Bundessozialgericht
Verwaltungszuständigkeit – Wechsel – Zuständigkeitswechsel – Auslandsversorgung – Beteiligtenwechsel – Wohnsitz – Verlegung – Umzug – Ausland – Inland – Feststellungsinteresse – Rechtsschutzbedürfnis – GdB-Feststellung – Territorialitätsprinzip – Vergünstigung – Steuervorteil – vorzeitige Altersrente
BSG, Urteil vom 5. 7. 2007 – B 9/9a SB 2/06 R (lexetius.com/2007,3215)
[1] Tatbestand: Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers nach dessen Wohnsitzverlegung ins Ausland aufheben durfte.
[2] Der 1951 geborene Kläger war bis 2001 in Lichtenstein, Freistaat Sachsen, wohnhaft. Bei ihm war wegen "Sehminderung beidseitig, Alkoholkrankheit, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Teilverlust des Zeigefingers" ein GdB von 50 festgestellt worden (Bescheid des Beklagten vom 17. 5. 1994). Mit Bescheid vom 30. 6. 1998 stellte der Beklagte unter Beibehaltung des GdB als weitere "Behinderung" Polyneuropathie fest.
[3] Am 4. 4. 2003 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er im Oktober 2001 in die Schweiz umgezogen sei. Daraufhin hob der Beklagte seinen Bescheid vom 30. 6. 1998 auf und erklärte, dass ein GdB nicht mehr festgestellt werde (Bescheid vom 23. 4. 2003). Widerspruch und Klage hiergegen waren erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. 7. 2003; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [SG] Chemnitz vom 18. 12. 2003).
[4] Auf die Berufung des Klägers hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) – nach Beiladung des Landes Baden-Württemberg – den Gerichtsbescheid des SG Chemnitz sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. 4. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. 7. 2003 aufgehoben (Urteil vom 21. 12. 2005). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
[5] Klagegegenstand sei bei sachgerechter Auslegung des Vorbringens des Klägers lediglich die Anfechtung des Bescheides vom 23. 4. 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. 7. 2003, mit dem die ursprüngliche Feststellung des GdB aufgehoben worden sei. Dieser Verwaltungsakt (VA) sei bereits deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte für dessen Erlass nicht mehr örtlich zuständig gewesen sei. Denn infolge der dauerhaften Verlegung des Wohnsitzes des Klägers in die Schweiz am 20. 10. 2001 sei der Beigeladene anstelle des Beklagten örtlich zuständig geworden.
[6] Nach § 42 Satz 1 SGB X sei die Aufhebung eines VA allein wegen der Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit dann ausgeschlossen, wenn offensichtlich sei, dass diese Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Dies sei hier nicht der Fall, weil die angefochtenen Bescheide auch in der Sache rechtswidrig seien und deshalb auch der Beigeladene sie nicht hätte erlassen dürfen. Denn eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen des Klägers sei nicht eingetreten. In tatsächlicher Hinsicht bestünde beim Kläger weiterhin eine Behinderung, die einen GdB von 50 rechtfertige; dies sei zwischen den Beteiligten unstreitig und nach den vorhandenen Unterlagen für das Gericht unzweifelhaft.
[7] Auch durch den Umzug sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Denn für die Feststellung des GdB sei es – anders als bei der Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises – nicht erforderlich, dass der Betroffene seinen Wohnsitz in Deutschland habe oder hier arbeite. Ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung des GdB könne zB wegen in Deutschland bezogener Einkünfte, die dem deutschen Steuerrecht unterlägen, bestehen. Deshalb sei eine Aufhebung solcher Feststellungen wegen einer dauerhaften Wohnsitzverlegung ins Ausland ausgeschlossen. Ein solches Interesse müsse auch nicht konkret vorliegen. Es reiche vielmehr – wie auch sonst bei behindertenrechtlichen Statusfeststellungen im Inland – die nur abstrakte, im Einzelfall gerade nicht zu prüfende bloße Möglichkeit eines solchen Interesses aus. Diese Auslegung habe für alle Beteiligten im Sinne eines möglichst effizienten Verwaltungsverfahrens den Vorteil, dass bei bloßer Wohnsitzverlegung ins Ausland nur der Schwerbehindertenausweis einzuziehen sei und bei einer möglichen Rückkehr sofort wieder erteilt werden könne, ohne dass es eines aufwendigen, mit medizinischen Ermittlungen verbundenen Feststellungsverfahrens nach § 69 Abs 1 bis 3 SGB IX bedürfe.
[8] Der Kläger hat sich mit von ihm selbst unterzeichnetem Schreiben vom 16. 1. 2006, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 18. 1. 2006, gegen das Urteil des LSG gewandt. Seine Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten sind vom erkennenden Senat abgelehnt worden, da er auch nach Fristsetzung nur unvollständige Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Ehegattin gemacht hat (Beschlüsse des Senats vom 30. 3. 2006 und vom 22. 5. 2007).
[9] Der Beigeladene rügt mit seiner vom LSG zugelassenen Revision die Verletzung der §§ 2, 69 SGB IX: Dem Kläger sei zu Recht der GdB von 50 aberkannt worden, da die Voraussetzungen für die Feststellung einer Behinderung nach dem Umzug in die Schweiz nicht mehr gegeben gewesen seien. Es gebe entgegen der Ansicht des LSG keine rechtliche Differenzierung zwischen der Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises und dem Anspruch auf Feststellung des GdB. Beide Ansprüche knüpften an das rechtmäßige Wohnen, den rechtmäßigen Aufenthalt oder die rechtmäßige Beschäftigung im Geltungsbereich des SGB IX an. Diese Grundvoraussetzungen fielen weg, wenn der Schwerbehinderte – wie hier – seinen Wohnsitz ins Ausland verlege und nicht weiterhin im Bundesgebiet beschäftigt sei.
[10] Der Beklagte schließt sich der Revisionsbegründung des Beigeladenen an.
[11] Der Beigeladene und der Beklagte beantragen, das Urteil des Sächsischen LSG vom 21. 12. 2005 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Chemnitz vom 18. 12. 2003 zurückzuweisen.
[12] Entscheidungsgründe: 1. Durch den Umzug des Klägers in die Schweiz ist der Beigeladene zwar für die Schwerbehindertenangelegenheit des Klägers zuständig geworden, der Kläger hat seine Anfechtungsklage jedoch zu Recht gegen den Beklagten gerichtet.
[13] Nach § 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Dabei ist das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB IX). Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat der Kläger mit seinem Umzug nach S. am 20. 10. 2001 seinen dauerhaften Wohnsitz in der Schweiz genommen. Damit ist gemäß § 3 Abs 5 KOVVfG iVm § 1 Abs 1 Buchst f Verordnung über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland (AuslZustV) vom 28. 5. 1991 (BGBl I, 1204) das Versorgungsamt Freiburg – Außenstelle Radolfzell – für die Feststellung des GdB des Klägers zuständig geworden; dieses ist eine Behörde des Beigeladenen (vgl §§ 1, 3 Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung [ErrG] vom 12. 3. 1951 [BGBl I, 169], zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. 5. 2000 [BGBl I, 632]).
[14] Die Übergangsregelung des Art 67 SGB IX ist nicht einschlägig, weil es sich bei der aufgehobenen Feststellung nicht um eine "Leistung" handelt. Vorrangige Bestimmungen des SGB X über die örtliche Zuständigkeit greifen ebenfalls nicht ein. Insbesondere liegt kein Fall der Fortführung eines laufenden Verwaltungsverfahrens durch die bisher zuständige Behörde nach § 2 Abs 2 SGB X vor. Denn das hier betroffene, von vornherein vom unzuständigen Träger geführte Verwaltungsverfahren ist durch die angefochtenen Bescheide abgeschlossen worden (vgl § 8 SGB X).
[15] Der Zuständigkeitswechsel hat für den vorliegenden Rechtsstreit keine Auswirkungen. Zwar ist der zuständig gewordene Versorgungsträger zu verklagen, wenn der Erlass eines VA begehrt wird (Urteil des Senats vom 5. 7. 2007 – B 9/9a SB 2/07 R – zur Veröffentlichung vorgesehen). Hier ist jedoch zu beachten, dass der Kläger lediglich den vom Beklagten erlassenen Aufhebungsbescheid vom 23. 4. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. 7. 2003 anficht; eine Verpflichtung des (nunmehr) zuständigen Versorgungsträgers zum Erlass eines neuen VA erstrebt er nicht. Bei einer bloßen Anfechtung der von ihm erlassenen Bescheide ist der Beklagte als passiv legitimiert anzusehen (vgl allgemein dazu BFHE 200, 521, 523 f).
[16] 2. Die Revision des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlichen Form eingelegt worden ist (§ 169 Satz 1 und 2 SGG). Dabei ist davon auszugehen, dass der Kläger mit seinen nicht eindeutigen, teils widersprüchlichen Ausführungen tatsächlich das Rechtsmittel der Revision einlegen wollte. Denn er hat hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er mit dem Urteil des LSG nicht einverstanden ist. Nach § 166 Abs 1 SGG müssen sich die Beteiligten vor dem BSG durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen, soweit es sich nicht um Behörden, Körperschaften des öffentlichen Rechts, Anstalten des öffentlichen Rechts oder private Pflegeversicherungsunternehmen handelt. Darauf ist der Kläger sowohl in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils als auch im Schreiben des Senats vom 20. 1. 2006 ausdrücklich hingewiesen worden. Dieses Erfordernis hat der Kläger durch seine persönlichen Eingaben an das BSG nicht erfüllt.
[17] 3. Die Revision des Beigeladenen ist zulässig. Er ist insbesondere durch das angefochtene Urteil des LSG beschwert. Denn durch die vom angefochtenen Urteil ausgesprochene Aufhebung des Bescheides vom 23. 4. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. 7. 2003 bleibt die vom Beklagten zuletzt mit Bescheid vom 30. 6. 1998 ausgesprochene Feststellung eines GdB des Klägers von 50 wirksam. Ein solcher VA mit Dauerwirkung (BSGE 60, 287, 290 = SozR 1300 § 48 Nr 29 S 88 = SGb 1987, 510 = Breith 1987, 575; Jung in Wiegand SGB IX § 69 RdNr 8) bindet auch später zuständig gewordene Träger, wie hier den Beigeladenen.
[18] 4. Die Revision des Beigeladenen ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet. Dessen Tatsachenfeststellungen lassen noch keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob das LSG der Anfechtungsklage zu Recht stattgegeben hat.
[19] a) Die gegen den Aufhebungsbescheid gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere liegt auch ein Rechtsschutzbedürfnis vor. Zwar ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den angefochtenen VA oder dessen Ablehnung beschwert, also in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Für die Zulässigkeit einer Klage reicht es aber schon aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist; ob diese Verletzung tatsächlich eingetreten ist, ist Frage der Begründetheit (Pawlak in Hennig, SGG § 131 RdNr 9 f; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Komm, 8. Aufl 2005, § 54 RdNr 16; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, IV RdNr 8; Castendiek in Hk-SGG, § 54 RdNr 80 f). An die Substantiierungspflicht dürfen dabei keine zu großen Anforderungen gestellt werden (BSGE 68, 291, 292 = SozR 3—1500 § 54 Nr 7 S 12; BSGE 62, 231, 232 = SozR 2200 § 368b Nr 4 S 2 mwN). Es genügt, dass der Kläger hier die Beseitigung einer in seine Rechtssphäre eingreifende Verwaltungsmaßnahme anstrebt, von der er behauptet, sie sei nicht rechtmäßig (vgl BSGE 90, 127, 130 = SozR 3—5795 § 10d Nr 1 S 4).
[20] Dieser behauptete Eingriff ist auch durch den angefochtenen Bescheid erfolgt. Zwar hebt dieser dem Wortlaut nach nur den Bescheid vom 30. 6. 1998 auf. Dieser wiederum traf keine eigenständige Regelung hinsichtlich der hier streitigen Feststellung des GdB, sondern bestätigte nur den bereits mit Bescheid vom 17. 5. 1994 festgestellten GdB von 50. Bei lebensnaher Betrachtung hat der Bescheid vom 30. 6. 1998 allerdings den Vorgängerbescheid – wenn auch nicht ausdrücklich – vollständig ersetzt; neben diesem Bescheid sollte es keine weiteren eigenständigen Feststellungen mehr geben. Dass die Feststellung des GdB umfassend beseitigt werden sollte, ergibt sich auch aus dem zweiten Teil des Verfügungssatzes des Aufhebungsbescheides vom 23. 4. 2003, wonach keine Feststellung eines GdB mehr erfolgt.
[21] b) Anhand der bisher vom LSG festgestellten Tatsachen lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob das LSG zu Recht entschieden hat, dass die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 23. 4. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. 7. 2003 begründet ist.
[22] Zwar steht fest, dass der Bescheid formell rechtswidrig ist. Denn er wurde von einer unzuständigen Stelle, nämlich dem Amt für Familie und Soziales Chemnitz, statt des seit Oktober 2001 zuständigen Versorgungsamtes Freiburg – Außenstelle Radolfzell – erlassen. Diese formelle Rechtswidrigkeit könnte jedoch gemäß § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich sein. Nach dieser Vorschrift führen nämlich bestimmte Formfehler dann nicht zur Aufhebbarkeit des VA, wenn offensichtlich ist, dass die Rechtsverletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat und der VA allein an diesem Fehler leidet (Wiesner in von Wulffen, SGB X, § 42 RdNr 3; Hauck/Noftz, SGB X, K § 42 RdNr 15; Waschull in LPK-SGB X, § 42 RdNr 7).
[23] Ein anderer Mangel liegt hier nicht darin, dass vor Erlass des Aufhebungsbescheides keine Anhörung erfolgt ist (§ 24 SGB X). Denn dieser Verfahrensfehler ist nach § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X unbeachtlich, weil die Anhörung im Vorverfahren nachgeholt worden ist. Da der Ausgangsbescheid alle vom Beigeladenen für die Entscheidung als erheblich angesehenen Tatsachen benennt, hatte der Kläger vor dem Erlass des Widerspruchsbescheides hinreichend Gelegenheit zur Äußerung (vgl hierzu Wiesner in von Wulffen, aaO, RdNr 7 mwN).
[24] Die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen VA richtet sich nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Dieser setzt voraus, dass in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des VA vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
[25] Zwar ist in den rechtlichen Verhältnissen insoweit eine Änderung eingetreten, als sich seit Erlass des letzten Feststellungsbescheides mit Wirkung vom 1. 7. 2001 das Schwerbehindertengesetz (SchwbG) außer Kraft und das SGB IX in Kraft getreten ist. Darin liegt jedoch keine wesentliche Änderung. Der nunmehr dem Feststellungsverfahren zugrunde zu legende § 69 SGB IX knüpft eng an der Vorgängervorschrift des § 4 SchwbG an; inhaltliche Änderungen waren hiermit nicht beabsichtigt (amtl Begründung in BT-Drucks 14/5074, S 112 zu § 69, sowie BR-Drucks 49/01, S 333 zu § 69; Schimanski in GK-SGB IX, § 69 RdNr 6).
[26] Es fehlen noch tatrichterliche Feststellungen dazu, ob in den tatsächlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Zwar steht aufgrund der vom LSG getroffenen, nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) fest, dass in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers keine Besserung eingetreten ist, die eine Aufhebung der GdB-Feststellung rechtfertigen könnte. Eine wesentliche Änderung kann jedoch in der Übersiedlung des Klägers aus dem Geltungsbereichs des SGB in die Schweiz liegen. Dessen schwerbehindertenrechtlicher Feststellungsanspruch richtete sich zum Zeitpunkt seines Umzugs Ende Oktober 2001 allein nach dem gerade in Kraft getretenen SGB IX. Für die Anwendung des insoweit einschlägigen § 69 SGB IX ist § 30 SGB I maßgebend. Dieser bestimmt in seinem Abs 1, dass die Vorschriften des SGB für alle Personen gelten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 30 Abs 3 SGB I) nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. Dementsprechend kann er sich grundsätzlich nicht auf die Regelungen des SGB IX berufen. Dies gilt jedoch nur, soweit sich aus diesem Gesetz nichts Abweichendes ergibt (vgl § 37 Satz 1 SGB I; dazu zB Schlegel in juris-PK SGB I § 30 RdNr 10).
[27] Eine solche abweichende Regelung ist zB § 2 Abs 2 SGB IX, soweit er für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft eine Beschäftigung auf einem inländischen Arbeitsplatz ausreichen lässt. Diese Ausnahme liegt darin begründet, dass die Schwerbehinderteneigenschaft einen besonderen Schutz am Arbeitsplatz (§§ 71 ff SGB IX) nach sich zieht, der auch Grenzgängern zugute kommen soll (BT-Drucks 7/656 S 24). Entgegen der Ansicht des Beigeladenen und des Beklagten ist § 2 Abs 2 SGB IX hier allerdings nicht einschlägig, weil die Feststellung eines GdB nach § 69 SGB IX nicht mit der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gleichzusetzen ist (so schon Vergleichsvorschlag des BSG Breith 2003, 71, 77); sie kommt insbesondere auch für behinderte Menschen in Betracht, die nicht schwerbehindert sind. Ebenso ermöglicht sie die Berücksichtigung eines GdB von über 50.
[28] Zwar enthält § 69 SGB IX keine ausdrücklichen Ausnahmebestimmungen zu dem in § 30 Abs 1 SGB I verankerten Territorialitätsprinzip, nach Auffassung des erkennenden Senats ergibt sich jedoch aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift etwas Abweichendes iS von § 37 Satz 1 SGB I (vgl dazu allg Seewald in Kasseler Komm, § 37 SGB I RdNr 5). Die Feststellung des GdB hat eine dienende Funktion. Sie gewinnt erst dadurch Bedeutung, dass sie als Statusfeststellung auch für Dritte verbindlich ist (vgl BSGE 52, 168, 172 = SozR 3870 § 3 Nr 13 S 31; BSGE 69, 14, 17 = SozR 3—1300 § 44 Nr 3 S 9) und die Inanspruchnahme von sozialrechtlichen, steuerrechtlichen, arbeitsrechtlichen, straßenverkehrsrechtlichen und anderen Vorteilen ermöglicht. Das durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX gewährte subjektive soziale Recht berührt den Rechtskreis des Antragstellers also immer dann, wenn sich hieraus weitere Rechte im Inland ergeben können. Soweit es derartige rechtliche Vorteile gibt, die nicht an einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, sondern an einen andersartigen Inlandsbezug anknüpfen, erfordert es schon der Grundsatz der Gleichbehandlung und der Einheit der Rechtsordnung, dass die betreffenden Personen eine Feststellung iS von § 69 SGB IX beanspruchen können (vgl dazu Vergleichsvorschlag des BSG Breith 2003, 71, 77).
[29] Allerdings kann ein im Ausland wohnender Behinderter das Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen. Geht es nur um den Nachweis einer Behinderung gegenüber ausländischen Stellen, kann der behinderte Mensch auf die Möglichkeit entsprechender Feststellungen durch die für seinen Wohnort im Ausland zuständigen Stellen verwiesen werden. Entgegen der Ansicht des LSG reicht auch eine abstrakte, also rein theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme rechtlicher Vorteile im Inland nicht aus. Vielmehr lässt sich eine Durchbrechung des Territorialitätsprinzips (§ 30 Abs 1 iVm § 37 Satz 1 SGB I) nur rechtfertigen, wenn dem behinderten Menschen trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können.
[30] Im Falle des Klägers, der sich dauerhaft außerhalb des Geltungsbereiches des SGB IX aufhält und bei dem deshalb ein für die (weitere) Feststellung seines GdB ausreichender Inlandsbezug nicht ohne weiteres gegeben ist, kommen nach diesen Grundsätzen mehrere innerstaatliche Vergünstigungen in Betracht, die eine Einschränkung des Territorialitätsprinzips rechtfertigen können.
[31] So ist nach Aktenlage nicht ausgeschlossen, dass er durch seine langjährige Beschäftigung im Beitrittsgebiet eine Anwartschaft auf eine gesetzliche Rente erworben hat. Dann wäre ein für das Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX erforderlicher Inlandsbezug gegeben, wenn bei ihm eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§ 37 SGB VI) in Betracht käme. Über den hierfür erforderlichen GdB von 50 kann – auch für den Rentenversicherungsträger bindend – nur im Verfahren nach § 69 SGB IX entschieden werden (BSGE 52, 168, 172 = SozR 3870 § 3 Nr 13 S 31; Masuch in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, K § 69 SGB IX RdNr 15). Zwar setzt § 37 Nr 2 SGB VI wegen des Verweises auf § 2 Abs 2 SGB IX grundsätzlich einen Arbeitsplatz, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus. Dem steht jedoch der Wohnsitz des Klägers aus Gründen des vorrangigen europäischen Gemeinschaftsrechts gleich, das nach dem Abkommen vom 21. 6. 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (Amtsbl EG 2002 Nr L 114/6 = BGBl II 2001, 810) insoweit auch für die Schweiz gilt (vgl dazu Nowak, Die Beiträge 2002, 513; Polster in Kasseler Komm, Vor § 110 SGB VI RdNr 7; zur Gleichstellung eines Wohnsitzes im EU/EWR-Gebiet vgl Niesel in Kasseler Komm, § 37 SGB VI RdNr 6; Klattenhoff in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, K § 37 SGB VI RdNr 9; zur Verwaltungspraxis vgl Schindler in Kompass 1993, 589).
[32] Des Weiteren kommt auch die Inanspruchnahme des in seiner Höhe vom GdB abhängigen Schwerbehindertenpauschbetrages nach § 33b Abs 1 bis 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in Betracht, sofern der Kläger im Inland unbeschränkt steuerpflichtig iS von § 1 Abs 2, 3 EStG ist. Das wäre der Fall, wenn er Einkommen im Inland, zB in Form von Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung oder Kapitalanlagen, erzielte (zur Geltendmachung bei Wohnsitz im Ausland vgl BFHE 135, 73; BFHE 210, 141).
[33] Da der erkennende Senat die danach erforderliche ergänzende Sachverhaltsaufklärung im Revisionsverfahren nicht nachholen darf (§ 163 SGG), ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
[34] Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.