Bundesverfassungsgericht

BVerfG, Beschluss vom 20. 4. 2004 – 2 BvR 2043/03 (lexetius.com/2004,1086)

[1] In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. der Frau O …, – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Gregor Strempel, Philosophenweg 1, 77654 Offenburg – - 2 BvR 2043/03 –, 2. des Herrn O …, – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Gunter Hauck, Ortenberger Straße 40, 77654 Offenburg – - 2 BvR 2104/03 – gegen a) den Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 30. Oktober 2003 – 6 Ns 7 Js 5984/01 –, b) den Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 29. Januar 2001 – 3 Gs 6/01 –, c) den Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 11. Dezember 2000 – 3 Gs 117/00 –, d) den Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 25. Oktober 2000 – 3 Gs 88/00 –, e) die Beschlüsse des Amtsgerichts Offenburg vom 20. Oktober 2000 – 3 Gs 83/00 – hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 20. April 2004 einstimmig beschlossen:
[2] Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
[3] Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
[4] Gründe: Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie haben keine Aussicht auf Erfolg.
[5] 1. Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. In seinen Wohnräumen hat jeder das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 [219 f.]; 59, 95 [97]; 96, 27 [40]; 103, 142 [150 f.]). Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Dieser Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 20, 162 [223]; 57, 346 [355 f.]; 76, 83 [91]; 103, 142 [150 f.]). Dies setzt eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen voraus. Die richterliche Durchsuchungsanordnung ist keine bloße Formsache (vgl. BVerfGE 57, 346 [355]).
[6] a) Die vorherige richterliche Prüfung muss insbesondere in der Begrenzung der Durchsuchungsgestattung erkennbaren Ausdruck finden. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 [224]; 42, 212 [220]; 103, 142 [151]). Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. BVerfGE 20, 162 [224]; 42, 212 [220 f.]). Er muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen kann (vgl. BVerfGE 20, 162 [224]). Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 42, 212 [220]).
[7] b) Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Zwar prüft das Beschwerdegericht auf ein zulässiges Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung in vollem Umfang nach; es tritt grundsätzlich an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts und trifft eine eigene Sachentscheidung (vgl. §§ 308 Abs. 2, 309 Abs. 2 StPO). Das gilt auch dann, wenn die angefochtene Entscheidung sich aus anderen Gründen als denjenigen, auf die das Erstgericht abgestellt hatte, als zutreffend erweist (vgl. Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 309 Rn. 6 und 8). Bei der Überprüfung einer durch Vollzug erledigten Durchsuchung sind Prüfungsmaßstab und Heilungsmöglichkeiten des Beschwerdegerichts aber beschränkt. Das Beschwerdegericht trifft keine eigene Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung. Seine Entscheidung kann die zuvor erledigte Vollziehung der Maßnahme nicht mehr beeinflussen. Eine Nachbesserung der ermittlungsrichterlichen Durchsuchungsgestattung ist mit Blick auf dessen Umgrenzungsfunktion nicht mehr möglich. Hiervon zu trennen ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme von bei der Durchsuchung gefundenen Beweismitteln.
[8] c) Außerhalb der für den Vollzug einer Durchsuchungsgestattung verfassungsrechtlich unabdingbaren Umgrenzung von Tatvorwurf und Beweismitteln können Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgebessert werden. Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 [381 f.]; 59, 95 [97 f.]). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des behördlichen Eingriffs und der für die nachträgliche Kontrolle zuständige Richter zu prüfen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Neben der Schwere der Tat ist die Stärke des Tatverdachts mitentscheidend dafür, ob eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung steht. Es ist jedoch auch in Betracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung verfassungsrechtlich nicht geboten, die Maßnahme vom Vorliegen eines erhöhten Verdachtsgrads abhängig zu machen, wie er für andere Maßnahmen gilt. Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit wie sie die akustische Wohnraumüberwachung nach Art. 13 Abs. 3 GG voraussetzt (vgl. Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 –, Urteilsabdruck S. 98 f.), verlangt die Wohnungsdurchsuchung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG nicht. Aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, muss sich nicht bereits eine genaue Tatkonkretisierung ergeben. Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfach-rechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 ff.] und stRspr). Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des von den Fachgerichten angenommenen Verdachts ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 95, 96 [128]).
[9] 2. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben tragen die angegriffenen Entscheidungen ausreichend Rechnung. Die Durchsuchungsanordnungen des Amtsgerichts bezeichnen die Taten, die zunächst nur der Beschwerdeführerin und dann dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wurden, nicht pauschal als Steuerhinterziehung. Die angefochtenen Beschlüsse enthalten vielmehr Angaben zu den betroffenen Steuerarten und Veranlagungszeiträumen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2000 – 2 BvR 2212/99 –, StV 2000, S. 465 f.). Der Vorwurf wurde jeweils durch tatsächliche Angaben weiter konkretisiert. Mit der Durchsuchung bei der Beschwerdeführerin sollte nach Unterlagen gesucht werden, um nachzuweisen, dass sie im Wege des Tafelgeschäfts Inhaberschuldverschreibungen (6 %) der Sparkasse O. im Nennwert von 600. 000, – DM erworben und deren Zinsscheine im Ausland eingelöst habe, um einer deutschen Besteuerung zu entgehen. Damit war den Durchsuchungsbeamten hinreichend deutlich aufgezeigt, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten. Eine Suche ins Blaue hinein war mit diesen Maßgaben kaum möglich.
[10] Die vom Landgericht bestätigte Verdachtsannahme des Amtsgerichts lässt keine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts erkennen. Gegen die Beschwerdeführerin wurde deshalb als Beschuldigte ermittelt, weil der Verdacht bestand, sie könnte
[11] Tafelpapiergeschäfte außerhalb ihres Depots durch Barzahlungen getätigt haben. Zwar begründet die bloße Inhaberschaft von Tafelpapieren und deren Einlieferung zur Verwahrung in ein Depot für sich allein noch keinen Anfangsverdacht einer Steuerstraftat (vgl. BFH, NJW 2000, S. 3157 [3160]). Anders verhält es sich jedoch, wenn konkrete Hinweise auf eine gezielte Anonymisierung vorliegen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 2002 – 2 BvR 972/00 –, NStZ 2002, S. 371). Das war bei der Beschwerdeführerin der Fall. Sie hat nicht nur ihre Tafelpapiergeschäfte als Bargeschäfte getätigt, sondern die Zinscoupons zudem im Ausland eingelöst und ihr Depot unter ihrem Geburtsnamen geführt, obwohl sie für steuerliche Zwecke ihren Ehenamen verwendete. Bei dieser Sachlage ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht der Auffassung der Steuerfahndung folgte, die Beschwerdeführerin habe sich durch ihr Verhalten dem Verdacht einer Steuerhinterziehung ausgesetzt (vgl. BFH, wistra 2002, S. 27 [29 f.]; LG Itzehoe, wistra 1999, S. 432 [433]). Insbesondere die Einlösung von Zinscoupons bei ausländischen Banken erschien verdachtsbegründend, weil nach Inkrafttreten des Zinsabschlaggesetzes im Jahr 1993 bei Couponeinlösungen bei inländischen Banken eine Zinsabschlagsteuer von 35 % einzubehalten gewesen wäre, die bei Einlösung bei ausländischen Banken entfiel (vgl. LG Detmold, wistra 1999, S. 435 [436]; LG Waldshut-Tiengen, wistra 2000, S. 354 [355]; LG Freiburg, wistra 2000, S. 356). Dass die strafrechtliche Verjährung früherer Veranlagungszeiträume die potenzielle Beweiseignung der beschlagnahmten Gegenstände beseitigt hätte oder hieraus ein umfassendes Verwertungsverbot für nicht verjährte Steuerhinterziehungen abgeleitet werden müsste, ist nach den Ausführungen des Landgerichts nicht ersichtlich.
[12] Soweit neben der Beschwerdeführerin der Beschwerdeführer und Banken von weiteren Durchsuchungen betroffen waren, setzen sich die Verfassungsbeschwerden nicht substantiiert mit der Begründung des Landgerichts zur Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen auseinander.
[13] Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
[14] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.