Bundesfinanzhof
Die Haftungsbeschränkung für Minderjährige nach § 1629a BGB ist wie die Beschränkung der Erbenhaftung im Wege der Einrede geltend zu machen; die Einrede kann weder im Steuerfestsetzungsverfahren noch gegen das Leistungsgebot im Einkommensteuerbescheid, sondern nur im Zwangsvollstreckungsverfahren erhoben werden. Ein Vorbehalt der Haftungsbeschränkung ist in das die Steuerfestsetzung betreffende Urteil nicht aufzunehmen.
BFH, Urteil vom 1. 7. 2003 – VIII R 45/01; FG Baden-Württemberg (lexetius.com/2003,2276)
[1] Gründe: I. Der 1979 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) war aufgrund einer unentgeltlichen Übertragung eines Geschäftsanteils von 16/50 seit 30. November 1982 Gesellschafter der A-GmbH. Da die GmbH weder Körperschaftsteuererklärungen noch Jahresabschlüsse eingereicht hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) ihre in den Streitjahren 1983 und 1984 erzielten Gewinne und nahm aufgrund ihrer Vermögenssituation an, dass die Gewinne in den Streitjahren verdeckt an den Kläger und die beiden Mitgesellschafterinnen – seine Schwestern – ausgeschüttet worden seien. Das im Klageverfahren gegen die Körperschaftsteuerbescheide 1983 und 1984 ergangene Urteil ist bestandskräftig. Das vorliegende Verfahren betrifft die in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre dem Kläger zugerechneten Anteile an den verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA).
[2] Einspruch und Klage blieben erfolglos. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, dass die vGA dem Kläger anteilig zuzurechnen seien und dass das FA deren Höhe zutreffend geschätzt habe. Die gemäß § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beschränkte Haftung Minderjähriger ändere an diesem Ergebnis nichts (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2002, 135).
[3] Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –, § 1629a BGB). Er ist der Ansicht, aus § 1629a BGB ergebe sich, dass ihm die festgestellten vGA nicht zuzurechnen seien; er sei im Zeitpunkt seiner Volljährigkeit vermögenslos gewesen und brauche deshalb für die ihn verpflichtenden Handlungen seiner Eltern nicht einzustehen. Das gelte auch für die zu seinen Lasten begründeten Steuerschulden.
[4] Der Kläger beantragt sinngemäß, 1. die Vorentscheidung sowie den Einkommensteuerbescheid 1983 vom 12. Juni 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 1998 und den Einkommensteuer-Änderungsbescheid 1984 vom 6. August 1997 aufzuheben, 2. hilfsweise, ihm die Einkommensteuerschuld für die Jahre 1983 und 1984 zu erlassen und 3. höchst hilfsweise, in das Urteil den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung auf das im Zeitpunkt seiner Volljährigkeit vorhandene Vermögen aufzunehmen.
[5] Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
[6] II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).
[7] 1. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören die Dividenden und die sonstigen Bezüge aus Anteilen an einer GmbH zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Zu den sonstigen Bezügen gehören auch vGA (vgl. u. a. – für die in den Streitjahren geltende Rechtslage – Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 18. November 1980 VIII R 8/78, BFHE 132, 257, BStBl II 1981, 260).
[8] Die vom FA ermittelten vGA waren in Höhe von 16/50 dem Kläger zuzurechnen; er war aufgrund der wirksamen Übertragung der Geschäftsanteile in den Streitjahren Gesellschafter der GmbH. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die vGA wegen der den Eltern obliegenden Vermögenssorge diesen zugeflossen und ggf. von diesen – zulässigerweise (§ 1626 Abs. 1 Satz 2, § 1629 Abs. 1, § 1649 BGB) – für den Unterhalt des Klägers und der Familie verbraucht wurden; den Zufluss beim gewillkürten oder gesetzlichen Vertreter muss der Steuerpflichtige gegen sich gelten lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1985 VIII R 15/83, BFHE 145, 538, BStBl II 1986, 342, und Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 11 Rdnr. B 19, m. w. N.). Davon ist auch im Streitfall auszugehen. Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob § 1629a BGB die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für ihr Kind begründet haben, auf das Vermögen des Kindes beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhanden ist.
[9] 2. Die mit dem Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger vom 25. August 1998 (BGBl I 1998, 2487) in das BGB eingefügte Bestimmung des § 1629a ist zwar grundsätzlich auch auf Verpflichtungen anzuwenden, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind (Huber in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – MünchKomm –, § 1629a Rdnr. 82); der Senat lässt aber offen, ob die Haftungsbeschränkung auch für Steuerschulden des Minderjährigen gilt, die auf Handlungen der Eltern oder auf Handlungen von Personen beruhen, die mit Einwilligung der Eltern für das Kind gesellschaftsrechtliche Vertretungsmacht ausüben (zu der gebotenen weiten Auslegung bzw. analogen Anwendung der Vorschrift entsprechend ihrer Zielsetzung, dem Kind den Start in die Volljährigkeit ohne Schulden zu ermöglichen, vgl. u. a. Amtliche Begründung, BTDrucks 13/5624, S. 8; Huber in MünchKomm, a. a. O., § 1629a Rdnr. 15 f.). Denn die Haftungsbeschränkung kann im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden. Sie ist nach Zivilrecht wie die Beschränkung der Erbenhaftung im Wege der – zeitlich unbefristeten (Huber in MünchKomm, a. a. O., § 1629a Rdnr. 32 f.) – Einrede geltend zu machen (§ 1629a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 1990, 1991 BGB); für sie könnte deshalb auch nach Steuerrecht nichts anderes als für die beschränkte Erbenhaftung gelten, die weder im Steuerfestsetzungsverfahren noch gegen das im (Einkommen-) Steuerbescheid ausgesprochene Leistungsgebot, sondern allein im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend gemacht werden kann (§ 45 Abs. 2 Satz 1, § 254, § 265 der Abgabenordnung – AO 1977 – i. V. m. § 781 der Zivilprozessordnung – ZPO –; BFH-Beschluss vom 24. Juni 1981 I B 18/81, BFHE 133, 494, BStBl II 1981, 729, ständige Rechtsprechung).
[10] 3. Die Revision ist auch mit dem Hilfsantrag unbegründet, in das Urteil den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung auf das im Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit vorhandene Vermögen aufzunehmen.
[11] Auch insoweit könnte nichts anderes gelten als für die Beschränkung der Erbenhaftung. Wie diese durchzusetzen ist, ist für die Verwaltungsvollstreckung zwar nicht ausdrücklich geregelt; ein Ausspruch hierzu ist im Urteil jedoch nicht erforderlich. Da weder § 780 ZPO noch § 785 ZPO entsprechende Anwendung finden (vgl. § 265 AO 1977) und andere Rechtsbehelfe nicht vorgesehen sind, genügt zur Geltendmachung der Einrede eine formlose Erklärung des Vollstreckungsschuldners gegenüber der Vollstreckungsbehörde (BFH-Urteil vom 11. August 1998 VII R 118/95, BFHE 186, 328, BStBl II 1998, 705, unter II. A. 3. a der Gründe, m. w. N.). Insoweit unterscheidet sich das Steuerverfahrensrecht vom Zivilprozessrecht, das den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung im Urteil als Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung fordert (§ 780 Abs. 1 ZPO).
[12] 4. Die Revision ist schließlich auch mit dem weiteren Hilfsantrag des Klägers unbegründet, ihm die Steuerschuld zu erlassen.
[13] Erlassentscheidungen i. S. von §§ 163, 227 AO 1977 sind materiell-rechtlich und verfahrensrechtlich unabhängig von der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides zu prüfen (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II. 1. der Gründe, m. w. N.). Die Prüfung ist in dem vor dem FG noch anhängigen ruhenden Verfahren Az. … vorzunehmen.