Bundesgerichtshof entscheidet über die Schadensersatzfeststellungsklage von Dr. Kirch gegen die Deutsche Bank AG und Dr. Breuer
BGH, Mitteilung vom 24. 1. 2006 – 13/06 (lexetius.com/2006,45)
[1] Der für das Bank- und Börsenrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über eine Schadensersatzfeststellungsklage von Dr. Leo Kirch, Gründer des seinerzeit im Mediengeschäft tätigen Kirch-Konzerns, aus eigenem und aus abgetretenem Recht der Konzernholding, der TaurusHolding GmbH & Co. KG, sowie deren Enkelgesellschaft, der PrintBeteiligungs GmbH, gegen die Deutsche Bank AG und ihren ehemaligen Vorstandssprecher Dr. Rolf E. Breuer zu entscheiden.
[2] I. Die Deutsche Bank AG hatte der PrintBeteiligungs GmbH ein Darlehen über 1, 4 Milliarden DM gewährt, das durch ein Aktienpaket der Kreditnehmerin abgesichert war. Im Zusammenhang damit und mit der in den Medien erörterten Finanzkrise des Kirch-Konzerns antwortete Dr. Breuer im Februar 2002 in einem vom Fernsehsender Bloomberg TV ausgestrahlten Interview auf die Frage: "Kirch hat sehr, sehr viele Schulden, sehr hohe Schulden. Wie exponiert ist die Deutsche Bank?"
[3] (Dr. Breuer:) "Relativ komfortabel, würde ich mal sagen, denn – das ist bekannt und da begehe ich keine Indiskredition, wenn ich das erzähle – der Kredit, den wir haben, ist zahlenmäßig nicht einer der größten, sondern relativ im mittleren Bereich und voll gesichert durch ein Pfandrecht auf Kirchs Aktien am Springer-Verlag. Uns kann also eigentlich nichts passieren, wir fühlen und gut abgesichert. Es ist nie schön, wenn ein Schuldner in Schwierigkeiten kommt, und ich hoffe, das ist nicht der Fall. Aber wenn das so käme, wir bräuchten keine Sorgen zu haben."
[4] Frage: "Die Frage ist ja, ob man mehr ihm hilft, weiter zu machen."
[5] Dr. Breuer: "Das halte ich für relativ fraglich. Was alles man darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Es können also nur Dritte sein, die sich gegebenenfalls für eine wie Sie gesagt haben Stützung interessieren."
[6] Im Juni 2002 wurde über das Vermögen mehrerer zum Kirch-Konzern gehörender Gesellschaften, darunter der PrintBeteiligungs GmbH, das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Deutsche Bank kündigte den gewährten Kredit, verwertete das ihr verpfändete Aktienpaket und verzichtete auf den verbleibenden Darlehensrestbetrag von rd. 50 Millionen €. Dr. Kirch hat mit seiner Klage geltend gemacht, die Interviewäußerungen von Dr. Breuer hätten den Zusammenbruch des Kirch-Konzerns und bei der PrintBeteiligungs GmbH, bei der TaurusHolding GmbH & Co. KG sowie bei ihm selbst noch nicht abschließend bezifferbare Vermögensschäden verursacht.
[7] II. Der Bundesgerichtshof hat der Schadensersatzfeststellungsklage, die nicht den Nachweis eines durch die Interviewäußerung verursachten Vermögensschadens, sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit eines solchen voraussetzt, nur aus abgetretenem Recht der PrintBeteiligungs GmbH stattgegeben. Er hat in den Interviewäußerungen von Dr. Breuer eine Verletzung der aus dem Darlehensvertrag der Deutschen Bank AG mit der PrintBeteiligungs GmbH folgenden Pflicht, die Kreditwürdigkeit der Darlehensnehmerin nicht zu gefährden, gesehen. Die Interviewäußerungen waren unter Berücksichtigung des Ansehens der Deutschen Bank AG und von Dr. Breuer in der Kreditwirtschaft geeignet, die Aufnahme dringend benötigter neuer Kredite durch Dr. Kirch und die Gesellschaften seines Konzerns erheblich zu erschweren. Auf ihr Recht zur freien Meinungsäußerung kann sich die Deutsche Bank AG nicht mit Erfolg berufen, da dieses die Verletzung vertraglicher Pflichten nicht erlaubt. Insoweit liegt auch ein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Printbeteiligungs GmbH durch die Deutsche Bank AG vor.
[8] Im Ergebnis Entsprechendes gilt auch für Dr. Breuer. Zwar haftet er nicht aus Vertrag, weil zwischen ihm selbst und der Printbeteiligungs GmbH keine vertraglichen Beziehungen bestanden. Seine Interviewäußerung stellt aber unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der PrintBeteiligungs GmbH eine unerlaubte Handlung dar. Als Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, die zur PrintBeteiligungs GmbH darlehensvertragliche Beziehungen unterhielt, traf ihn die organschaftliche Pflicht, alles zu unterlassen, was die Deutsche Bank einem Schadensersatzanspruch der PrintBeteiligungs GmbH aussetzen konnte. Was der Deutschen Bank AG als Vertragspartnerin der PrintBeteiligungs GmbH wegen der bestehenden Loyalitätspflicht untersagt war, war auch ihren Organen verboten. Das Recht zur freien Meinungsäußerung schützt Dr. Breuer nicht, da es kein vertragwidriges Verhalten erlaubt.
[9] Die gegen die Deutsche Bank AG und gegen Dr. Breuer gerichtete Schadensersatzfeststellungsklage aus eigenem Recht von Dr. Kirch und aus abgetretenem Recht der TaurusHolding GmbH & Co. KG hat der Bundesgerichtshof abgewiesen. Schadensersatzansprüche auf vertraglicher Basis scheiden insoweit mangels bestehender vertraglicher Beziehungen aus. Die enge Einbindung der PrintBeteiligungs GmbH als Darlehensnehmerin der Deutschen Bank AG in den Kirch-Konzern reicht für einen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter nicht aus. Das konzernrechtliche Trennungsprinzip, das zu einer Beschränkung der Haftung für ein Darlehen auf die vertragsschließende Konzerngesellschaft führt, muss konsequenterweise auch beachtet werden, wenn es um Rechte aus dem Darlehensvertrag geht.
[10] Schadensersatzansprüche von Dr. Kirch und der TaurusHolding GmbH & Co. KG aus unerlaubter Handlung sind nicht gegeben, weil die in dem Interview von Dr. Breuer geäußerten Tatsachen wahr und die darin enthaltenen Werturteile durch das Recht zur freien Meinungsäußerung gedeckt sind. Das Recht der Beklagten, sich zu der in den Medien behandelten Finanzkrise des Kirch-Konzern frei zu äußern, ist gegenüber Dr. Kirch und gegenüber der TaurusHolding GmbH & Co. KG nicht durch vertragliche Pflichten eingeschränkt, da mit ihnen vertragliche Beziehungen nicht bestanden.
BGH, Urteil vom 24. 1. 2006 – XI ZR 384/03; OLG München