Bundesgerichtshof
ZPO § 278 Abs. 3, § 278 Abs. 4 a. F.
Zur Pflicht des Gerichts, Tatsachenvortrag zu berücksichtigen, den eine Partei im Anschluß an einen in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis (hier: zur Zulässigkeit der Klage) innerhalb einer ihr vom Gericht nachgelassenen Frist in das Verfahren eingeführt hat.

BGH, Urteil vom 6. 5. 2004 – III ZR 297/03 (lexetius.com/2004,871)

[1] Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Dr. Herrmann für Recht erkannt:
[2] Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. Januar 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es um Provisionsansprüche hinsichtlich des Objekts T. – Straße (62.820 DM nebst 11, 5 v. H. Zinsen seit 22. Januar 1998) geht.
[3] Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
[4] Tatbestand: Der (frühere) Kläger, der sich in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit der jetzt in Liquidation befindlichen L & H I. und B. GmbH (im folgenden: L & H GmbH i. L.) gegenüber der Beklagten verpflichtet hatte, Wohnungs- und Teileigentumseinheiten an Käufer zu vermitteln, macht Provisionsansprüche von 73.770,12 DM nebst Zinsen geltend, deren Zahlung er an sich und die L & H GmbH i. L. zu Händen des gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. H. begehrt. Den Zahlungsanspruch hat er in erster Linie auf eine das Objekt R. – Straße 12 in C. betreffende notariell beurkundete Vertriebsvereinbarung vom 19. März 1997 gestützt, in zweiter Linie in Höhe von 62.820 DM auf Vermittlungsleistungen für das Objekt T. – Straße und – im Berufungsrechtszug – in Höhe von weiteren 16.660 DM auf Vermittlungsleistungen für eine weitere Eigentumswohnung im Objekt R. – Straße. Im Berufungsverfahren hat der Kläger einen Beschluß des Amtsgerichts – Registergericht – C. vom 16. März 2000 vorgelegt, mit dem er für die L & H GmbH gemäß § 66 Abs. 5 GmbHG zum Liquidator bestellt wurde. In dem Beschluß wird der Aufgabenkreis umschrieben mit der Wahrnehmung der Rechte aus der oben genannten Vertriebsvereinbarung. In seiner Eigenschaft als Liquidator hat der Kläger die Prozeßführung des von ihm beauftragten Anwalts auch namens der L & H GmbH i. L. genehmigt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Der Senat hat die Revision des Klägers insoweit angenommen, als es um die Provisionsansprüche für das Objekt T. – Straße geht. Nachdem über das Vermögen des Klägers während des Revisionsrechtszuges das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, wird das Verfahren jetzt durch den Insolvenzverwalter als Kläger fortgeführt.
[5] Entscheidungsgründe: Die Revision des Klägers hat im Umfang der Annahme Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[6] 1. Das Berufungsgericht hält die Klage, soweit es um die Provisionsansprüche für das Objekt T. – Straße geht, für unzulässig. Nach der Behauptung des Klägers stünden diese Ansprüche der aus ihm und der L & H GmbH i. L. gebildeten Gesellschaft zu, die als eine solche des bürgerlichen Rechts anzusehen sei. Abgesehen davon, daß eine alleinige Vertretungsbefugnis des Klägers für diese Gesellschaft nicht ersichtlich sei, klage er auch nur in eigenem Namen. Auf eine gesetzliche Prozeßstandschaft könne er sich nicht stützen. Eine entsprechende Anwendung des § 744 Abs. 2 BGB wegen eines Rechts zur Notgeschäftsführung komme nicht in Betracht. Eine Einzelklagebefugnis für Ansprüche der Gesellschaft ohne eine Ermächtigung, wie sie in Fällen anerkannt werde, wenn der Mitgesellschafter seine Mitwirkung aus gesellschaftswidrigen Gründen verweigere und sich der Gesellschaftsschuldner an diesem Verhalten beteilige, bestehe gleichfalls nicht. Daß der Kläger mit Beschluß des Registergerichts vom 16. März 2000 gemäß § 66 Abs. 5 GmbHG zum Liquidator für die Mitgesellschafterin bestellt worden sei und als solcher sich zur Prozeßführung ermächtigt habe, wirke sich für die hier verfolgten Ansprüche hinsichtlich des Objekts T. – Straße nicht aus. Denn der Aufgabenkreis des Klägers sei in dem angeführten Beschluß auf die Wahrnehmung der Rechte aus der notariellen Vertriebsvereinbarung (betreffend das Objekt R. – Straße) beschränkt worden. Daß die Vertretungsmacht eines Liquidators nicht mit Außenwirkung beschränkbar sei, berühre das Recht des Registergerichts nicht, die Liquidatorenbestellung auf einzelne Abwicklungsmaßnahmen mit der Folge zu beschränken, daß darüber hinaus keine Vertretungsmacht begründet werde. Die Behauptung des Klägers, das Registergericht habe seine Vertretungsmacht als Nachtragsliquidator erweitert, könne nicht berücksichtigt werden. Der dem Kläger gewährte Schriftsatznachlaß gemäß § 283 ZPO erlaube nicht die Schaffung bis dahin fehlender Zulässigkeitsvoraussetzungen. Für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO bestehe kein Anlaß.
[7] 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem maßgebenden Punkt nicht stand.
[8] a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß dem Kläger weder ein Notgeschäftsführungsrecht entsprechend § 744 Abs. 2 BGB noch eine Einzelklagebefugnis zusteht, die bei einer gesellschaftswidrigen Verweigerung der Mitwirkung des Mitgesellschafters unter Beteiligung des Gesellschaftsschuldners in Betracht kommt (vgl. BGHZ 17, 340, 346 f; 39, 14, 16 f, 19 f; 102, 152, 154 f; Urteil vom 18. November 1999 – IX ZR 153/98NJW 2000, 734). Insoweit erhebt auch die Revision keine Einwendungen.
[9] b) Zu Recht beanstandet aber die Revision, daß das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt hat, das Registergericht habe inzwischen den Aufgabenkreis des Liquidators auf die Geltendmachung von Forderungen für die Vermittlung von Wohnungen des Objekts T.-Straße erweitert. Das Berufungsgericht war insoweit verpflichtet, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
[10] aa) Die Frage der Prozeßführungsbefugnis des Klägers ist in der ersten Instanz von den Parteien zwar kontrovers erörtert worden, das Landgericht hat die Klage jedoch ohne weitere Begründung für zulässig gehalten und die geltend gemachten Ansprüche in der Sache abgewiesen. Dementsprechend befaßte sich die Berufungsbegründung des Klägers nur mit den materiellen Voraussetzungen des erhobenen Provisionsanspruchs. Auch die Berufungserwiderung ging auf die Zulässigkeit der Klage – von einer allgemeinen Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen abgesehen – nicht gesondert ein. Vor diesem Hintergrund hat sich das Berufungsgericht in der ersten mündlichen Verhandlung zu Recht gemäß § 278 Abs. 3 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung für verpflichtet gesehen, auf die aus seiner Sicht fehlende Prozeßführungsbefugnis hinzuweisen. Denn nachdem das Landgericht die Klage für zulässig gehalten hatte, durfte der Kläger weiteren Vortrag hierzu für entbehrlich halten und darauf vertrauen, daß ihm das Berufungsgericht eine hiervon abweichende Rechtsauffassung mitteilte (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 1993 – XI ZR 141/92NJW-RR 1994, 566, 567 zu erstmals vom Berufungsgericht geäußerten Schlüssigkeitsbedenken). Der Kläger hat den rechtlichen Hinweis zum Anlaß genommen, seinen Tatsachenvortrag dahin zu ergänzen, das Registergericht habe ihn als Nachtragsliquidator der L & H GmbH i. L. bestellt; in dieser Eigenschaft sei er mit der Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche durch den Kläger einverstanden. Da die Beklagte diesen Tatsachenvortrag bestritten hat, hat das Berufungsgericht nach § 278 Abs. 4 ZPO a. F. einen kurzfristigen neuen Termin anberaumt.
[11] bb) Bis zu diesem Termin hatte der Kläger den Beschluß des Registergerichts vom 16. März 2000 über seine Bestellung zum Liquidator gemäß § 66 Abs. 5 GmbHG vorgelegt. Dieser Beschluß veranlaßte das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung zu dem Hinweis, es sei zweifelhaft, ob er auch für Abwicklungsmaßnahmen für das Objekt T. – Straße Bedeutung habe. Die geäußerten Bedenken gründeten darauf, daß in dem angeführten Beschluß der Aufgabenkreis des Liquidators auf die Wahrnehmung der Rechte aus der Vertriebsvereinbarung vom 19. März 1997 über das Objekt R. – Straße beschränkt war. Der Hinweis war im Sinn des § 278 Abs. 3 ZPO a. F. geboten, weil es auch Gründe gab, der Beschränkung des Aufgabenkreises nicht die vom Berufungsgericht angenommene Wirkung beizumessen. In der Literatur ist es nämlich einhellige Meinung, daß die Vertretungsbefugnis des Liquidators wie diejenige des Geschäftsführers unbeschränkt ist (vgl. Rohwedder/Schmidt-Leithoff/Rasner, GmbHG, 4. Aufl., § 70 Rn. 5; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 70 Rn. 3). Allerdings wird für den Fall des § 66 Abs. 5 GmbHG die Ansicht vertreten, daß der vom Registergericht vorgesehene Aufgabenbereich für Einzelmaßnahmen auch die Vertretungsbefugnis entsprechend begrenze (vgl. Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 17. Aufl., § 66 Rn. 39; Michalski/Nerlich, GmbHG, § 66 Rn. 98). An einer höchstrichterlichen Klärung dieser Frage fehlt es aber bislang. Andererseits war für das anhängige Verfahren zu berücksichtigen, daß die Erweiterung des Aufgabenkreises des Klägers durch das Registergericht allenfalls eine Formalität war. Denn wie der Begründung des Beschlusses des Registergerichts zu entnehmen ist, genügte ihm für die Liquidatorenbestellung gemäß § 66 Abs. 5 GmbHG die Darstellung des hier in bezug auf das Objekt R. – Straße bestehenden Streitverhältnisses zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits, so daß nicht zweifelhaft ist, daß das Registergericht den Aufgabenkreis bei einer entsprechenden Antragstellung auch weiter gefaßt hätte. Zudem bestand nach dem Vortrag des Klägers ohnehin ein enger tatsächlicher Zusammenhang, da die behauptete Provisionsvereinbarung betreffend das Objekt T. – Straße inhaltlich mit der Vertriebsvereinbarung für das Objekt R. – Straße verknüpft war und es hier um Provisionen für Kunden gehen soll, die sich zunächst für Wohnungen in der R. – Straße interessiert hatten, dann aber solche in der T. – Straße erworben haben.
[12] Daß auch das Berufungsgericht die Herbeiführung eines ergänzenden Beschlusses des Registergerichts offenbar nur für eine Formalität hielt, ergibt sich aus seiner an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers gerichteten Frage, ob die Reaktion auf die beantragte Einräumung einer Schriftsatzfrist darin bestehen solle, die Nachtragsliquidation auf die T. – Straße zu erweitern. Dies schloß der Klägervertreter mit seiner Antwort "das kann ich jetzt nicht sagen, deshalb bitte ich ja um Einräumung einer Frist" nicht aus. Das Berufungsgericht gab dem Kläger hiernach Gelegenheit, zu dem Hinweis zur Zulässigkeit der Geltendmachung des ersten Hilfsanspruchs bis spätestens 21. Dezember 2001 Stellung zu nehmen.
[13] Aus diesem Verfahrensgang ergab sich auch die Pflicht des Berufungsgerichts, der innerhalb der Frist behaupteten Erweiterung des Aufgabenkreises nachzugehen. Soweit es ausführt, der Schriftsatznachlaß gemäß § 283 ZPO habe dem Kläger ergänzende Erklärungen, nicht jedoch die Schaffung bis dahin fehlender Zulässigkeitsvoraussetzungen erlaubt, läßt sich eine solche Beschränkung schon nicht aus der Formulierung des am Ende der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschlusses entnehmen. Vor allem ging es hier aber nicht um den in § 283 ZPO unmittelbar behandelten Fall, daß sich eine Partei auf ein nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteiltes Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, sondern um die in § 278 Abs. 3 ZPO a. F. angeführte Gelegenheit zur Äußerung auf einen rechtlich gebotenen Hinweis. Die zur Wahrung des rechtlichen Gehörs erforderliche Gelegenheit zur Äußerung erschöpft sich nicht in der Möglichkeit, Rechtsausführungen zu dem Hinweis vorzutragen, sondern schließt auch – je nach Sachlage und dem Inhalt des Hinweises – die Nachbesserung bisher lückenhaften oder unvollständigen Vorbringens ein, was vielfach, wenn der Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt wird, die Notwendigkeit einer Vertagung nach sich zieht. Wird – wie hier – die Sache nicht (erneut) vertagt, sondern ein Schriftsatznachlaß gewährt, so kann dies zur Folge haben, daß das Gericht eine in einem fristgemäß eingegangenen Schriftsatz aufgrund des erteilten Hinweises geschaffene neue Sachlage berücksichtigen und die mündliche Verhandlung wiedereröffnen muß, um den Zweck des Hinweises nicht zu verfehlen (vgl. BGHZ 127, 254, 260; 140, 365, 371 f; BGH, Urteil vom 8. Februar 1999 – II ZR 261/97NJW 1999, 2123, 2124; Senatsurteil vom 26. April 2001 – III ZR 102/00VersR 2002, 444; speziell zur Ausräumung von Mängeln, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, BGH, Urteile vom 7. Dezember 1993 – VI ZR 152/92NJW 1994, 652, 653 f; vom 27. November 1996 – VIII ZR 311/95NJW-RR 1997, 441). So liegt der Fall hier.
[14] 3. Das angefochtene Urteil ist daher, soweit es die Klage für unzulässig gehalten hat, aufzuheben und die Sache zur weiteren Prüfung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.