Bundesgerichtshof
GG Art. 14
Beim Überlauf eines offenen Regenrückhaltebeckens infolge eines Katastrophenregens kann sich die Gemeinde gegenüber der Haftung aus enteignendem Eingriff grundsätzlich auf höhere Gewalt berufen. Das setzt allerdings voraus, dass sie alle technisch möglichen und mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand realisierbaren Sicherungsmaßnahmen ergriffen hatte, um eine Überschwemmung der Nachbargrundstücke zu verhindern, oder dass sich der Schaden auch bei solchen Maßnahmen ereignet hätte (Fortführung von BGHZ 158, 263 und 159, 19).

BGH, Urteil vom 19. 1. 2006 – III ZR 121/05; OLG Schleswig (lexetius.com/2006,105)

[1] Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke für Recht erkannt:
[2] Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 21. April 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
[3] Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
[4] Tatbestand: Der Kläger ist Eigentümer eines im Gebiet der beklagten Gemeinde D. gelegenen Hausgrundstücks. Oberhalb des Grundstücks, etwa 40 m vom Haus entfernt, befindet sich am Hang ein von der Beklagten betriebenes offenes Regenrückhaltebecken, das an die Regenwasserkanalisation eines darüber liegenden Neubaugebiets angeschlossen ist. In der wasserrechtlichen Genehmigung hierzu ist unter anderem bestimmt, es sei durch eine Verwallung bzw. Gestaltung des Geländes zwischen dem Regenrückhaltebecken und den angrenzenden bebauten Grundstücken sicherzustellen, dass bei einer Überstauung des Beckens die Nachbargrundstücke nicht überflutet würden.
[5] Am 17./18. Juli 2002 kam es im Umkreis der Gemeinde zu einem Starkregen, in dessen Folge auch das Haus des Klägers überflutet wurde. Der Kläger hat dies zum größten Teil auf den Übertritt erheblicher Wassermengen aus dem Regenrückhaltebecken zurückgeführt und der Beklagten verschiedene Fehler bei der Planung und Ausführung der Anlage vorgeworfen. Die Beklagte hat sich unter anderem auf einen statistisch nur alle 100 Jahre vorkommenden Katastrophenregen berufen. Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 4.414 € sowie auf Feststellung der weiteren Ersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr in Höhe von 2.964 € nebst Zinsen stattgegeben und die Berufung des Klägers im Übrigen zurückgewiesen. Mit der – vom Berufungsgericht zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte im Umfang ihrer Beschwer ihren Klageabweisungsantrag weiter.
[6] Entscheidungsgründe: Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[7] I. Das Berufungsgericht bejaht unter Bezugnahme auf das Senatsurteil BGHZ 158, 263 einen Entschädigungsanspruch des Klägers aus enteignendem Eingriff. Die vom Bundesgerichtshof dabei offen gelassene Frage, ob ein ganz ungewöhnlicher und seltener Starkregen (Katastrophenregen) eine Haftung der Gemeinde für den Überlauf eines offenen Regenrückhaltebeckens entfallen lasse, sei auch unter Berücksichtigung der späteren Senatsentscheidung BGHZ 159, 19 zur Gefährdungshaftung nach § 2 HPflG bei einem Rückstau in der Abwasserkanalisation zu verneinen. Ein offenes Regenrückhaltebecken von einiger Größe unterscheide sich durch zwei Momente von einem Kanalsystem, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, eine Haftung aus enteignendem Eingriff auch bei einem außergewöhnlichen Regenereignis zu bejahen. Zum einen bedeute ein solches Regenrückhaltebecken für die benachbarten Grundstückseigentümer ein Gefährdungspotential, welches dasjenige deutlich übersteige, das eine Abwasserkanalisation für die Anrainer mit sich bringe, insbesondere, wenn das Becken an einem Hang oberhalb von Privatgrundstücken wie vorliegend belegen sei. Zum anderen bewege sich der wirtschaftliche Aufwand der Gemeinde, um auch bei einem Katastrophenregen einen Überlauf auszuschließen, noch in einem zumutbaren Rahmen. Auf die Frage, ob es sich bei dem hier niedergegangenen Regen tatsächlich um einen außergewöhnlichen und seltenen Starkregen gehandelt habe, komme es deshalb nicht an. Entscheidend sei allein, ob das in den Keller des Klägers eingedrungene Wasser jedenfalls ganz überwiegend aus dem Regenrückhaltebecken der Beklagten gestammt habe.
[8] Davon sei das Berufungsgericht überzeugt. Der Einwand der Beklagten, der Wassereinbruch wäre einige Minuten später jedenfalls in gleicher Weise geschehen, weil infolge des starken Regens Wasser vom Neubaugebiet hangabwärts geflossen wäre, greife nicht durch. Es lasse sich nicht mit hinreichender Sicherheit aufklären, wie der Verlauf der Dinge gewesen wäre, wenn aus dem Regenrückhaltebecken kein Wasser ausgetreten wäre.
[9] II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
[10] 1. Im Ansatz mit Recht hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch des Klägers aus enteignendem Eingriff geprüft. Solche Ansprüche kommen in Betracht, wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen zu – meist atypischen und unvorhergesehenen – Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (vgl. Senatsurteile BGHZ 91, 20, 21 f., 26 f.; 158, 263, 267 m. w. N.). Das hat der Senat in dem vom Berufungsgericht angeführten Urteil BGHZ 158, 263, 268 f. auch für Schäden aus dem Überlauf eines in das Kanalsystem der Gemeinde eingegliederten Regenrückhaltebeckens angenommen, ungeachtet dessen, dass es dazu erst aufgrund starker Regenfälle kommen konnte. Derartige Umstände liegen nicht außerhalb der von hoher Hand geschaffenen und in dem Bauwerk selbst angelegten Gefahrenlage. Für den Streitfall gilt nichts anderes. Feststellungen zu den vom Kläger behaupteten Mängeln beim Bau und Betrieb der Anlage, die gegebenenfalls einen Amtshaftungsanspruch oder einen Anspruch aus (rechtswidrigem) enteignungsgleichem Eingriff rechtfertigen könnten, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Für das Revisionsverfahren ist deswegen zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass die von ihr getroffenen hoheitlichen Maßnahmen insgesamt rechtmäßig waren.
[11] 2. Der Senat hat in dem genannten Urteil indessen ausdrücklich offen gelassen, ob bei wertender Betrachtung anders zu entscheiden wäre, wenn der Überstau des Regenrückhaltebeckens durch einen ganz ungewöhnlichen und seltenen Starkregen (Katastrophenregen), wie er hier mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts gleichfalls unterstellt werden muss, verursacht wurde. Er beantwortet diese Frage nunmehr im Anschluss an das zu § 2 Abs. 3 HPflG ergangene Senatsurteil BGHZ 159, 19, 22 ff. dahin, dass sich die Gemeinde grundsätzlich auch gegenüber der Haftung aus enteignendem Eingriff auf eine in einem Katastrophenregen zum Ausdruck kommende höhere Gewalt berufen kann. In einem solchen Fall verwirklicht sich zwar ebenso die ständige latente Gefährdung der Anliegergrundstücke. Die auf der Verantwortung für die Herrschaft über bestimmte Gefahrenstellen, insbesondere für den Betrieb gefährlicher Anlagen, beruhende Haftung des Inhabers, wie sie auch hier trotz der abweichenden Rechtsgrundlage des Entschädigungsanspruchs in Rede steht, findet jedoch nach den gesetzlichen Bestimmungen und der ihnen zugrunde liegenden Bewertung des Gesetzgebers fast durchweg ihre Grenze an den Wirkungen höherer Gewalt (für die Anlagenhaftung: § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG). Das Schadensereignis ist dann letztlich nicht mehr den Risiken der Anlage, sondern dem von außen kommenden "Drittereignis" (hier: Naturkatastrophe) zuzurechnen. Eine generelle Ausnahme von diesen Grundsätzen für ein in das gemeindliche Kanalnetz eingegliedertes Regenrückhaltebecken ist nicht gerechtfertigt. Soweit das Berufungsgericht dem entgegen auf ein allgemein höheres Gefährdungspotential von Regenrückhaltebecken sowie auf einen geringeren wirtschaftlichen Aufwand bei deren Errichtung verweist, kann dem im Einzelfall hinreichend unter dem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, dass die Gemeinde auch bei einem außergewöhnlichen Naturereignis alles ihr Zumutbare zur Verhütung von Schäden getan haben muss (s. sogleich).
[12] 3. Ein Haftungsausschluss wegen der Wirkungen elementarer Naturkräfte setzt wie allgemein die Berufung auf höhere Gewalt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass das Schadensereignis mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann (vgl. nur Senatsurteil BGHZ 159, 19, 23 m. w. N.). Dieser Gesichtspunkt lässt sich in gleicher Weise auf die Ersatzpflicht aus enteignendem Eingriff infolge der Überflutung eines Regenrückhaltebeckens übertragen. Es reicht deswegen in solchen Fällen nicht aus, dass die Gemeinde einen ganz außergewöhnlichen Starkregen vorträgt. Sie muss darüber hinaus darlegen und notfalls beweisen, dass sie alle technisch möglichen und mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand realisierbaren Sicherungsmaßnahmen ergriffen hat, um einen Überstau des Regenrückhaltebeckens und eine Überschwemmung der Nachbargrundstücke zu verhindern, oder dass sich der Schaden auch bei derartigen Maßnahmen ereignet hätte.
[13] Als eine solche Gegenmaßnahme kommt vorliegend zumindest der bereits in der wasserrechtlichen Genehmigung verlangte, eine Überflutung ausschließende Wall in Betracht.
[14] 4. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht das Streitverhältnis nicht geprüft. Die Zurückverweisung gibt ihm Gelegenheit, dies nachzuholen. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht, sollte es hiernach erneut zu einer Haftung der Beklagten gelangen, deren Einwand wird nachgehen müssen, einige Minuten später wäre das Grundstück des Klägers ohnehin durch vom Hang neben dem Regenrückhaltebecken herabfließende Wassermassen in gleicher Weise überschwemmt worden. Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht vor Feststellung einer Unaufklärbarkeit des Kausalverlaufs den hierzu von der Beklagten angebotenen Sachverständigenbeweis hätte erheben müssen.