Europäischer Gerichtshof
Richtlinie 93/37/EWG – Öffentliche Bauaufträge – Begriff 'Änderungsvorschlag – Bedingungen für die Berücksichtigung und Bewertung zum Zwecke der Auftragsvergabe
1. Artikel 19 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, wonach ein Auftraggeber die Mindestanforderungen zu erläutern hat, die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, ist nicht entsprochen, wenn die Verdingungsunterlagen lediglich auf eine nationale Rechtsvorschrift verweisen, die das Kriterium aufstellt, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung wie derjenigen sichergestellt ist, die Gegenstand der Ausschreibung ist.
2. Artikel 30 der Richtlinie 93/37 findet nur auf solche Änderungsvorschläge Anwendung, die vom Auftraggeber im Einklang mit Artikel 19 dieser Richtlinie berücksichtigt worden sind.

EuGH, Urteil vom 16. 10. 2003 – C-421/01 (lexetius.com/2003,2143)

[1] In der Rechtssache C-421/01 betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom österreichischen Bundesvergabeamt in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit Traunfellner GmbH gegen Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (Asfinag) vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) erlässt DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter R. Schintgen und V. Skouris (Berichterstatter), der Richterin F. Macken und des Richters J. N. Cunha Rodrigues, Generalanwalt: S. Alber, Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin, unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen – der Traunfellner GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Oppitz, – der Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (Asfinag), vertreten durch O. Sturm und F. Lückler als Bevollmächtigte, – der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten, – der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und S. Pailler als Bevollmächtigte, – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Nolin als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt R. Roniger, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der österreichischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 6. März 2003, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. April 2003 folgendes Urteil (1):
[2] 1. Das Bundesvergabeamt hat mit Beschluss vom 25. September 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 2001, gemäß Artikel 234 EG fünf Fragen nach der Auslegung des Artikels 19 Absätze 1 und 2 und des Artikels 30 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABL. L 199, S. 54, im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
[3] 2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Traunfellner GmbH (Antragstellerin) und der Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (Asfinag) über die Zurückweisung eines von der Antragstellerin im Rahmen eines öffentlichen Bauauftrags abgegebenen Angebots.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
[4] 3. Artikel 19 der Richtlinie bestimmt: Bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden sollen, können die Auftraggeber von Bietern vorgelegte Änderungsvorschläge berücksichtigen, wenn diese den vom Auftraggeber festgelegten Mindestanforderungen entsprechen. Die öffentlichen Auftraggeber erläutern in den Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen, die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, und bezeichnen, in welcher Art und Weise sie eingereicht werden können. Sie geben in der Bekanntmachung an, ob Änderungsvorschläge nicht zugelassen werden. Die öffentlichen Auftraggeber dürfen einen vorgelegten Änderungsvorschlag nicht allein deshalb zurückweisen, weil darin technische Spezifikationen verwendet werden, die unter Bezugnahme auf einzelstaatliche Normen, mit denen europäische Normen umgesetzt werden, auf europäische technische Zulassungen oder auf gemeinsame technische Spezifikationen im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 oder aber auf einzelstaatliche technische Spezifikationen im Sinne von Artikel 10 Absatz 5 Buchstaben a und b festgelegt wurden.
[5] 4. Artikel 30 der Richtlinie sieht vor: (1) Bei der Erteilung des Zuschlags wendet der öffentliche Auftraggeber folgende Kriterien an: a) entweder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises b) oder – wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt – verschiedene auf den jeweiligen Auftrag bezogene Kriterien, wie z. B. Preis, Ausführungsfrist, Betriebskosten, Rentabilität oder technischer Wert. (2) In dem in Absatz 1 Buchstabe b genannten Fall gibt der öffentliche Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung alle Zuschlagskriterien an, deren Verwendung er vorsieht, möglichst in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung. …
Nationales Recht
[6] 5. Die Richtlinie wurde durch das Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz) von 1997 (BGBl I 1997/56, im Folgenden: BVergG) in österreichisches Recht umgesetzt.
[7] 6. In § 42 BVergG heißt es: (1) Der Bieter hat sich, sofern nicht das Verhandlungsverfahren zur Anwendung kommt, bei der Erstellung des Angebots an die Ausschreibung zu halten. Der vorgeschriebene Text der Ausschreibungsunterlagen darf weder geändert noch ergänzt werden. … (4) Ein Alternativangebot ist nur dann zulässig, wenn dabei die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung sichergestellt ist. Den Nachweis der Gleichwertigkeit hat der Bieter zu führen. Ein Alternativangebot kann sich auf die Gesamtleistung, auf Teile der Leistung oder auf die rechtlichen Bedingungen der Leistungserbringung beziehen. Alternativangebote sind als solche zu kennzeichnen und in einer eigenen Ausarbeitung einzureichen. …
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
[8] 7. Am 27. November 1997 schrieb die dem Landeshauptmann von Niederösterreich unterstehende Abteilung Bundesstraßenbau des Amtes der niederösterreichischen Landesregierung im Namen und im Auftrag der Asfinag auf Gemeinschaftsebene einen Bauauftrag zur Erneuerung des Straßenabschnitts Neumarkt Richtung Fahrbahn Wien, km 100, 2 bis 108, 6 der Westautobahn A 1 aus. Auftragsgegenstand waren die Brückenbau- und Straßenbauarbeiten.
[9] 8. Hinsichtlich der Ausführung der Straßendecke im Bereich außerhalb der Autobahnbrücken wurde in der Ausschreibung ohne ausdrückliche Festlegung als Mindestanforderung unter der Überschrift Amtsentwurf festgelegt, dass eine zweischichtige Betondecke mit Oberbetonqualität errichtet werden solle.
[10] 9. Die Ausschreibung ließ Alternativangebote zu, ohne indessen ausdrückliche Festlegungen in Bezug auf die technischen Mindestanforderungen für Alternativangebote zu treffen. Es hieß darin lediglich, dass diese nur angenommen würden, wenn zusätzlich ein vollständiges ausschreibungsgemäßes Leistungsverzeichnis (Hauptangebot) ausgefüllt worden sei.
[11] 10. Es wurden keine Zuschlagskriterien zur Beurteilung der wirtschaftlichen und technischen Qualität der Angebote, sei es für ausschreibungskonforme Angebote, sei es für Alternativangebote, benannt. Auch wurde in der Ausschreibung weder festgelegt, dass Alternativangebote eine der Amtsvariante gleichwertige Leistungserbringung sicherstellen müssten, noch, was unter gleichwertiger Leistungserbringung zu verstehen sei. Die Verdingungsunterlagen beschränkten sich auf den Verweis auf § 42 BVergG.
[12] 11. Die Antragstellerin reichte ein Alternativangebot zu einem Gesamtpreis von 78 327 748, 53 ATS ein. Dieses Angebot war das billigste von allen Angeboten. Das billigste ausschreibungskonforme, d. h. dem Amtsentwurf entsprechende Angebot wurde jedoch von der Bietergemeinschaft Ilbau – LSH Fischer – Heilit & Woerner zu einem Gesamtpreis von 87 750 304, 30 ATS eingereicht.
[13] 12. In ihrem Alternativangebot sah die Antragstellerin anstelle der in der Ausschreibung vorgesehenen Betondecke eine aus Bitumenmaterial gefertigte Asphaltdecke vor.
[14] 13. Am 17. Februar 1998 ersuchte die Abteilung Bundesstraßenbau des Amtes der niederösterreichischen Landesregierung die Antragstellerin um Aufklärung über die technische Qualität ihres Alternativangebots. Auf die Vorlage der angefragten Unterlagen und Stellungnahmen hin erarbeitete die Abteilung Bundesstraßenbau einen technischen Prüfbericht, in dem festgestellt wurde, die Erfahrungen mit früheren Aufträgen hätten gezeigt, dass trotz sorgfältiger, auftragskonformer Ausführung einer solchen Asphaltkonstruktion nach kurzer Zeit Spurrinnen in erheblicher Tiefe aufgetreten und zusätzliche Sanierungsarbeiten notwendig geworden seien.
[15] 14. Nach diesem Prüfbericht war der Ausführung der Generalerneuerung der Straße in Beton entsprechend der Amtsausschreibung jedenfalls im Hinblick auf die Lebensdauer (30 Jahre gegenüber 20 Jahren für die Asphaltdecke) und den Verformungswiderstand dieser Bauweise der Vorzug zu geben. Damit biete eine Betondecke eine um 50 % längere Lebensdauer zu Mehrkosten von lediglich 8, 5 %. Folglich sei das Alternativangebot der Antragstellerin nicht als gleichwertig mit den Anforderungen des Amtsentwurfs anzusehen und müsse daher zurückgewiesen werden.
[16] 15. Auf der Grundlage dieses Berichtes beschloss die in der Abteilung Bundesstraßenbau eingerichtete Vergabekommission am 17. März 1998, die Vergabe des Auftrags an die Bietergemeinschaft Ilbau – LSH Fischer – Heilit & Woerner vorzuschlagen.
[17] 16. Am 17. April 1998 beantragte die Antragstellerin beim Bundesvergabeamt, die Entscheidung des Auftraggebers, ihr Alternativangebot zurückzuweisen, für nichtig zu erklären.
[18] 17. Am 21. April 1998 wies das Bundesvergabeamt den Antrag zurück und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Frage nach der technischen Gleichwertigkeit des Alternativangebots der Antragstellerin unerheblich sei. Dieses Alternativangebot weiche nämlich in einem solchen Maße von den Vorgaben der Ausschreibung ab, dass es sich nicht mehr um ein allenfalls zulässiges Alternativangebot handle, sondern jedenfalls auszuscheiden sei. Selbst wenn es ein zulässiges Alternativangebot wäre, wäre dieses technisch nicht gleichwertig und daher nicht zu berücksichtigen.
[19] 18. Am 3. Juni 1998 erhob die Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesvergabeamts vom 21. April 1998 Beschwerde beim österreichischen Verfassungsgerichtshof. Dieser gab der Beschwerde mit Erkenntnis vom 27. November 2000 statt und hob den Bescheid wegen Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit vor dem Gesetz auf. Eine solche Verletzung liege namentlich vor, wenn eine Behörde ihren Bescheid mit Ausführungen begründe, denen kein Begründungswert zukomme. Das sei hier der Fall, da das Bundesvergabeamt es unterlassen habe, auch nur anzudeuten, aus welchen Gründen angenommen werden könne, dass ein Alternativangebot nicht vorliege.
[20] 19. Nach österreichischem Recht muss das Bundesvergabeamt damit neuerlich über den Antrag vom 17. April 1998 entscheiden. Da jedoch dem Vorlagebeschluss zufolge der Zuschlag bereits erteilt wurde, [kommt] eine Nichtigerklärung der angefochtenen Auftraggeberentscheidung … nicht mehr in Betracht. Das Bundesvergabeamt habe nach dem BVergG nunmehr lediglich festzustellen, ob die behauptete Rechtsverletzung vorliege und ob daher die Auftraggeberentscheidung, das Alternativangebot der Antragstellerin auszuschließen, rechtmäßig gewesen sei.
[21] 20. Im Rahmen dieser zweiten Prüfung hat das Bundesvergabeamt mit Beschluss vom 25. September 2001 dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
[22] 1. Ist ein alternativer Angebotsvorschlag eines Bieters, der darin besteht, statt der ausgeschriebenen Herstellung der Oberdecke der Straßenfahrbahn durch Beton eine Asphaltoberdecke vorzuschlagen, ein Änderungsvorschlag im Sinne von Artikel 19 Absatz 1 der Richtlinie 93/37/EWG?
[23] 2. Kann das für die Zulässigkeit der Annahme eines Änderungsvorschlags im Sinne von Artikel 19 Absatz 1 der Richtlinie 93/37/EWG in nationalen Rechtsvorschriften aufgestellte Kriterium, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung sichergestellt ist, rechtmäßigerweise als gemäß Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 93/37/EWG vom Auftraggeber festgelegte und erläuterte Mindestanforderung angesehen werden, wenn die Ausschreibungsunterlage nur auf die nationale Rechtsvorschrift verweist und nicht näher definiert, anhand welcher konkreten Vergleichsparameter die Gleichwertigkeit zu überprüfen ist?
[24] 3. Verbietet Artikel 30 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 93/37/EWG im Zusammenhang mit den Grundsätzen der Transparenz und der Gleichbehandlung dem öffentlichen Auftraggeber, die Annahme eines alternativen Angebotsvorschlags, der sich durch eine andere technische Qualität von einem der Ausschreibung entsprechenden Angebot unterscheidet, von der positiven Beurteilung anhand eines in nationalen Rechtsvorschriften aufgestellten Kriteriums, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung sichergestellt ist, abhängig zu machen, wenn die Ausschreibungsunterlage diesbezüglich nur auf die nationale Rechtsvorschrift verweist und nicht näher definiert, anhand welcher konkreten Vergleichsparameter die Gleichwertigkeit zu überprüfen ist?
[25] 4. a) Falls Frage 3 bejaht wird: Darf ein öffentlicher Auftraggeber ein Vergabeverfahren wie das unter Frage 3 beschriebene durch Vergabe des Auftrags zu Ende führen? b) Falls Frage 3 und Frage 4a bejaht werden: Muss ein öffentlicher Auftraggeber, der ein Vergabeverfahren im Sinne von Frage 3 führt, Änderungsvorschläge von Bietern ohne inhaltliche Prüfung jedenfalls ablehnen, wenn er keine Zuschlagskriterien zur Beurteilung der technischen Abweichungen des Änderungsvorschlags von der Ausschreibung festgelegt hat?
[26] 5. Falls Frage 3 und 4a bejaht und 4b verneint werden: Muss ein öffentlicher Auftraggeber, der ein Vergabeverfahren im Sinne von Frage 3 führt, einen Änderungsvorschlag, dessen technische Abweichungen von der Ausschreibung er mangels entsprechender Festlegungen in der Ausschreibung nicht durch Zuschlagskriterien beurteilen kann, annehmen, wenn dieser Änderungsvorschlag das billigste Angebot ist und sonst keine Zuschlagskriterien festgesetzt wurden?
Zur ersten Frage
[27] 21. Gemäß Artikel 234 EG, der auf einer klaren Trennung der Aufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, ist der Gerichtshof nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift zu äußern; demgegenüber ist es Sache des nationalen Gerichts, die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auf einen konkreten Fall anzuwenden. Eine solche Anwendung kann nämlich nicht ohne eine Würdigung des gesamten Sachverhalts der Rechtssache erfolgen (vgl. Urteil vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121, Randnrn. 29 und 31). Der Gerichtshof ist folglich nicht befugt, über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu entscheiden oder die von ihm ausgelegten Gemeinschaftsvorschriften auf nationale Maßnahmen oder Gegebenheiten anzuwenden, da dafür ausschließlich das vorlegende Gericht zuständig ist (vgl. Urteil vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache C-318/98, Fornasar u. a., Slg. 2000, I-4785, Randnr. 32).
[28] 22. Im vorliegenden Fall ist die erste Vorlagefrage nicht darauf gerichtet, beim Gerichtshof eine Auslegung von Artikel 19 der Richtlinie zu dem Zweck zu erwirken, dass das Bundesvergabeamt anschließend beurteilen kann, ob das Angebot der Antragstellerin einen Änderungsvorschlag im Sinne dieser Bestimmung darstellt, sondern sie ersucht den Gerichtshof, diese Beurteilung selbst vorzunehmen.
[29] 23. Damit würde der Gerichtshof jedoch selbst die genannte Gemeinschaftsbestimmung auf den beim Bundesvergabeamt anhängigen Rechtsstreit anwenden, wozu er nach der in Randnummer 21 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Rahmen von Artikel 234 EG nicht befugt ist.
[30] 24. Demnach ist der Gerichtshof nicht befugt, auf die erste Frage zu antworten.
Zur zweiten Frage
[31] 25. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 19 der Richtlinie, wonach ein Auftraggeber die Mindestanforderungen zu erläutern hat, die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, entsprochen ist, wenn die Verdingungsunterlagen lediglich auf eine nationale Rechtsvorschrift verweisen, die das Kriterium aufstellt, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung wie derjenigen sichergestellt ist, die Gegenstand der Ausschreibung ist, ohne näher zu definieren, anhand welcher konkreten Vergleichsparameter diese Gleichwertigkeit zu überprüfen ist.
[32] 26. Aus den Akten ergibt sich, dass es bei der in der zweiten Frage genannten nationalen Rechtsvorschrift um § 42 Absatz 4 BVergG geht und dass der dort verwendete Begriff Alternativangebot dem in Artikel 19 der Richtlinie gebrauchten Begriff Änderungsvorschlag entspricht.
[33] 27. Bereits nach dem Wortlaut von Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie ist ein Auftraggeber, der nicht ausgeschlossen hat, dass Änderungsvorschläge vorgelegt werden, verpflichtet, in den Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen zu erläutern, die diese Änderungsvorschläge erfüllen müssen.
[34] 28. Somit erfüllt die in den Verdingungsunterlagen vorgenommene Verweisung auf eine nationale Rechtsvorschrift die Verpflichtung nach Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie nicht (vgl. entsprechend in Bezug auf die Verweisung auf eine nationale Rechtsvorschrift zur Festlegung der Kriterien, nach denen der Zuschlag für einen öffentlichen Bauauftrag an das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt, Urteile vom 20. September 1988 in der Rechtssache 31/87, Beentjes, Slg. 1988, 4635, Randnr. 35, und vom 26. September 2000 in der Rechtssache C-225/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-7445, Randnr. 73).
[35] 29. Denn nur eine Erläuterung in den Verdingungsunterlagen ermöglicht den Bietern in gleicher Weise die Kenntnis von den Mindestanforderungen, die ihre Änderungsvorschläge erfüllen müssen, um vom Auftraggeber berücksichtigt werden zu können. Es geht dabei um eine Verpflichtung zur Transparenz, die die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter gewährleisten soll, der bei jedem von der Richtlinie erfassten Vergabeverfahren für Aufträge einzuhalten ist (vgl. zu den Zuschlagskriterien Urteil vom 18. Oktober 2001 in der Rechtssache C-19/00, SIAC Construction, Slg. 2001, I-7725, Randnrn. 41 und 42).
[36] 30. Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 19 der Richtlinie, wonach ein Auftraggeber die Mindestanforderungen zu erläutern hat, die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, nicht entsprochen ist, wenn die Verdingungsunterlagen lediglich auf eine nationale Rechtsvorschrift verweisen, die das Kriterium aufstellt, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung wie derjenigen sichergestellt ist, die Gegenstand der Ausschreibung ist.
Zur dritten Frage
[37] 31. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu unterscheiden zwischen den in Artikel 19 der Richtlinie genannten Mindestanforderungen und den in Artikel 30 der Richtlinie genannten Zuschlagskriterien. Artikel 19 betrifft nämlich die Voraussetzungen, unter denen die Auftraggeber Änderungsvorschläge berücksichtigen können, während Artikel 30 mit der Aufzählung der zulässigen Zuschlagskriterien einen späteren Abschnitt des Vergabeverfahrens für Aufträge betrifft. Folglich kann Artikel 30 nur auf solche Änderungsvorschläge Anwendung finden, die im Einklang mit Artikel 19 berücksichtigt worden sind.
[38] 32. Den Randnummern 27 und 30 des vorliegenden Urteils ist zu entnehmen, dass die Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen im Sinne des Artikels 19 der Richtlinie davon abhängt, dass in den Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen angegeben sind, die die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, und dass eine einfache Verweisung in den Verdingungsunterlagen auf eine nationale Rechtsvorschrift diesem Erfordernis nicht genügt.
[39] 33. Hat der Auftraggeber entgegen Artikel 19 der Richtlinie keine Angaben zu Mindestanforderungen gemacht, kann folglich ein Änderungsvorschlag selbst dann nicht berücksichtigt werden, wenn die Änderungsvorschläge nicht, wie in Artikel 19 Absatz 2 vorgesehen, in der Bekanntmachung für unzulässig erklärt worden sind.
[40] 34. Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Artikel 30 nur auf solche Änderungsvorschläge Anwendung findet, die vom Auftraggeber im Einklang mit Artikel 19 der Richtlinie berücksichtigt worden sind.
Zur vierten und zur fünften Frage
[41] 35. Mit diesen Fragen, die für den Fall gestellt sind, dass die dritte Frage bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht Klarheit darüber erhalten, welche Auswirkungen Regelwidrigkeiten in Bezug auf Änderungsvorschläge auf den weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens für Aufträge haben. Es fragt insbesondere danach, ob ein öffentlicher Auftraggeber im Fall solcher Regelwidrigkeiten das betreffende Vergabeverfahren durch Vergabe des Auftrags zu Ende führen dürfe (Frage 4a) und ob der öffentliche Auftraggeber gegebenenfalls Änderungsvorschläge ohne inhaltliche Prüfung unter Berücksichtigung dessen ablehnen müsse, dass keine Zuschlagskriterien zur Beurteilung der technischen Abweichungen des Änderungsvorschlags von der Leistung, die Gegenstand der Ausschreibung sei, festgelegt worden seien (Frage 4b), oder aber ob er den Änderungsvorschlag annehmen müsse, wenn dieser das billigste Angebot sei (Frage 5).
[42] 36. Nach Ansicht der Asfinag ist Frage 4a als unzulässig anzusehen, da sie in keinem Zusammenhang mit der Realität des Ausgangsrechtsstreits steht. Aus dem gleichen Grund und unter Hinweis auf die begrenzten Befugnisse, über die das vorlegende Gericht gemäß dem BVergG nach der Erteilung des Zuschlags verfüge (vgl. Randnr. 19 des vorliegenden Urteils), vertritt die österreichische Regierung die Meinung, dass der Gerichtshof die Fragen 4a, 4b und 5 für unzulässig erklären müsse.
[43] 37. Hierzu ist festzustellen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Artikel 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, das den Rechtsstreit zu entscheiden hat, im Hinblick auf den jeweiligen Sachverhalt sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Der Gerichtshof kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil vom 12. Juli 2001 in der Rechtssache C-399/98, Ordine degli Architetti u. a., Slg. 2001, I-5409, Randnr. 41).
[44] 38. Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass das betreffende Vergabeverfahren für Aufträge bereits zu Ende geführt ist, dass der Auftrag schon vergeben ist und dass das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht nicht die Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidung, sondern die Rechtmäßigkeit der Entscheidung betrifft, mit der der öffentliche Auftraggeber das Alternativangebot der Antragstellerin zurückgewiesen hat. Die Frage, ob dieses Verfahren nach dieser letztgenannten Entscheidung den Regeln entsprechend abgelaufen ist, ist daher nicht Gegenstand des Rechtsstreits, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist. Die Fragen 4 und 5 beziehen sich aber auf diesen Teil des Vergabeverfahrens für Aufträge.
[45] 39. Folglich sind diese Fragen hypothetischer Natur und daher für unzulässig zu erklären.
Kosten
[46] 40. Die Auslagen der französischen und der österreichischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
1: Verfahrenssprache: Deutsch.