 6 dieses Beschlusses, wonach ein türkischer Arbeitnehmer nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung einen Anspruch auf Erneuerung der Arbeitserlaubnis beim gleichen Arbeitgeber habe. Die Kläger hätten bereits in der vor 1993 beginnenden und bis 1996 andauernden Zeit einen Status nach innerstaatlichem Beschäftigungsrecht erlangt, den ihnen die Bundesanstalt nicht mehr einseitig habe nehmen können.
[36] 35. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts stellt fest, dass die Kläger Abatay u. a. als Arbeitnehmer eines türkischen Arbeitgebers nach deutschem Recht nicht berechtigt seien, im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen arbeitserlaubnisfrei tätig zu werden.
[37] 36. Die von den Klägern Abatay u. a. begehrte Arbeitserlaubnisfreiheit könnte sich jedoch aus Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 oder aus Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls ergeben. Die am 1. September 1993 und am 10. Oktober 1996 in Kraft getretenen Änderungen der Arbeitserlaubnisverordnung könnten nämlich als neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne dieses Artikels 13 bzw. neue Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne dieses Artikels 41 Absatz 1 angesehen werden.
[38] 37. Jedoch werfe die Auslegung dieser beiden Bestimmungen einige Fragen auf.
[39] 38. Fraglich sei zunächst, ob Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 ähnlich wie Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls so zu verstehen sei, dass den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 Absatz 1 dieses Beschlusses ab Anwendbarkeit der Bestimmungen des Abschnitts dieses Beschlusses über Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, d. h. ab 1. Dezember 1980, allgemein jede den Zugang zum Arbeitsmarkt neu beschränkende Regelung untersagt sei. Der Wortlaut von Artikel 13, der in bestimmter Hinsicht von dem des genannten Artikels 41 Absatz 1 abweiche, spreche jedoch eher dafür, dass sich das Verbot der Einführung neuer Beschränkungen nur auf den Zeitpunkt beziehe, zu dem der erstmalige Aufenthalt und die erstmalige Beschäftigung des Arbeitnehmers im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats ordnungsgemäß seien.
[40] 39. Weiter könne man sich fragen, ob Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 auch auf Arbeitnehmer wie die Kläger Abatay u. a. anzuwenden sei, die in der Türkei beschäftigt seien und einen Mitgliedstaat als fahrendes Personal lediglich im grenzüberschreitenden Güterverkehr durchführen, ohne dem regulären Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats anzugehören. Der systematische Standort des Artikels 13 – der ebenso wie die Artikel 6, 7, 10 und 11, die auf die schrittweise Integration türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats abzielten, zu Abschnitt 1 Kapitel II – Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer – des Beschlusses Nr. 1/80 gehöre –, spreche für die Auslegung, dass sich diese Bestimmung nur auf Arbeitnehmer beziehe, die dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörten. Fernfahrer wie die Kläger Abatay u. a. führen jedoch immer nur für begrenzte Zeit in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats und verließen dieses rasch wieder, um in die Türkei zurückzukehren.
[41] 40. Nicht zweifelsfrei beantwortet werden könne schließlich die Frage, ob sich ein für die Kläger Abatay u. a. günstigeres Ergebnis aus Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls herleiten lasse. Die derzeit geltende Regelung, nämlich § 9 Nummer 3 Buchstabe a ArGV, könne zwar im Vergleich zu der zur Zeit des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geltenden Rechtslage als eine nach diesem Artikel 41 Absatz 1 verbotene Beschränkung angesehen werden, aber dieser Artikel betreffe ausdrücklich nur die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr, nicht aber den Zugang zum Arbeitsmarkt. Deshalb stelle sich die Frage, ob die betreffenden türkischen Arbeitnehmer, die sich nicht in Deutschland niederlassen wollten und im Übrigen nur im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses am Dienstleistungsverkehr teilnähmen, befugt seien, Rechte aus dieser Regelung zum Schutz des freien Dienstleistungsverkehrs selbst geltend zu machen.
[42] 41. Falls diese Frage zu bejahen sei, stelle sich gleichzeitig jene, ob auch dann eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne des Artikels 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls vorliege, wenn durch die Einführung von Vorschriften, die den Zugang von Arbeitnehmern zum Arbeitsmarkt beschränkten – hier also durch die Abschaffung der früheren Arbeitserlaubnisfreiheit für türkische Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr –, die Teilnahme am freien Dienstleistungsverkehr mittelbar auch für die Unternehmen erschwert werde, bei denen die Arbeitnehmer beschäftigt seien.
[43] 42. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts ist daher der Ansicht, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhänge; er hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
[44] 1. Ist Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft die Einführung nationaler Regelungen verbietet, die im Vergleich zu der am 1. Dezember 1980 geltenden nationalen Rechtslage allgemein für türkische Arbeitnehmer neue Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt vorsehen, oder bezieht sich das Verbot der Einführung neuer Beschränkungen gemäß Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 nur auf den Zeitpunkt des erstmaligen ordnungsgemäßen Aufenthalts und der erstmaligen ordnungsgemäßen Beschäftigung eines Arbeitnehmers?
[45] 2. Ist Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 auch auf in der Türkei beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, die als Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr regelmäßig einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft durchfahren, ohne dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats anzugehören?
[46] 3. Ist Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls so auszulegen, dass a) ein türkischer Arbeitnehmer berechtigt ist, sich auf eine protokollwidrige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu berufen, und – falls ja – b) auch dann eine neue Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat der Gemeinschaft ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls den Zugang türkischer Arbeitnehmer zum Arbeitsmarkt beschränkt und dadurch für türkische Unternehmer, bei denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind, die Teilnahme am freien Dienstleistungsverkehr erschwert?
Rechtssache C-369/01
[47] 43. Dem Vorlagebeschluss zufolge betreibt der Kläger Sahin, ursprünglich türkischer Staatsangehöriger, der 1991 die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hat, das Transportunternehmen Sahin Internationale Transporte mit Sitz in Göppingen (Deutschland). Er betreibt gleichzeitig ein Tochterunternehmen dieses Unternehmens, die Anadolu Dis Ticaret AS (im Folgenden: Anadolu Dis) mit Sitz in Istanbul (Türkei). Die Sahin Internationale Transporte ist Eigentümerin mehrerer Lastkraftwagen, die sie im grenzüberschreitenden Fernverkehr zwischen Deutschland und dritten Ländern wie der Türkei, dem Iran und dem Irak einsetzt; sämtliche Lastkraftwagen sind in Deutschland zugelassen. Zwischen der Sahin Internationale Transporte und der Anadolu Dis besteht ein Agenturvertrag, wonach die Letztgenannte die Lastkraftwagen der Muttergesellschaft im grenzüberschreitenden Güterverkehr nutzt.
[48] 44. Bereits vor dem 1. September 1993 setzte der Kläger Sahin 17 türkische Arbeitnehmer, die in der Türkei leben und vor jenem Datum Arbeitsverträge mit der Anadolu Dis geschlossen hatten, als Fahrer der in Deutschland zugelassenen Lastkraftwagen ein. Für jeden Transport nach Deutschland erhielten sie vom zuständigen deutschen Generalkonsulat ein Visum.
[49] 45. Nach Ansicht der Bundesanstalt bedurften diese Fahrer zunächst keiner Arbeitserlaubnis. Ab Mitte 1995 nahm sie jedoch an, der Einsatz ausländischer Kraftfahrer zum Führen in Deutschland zugelassener Fahrzeuge sei auch dann nicht mehr arbeitserlaubnisfrei, wenn diese von ausländischen Unternehmen eingestellt worden seien.
[50] 46. Mit Klageschrift vom 29. Mai 1996 beantragte der Kläger Sahin beim Sozialgericht Ulm (Deutschland) die Feststellung, dass die fraglichen Arbeitnehmer für ihre Tätigkeit in Deutschland keiner Arbeitserlaubnis bedürften. Ferner erwirkte er am 9. Dezember 1996 bei diesem Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Bundesanstalt verpflichtet wurde, diesen Fernfahrern vorläufig, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, Arbeitserlaubnisse zu erteilen.
[51] 47. Mit Urteil vom 10. Februar 1998 stellte das Sozialgericht Ulm fest, dass die Beschäftigungsverhältnisse der genannten 17 Arbeitnehmer arbeitserlaubnisfrei seien.
[52] 48. Mit Urteil vom 27. Juli 2000 wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Deutschland) die Berufung der Bundesanstalt im Wesentlichen unter Hinweis auf Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zurück und stellte fest, dass die am 1. Januar 1973 geltende Rechtslage weiter bestehe. Diese Bestimmung verbiete es, neue Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Republik Türkei einzuführen. Am 1. Januar 1973 sei für Arbeitnehmer wie die im vorliegenden Verfahren betroffenen Fahrer keine Arbeitserlaubnis erforderlich gewesen.
[53] 49. Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil rügt die Bundesanstalt insbesondere einen Verstoß gegen § 9 Nummer 2 AEVO.
[54] 50. Der Kläger Sahin beantragte demgegenüber, die Revision zurückzuweisen. Sowohl Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls als auch Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 enthielten eine Stillhalteklausel, aus der abzuleiten sei, dass hinsichtlich der Arbeitserlaubnisfreiheit für türkische Arbeitnehmer keine neuen Beschränkungen eingeführt werden dürften.
[55] 51. Der 7. Senat des Bundessozialgerichts führt in seinem Vorlagebeschluss aus, dass die vom Landessozialgericht Baden-Württemberg festgestellte Arbeitserlaubnisfreiheit der Fahrer unterschiedlich zu beurteilen sein könne, je nachdem, wer ihr Arbeitgeber sei – die Sahin Internationale Transporte oder die Anadolu Dis. Da das Bundessozialgericht jedoch nicht befugt sei, die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen, komme allein eine Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht in Betracht, wo im Übrigen eine Beteiligung der Anadolu Dis oder der genannten Fahrer am vorliegenden Verfahren nachgeholt werden könnte. Unter Umständen könnte sich jedoch eine Zurückverweisung erübrigen, wenn ein gemeinschaftsrechtlicher Anspruch der Fahrer bestünde, hinsichtlich der Arbeitserlaubnisfreiheit im Verhältnis zu der 1970 bzw. 1973 bestehenden Rechtslage nicht eingeschränkt zu werden. Einschlägig sei insoweit entweder Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls, sofern diese Vorschrift auch die maßgebende innerstaatliche arbeitserlaubnisrechtliche Situation von Arbeitnehmern schütze, die sich in einer Position wie die betroffenen Fahrer befänden, oder Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 oder diese beiden Vorschriften nebeneinander. Sowohl für die eine als auch für die andere der beiden Bestimmungen stelle sich jedoch wiederum die Frage, ob sie auch Regelungen für die konkret vorliegende Fallgestaltung, mit der das Bundessozialgericht befasst sei, träfen.
[56] 52. Das Bundessozialgericht wirft zunächst die Frage auf, ob auch türkische Fahrer Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls in Anspruch nehmen können. Hierfür sei erheblich, ob sich die Arbeitnehmer auf diese Bestimmung berufen könnten, und falls das bejaht werde, ob Maßnahmen der hier vorliegenden Art und Weise überhaupt als Beschränkungen im Sinne dieses Artikels 41 Absatz 1 zu werten seien. Außerdem könne es im vorliegenden Fall auch darauf ankommen, ob die Berufung von Arbeitnehmern auf diese Bestimmung voraussetze, dass es sich um Arbeitnehmer allein eines türkischen Arbeitgebers handele, oder ob an dem Arbeitsverhältnis – in welcher Form auch immer – ein weiterer (deutscher) Arbeitgeber beteiligt sein könne. Eine Maßnahme könne nicht von vornherein als neue Beschränkung verstanden werden, wenn hierdurch – als Unternehmer – nur ein in Deutschland ansässiger Deutscher nachteilig betroffen sei. Im vorliegenden Rechtsstreit gehe es also um die Frage, ob der Kläger Sahin, der seit 1991 deutscher Staatsbürger sei, berechtigt sei, künftig türkische Fahrer ohne Arbeitserlaubnis einzusetzen.
[57] 53. Des Weiteren wirft das vorlegende Gericht die Frage nach dem Verhältnis zwischen Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 auf. Bei Fallkonstellationen der ihm vorliegenden Art könnten einschränkende Maßnahmen im Arbeitserlaubnisrecht als (neue) Beschränkung sowohl des türkischen Unternehmern gewährleisteten freien Dienstleistungsverkehrs als auch des türkischen Arbeitnehmern gewährleisteten Zugangs zum Arbeitsmarkt gewertet werden, so dass zu bestimmen wäre, welche der beiden Vorschriften anzuwenden sei.
[58] 54. Schließlich begehrt das vorlegende Gericht Aufschluss darüber, ob Maßnahmen wie die ihm vorliegenden überhaupt als Beschränkungen im Sinne von Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 aufzufassen seien, da nämlich zweifelhaft sein könne, ob eine Beschränkung des Zugangs zum Arbeitsmarkt vorliege, wenn die Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsgenehmigungspflicht für Betätigungen, die nur kurzzeitig den deutschen Arbeitsmarkt berührten, erweitert oder eingeführt werde.
[59] 55. Der 7. Senat des Bundessozialgerichts ist der Ansicht, dass die Entscheidung des ihm vorliegenden Rechtsstreits von einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhänge, und hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
[60] 1. Ist Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls so auszulegen, dass a) ein türkischer Arbeitnehmer berechtigt ist, sich auf eine protokollwidrige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu berufen, und – falls ja – b) auch dann eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat der Gemeinschaft eine bisherige Arbeitserlaubnisfreiheit türkischer Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr, die bei einem (türkischen) Arbeitgeber mit Sitz in der Türkei beschäftigt sind, abschafft?
[61] 2. Betrifft eine solche Beschränkung ausschließlich den freien Dienstleistungsverkehr oder auch bzw. allein den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne des Artikels 13 des Beschlusses Nr. 1/80?
[62] 3. Ist Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 auch auf türkische Arbeitnehmer eines Arbeitgebers mit Sitz in der Türkei anzuwenden, die als Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr regelmäßig einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft durchfahren, ohne dem (regulären) Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats anzugehören?
[63] 56. Da die Rechtssachen C-317/01 und C-369/01 miteinander in Zusammenhang stehen, hat der Präsident des Gerichtshofes sie mit Beschluss vom 5. November 2001 nach Artikel 43 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Zu den Vorlagefragen
[64] 57. Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist zunächst zu prüfen, ob Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und/oder Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 unmittelbar Rechte eines Einzelnen begründen können, auf die dieser sich vor dem Gericht eines Mitgliedstaats berufen kann; gegebenenfalls muss sodann festgestellt werden, welche Bedeutung die Stillhalteklauseln in diesen Bestimmungen haben.
Zur unmittelbaren Wirkung des Artikels 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und des Artikels 13 des Beschlusses Nr. 1/80
[65] 58. Die unmittelbare Wirkung sowohl des Artikels 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls als auch des Artikels 13 des Beschlusses Nr. 1/80 wurde in der Rechtsprechung des Gerichtshofes bereits festgestellt (vgl. zu Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls Urteil vom 11. Mai 2000 in der Rechtssache C-37/98, Savas, Slg. 2000, I-2927, Randnrn. 54 und 71, zu Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 Urteil vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, Randnr. 26). Diese Bestimmungen enthalten nämlich klare, präzise und nicht an Bedingungen geknüpfte, eindeutige Stillhalteklauseln, die eine Verpflichtung der Vertragsparteien begründen, die rechtlich eine reine Unterlassungspflicht ist (vgl. Urteil Savas, Randnrn. 46 und 47).
[66] 59. Demzufolge können sich türkische Staatsangehörige, für die diese Bestimmungen gelten, vor den innerstaatlichen Gerichten auf sie berufen, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen.
[67] 60. Somit ist die Bedeutung dieser Bestimmungen zu klären.
Zur Bedeutung des Artikels 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und des Artikels 13 des Beschlusses Nr. 1/80
[68] 61. Um eine umfassende und sachdienliche Antwort auf die vorgelegten Fragen zu geben, muss der Gerichtshof vorab feststellen, welche Bedeutung diese Bestimmungen haben, und dann klären, ob sie auf eine Lage wie die der Kläger Anwendung finden und ob sich aus ihnen ergibt, dass der Mitgliedstaat von türkischen Fahrern, die in seinem Gebiet grenzüberschreitende Gütertransporte durchführen, den Besitz einer Arbeitserlaubnis nicht verlangen kann.
Zur Bedeutung der Stillhalteklauseln in Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und in Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80
[69] 62. Was, erstens, Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls angeht, so ergibt sich bereits aus den Randnummern 64 und 67 des Urteils Savas, dass die Stillhalteklausel in dieser Bestimmung aus sich selbst heraus in der Person eines türkischen Staatsangehörigen weder ein Niederlassungs- noch ein Aufenthaltsrecht begründet, das sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergäbe.
[70] 63. Bei dieser Entscheidung hat sich der Gerichtshof auf die ständige Rechtsprechung gestützt, nach der die Vorschriften über die Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei (im Folgenden: Assoziation EWG-Türkei) beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lassen, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, und lediglich die Stellung türkischer Arbeitnehmer regeln, die im Aufnahmemitgliedstaat aufgrund rechtmäßiger Ausübung einer Beschäftigung von gewisser Dauer nach den in Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 genannten Bedingungen bereits ordnungsgemäß eingegliedert sind (vgl. u. a. Urteil Savas, Randnr. 58).
[71] 64. In Randnummer 59 des Urteils Savas hat der Gerichtshof ferner ausgeführt, dass türkische Arbeitnehmer im Gegensatz zu den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft genießen, sondern nur bestimmte Rechte in dem Aufnahmemitgliedstaat besitzen, in dessen Hoheitsgebiet sie rechtmäßig eingereist sind und in dem sie eine bestimmte Zeit lang eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt haben.
[72] 65. Die erstmalige Zulassung der Einreise eines türkischen Staatsangehörigen in einen Mitgliedstaat unterliegt daher im Grundsatz ausschließlich dem Recht dieses Staates; der Betroffene kann sich auf bestimmte Rechte auf dem Gebiet der Ausübung einer Beschäftigung als Arbeitnehmer oder einer selbständigen Tätigkeit und damit verbunden auf dem Gebiet des Aufenthalts von Gemeinschaftsrechts wegen nur berufen, wenn er sich in dem betreffenden Mitgliedstaat bereits in einer ordnungsgemäßen Situation befindet (vgl. Urteil Savas, Randnr. 65).
[73] 66. Nach Randnummer 69 des Urteils Savas verwehrt es die Stillhalteklausel in Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls jedoch einem Mitgliedstaat, neue Maßnahmen zu erlassen, die zum Zweck oder zur Folge haben, dass die Niederlassung und damit verbunden der Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen in diesem Mitgliedstaat strengeren Bedingungen als denjenigen unterworfen werden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Zusatzprotokolls in dem betreffenden Mitgliedstaat galten.
[74] 67. Da dieser Artikel 41 Absatz 1 sowohl für das Niederlassungsrecht als auch für den freien Dienstleistungsverkehr gilt, muss in Bezug auf die letztgenannte Freiheit die gleiche Auslegung gelten.
[75] 68. Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls erweist sich somit als notwendige Ergänzung der Artikel 13 und 14 des Assoziierungsabkommens; er ist für die schrittweise Beseitigung der innerstaatlichen Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr unerlässlich.
[76] 69. Was, zweitens, Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 betrifft, so stimmt sein Wortlaut zwar nicht in allen Punkten mit dem des Artikels 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls überein.
[77] 70. Gleichwohl haben die Stillhalteklauseln in diesen beiden Bestimmungen dieselbe Funktion.
[78] 71. Wie der Gerichtshof in Randnummer 50 des Urteils Savas bereits ausgeführt hat, sind diese beiden Vorschriften nämlich gleichartig.
[79] 72. Außerdem verfolgen sie dasselbe Ziel, nämlich dadurch günstige Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs zu schaffen, dass den innerstaatlichen Stellen verboten wird, neue Hindernisse für diese Freiheiten einzuführen, um die schrittweise Herstellung dieser Freiheiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Republik Türkei nicht zu erschweren.
[80] 73. Es ist nichts vorgetragen worden, was es rechtfertigen könnte, die Stillhalteklausel betreffend die Freizügigkeit der Arbeitnehmer weniger weit auszulegen als die entsprechende Klausel auf dem Gebiet des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs.
[81] 74. Demnach muss die Auslegung, die der Gerichtshof in Randnummer 69 des Urteils Savas sowie in den Randnummern 66 bis 68 des vorliegenden Urteils in Bezug auf Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls gegeben hat, auch für Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 gelten, der es somit den Mitgliedstaaten allgemein verwehrt, türkische Staatsangehörige hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung weniger günstig zu behandeln als bei Inkrafttreten der Stillhalteklausel, also am 1. Dezember 1980.
[82] 75. Daher kann dem Vorbringen insbesondere der deutschen Regierung nicht gefolgt werden, dieser Artikel 13 beeinträchtige das Recht der Mitgliedstaaten nicht, auch nach dem 1. Dezember 1980 neue Beschränkungen für den Zugang türkischer Staatsangehöriger zum Arbeitsmarkt zu erlassen, sondern bedeute nur, dass diese Beschränkungen nicht für diejenigen unter ihnen gälten, die bereits eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausübten und daher bei der Einführung dieser Beschränkungen über ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat verfügten. Die deutsche Regierung leitet diese Auslegung insbesondere aus den Worten Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, in Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 ab.
[83] 76. Diese Auslegung verkennt jedoch das mit dem Beschluss Nr. 1/80 eingeführte System und beraubt Artikel 13 dieses Beschlusses seiner praktischen Wirksamkeit.
[84] 77. Die sozialen Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80 bilden nämlich – im Anschluss an den Beschluss Nr. 2/76 des Assoziationsrats vom 20. Dezember 1976 über die Durchführung von Artikel 12 des Assoziationsabkommens – einen weiteren, durch die Artikel 48, 49 und 50 EWG-Vertrag, später die Artikel 48 und 49 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und Artikel 40 EG) sowie 50 EG-Vertrag (jetzt Artikel 41 EG) geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. u. a. Urteile vom 26. November 1998 in der Rechtssache C-1/97, Birden, Slg. 1998, I-7747, Randnr. 52, und vom 19. November 2002 in der Rechtssache C-188/00, Kurz, Slg. 2002, I-10691, Randnr. 40).
[85] 78. Insbesondere Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verleiht den türkischen Wanderarbeitnehmern, die seine Bedingungen erfüllen, präzise Rechte auf dem Gebiet der Ausübung einer Beschäftigung. Diese Rechte, die abgestuft nach der Dauer einer ordnungsgemäßen Beschäftigung als Arbeitnehmer erweitert werden und die bezwecken, die Situation des Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat schrittweise zu festigen, werden unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verliehen; die Mitgliedstaaten sind nicht befugt, diese Rechte Bedingungen zu unterwerfen oder ihre Ausübung einzuschränken, weil dies die praktische Wirksamkeit dieses Beschlusses beeinträchtigen würde (vgl. u. a. Urteil vom 30. September 1997 in der Rechtssache C-36/96, Günaydin, Slg. 1997, I-5143, Randnrn. 37 bis 40 und 50).
[86] 79. Daraus ergibt sich, dass der Schutz der Rechte türkischer Staatsangehöriger auf dem Gebiet der Ausübung einer Beschäftigung nicht Gegenstand von Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 sein kann, da diese Rechte bereits von Artikel 6 dieses Beschlusses vollständig erfasst sind.
[87] 80. Vielmehr verbietet dieser Artikel 13, wie sich schon aus seinem Wortlaut ergibt, den Mitgliedstaaten, den Zugang türkischer Staatsangehöriger zu einer Beschäftigung durch neue Maßnahmen einzuschränken. Diese Bestimmung erklärt sich aus dem – in den Randnummern 63 und 65 des vorliegenden Urteils angesprochenen – Umstand, dass die Mitgliedstaaten die Befugnis behalten haben, die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet und dort die erstmalige Aufnahme einer Beschäftigung zu genehmigen.
[88] 81. Auch wäre die in Randnummer 75 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Auslegung paradox und könnte Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 inhaltsleer machen, da ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat bereits ordnungsgemäß eine Beschäftigung ausübt, nicht mehr durch eine Stillhalteklausel in Bezug auf den Zugang zu einer Beschäftigung geschützt zu werden braucht, da dieser Zugang bereits erfolgt ist und der Betroffene für seine weitere berufliche Laufbahn im Aufnahmemitgliedstaat ausdrücklich nach Artikel 6 dieses Beschlusses Rechte genießt. Vielmehr soll die Stillhalteklausel hinsichtlich der Voraussetzungen für den Zugang zu einer Beschäftigung die Mitgliedstaaten davon abhalten, Bestimmungen, die die Verwirklichung des Zieles des Beschlusses Nr. 1/80, nämlich die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, beeinträchtigen, zu erlassen, auch wenn während eines ersten Abschnitts der schrittweisen Herstellung dieser Freizügigkeit bereits bestehende innerstaatliche Einschränkungen auf dem Gebiet des Zugangs zu einer Beschäftigung beibehalten werden können (vgl. entsprechend Urteil vom 23. März 1983 in der Rechtssache 77/82, Peskeloglou, Slg. 1983, 1085, Randnr. 13).
[89] 82. Aus dem Wortlaut des Artikels 13 ergibt sich ferner, dass dieser nicht nur für die türkischen Arbeitnehmer, sondern auch für deren Familienangehörige gilt. Deren Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zum Zweck der Familienzusammenführung mit einem türkischen Arbeitnehmer, der sich bereits rechtmäßig in diesem Staat befindet, hängt aber nach dem Beschluss Nr. 1/80 nicht von der Ausübung einer Beschäftigung als Arbeitnehmer ab.
[90] 83. Nach alldem ist Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht nur auf türkische Staatsangehörige anzuwenden, die bereits in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integriert sind.
[91] 84. Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 findet somit zwar nicht nur auf bereits in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierte türkische Staatsangehörige Anwendung, bezieht sich aber doch nur auf Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in [seinem] Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind. Aus dieser Klausel ergibt sich, dass sich ein türkischer Staatsangehöriger nur dann auf diese Stillhalteklausel berufen kann, wenn er die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthalts und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet hat und sich dementsprechend rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Staates befindet (vgl. in Bezug auf den in mehreren Artikeln des Kapitels II Abschnitt 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verwendeten Begriff der ordnungsgemäßen Beschäftigung Urteile Birden, Randnr. 51, vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C-340/97, Nazli, Slg. 2000, I-957, Randnr. 31, und Kurz, Randnr. 39).
[92] 85. Die zuständigen nationalen Behörden sind daher auch nach dem Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 berechtigt, die Maßnahmen zu verstärken, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, die sich nicht in einer ordnungsgemäßen Situation befinden.
Zur Anwendbarkeit von Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und von Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80
[93] 86. Diese beiden Bestimmungen haben zwar dieselbe Funktion, jedoch jeweils ihren eigenen, genau bestimmten Bereich, so dass sie nicht zusammen angewandt werden können.
[94] 87. Was, erstens, Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 betrifft, so ergibt sich zwar aus den Akten, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof übermittelt hat, dass die Kläger Abatay u. a. sich in einer ordnungsgemäßen Lage im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes befanden, da sie den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats über die Einreise in sein Hoheitsgebiet und über die Ausübung einer Berufstätigkeit nachgekommen sind (vgl. in Bezug auf Artikel 6 Absatz 1 dieses Beschlusses Urteile Birden, Randnr. 51, Nazli, Randnr. 31, und Kurz, Randnr. 39).
[95] 88. Unstreitig erfüllten nämlich die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden türkischen Fahrer, die für jeden ihrer Aufenthalte in Deutschland über ein ordnungsgemäß ausgestelltes Visum verfügten und außerdem entweder vom Besitz einer Arbeitserlaubnis befreit waren oder eine solche Erlaubnis besaßen, bis die Entscheidungen ergingen, mit denen ihnen die Erteilung oder Verlängerung einer solchen Erlaubnis versagt wurde, alle diese Voraussetzungen.
[96] 89. Wie der Sachverhalteschilderung in den Vorlagebeschlüssen zu entnehmen ist, befinden sich türkische Fahrer, die wie diejenigen, um die es in den Ausgangsverfahren geht, grenzüberschreitenden Güterverkehr durchführen, gleichwohl nur für sehr kurze Zeit auf deutschem Gebiet, um aus der Türkei stammende Waren dorthin einzuführen und dort zu entladen oder dort Waren aufzunehmen, um sie in Länder wie die Türkei, Iran oder Irak zu befördern. Nach jeder Fahrt kehren sie in die Türkei zurück, wo sie mit ihrer Familie wohnen oder wo das Unternehmen, bei dem sie beschäftigt sind und von dem sie entlohnt werden, seinen Sitz hat. Diese türkischen Staatsangehörigen haben daher nicht die Absicht, sich in den Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmemitgliedstaat zu integrieren.
[97] 90. Aus Aufbau und Zielsetzung des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt sich aber, dass beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei und vorbehaltlich der besonderen Situation der Familienangehörigen, die zum Nachzug zu einem türkischen Arbeitnehmer berechtigt sind, der sich bereits rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, dieser Beschluss die schrittweise Integration türkischer Arbeitnehmer in diesen Staat zum wesentlichen Ziel hat, und zwar durch die Ausübung einer ordnungsgemäßen und grundsätzlich ununterbrochenen Beschäftigung von einem Jahr bzw. drei oder vier Jahren Dauer, sofern nicht einer der in Artikel 6 Absatz 2 dieses Beschlusses aufgeführten Gründe für die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses vorliegt.
[98] 91. Demnach ist Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80, der in dem Kontext zu sehen ist, in den sich die gesamten Bestimmungen dieses Beschlusses über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer einfügen, auf eine Situation wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht anzuwenden.
[99] 92. Was, zweitens, Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls angeht, so trägt die niederländische Regierung im Wesentlichen vor, dass die Bestimmungen auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs im Allgemeinen und dieser Artikel 41 Absatz 1 im Besonderen auf dem Verkehrssektor nicht anwendbar seien, der angesichts seiner Besonderheit nur durch Artikel 42 des Zusatzprotokolls geregelt werde. Auch seien im EG-Vertrag die Verkehrsdienstleistungen ausdrücklich vom freien Dienstleistungsverkehr ausgenommen und unterlägen einer besonderen Regelung.
[100] 93. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.
[101] 94. Der EG-Vertrag enthält einen besonderen Titel Verkehr. Gemäß Artikel 61 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 51 Absatz 1 EG) gelten für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen dieses Titels.
[102] 95. Für die Assoziation EWG-Türkei stellt sich die Lage auf dem Gebiet des Verkehrs anders dar.
[103] 96. Anders als die Grundsätze des EG-Vertrags über den Wettbewerb, die Steuern und die Angleichung der Rechtsvorschriften, die nach Artikel 16 des Assoziierungsabkommens im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei als solche anwendbar zu machen sind, ergibt sich aus den Artikeln 15 dieses Abkommens und 42 des Zusatzprotokolls, dass der Assoziationsrat auf dem Gebiet des Verkehrs über einen erheblich größeren Ermessensspielraum verfügt. Nach diesen Artikeln werden nämlich die Bedingungen und Einzelheiten der Ausdehnung der den Verkehr betreffenden Bestimmungen des Vertrages auf die Republik Türkei vor allem unter Berücksichtigung der geografischen Lage der Türkei festgelegt, so dass für diese Assoziation die auf diesem Gebiet zu erlassenden Vorschriften nicht notwendig denen entsprechen, die aufgrund des EG-Vertrags gelten.
[104] 97. Außerdem ergibt sich für die Akte, die die Gemeinschaft zur Durchführung des EG-Vertrags für die verschiedenen Verkehrsarten erlassen hat, aus der Verwendung des Wortes kann in Artikel 42 des Zusatzprotokolls, dass die Ausdehnung der den Verkehr betreffenden Bestimmungen des EG-Vertrags auf die Republik Türkei nicht zwingend ist.
[105] 98. Bisher hat der Assoziationsrat keine Maßnahme zur Erstreckung der auf dem Gebiet des Verkehrs anwendbaren Gemeinschaftsbestimmungen auf die Republik Türkei erlassen, so dass beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei in diesem Bereich keine spezifische Regelung besteht.
[106] 99. Demnach kann die Rechtslage auf dem Gebiet des grenzüberschreitenden Güterverkehrs auf der Straße, wie sie sich gegenwärtig im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei darstellt, nicht dem auf diesem Gebiet innerhalb der Gemeinschaft geltenden Recht gleichgestellt werden, so dass in Bezug auf diese Assoziation die Verkehrsdienstleistungen im Unterschied zum innergemeinschaftlichen Verkehr den allgemeinen, für Dienstleistungen geltenden Vorschriften unterliegen.
[107] 100. Dieses Ergebnis steht auch mit dem Geist und der Zielsetzung der Assoziation EWG-Türkei im Einklang, durch die schrittweise bestimmte Freiheiten auf wirtschaftlichem Gebiet, zu denen der freie Dienstleistungsverkehr zählt, hergestellt werden sollen.
[108] 101. Daraus geht nämlich hervor, dass Artikel 14 ebenso wenig wie die entsprechenden für Arbeitnehmer (vgl. in Bezug auf Artikel 12 des Assoziationsabkommens Urteil vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93, Bozkurt, Slg. 1995, I-1475, Randnrn. 19 und 20) und Selbständige (vgl. Artikel 13 dieses Abkommens) geltenden Bestimmungen dieses Abkommens so ausgelegt werden kann, dass er die Übernahme der im Rahmen der entsprechenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts geltenden Grundsätze impliziert und damit zu einem Ergebnis führt, das der mit der Assoziation EWG-Türkei verfolgten Zielsetzung widerspricht.
[109] 102. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die Stillhalteklausel in Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls ratione materiae auf Situationen wie die der Ausgangsverfahren anwendbar ist.
[110] 103. Dies gilt namentlich deshalb, weil diese Rechtssachen nicht technische Vorschriften auf dem Gebiet des Güterverkehrs betreffen, sondern das Erfordernis einer Arbeitserlaubnis, die es türkischen Arbeitnehmern ermöglicht, Verkehrsdienstleistungen zwischen der Türkei und einem Mitgliedstaat zu erbringen.
[111] 104. Dazu ist ferner der persönliche Anwendungsbereich von Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zu bestimmen.
[112] 105. Ein Unternehmen mit Sitz in der Türkei, das rechtmäßig Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat erbringt, kann sich unzweifelhaft auf diese Bestimmung berufen.
[113] 106. Außerdem können sich türkische Fernfahrer wie die Kläger Abatay u. a., die von einem Unternehmen wie dem in der vorstehenden Randnummer genannten beschäftigt werden, aus den Gründen, die der Generalanwalt in den Nummern 201 bis 204 seiner Schlussanträge ausführlicher dargestellt hat, gleichfalls auf die Inanspruchnahme dieses Artikels 41 Absatz 1 berufen (vgl. entsprechend Urteil vom 7. Mai 1998 in der Rechtssache C-350/96, Clean Car Autoservice, Slg. 1998, I-2521, Randnrn. 19 bis 21). Ohne Beschäftigte könnte nämlich ein Dienstleistungserbringer seine Leistungen nicht erbringen.
[114] 107. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich jedoch ein Leistungserbringer gegenüber dem Staat, in dem er ansässig ist, auf das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr nur dann berufen, wenn die Leistungen an Leistungsempfänger erbracht werden, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind (vgl. Urteile vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141, Randnr. 30, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-60/00, Carpenter, Slg. 2002, I-6279, Randnr. 30).
[115] 108. Demzufolge kann sich ein deutsches Transportunternehmen nicht auf Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls berufen, wenn der Empfänger der Beförderungsleistung seinen Sitz in Deutschland hat.
Zur Auswirkung der Anwendung von Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls auf eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende
[116] 109. Nach dem nationalen Recht, um das es in den Ausgangsverfahren geht, müssen türkische Fahrer, die bei Unternehmen mit Sitz in der Türkei beschäftigt sind und am Steuer in Deutschland zugelassener Lastkraftwagen grenzüberschreitenden Güterverkehr in diesem Mitgliedstaat durchführen, seit dem 10. Oktober 1996 im Besitz einer Arbeitserlaubnis sein.
[117] 110. Ob die in Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls enthaltene Stillhalteklausel, wie sie in den Randnummern 66 bis 68 des vorliegenden Urteils ausgelegt worden ist, einer nationalen Regelung wie der Arbeitserlaubnisverordnung und der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer entgegensteht, richtet sich danach, ob diese Regelung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt und ob sie gegebenenfalls eine neue Beschränkung ist.
[118] 111. Eine Beschränkung des in Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) verankerten Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs stellt eine nationale Regelung nach ständiger Rechtsprechung dann dar, wenn sie die Erbringung von Dienstleistungen durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen im Inland von der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis wie einer Arbeitserlaubnis abhängig macht (vgl. Urteile vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 12, vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 14, vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93, Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, Randnr. 15, und vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-355/98, Kommission/Belgien, Slg. 2000, I-1221, Randnr. 35).
[119] 112. Weiter geht aus dem Wortlaut des Artikels 14 des Assoziierungsabkommens sowie aus dem Zweck der Assoziation EWG-Türkei hervor, dass die im Rahmen der Artikel 55 EG-Vertrag (jetzt Artikel 45 EG) und 56 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 46 EG) sowie im Rahmen der Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die türkischen Staatsangehörigen übertragen werden sollen, um zwischen den Vertragsparteien die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zu beseitigen (vgl. in Bezug auf Artikel 12 dieses Abkommens betreffend die Freizügigkeit der Arbeitnehmer Urteile Nazli, Randnr. 55, und Kurz, Randnr. 30).
[120] 113. Demnach stellt eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende eine Beschränkung des Rechts in der Türkei ansässiger natürlicher und juristischer Personen dar, frei Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat zu erbringen.
[121] 114. Dies gilt besonders, wenn wie in den Ausgangsverfahren nach dem Inkrafttreten der Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung die Erteilung einer solchen Arbeitserlaubnis durchgehend versagt wird. Eine derart angewandte nationale Regelung hat nämlich für den Leistungserbringer nicht nur Kosten und zusätzliche verwaltungsmäßige und wirtschaftliche Belastungen zur Folge, sondern beeinträchtigt ganz allgemein seine Fähigkeit, in dem betreffenden Mitgliedstaat Dienstleistungen zu erbringen, da er hierfür dort seine Beschäftigten nicht einsetzen kann.
[122] 115. Hinzu kommt, dass es nicht als geeignete Maßnahme erscheint, von Arbeitnehmern, die von einem in einem Drittland ansässigen Unternehmen beschäftigt und vorübergehend zur Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, jedoch keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt dieses Staates begehren, da sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe in ihr Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehren, den Besitz einer Arbeitsgenehmigung zu verlangen, die den Zugang ausländischer Arbeitnehmer zum nationalen Arbeitsmarkt regeln soll (vgl. in Bezug auf Artikel 59 EG-Vertrag Urteile Rush Portuguesa, Randnr. 15, und Vander Elst, Randnr. 21).
[123] 116. Was die Frage angeht, ob die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung eine neue Beschränkung darstellt, ist es Sache der innerstaatlichen Gerichte, die allein für die Auslegung nationalen Rechts zuständig sind, festzustellen, ob diese Regelung in dem Sinne neu ist, dass sie die Situation türkischer Fahrer gegenüber jener Situation erschwert, die sich aus den in Deutschland für sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls für diesen Mitgliedstaat, also dem 1. Januar 1973, geltenden Vorschriften ergibt.
[124] 117. Angesichts all dieser Erwägungen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass – Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung zukommt, so dass die türkischen Staatsangehörigen, für die diese Bestimmungen gelten, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf sie berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen; – die genannten Bestimmungen ganz generell die Einführung neuer innerstaatlicher Beschränkungen des Niederlassungsrechts sowie des freien Dienstleistungsverkehrs und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer von dem Zeitpunkt an verbieten, zu dem der Rechtsakt, zu dem diese Artikel gehören, im Aufnahmemitgliedstaat in Kraft getreten ist; – Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 auf türkische Staatsangehörige nur dann anzuwenden ist, wenn diese sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch während eines hinreichend langen Zeitraums aufhalten, um sich dort schrittweise integrieren zu können; – unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls auf grenzüberschreitende Gütertransporte aus der Türkei auf der Straße anzuwenden ist, wenn Leistungen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erbracht werden; – sich nicht nur Unternehmen mit Sitz in der Türkei, die Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat erbringen, sondern auch die Beschäftigten solcher Unternehmen auf Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls berufen können, um sich gegen eine neue Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu wenden; ein Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat kann sich hierfür hingegen nicht auf diese Bestimmung berufen, wenn die Dienstleistungsempfänger im selben Mitgliedstaat ansässig sind; – Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls es verbietet, im nationalen Recht eines Mitgliedstaats für die Erbringung von Dienstleistungen im Inland durch ein Unternehmen mit Sitz in der Türkei den Besitz einer Arbeitserlaubnis vorzuschreiben, wenn eine solche Arbeitserlaubnis nicht bereits beim Inkrafttreten dieses Zusatzprotokolls erforderlich war; – es Sache der innerstaatlichen Gerichte ist, festzustellen, ob die auf türkische Staatsangehörige wie die Kläger angewandte innerstaatliche Regelung weniger günstig ist als diejenige, die beim Inkrafttreten dieses Zusatzprotokolls für sie galt.
Kosten
[125] 118. Die Auslagen der deutschen, der französischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
1: Verfahrenssprache: Deutsch.