Europäischer Gerichtshof
"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Artikel 249 EG und 307 EG – Artikel 2 und 3 der Richtlinie 76/207/EWG – Gleichbehandlung von Männern und Frauen – Verbot der Beschäftigung von Frauen im untertägigen Bergbau sowie bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten"
1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verstoßen, dass sie in den §§ 8 und 31 der Druckluft- und Taucherarbeiten-Verordnung vom 25. Juli 1973 ein generelles Beschäftigungsverbot für Frauen bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten aufrechterhalten hat, das im erstgenannten Fall eine beschränkte Zahl von Ausnahmen vorsieht.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
EuGH, Urteil vom 1. 2. 2005 – C-203/03 (lexetius.com/2005,81)
[1] In der Rechtssache C-203/03 betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 12. Mai 2003, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Yerrell und H. Kreppel als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Klägerin, gegen Republik Österreich, vertreten durch H. Dossi und E. Riedl als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Beklagte, erlässt DER GERICHTSHOF (Große Kammer) unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas, der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin) sowie der Richter J. Malenovský, J. Kluc (ka, U. Lõhmus und E. Levits, Generalanwalt: F. G. Jacobs, Kanzler: R. Grass, aufgrund des schriftlichen Verfahrens, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Juli 2004, folgendes Urteil (1):
[2] 1. Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch, dass sie entgegen den Regelungen der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) – in § 2 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Arbeitnehmerinnen vom 4. Oktober 2001 (BGBl. II, Nr. 356/2001, im Folgenden: Verordnung von 2001) ein mit wenigen Ausnahmen versehenes generelles Beschäftigungsverbot für Frauen im untertägigen Bergbau und – in den §§ 8 und 31 der Druckluft- und Taucherarbeiten-Verordnung vom 25. Juli 1973 (BGBl. Nr. 501/1973, im Folgenden: Verordnung von 1973) ein generelles Beschäftigungsverbot für Frauen in Druckluft und bei Taucherarbeiten aufrechterhalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 2 und 3 dieser Richtlinie und gegen die Artikel 10 EG und 249 EG verstoßen hat, und der Republik Österreich die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
[3] 2. Die Republik Österreich beantragt, – die Klage hinsichtlich der Verordnung von 2001 als unzulässig abzuweisen und – der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und, soweit der Gerichtshof die Klage für zulässig hält, – die Klage abzuweisen und – der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
[4] 3. Artikel 2 des Übereinkommens Nr. 45 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom 21. Juni 1935 über die Beschäftigung von Frauen bei Untertagearbeiten in Bergwerken jeder Art, das von der Republik Österreich 1937 ratifiziert wurde, bestimmt: "Keine Person weiblichen Geschlechtes, gleichviel wie alt, darf bei Untertagearbeiten in Bergwerken beschäftigt werden."
[5] 4. Artikel 3 dieses Übereinkommens lautet:
[6] "Die innerstaatliche Gesetzgebung kann von dem vorstehenden Verbot ausnehmen a) Personen in leitender Stelle, die keine körperliche Arbeit verrichten, b) Personen, die im Gesundheitsdienst und Wohlfahrtswesen tätig sind, c) Personen, die während ihrer Studien eine Zeit praktischer Berufsausbildung in den unter Tage gelegenen Teilen eines Bergwerkes durchmachen, d) sonstige Personen, die gelegentlich die unter Tage gelegenen Teile eines Bergwerkes in Ausübung eines Berufes befahren, der keine körperliche Arbeit erfordert."
[7] 5. Artikel 7 dieses Übereinkommens bestimmt: "1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum ersten Mal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.
[8] 2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen."
[9] 6. Das Übereinkommen Nr. 45 der IAO ist am 30. Mai 1937 in Kraft getreten.
[10] 7. Das Übereinkommen Nr. 176 der IAO vom 22. Juni 1995 über den Arbeitsschutz in Bergwerken betrifft nicht nur Männer, sondern stellt Arbeitsschutzregeln unabhängig vom Geschlecht des Arbeitnehmers auf.
[11] 8. Die Republik Österreich ratifizierte dieses Abkommen am 26. Mai 1999, kündigte jedoch das Übereinkommen Nr. 45 der IAO nicht.
Gemeinschaftsrecht
[13] "Die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem 1. Januar 1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, werden durch diesen Vertrag nicht berührt.
[14] Soweit diese Übereinkünfte mit diesem Vertrag nicht vereinbar sind, wenden der oder die betreffenden Mitgliedstaaten alle geeigneten Mittel an, um die festgestellten Unvereinbarkeiten zu beheben. Erforderlichenfalls leisten die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck einander Hilfe; sie nehmen gegebenenfalls eine gemeinsame Haltung ein."
[15] 10. Artikel 2 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie 76/207 bestimmt:
[16] "(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.
[17] (2) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, solche beruflichen Tätigkeiten und gegebenenfalls die dazu jeweils erforderliche Ausbildung, für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen.
[18] (3) Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen."
[19] 11. In Artikel 3 dieser Richtlinie heißt es:
[20] "(1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beinhaltet, dass bei den Bedingungen des Zugangs – einschließlich der Auswahlkriterien – zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen – unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig – und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt.
[21] (2) Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, a) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden; …"
[22] 12. Artikel 2 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1) bestimmt:
[23] "Definitionen Im Sinne dieser Richtlinie gilt als a) 'schwangere Arbeitnehmerin' jede schwangere Arbeitnehmerin, die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet; b) 'Wöchnerin' jede Arbeitnehmerin kurz nach einer Entbindung im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Entbindung unterrichtet; c) 'stillende Arbeitnehmerin' jede stillende Arbeitnehmerin im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten darüber unterrichtet, dass sie stillt."
[24] 13. Artikel 4 dieser Richtlinie lautet:
[25] "Beurteilung und Unterrichtung. (1) Für jede Tätigkeit, bei der ein besonderes Risiko einer Exposition gegenüber den in der nicht erschöpfenden Liste in Anhang I genannten Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen besteht, sind in dem betreffenden Unternehmen und/oder Betrieb vom Arbeitgeber selbst oder durch die in Artikel 7 der Richtlinie 89/391/EWG genannten Dienste für die Gefahrenverhütung Art, Ausmaß und Dauer der Exposition der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 zu beurteilen, damit – alle Risiken für Sicherheit und Gesundheit sowie alle Auswirkungen auf Schwangerschaft oder Stillzeit der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 abgeschätzt und – die zu ergreifenden Maßnahmen bestimmt werden können.
[26] (2) Unbeschadet des Artikels 10 der Richtlinie 89/391/EWG werden in dem betreffenden Unternehmen und/oder Betrieb die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 sowie diejenigen Arbeitnehmerinnen, die sich in einer der in Artikel 2 genannten Situationen befinden könnten, und/oder ihre Vertreter über die Ergebnisse der Beurteilung nach Absatz 1 und über die in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu ergreifenden Maßnahmen unterrichtet."
[27] 14. Artikel 5 der Richtlinie 92/85 bestimmt:
[28] "Konsequenzen aus der Beurteilung. (1) Ergibt die Beurteilung nach Artikel 4 Absatz 1 das Vorhandensein einer Gefährdung für Sicherheit oder Gesundheit sowie eine mögliche Auswirkung auf Schwangerschaft oder Stillzeit einer Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2, so trifft der Arbeitgeber unbeschadet des Artikels 6 der Richtlinie 89/391/EWG die erforderlichen Maßnahmen, um durch eine einstweilige Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten der betreffenden Arbeitnehmerin auszuschließen, dass die Arbeitnehmerin dieser Gefährdung ausgesetzt ist.
[29] (2) Ist die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten technisch und/oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar, so trifft der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen für einen Arbeitsplatzwechsel der betreffenden Arbeitnehmerin.
[30] (3) Ist der Arbeitsplatzwechsel technisch und/oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar, so wird die betreffende Arbeitnehmerin während des gesamten zum Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlichen Zeitraums entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten beurlaubt.
[31] (4) Die Bestimmungen dieses Artikels gelten sinngemäß für den Fall, dass eine Arbeitnehmerin, die eine nach Artikel 6 verbotene Tätigkeit ausübt, schwanger wird oder stillt und ihren Arbeitgeber davon unterrichtet."
[32] 15. Artikel 6 der Richtlinie 92/85 lautet:
[33] "Verbot der Exposition. Neben den allgemeinen Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer und insbesondere den Vorschriften über die Grenzwerte berufsbedingter Expositionen gilt Folgendes:
[34] 1. Schwangere Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a) dürfen in keinem Fall zu Tätigkeiten verpflichtet werden, bei denen die Beurteilung ergeben hat, dass das Risiko einer die Sicherheit oder Gesundheit gefährdenden Exposition gegenüber den in Anhang II Abschnitt A aufgeführten Agenzien und Arbeitsbedingungen besteht.
[35] 2. Stillende Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c) dürfen in keinem Fall zu Tätigkeiten verpflichtet werden, bei denen die Beurteilung ergeben hat, dass das Risiko einer die Sicherheit oder Gesundheit gefährdenden Exposition gegenüber den in Anhang II Abschnitt B aufgeführten Agenzien und Arbeitsbedingungen besteht."
[36] 16. In Anhang I dieser Richtlinie mit der Überschrift "Nicht erschöpfende Liste der Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen nach Artikel 4 Absatz 1" heißt es:
[37] "A. Agenzien. 1. Physikalische Agenzien, sofern sie als Agenzien gelten, die zu Schädigungen des Fötus führen und/oder eine Lösung der Plazenta verursachen können, insbesondere a) Stöße, Erschütterungen oder Bewegungen; b) Bewegen schwerer Lasten von Hand, gefahrenträchtig insbesondere für den Rücken- und Lendenwirbelbereich; c) Lärm; … f) extreme Kälte und Hitze; g) Bewegungen und Körperhaltungen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Betriebs, geistige und körperliche Ermüdung und sonstige mit der Tätigkeit der Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 verbundene körperliche Belastungen. 2. Biologische Agenzien. … 3. Chemische Agenzien. Folgende chemische Agenzien, soweit bekannt ist, dass sie die Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerin und des ungeborenen Kindes gefährden und soweit sie noch nicht in Anhang II aufgenommen sind: … e) Kohlenmonoxid; … B. Verfahren. – Die in Anhang I der Richtlinie 90/394/EWG aufgeführten industriellen Verfahren. C. Arbeitsbedingungen. – Bergbauarbeiten unter Tage."
[38] 17. Anhang II der Richtlinie 92/85 mit der Überschrift "Nicht erschöpfende Liste der Agenzien und Arbeitsbedingungen nach Artikel 6" sieht vor:
[39] "A. Schwangere Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a). 1. Agenzien. a) Physikalische Agenzien. – Arbeit bei Überdruck, z. B. in Druckkammern, beim Tauchen. … 2. Arbeitsbedingungen. – Bergbauarbeiten unter Tage. B. Stillende Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c). … 2. Arbeitsbedingungen. – Bergbauarbeiten unter Tage."
Nationales Recht
[40] 18. § 16 der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 (Deutsches RGBl. I, S. 447; GBl. f. d. L. Ö 231/1939, im Folgenden: Verordnung von 1938) sah vor:
[41] "Beschäftigungsverbote. (1) Weibliche Gefolgschaftsmitglieder dürfen in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen und Gruben nicht unter Tage, ferner bei der Förderung, mit Ausnahme der Aufbereitung (Separation, Wäsche), bei dem Transport und der Verladung auch nicht über Tage beschäftigt werden.
[42] (2) Weibliche Gefolgschaftsmitglieder dürfen ferner nicht in Kokereien und nicht mit der Beförderung von Roh- und Werkstoffen bei Bauten aller Art beschäftigt werden.
[43] (3) Der Reichsarbeitsminister kann die Beschäftigung von weiblichen Gefolgschaftsmitgliedern für einzelne Arten von Betrieben oder Arbeiten, die mit besonderen Gefahren für Gesundheit und Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich untersagen oder von Bedingungen abhängig machen."
[44] 19. 1972 wurde diese Vorschrift außer für den Bereich der unterirdisch betriebenen Brüche und Gruben aufgehoben.
[45] 20. Mit Wirkung vom 1. August 2001 ist die Beschäftigung von Frauen im untertägigen Bergbau in der Verordnung von 2001 geregelt.
[46] 21. § 2 dieser Verordnung mit der Überschrift "Beschäftigung im untertägigen Bergbau" lautet:
[47] "(1) Arbeitnehmerinnen dürfen im untertägigen Bergbau nicht beschäftigt werden.
[48] (2) Abs. 1 gilt nicht für 1. Arbeitnehmerinnen, die eine verantwortliche Stellung leitender oder technischer Art innehaben und keine schwere körperliche Arbeit verrichten; 2. Arbeitnehmerinnen, die eine Tätigkeit im Gesundheits- oder Sozialdienst ausüben; 3. Arbeitnehmerinnen, die eine berufspraktische Ausbildung im Rahmen eines Studiums oder einer vergleichbaren Ausbildung absolvieren müssen, für die Dauer dieser Ausbildung; 4. Arbeitnehmerinnen, die nur gelegentlich im untertägigen Bergbau in Ausübung eines Berufes tätig sind, der keine schwere körperliche Arbeit erfordert."
[49] 22. § 4 dieser Verordnung mit der Überschrift "Arbeiten mit besonderer physischer Belastung" bestimmt:
[50] "(1) Arbeitnehmerinnen dürfen mit Arbeiten, bei denen sie einer besonderen physischen Belastung durch Heben, Tragen, Schieben, Wenden oder sonstiges Befördern von Lasten ausgesetzt sind, mit der eine für sie unzuträgliche Beanspruchung des Organismus verbunden ist, nicht beschäftigt werden.
[51] (2) Bei der Beurteilung der Arbeiten nach Abs. 1 sind die für die Belastung und Beanspruchung maßgebenden Faktoren zu berücksichtigen: Es sind dies vor allem das Gewicht, die Art und die Form der Last, der Beförderungsweg und die -geschwindigkeit, die Dauer der Arbeiten und deren Häufigkeit sowie die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen.
[52] (3) Abs. 1 findet keine Anwendung auf Arbeiten, bei denen Arbeitnehmerinnen nur kurzzeitig oder sonst in einer Weise beschäftigt werden, bei der eine Gefährdung von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen nicht zu erwarten ist."
[53] 23. § 8 der Verordnung von 1973 sieht vor:
[54] "(1) Zu Arbeiten in Druckluft dürfen nur männliche Arbeitnehmer herangezogen werden, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und für diese Arbeiten in gesundheitlicher Hinsicht geeignet sind. …
[55] (2) … Soweit die gesundheitliche Eignung nach Abs. 1 gegeben ist, dürfen auch weibliche Arbeitnehmer, die das 21. Lebensjahr vollendet haben, als Aufsichtspersonen tätig sein oder andere Arbeiten, die zumindest keine höhere körperliche Beanspruchung erfordern, in Druckluft ausführen. …"
[56] 24. § 31 der Verordnung von 1973 bestimmt:
[57] "(1) Als Taucher dürfen nur männliche Arbeitnehmer herangezogen werden, die das 21. Lebensjahr vollendet haben, für diese Arbeiten in gesundheitlicher Hinsicht geeignet sind und die vom Standpunkt des Arbeitnehmerschutzes notwendigen Fachkenntnisse und Berufserfahrungen besitzen. …"
Vorverfahren
[58] 25. Da die Kommission der Ansicht war, dass das in der Verordnung von 1938 angeordnete Beschäftigungsverbot für Arbeitnehmerinnen im untertägigen Bergbau ebenso wie das entsprechende Beschäftigungsverbot bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße, leitete sie das Vertragsverletzungsverfahren ein. Nachdem sie die Republik Österreich zur Äußerung aufgefordert hatte, gab sie am 7. Februar 2002 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie den Mitgliedstaat aufforderte, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen. Im Zusammenhang mit der Beschäftigung im untertägigen Bergbau bezog sich die Stellungnahme auf die Verordnung von 1938 und nicht auf die von 2001, die Gegenstand der vorliegenden Klage ist und erstmals im Antwortschreiben der österreichischen Regierung auf die Stellungnahme angeführt wurde.
[59] 26. In der Erwägung, dass die von den österreichischen Behörden übermittelten Informationen erkennen ließen, dass die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme geltend gemachte Vertragsverletzung fortbestand, hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.
Zur Klage
Zulässigkeit
Vorbringen der österreichischen Regierung
[60] 27. Die österreichische Regierung hält die Klage der Kommission für unzulässig, soweit sie das Beschäftigungsverbot für Frauen im untertägigen Bergbau betrifft. Sie trägt vor, dass die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage auf dieselben Rügen gestützt werden müssten. Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 10. September 1996 in der Rechtssache C-11/95 (Kommission/Belgien, Slg. 1996, I-4115) macht die Regierung geltend, dass zwischen diesen beiden Phasen erfolgte Änderungen der nationalen Rechtslage nur dann kein Hindernis für die Zulässigkeit der Klage seien, wenn die im vorprozessualen Verfahren angeführten Maßnahmen insgesamt aufrechterhalten worden seien. Mit der Verordnung von 2001 sei aber die Rechtslage maßgeblich geändert worden.
Würdigung durch den Gerichtshof
[61] 28. Der Gegenstand der nach Artikel 226 EG erhobenen Klage wird zwar durch das in dieser Bestimmung vorgesehene Vorverfahren umschrieben, weshalb die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage auf dieselben Rügen gestützt werden müssen (vgl. u. a. Urteil vom 16. September 2004 in der Rechtssache C-227/01, Kommission/Spanien, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 26).
[62] 29. Dieses Erfordernis kann jedoch nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen dem verfügenden Teil der mit Gründen versehenen Stellungnahme und den Anträgen in der Klageschrift bestehen muss, sofern nur der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert, sondern lediglich beschränkt worden ist (vgl. Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-139/00, Kommission/Spanien, Slg. 2002, I-6407, Randnr. 19). Insoweit kann die Klage, wenn während des Vorverfahrens eine Gesetzesänderung erfolgt ist, nationale Vorschriften betreffen, die nicht mit den in der mit Gründen versehenen Stellungnahme genannten Vorschriften identisch sind.
[63] 30. Das Urteil Kommission/Belgien steht dieser Auslegung nicht entgegen. In Randnummer 74 dieses Urteils hat der Gerichtshof entschieden, dass es genügt, dass die Regelung, die mit den im vorprozessualen Verfahren beanstandeten Rechtsvorschriften eingeführt wurde, durch die neuen Maßnahmen, die der Mitgliedstaat nach der mit Gründen versehenen Stellungnahme erlassen hat und die mit der Klage angegriffen werden, insgesamt aufrechterhalten worden ist. Mit dieser Feststellung hat der Gerichtshof nicht ausgeschlossen, dass es auch genügt, dass mit den neuen Maßnahmen in die Regelung, die Gegenstand der mit Gründen versehenen Stellungnahme ist, Ausnahmen eingeführt werden, die den Vorwurf teilweise entkräften. Würde die Zulässigkeit der Klage in einem solchen Fall verneint, könnte man es damit einem Mitgliedstaat ermöglichen, ein Vertragsverletzungsverfahren dadurch zu behindern, dass er bei jeder Bekanntgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme seine Rechtsvorschriften geringfügig ändert, die beanstandete Regelung im Übrigen aber aufrechterhält.
[64] 31. In der vorliegenden Rechtssache verbietet § 2 der Verordnung von 2001, ebenso wie § 16 der Verordnung von 1938, die Beschäftigung von Frauen im untertägigen Bergbau. Er führt im Unterschied zur früheren Verordnung bestimmte Ausnahmen ein, die die Tragweite des Verbotes einschränken. Wird die Klage im vorliegenden Fall für zulässig gehalten, so beeinträchtigt dies jedoch nicht die Verteidigungsrechte, da alle Argumente, insbesondere medizinische oder physische, für das absolute Verbot während des Vorverfahrens geltend gemacht werden konnten und diese Argumente im Wesentlichen diejenigen sind, die zur Rechtfertigung eines mit Ausnahmen versehenen Verbotes angeführt wurden.
[65] 32. Die von der österreichischen Regierung erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.
Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen im untertägigen Bergbau
Zur Richtlinie 76/207
- Vorbringen der Parteien
[66] 33. Die Kommission trägt vor, dass § 2 der Verordnung von 2001, der lediglich für bestimmte eingeschränkte Tätigkeiten im untertägigen Bergbau Frauen zulasse, unvereinbar sei mit Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207. Soweit diese Richtlinie selbst bestimmte Einschränkungen des Verbotes der Ungleichbehandlung enthalte, könne sie im vorliegenden Fall nicht zur Rechtfertigung des streitigen Beschäftigungsverbots herangezogen werden.
[67] 34. Von einer beruflichen Situation, wie sie in Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 76/207 genannt sei, könne bei der im untertägigen Bergbau ausgeübten Beschäftigung nicht gesprochen werden.
[68] 35. Zu der in Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 enthaltenen Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen trägt die Kommission vor, dass sich die Gefahren, denen Frauen im untertägigen Bergbau ausgesetzt würden, allgemein ihrem Wesen nach nicht von denen unterschieden, denen auch Männer ausgesetzt seien.
[69] 36. Die österreichische Regierung vertritt unter Berufung auf diese Richtlinienbestimmung die Ansicht, dass § 2 der Verordnung von 2001 mit der Richtlinie 76/207 in Einklang stehe.
[70] 37. Bergbauarbeit unter Tage bedeute eine dauernde Belastung des Stütz- und Bewegungsapparats in einer Zwangshaltung, verbunden mit häufigem Überkopfarbeiten in einem insbesondere mit Quarzstaub, Stickoxiden und Kohlenmonoxid stark belasteten Klima bei meist überhöhten Temperatur- und Luftfeuchtigkeitswerten. Daraus resultierten für die betroffenen Arbeitnehmer gehäuft Lungen- sowie Gelenks- und Wirbelsäulenerkrankungen ("Bergmannsknie", Bandscheibenvorfälle, Muskelrheumatismus).
[71] 38. Frauen hätten im Durchschnitt eine geringere Muskelmasse, geringere Muskelkraft, eine geringere Vitalkapazität, eine geringere Sauerstoffaufnahme, ein geringeres Blutvolumen und geringere Erythrozytenzahlen als Männer. Schwere körperliche Belastung am Arbeitsplatz führe zu einem erhöhten Abortusrisiko sowie zu einem erhöhten Osteoporoserisiko im Klimakterium, und Frauen litten auch mehr an Migräne.
[72] 39. Da Frauen im Durchschnitt kleinere Wirbelkörper hätten, seien sie beim Tragen von schweren Gewichten gefährdeter als Männer. Außerdem erhöhe sich mit zunehmenden Entbindungen für Frauen das Risiko eines lumbalen Bandscheibenprozesses.
[73] 40. Somit werde deutlich, dass Frauen aufgrund der morphologischen Unterschiede, die im Durchschnitt zwischen Männern und Frauen bestünden, bei körperlicher Schwerarbeit im untertägigen Bergbau – anders als z. B. bei der Nachtarbeit, durch die Männer und Frauen gleich belastet würden – stärker gefährdet seien.
[74] 41. Die Kommission macht insoweit u. a. geltend, dass die österreichische Regierung im Vorverfahren selbst erklärt habe, dass "die Spannbreiten der energetischen Messgrößen erheblich sind und die Überschneidungsbereiche mit den männlichen Messwerten groß und daher auch im Einzelfall zu relativieren sind".
- Würdigung durch den Gerichtshof
[75] 42. Nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 beinhaltet die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, dass bei den Bedingungen des Zugangs zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgt. Es steht fest, dass § 2 Absatz 1 der Verordnung von 2001 Männer und Frauen in Bezug auf die Beschäftigung im Bergbau unterschiedlich behandelt. Da sich die österreichische Regierung auf die Ausnahme des Artikels 2 Absatz 3 dieser Richtlinie beruft, ist zu prüfen, ob eine solche unterschiedliche Behandlung unter diese Bestimmung fällt und damit erlaubt ist.
[76] 43. Der Gerichtshof hat u. a. im Urteil vom 30. Juni 1998 in der Rechtssache C-394/96 (Brown, Slg. 1998, I-4185, Randnr. 17) festgestellt, dass Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 dadurch, dass er den Mitgliedstaaten das Recht vorbehält, Vorschriften zum Schutz der Frau "bei Schwangerschaft und Mutterschaft" beizubehalten oder einzuführen, anerkennt, dass es im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter gerechtfertigt ist, zum einen die körperliche Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zum anderen die besondere Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit nach der Entbindung zu schützen.
[77] 44. Gerade weil bestimmte Tätigkeiten mit einem besonderen Risiko verbunden sein können, dass die schwangere Arbeitnehmerin, die Wöchnerin oder die stillende Arbeitnehmerin gefährlichen Agenzien, Verfahren oder Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist, die die Sicherheit oder die Gesundheit gefährden, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie 92/85 ein System der Beurteilung und Mitteilung der Risiken sowie das Verbot der Ausübung bestimmter Tätigkeiten eingeführt.
[78] 45. Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 erlaubt es jedoch nicht, dass Frauen nur mit der Begründung von einer Beschäftigung ausgeschlossen werden, sie müssten im Verhältnis zu Männern stärker gegen Gefahren geschützt werden, die Männer und Frauen in gleicher Weise betreffen und sich von den in der Richtlinie ausdrücklich erwähnten besonderen Schutzbedürfnissen der Frau unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 44, und vom 11. Januar 2000 in der Rechtssache C-285/98, Kreil, Slg. 2000, I-69, Randnr. 30).
[79] 46. Frauen dürfen von einer Beschäftigung auch nicht nur deshalb ausgeschlossen werden, weil sie im Durchschnitt kleiner und weniger stark sind als der Durchschnitt der Männer, solange Männer mit ähnlichen körperlichen Merkmalen zu dieser Beschäftigung zugelassen werden.
[80] 47. Im vorliegenden Fall verbietet zwar die Verordnung von 2001 die Beschäftigung von Frauen im untertägigen Bergbau nicht ausnahmslos, doch bleibt der Anwendungsbereich des in Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung enthaltenen allgemeinen Verbotes sehr weit, da dieses Verbot die Frauen auch von solchen Beschäftigungen ausschließt, die keine schwere körperliche Arbeit erfordern und damit nicht mit einem besonderen Risiko für den Schutz der biologischen Fähigkeit der Frau, schwanger zu werden und zu entbinden, oder für die Sicherheit oder die Gesundheit der schwangeren Frau, der Wöchnerin oder der stillenden Frau oder aber für den Fötus verbunden sind.
[81] 48. Die Ausnahme in § 2 Absatz 2 Nummer 1 der Verordnung von 2001 bezieht sich nämlich nur auf leitende Stellungen und technische Aufgaben, die von Personen wahrgenommen werden, die eine "verantwortliche Stellung" innehaben und sich daher auf einer höheren Stufe der Hierarchie befinden. Die Ausnahme in Nummer 2 dieses Absatzes gilt nur für Arbeitnehmerinnen, die eine Tätigkeit im Gesundheits- oder Sozialdienst ausüben, und die Nummern 3 und 4 dieses Absatzes behandeln nur spezifische, zeitlich begrenzte Situationen.
[82] 49. Eine solche Regelung geht über das hinaus, was erforderlich ist, um den Schutz der Frau im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 zu gewährleisten.
[83] 50. Daraus folgt, dass das in § 2 Absatz 1 der Verordnung von 2001 enthaltene allgemeine Beschäftigungsverbot für Frauen im untertägigen Bergbau, auch wenn es in Verbindung mit Absatz 2 dieser Vorschrift gelesen wird, keine nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 zulässige unterschiedliche Behandlung darstellt.
Zu Artikel 307 EG und zum Übereinkommen Nr. 45 der IAO
- Vorbringen der Parteien
[84] 51. Die österreichische Regierung trägt vor, dass, abgesehen von der geltend gemachten medizinischen Begründung, Beschäftigungsbeschränkungen für Frauen im untertägigen Bergbau in den mit der Neuregelung gesetzten Grenzen auch dadurch gerechtfertigt seien, dass die Republik Österreich an das Übereinkommen Nr. 45 der IAO gebunden sei, das sie 1937 ratifiziert habe.
[85] 52. In Anbetracht der Urteile vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-158/91 (Levy, Slg. 1993, I-4287, Randnrn. 17 ff.) und vom 3. Februar 1994 in der Rechtssache C-13/93 (Minne, Slg. 1994, I-371, Randnr. 19) sei es den Mitgliedstaaten jedenfalls möglich, Rechte aus solchen Übereinkünften geltend zu machen. Daraus folge, dass die österreichische Regierung, die verpflichtet sei, das im Übereinkommen Nr. 45 der IAO verankerte Beschäftigungsverbot in der nationalen Gesetzgebung umzusetzen, nicht verpflichtet sei, insofern die Artikel 2 und 3 der Richtlinie 76/207 anzuwenden.
[86] 53. Die Kommission meint, dass die Schlussfolgerung, die die österreichische Regierung aus den Urteilen Levy und Minne ziehe, zu allgemein sei.
[87] 54. Nach Ansicht der Kommission kann die Auslegung von Artikel 307 EG, die der Gerichtshof im Urteil vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C-84/98 (Kommission/Portugal, Slg. 2000, I-5215, Randnrn. 51 und 53) vorgenommen habe, unmittelbar auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Denn das Übereinkommen Nr. 45 der IAO enthalte in Artikel 7 eine Kündigungsmöglichkeit. Eine Kündigung dieses Übereinkommens sei für die Republik Österreich unstreitig zum 30. Mai 1997 möglich gewesen, also zu einem Zeitpunkt, nachdem mit der Ratifizierung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) die Richtlinie für sie verbindlich geworden sei. Zu dieser Kündigung wäre die Republik Österreich nach Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 76/207 verpflichtet gewesen.
[88] 55. Die österreichische Regierung entgegnet, sie habe weder wissen können, dass das in diesem Bereich in Österreich geltende Recht gemeinschaftsrechtswidrig gewesen sei, noch, dass die Kommission die fraglichen Bestimmungen als gemeinschaftsrechtswidrig ansehen würde. Das erste Schreiben der Kommission zu dieser Frage datiere vom 29. September 1998. Daraus ergebe sich, dass das Übereinkommen Nr. 45 der IAO frühestens am 30. Mai 2007 gekündigt werden könne.
[89] 56. Im Urteil Kommission/Portugal werde den Mitgliedstaaten keine generelle Verpflichtung auferlegt, völkerrechtliche Verträge im Konfliktfall mit dem Gemeinschaftsrecht zu kündigen. Diese Auslegung ergebe sich auch aus dem Urteil vom 5. November 2002 in der Rechtssache C-475/98 (Kommission/Österreich, Slg. 2002, I-9797, Randnr. 49), in dem der Gerichtshof zu so genannten "Open-skies-Abkommen" ausgeführt habe, dass bei Änderungen eines derartigen vor dem Beitritt geschlossenen Abkommens die Mitgliedstaaten nicht nur keine neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen, sondern auch keine solchen Verpflichtungen aufrechterhalten dürften, wenn sie gegen das Gemeinschaftsrecht verstießen. Bestünde generell eine Verpflichtung zur Kündigung gemeinschaftsrechtswidriger Abkommen, so wäre es nicht notwendig gewesen, festzustellen, dass anlässlich der Änderung von Teilen des Abkommens das gesamte Abkommen bestätigt worden sei.
- Würdigung durch den Gerichtshof
[90] 57. Aus Artikel 307 Absatz 1 EG ergibt sich, dass die Pflichten aus Übereinkünften, die im Fall später beigetretener Staaten vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, durch den EG-Vertrag nicht berührt werden.
[91] 58. Die Republik Österreich, die zum 1. Januar 1995 der Europäischen Gemeinschaft beigetreten ist, hatte das Übereinkommen Nr. 45 der IAO vor diesem Zeitpunkt ratifiziert. Dieses Übereinkommen enthält in Artikel 2 ein allgemeines Beschäftigungsverbot für Frauen bei Untertagearbeiten in Bergwerken und lässt in Artikel 3 einige Ausnahmen zu, wie sie auch in der Verordnung von 2001 vorgesehen sind. Es steht fest, dass diese Verordnung die sich aus dem Übereinkommen Nr. 45 ergebenden Verpflichtungen durchführt, ohne über die in diesem Übereinkommen vorgesehenen Beschränkungen für die Beschäftigung von Frauen hinauszugehen.
[92] 59. Unter diesen Umständen kann sich die Republik Österreich zwar grundsätzlich auf Artikel 307 Absatz 1 EG berufen, um die nationalen Vorschriften aufrechtzuerhalten, mit denen die genannten Verpflichtungen durchgeführt werden; jedoch bestimmt Absatz 2 dieses Artikels, dass der oder die betreffenden Mitgliedstaaten, soweit die früheren Übereinkünfte im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels mit dem Vertrag nicht vereinbar sind, alle geeigneten Mittel anwenden, um die festgestellten Unvereinbarkeiten zu beheben.
[93] 60. Nach der Schlussfolgerung, zu der der Gerichtshof in Randnummer 50 des vorliegenden Urteils gelangt ist, sind die Verpflichtungen, die sich für die Republik Österreich aus dem Übereinkommen Nr. 45 der IAO ergeben, unvereinbar mit den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie 76/207.
[94] 61. Wie sich aus Randnummer 50 des Urteils vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C-62/98 (Kommission/Portugal, Slg. 2000, I-5171) ergibt, gehört zu den in Artikel 307 Absatz 2 EG genannten geeigneten Mitteln, um eine solche Unvereinbarkeit zu beheben, insbesondere auch die Kündigung der betreffenden Übereinkunft.
[95] 62. Es ist jedoch hervorzuheben, dass die einzige Gelegenheit zur Kündigung des Übereinkommens Nr. 45 der IAO, die die Republik Österreich nach ihrem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft hatte, gemäß Artikel 7 Absatz 2 dieses Übereinkommens innerhalb eines Jahres nach dem 30. Mai 1997 bestanden hat. Zu dieser Zeit war aber die Unvereinbarkeit des in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verbotes mit der Richtlinie 76/207 nicht mit der Klarheit festgestellt, die erforderlich gewesen wäre, um diesen Mitgliedstaat zu verpflichten, das Übereinkommen zu kündigen.
[96] 63. Hinzuzufügen ist, dass, wie aus Artikel 7 Absatz 2 des Übereinkommens Nr. 45 der IAO hervorgeht, sich die nächste Gelegenheit für die Republik Österreich, dieses Übereinkommen zu kündigen, nach Ablauf eines weiteren Zeitraums von zehn Jahren ab dem 30. Mai 1997 bieten wird.
[97] 64. Folglich hat die Republik Österreich nicht dadurch, dass sie nationale Vorschriften wie die der Verordnung von 2001 aufrechterhalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verstoßen.
[98] 65. Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Klage abzuweisen ist, soweit sie das Beschäftigungsverbot für Frauen im untertägigen Bergbau betrifft.
Verbot der Beschäftigung von Frauen bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten
Vorbringen der Parteien
[99] 66. Die Kommission trägt vor, dass ihre Ausführungen zum Beschäftigungsverbot für Frauen im untertägigen Bergbau in gleicher Weise auch für das Verbot der Beschäftigung von Frauen bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten gälten. Ein ohne jede Einzelfallprüfung erlassenes generelles Verbot der Beschäftigung von Frauen könne nicht mit dem angeblichen besonderen Schutzbedarf von Frauen begründet werden.
[100] 67. Die österreichische Regierung vertritt die Ansicht, dass die in den §§ 8 und 31 der Verordnung von 1973 enthaltenen Beschäftigungsbeschränkungen aus spezifisch für die Tätigkeit von Frauen geltenden medizinischen Gründen gerechtfertigt seien.
[101] 68. Druckluft- und Taucherarbeiten seien meist mit schwerer körperlicher Belastung verbunden, z. B. im Rahmen des U-Bahn-Baus im Überdruck sowie bei Brückensanierungsarbeiten unter Wasser. Das Verbot der Beschäftigung von Frauen bei schweren Arbeiten in Druckluft und das Verbot der Beschäftigung von Frauen bei Taucherarbeiten seien aufgrund des im Vergleich zu Männern geringeren Atemvolumens und der geringeren Erythrozytenzahl bei Frauen begründet.
Würdigung durch den Gerichtshof
[102] 69. Das absolute Verbot der Beschäftigung von Frauen bei Taucherarbeiten stellt keine nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 zulässige unterschiedliche Behandlung dar.
[103] 70. Der Bereich der Taucherarbeiten ist groß und umfasst z. B. Tätigkeiten auf den Gebieten der Biologie, der Archäologie, des Tourismus und der kriminalpolizeilichen Ermittlungen.
[104] 71. Das durch § 31 der Verordnung von 1973 aufgestellte absolute Verbot schließt Frauen auch von Arbeiten aus, die keine starke körperliche Belastung erfordern, und geht daher offenkundig über das hinaus, was erforderlich ist, um den Schutz der Frau zu gewährleisten.
[105] 72. Was die Beschäftigung in Druckluft angeht, so schließt die Verordnung von 1973 Frauen von solchen Arbeiten aus, die eine höhere körperliche Beanspruchung erfordern.
[106] 73. Soweit die österreichische Regierung zur Rechtfertigung dieses Ausschlusses geltend macht, dass Frauen ein geringeres Atemvolumen und eine geringere Erythrozytenzahl hätten, stützt sie sich auf ein Argument, das von bei Frauen gemessenen Durchschnittswerten ausgeht, um sie mit bei Männern gemessenen Durchschnittswerten zu vergleichen. Wie die österreichische Regierung aber im Vorverfahren selbst eingeräumt hat, sind bei diesen Messgrößen die Überschneidungsbereiche der individuellen Messwerte bei Frauen und bei Männern groß.
[107] 74. Unter diesen Umständen ist eine Regelung, die eine individuelle Beurteilung ausschließt und Frauen die fragliche Beschäftigung verbietet, während eine solche Beschäftigung Männern, deren Vitalkapazität und Erythrozytenzahl den bei Frauen gemessenen Durchschnittswerten entsprechen oder darunter liegen, nicht verboten ist, nicht nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 76/207 zulässig und stellt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.
[108] 75. Nach alledem ist festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie 76/207 verstoßen hat, dass sie in den §§ 8 und 31 der Verordnung von 1973 ein generelles Beschäftigungsverbot für Frauen bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten aufrechterhalten hat, das im erstgenannten Fall eine beschränkte Zahl von Ausnahmen vorsieht.
Kosten
[109] 76. Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt. Da der Klage der Kommission nur zum Teil stattgegeben wird, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.
[110] Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
[111] 1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verstoßen, dass sie in den §§ 8 und 31 der Druckluft- und Taucherarbeiten-Verordnung vom 25. Juli 1973 ein generelles Beschäftigungsverbot für Frauen bei Arbeiten in Druckluft und bei Taucherarbeiten aufrechterhalten hat, das im erstgenannten Fall eine beschränkte Zahl von Ausnahmen vorsieht.
[112] 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
[113] 3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
1 – Verfahrenssprache: Deutsch.