Europäischer Gerichtshof
"Art. 141 EG – Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen – Beamte – Mehrarbeit – Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Frauen"
Art. 141 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung der Beamtenbesoldung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der zum einen sowohl die von vollzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als auch die von teilzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als Arbeit definiert wird, die von den Beamten über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus geleistet wird, und zum anderen diese Mehrarbeit zu einem geringeren Satz vergütet wird als dem Stundensatz, der auf die innerhalb der individuellen Arbeitszeit geleistete Arbeit entfällt, so dass teilzeitbeschäftigte Beamte für die Arbeit, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der Stundenzahl leisten, die ein vollzeitbeschäftigter Beamter im Rahmen seiner Arbeitszeit erbringen muss, schlechter vergütet werden als vollzeitbeschäftigte Beamte, dann entgegensteht, wenn
- von allen Beschäftigten, für die diese Regelung gilt, ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Beschäftigter betroffen ist und
- die Ungleichbehandlung nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

EuGH, Urteil vom 6. 12. 2007 – C-300/06 (lexetius.com/2007,3446)

[1] In der Rechtssache C-300/06 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Mai 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2006, in dem Verfahren Ursula Voß gegen Land Berlin, Beteiligte: Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht, erlässt DER GERICHTSHOF (Erste Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet (Berichterstatter), M. Ileši und E. Levits, Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer, Kanzler: R. Grass, aufgrund des schriftlichen Verfahrens, unter Berücksichtigung der Erklärungen – von Frau Voß, vertreten durch Rechtsanwalt E. Ribet Buse, – der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte, – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juli 2007 folgendes Urteil (*):
[2] 1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 141 EG.
[3] 2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Voß und dem Land Berlin über die Vergütung der Mehrarbeit, die Frau Voß als Teilzeitbeschäftigte geleistet hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
[4] 3 Art. 141 Abs. 1 und 2 EG bestimmt:
"(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.
(2) Unter 'Entgelt' im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.
Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet,
a) dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird,
b) dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist."
Nationales Recht
[5] 4 § 35 Abs. 2 des Berliner Landesbeamtengesetzes in der Fassung vom 20. Februar 1979 (GVBl. BE, S. 368) lautet:
"Der Beamte ist verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm innerhalb von drei Monaten für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen Zeitraum bis zu 480 Stunden im Jahr eine Vergütung (§ 48 des Bundesbesoldungsgesetzes) erhalten."
[6] 5 Das Bundesbesoldungsgesetz (im Folgenden: BBesG), das nach seinem § 1 Abs. 1 Nr. 1 auch die Besoldung der Beamten der Länder regelt, bestimmt in § 6 Abs. 1:
"Bei Teilzeitbeschäftigung werden die Dienstbezüge im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit gekürzt."
[7] 6 § 48 BBesG ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung die Gewährung einer Mehrarbeitsvergütung zu regeln, soweit die Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen wird.
[8] 7 In § 2 Abs. 1 der Verordnung vom 13. März 1992 über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte (BGBl. I S. 528) in der Neufassung vom 3. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3494, im Folgenden: MVergV), die auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 BBesG ergangen ist, heißt es:
"Beamten mit Dienstbezügen in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern kann in folgenden Bereichen für Mehrarbeit eine Vergütung gewährt werden …
6. im Schuldienst als Lehrer."
[9] 8 § 3 Abs. 1 MVergV bestimmt:
"Die Vergütung wird nur gewährt, wenn die Mehrarbeit von einem Beamten geleistet wurde, der der Arbeitszeitregelung für Beamte unterliegt, und sie
1. schriftlich angeordnet oder genehmigt wurde,
2. die sich aus der regelmäßigen Arbeitszeit ergebende jeweilige monatliche Arbeitszeit oder, soweit der Beamte nur während eines Teils eines Kalendermonats Dienst leistet, die anteilige monatliche Arbeitszeit um mehr als fünf Stunden im Kalendermonat übersteigt und
3. aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht durch Dienstbefreiung innerhalb von drei Monaten ausgeglichen werden kann."
[10] 9 Nach § 4 MVergV gelten für die Vergütung je Stunde Mehrarbeit unterschiedliche Beträge in Abhängigkeit von der Besoldungsgruppe des Beamten.
[11] 10 § 5 Abs. 2 MVergV bestimmt:
"Bei Mehrarbeit im Schuldienst gelten bei Anwendung
1. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 drei Unterrichtsstunden als fünf Stunden, …"
[12] 11 Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die Vergütung für Mehrarbeitsstunden nach der MVergV niedriger ist als die Vergütung für Arbeitsstunden, die im Rahmen der individuellen Arbeitszeit geleistet werden.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
[13] 12 Frau Voß steht als Lehrerin im Beamtenverhältnis zum Land Berlin. Vom 15. Juli 1999 bis 29. Mai 2000 übte sie ihre Berufstätigkeit in Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 23 Unterrichtsstunden pro Woche aus. Das Unterrichtsdeputat eines vollzeitbeschäftigten Lehrers betrug damals 26, 5 Unterrichtsstunden.
[14] 13 Zwischen dem 11. Januar und dem 23. Mai 2000 leistete Frau Voß in jedem Monat über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus zwischen 4 und 6 Unterrichtsstunden Mehrarbeit.
[15] 14 Die Vergütung, die sie hierfür erhielt, betrug 1 075,14 DM. Dem vorlegenden Gericht zufolge belief sich die Vergütung, die bei einem vollzeitbeschäftigten Lehrer auf die gleiche Zahl von Arbeitsstunden entfiel, zu dieser Zeit auf 1 616,15 DM.
[16] 15 Das vorlegende Gericht erklärt dieses Ergebnis damit, dass die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zur Regelarbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung geleisteten Arbeitsstunden, bei denen es sich um Mehrarbeit handele, mit einem geringeren Stundensatz vergütet worden seien als die entsprechenden Arbeitsstunden eines vollzeitbeschäftigten Lehrers, die in dessen individueller Arbeitszeit enthalten seien.
[17] 16 Das vorlegende Gericht stellt infolgedessen fest, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den Monaten Januar bis Mai 2000 bei gleichem Arbeitspensum schlechter vergütet worden sei als ein vollzeitbeschäftigter Lehrer.
[18] 17 Frau Voß hatte beantragt, bei der Berechnung der Vergütung für die Mehrarbeit, die sie bis zur Grenze von 26, 5 Unterrichtsstunden pro Woche geleistet hatte, anstelle des nach der MVergV für Mehrarbeit vorgesehenen Stundensatzes denselben Stundensatz zugrunde zu legen, mit dem die Arbeitsstunden vergütet werden, die vollzeitbeschäftigte Lehrer im Rahmen ihrer Regelarbeitszeit erbringen.
[19] 18 Nachdem ihr Antrag vom Land Berlin abgelehnt worden war, erhob Frau Voß gegen die Ablehnungsentscheidung Klage beim Verwaltungsgericht. Gegen dessen Urteil, das der Klage stattgab, legte das Land Berlin Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht ein.
[20] 19 Für das Bundesverwaltungsgericht stellt sich in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit die Frage, ob die niedrigere Vergütung der Dienststunden, die teilzeitbeschäftigte Lehrer als Mehrarbeitsstunden leisteten, im Vergleich zu der anteiligen Besoldung, die vollzeitbeschäftigte Lehrer für die gleiche Zahl von Dienststunden innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit erhielten, eine nach Gemeinschaftsrecht unzulässige Diskriminierung der weiblichen Lehrer sei. Die Antwort auf diese Frage hänge davon ab, ob Art. 141 Abs. 2 Satz 2 EG gebiete, dass die Mehrarbeitsstunde, die ein Teilzeitbeschäftigter bis zu der von vollzeitbeschäftigten Lehrern zu erbringenden Stundenzahl leiste, nicht schlechter vergütet werden dürfe als der gleich lange Dienst, den ein Vollzeitbeschäftigter im Rahmen seiner regulären Arbeitszeit leiste.
[21] 20 Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 141 EG einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Vergütung für eine über die reguläre Arbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit sowohl bei vollzeitbeschäftigten als auch bei teilzeitbeschäftigten Beamten in derselben Höhe gezahlt wird, die niedriger ist als die anteilige Besoldung, die bei vollzeitbeschäftigten Beamten auf einen gleich langen Teil ihrer regulären Arbeitszeit entfällt, wenn überwiegend Frauen teilzeitbeschäftigt sind?
Zur Vorlagefrage
[22] 21 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 141 EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung der Beamtenbesoldung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der zum einen sowohl die von vollzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als auch die von teilzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als Arbeit definiert wird, die von den Beamten über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus geleistet wird, und zum anderen diese Mehrarbeit zu einem niedrigeren Satz vergütet wird als dem Stundensatz, der auf die innerhalb der individuellen Arbeitszeit geleistete Arbeit entfällt, so dass teilzeitbeschäftigte Beamte für die Arbeit, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der Stundenzahl leisten, die ein vollzeitbeschäftigter Beamter im Rahmen seiner Arbeitszeit erbringen muss, schlechter vergütet werden als vollzeitbeschäftigte Beamte, dann entgegensteht, wenn es sich bei den in Teilzeitbeschäftigung tätigen Beamten überwiegend um Frauen handelt.
[23] 22 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften machen geltend, dass die Vergütung dieser Mehrarbeit, sofern sie niedriger sei als die Vergütung der im Rahmen der individuellen Arbeitszeit geleisteten Arbeit, zu einer mittelbaren Diskriminierung führe, da sie zur Folge habe, dass die teilzeitbeschäftigten Lehrer, bei denen es sich überwiegend um Frauen handele, wenn sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der bei Vollzeitbeschäftigung geschuldeten Stundenzahl arbeiteten, für die gleiche Zahl von Arbeitsstunden eine niedrigere Vergütung erhielten als in Vollzeitbeschäftigung tätige Lehrer.
[24] 23 Nach Auffassung der deutschen Regierung ergibt sich im Ausgangsverfahren keine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Mehrarbeit, da für vollzeitbeschäftigte und teilzeitbeschäftigte Lehrer derselbe in § 4 Abs. 3 MVergV geregelte Stundensatz für die von ihnen geleistete Mehrarbeit gelte.
[25] 24 Insoweit ist daran zu erinnern, dass Artikel 141 EG den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit aufstellt. Dieser Grundsatz gehört zu den Grundlagen der Europäischen Gemeinschaft (vgl. Urteil vom 8. April 1976, Defrenne, 43/75, Slg. 1976, 455, Randnr. 12).
[26] 25 Der Grundsatz des gleichen Entgelts steht nicht nur der Anwendung von Vorschriften entgegen, die unmittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts enthalten, sondern auch der Anwendung von Vorschriften, die Ungleichbehandlungen von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern aufgrund von Kriterien aufrechterhalten, die nicht auf dem Geschlecht beruhen, sofern sich diese Ungleichbehandlungen nicht mit objektiv gerechtfertigten Faktoren erklären lassen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (Urteile vom 13. Mai 1986, Bilka-Kaufhaus, 170/84, Slg. 1986, 1607, Randnrn. 29 und 30, vom 15. Dezember 1994, Helmig u. a., C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93 und C-78/93, Slg. 1994, I-5727, Randnr. 20, sowie vom 27. Mai 2004, Elsner-Lakeberg, C-285/02, Slg. 2004, I-5861, Randnr. 12).
[27] 26 In Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung steht fest, dass sie keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts enthält. Daher ist zu prüfen, ob eine solche Regelung möglicherweise eine mit Art. 141 EG unvereinbare mittelbare Diskriminierung zur Folge hat.
[28] 27 Zu diesem Zweck ist in einem ersten Schritt festzustellen, ob die betreffende Regelung eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält und ob diese Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betrifft.
[29] 28 Werden diese beiden Fragen bejaht, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob es Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gibt, die die festgestellte Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen könnten.
[30] 29 In diesem Zusammenhang liegt eine Ungleichbehandlung immer dann vor, wenn bei gleicher Arbeit und gleicher Anzahl Stunden, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, die Vollzeitbeschäftigten gezahlte Vergütung höher ist als die Teilzeitbeschäftigten gezahlte (Urteil Helmig u. a., Randnr. 26).
[31] 30 Der Gerichtshof hat sich bereits zweimal zu der Frage geäußert, ob bei der Vergütung von Mehrarbeit eine Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vorliegt.
[32] 31 In den Randnrn. 26 bis 30 des Urteils Helmig u. a. hat der Gerichtshof entschieden, dass keine Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vorliege, wenn die anwendbaren nationalen Vorschriften die Zahlung von Gehaltszuschlägen für Überstunden nur bei Überschreiten der tarifvertraglich festgelegten Regelarbeitszeit vorsähen, nicht aber bei Überschreiten der individuellen Arbeitszeit. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass unter diesen Umständen die Teilzeitbeschäftigten für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden die gleiche Vergütung erhielten wie die Vollzeitbeschäftigten und zwar sowohl dann, wenn die tarifvertraglich festgesetzte Regelarbeitszeit nicht überschritten werde, als auch dann, wenn über diese Regelarbeitszeit hinaus Stunden geleistet würden, da die Überstundenzuschläge im letztgenannten Fall beiden Arbeitnehmergruppen zugute kämen.
[33] 32 In Randnr. 17 des Urteils Elsner-Lakeberg hingegen ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass eine Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vorliegt, wenn nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften alle Arbeitnehmer für einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus mindestens drei Unterrichtsstunden pro Monat leisten müssen.
[34] 33 In dieser Rechtssache hatte Frau Elsner-Lakeberg, eine Lehrerin, 15 Unterrichtsstunden pro Woche geleistet, während vollzeitbeschäftigte Lehrer 24, 5 Stunden wöchentlich unterrichteten. Frau Elsner-Lakeberg hatte in einem Monat 2, 5 Unterrichtsstunden Mehrarbeit geleistet. Für diese Mehrarbeit konnte sie keine Vergütung beanspruchen. Sie wurde daher nur für 15 Unterrichtsstunden vergütet, obwohl sie 17, 5 Stunden geleistet hatte. Ein vollzeitbeschäftigter Lehrer hingegen, der 17, 5 Unterrichtsstunden geleistet hätte, wäre für 17, 5 Unterrichtsstunden vergütet worden, da er seine individuelle Wochenarbeitszeit nicht überschritten hätte. Der Gerichtshof hat entschieden, dass sich daraus eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Vergütung ergebe, da Teilzeitbeschäftigte für die gleiche Zahl geleisteter Unterrichtsstunden schlechter vergütet würden als Vollzeitbeschäftigte.
[35] 34 Im Ausgangsverfahren geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass Frau Voß, die in Teilzeitbeschäftigung tätig ist, für die Stunden, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zur Regelarbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung erbracht hat, eine Vergütung erhält, die bei gleicher Anzahl geleisteter Stunden niedriger ist als die eines vollzeitbeschäftigten Lehrers.
[36] 35 Ein teilzeitbeschäftigter Lehrer, dessen individuelle Arbeitszeit 23 Unterrichtsstunden pro Woche beträgt, erhält, wenn er 3, 5 Unterrichtsstunden über seine individuelle Arbeitszeit hinaus leistet, eine geringere Vergütung als ein vollzeitbeschäftigter Lehrer für 26, 5 erteilte Unterrichtsstunden.
[37] 36 Eine Untersuchung der Vergütungsbestandteile zeigt, dass sich diese Situation daraus ergibt, dass die Mehrarbeitsstunden, die schlechter vergütet werden als die sogenannten "regulären" Arbeitsstunden, als die Stunden definiert sind, die über die Regelarbeitszeit, wie sie durch die individuelle Arbeitszeit des Lehrers festgelegt ist, hinaus geleistet werden; diese individuelle Arbeitszeit ist natürlich je nachdem, ob der Arbeitnehmer in Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung arbeitet, unterschiedlich. Demzufolge findet der niedrigere Vergütungssatz für Mehrarbeit bei vollzeitbeschäftigten Lehrern erst bei mehr als 26, 5 Unterrichtsstunden pro Woche Anwendung, während er bei Teilzeitbeschäftigten Anwendung findet, sobald diese ihre individuelle Arbeitszeit, die definitionsgemäß weniger als 26, 5 Stunden beträgt, überschreiten. Im Fall von Frau Voß findet der niedrigere Vergütungssatz für die Stunden Anwendung, die über 23 Unterrichtsstunden pro Woche hinaus geleistet werden.
[38] 37 Es ergibt sich somit, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, wonach die Mehrarbeit, die teilzeitbeschäftigte Beamte über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der für Vollzeitbeschäftigung geltenden Regelarbeitszeit leisten, niedriger vergütet wird als die Arbeit von vollzeitbeschäftigten Beamten, eine Ungleichbehandlung dieser beiden Beamtengruppen zum Nachteil derjenigen Beamten zur Folge hat, die in Teilzeitbeschäftigung tätig sind.
[39] 38 Falls diese Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betreffen und es keine Faktoren geben sollte, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und eine solche Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen können, stünde Art. 141 EG der betreffenden nationalen Regelung entgegen.
[40] 39 Nach Angaben des vorlegenden Gerichts waren im Frühjahr 2000 etwa 88 % der teilzeitbeschäftigten Lehrer im Dienst des Landes Berlin Frauen.
[41] 40 Bei der Prüfung, ob die festgestellte Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer betrifft, hat das vorlegende Gericht jedoch die Gesamtheit der Beschäftigten zu berücksichtigen, für die die nationale Regelung gilt, auf der die in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils festgestellte Ungleichbehandlung beruht. Zu diesem Zweck hat das Gericht festzustellen, ob die Ungleichbehandlung auf das BBesG und/oder auf die MVergV zurückgeht, da der Kreis der Personen, die in den Vergleich einbezogen werden können, durch den Anwendungsbereich der betreffenden Regelung bestimmt wird (Urteil vom 13. Januar 2004, Allonby, C-256/01, Slg. 2004, I-873, Randnr. 73).
[42] 41 Wie der Gerichtshof in Randnr. 59 des Urteils vom 9. Februar 1999, Seymour-Smith und Perez (C-167/97, Slg. 1999, I-623), entschieden hat, besteht die beste Methode zum Vergleich der Statistiken darin, die Gruppe der männlichen mit der der weiblichen Arbeitskräfte daraufhin zu vergleichen, wie hoch in jeder Gruppe der Anteil der von der Ungleichbehandlung Betroffenen ist.
[43] 42 Ergibt sich aus den verfügbaren statistischen Daten, dass der Prozentsatz der Teilzeitbeschäftigten in der Gruppe der weiblichen Beschäftigten erheblich höher ist als in der Gruppe der männlichen Beschäftigten, ist davon auszugehen, dass dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt, es sei denn, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung ist durch Faktoren sachlich gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. in diesem Sinne Urteil Seymour-Smith und Perez, Randnrn. 60 bis 63).
[44] 43 Im Ausgangsverfahren ist dem Vorlagebeschluss nicht zu entnehmen, dass die niedrigere Vergütung für von Teilzeitbeschäftigten geleistete Mehrarbeit auf Faktoren beruhte, die durch Gründe, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, sachlich gerechtfertigt wäre. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, diesen Punkt zu prüfen.
[45] 44 Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art. 141 EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung der Beamtenbesoldung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der zum einen sowohl die von vollzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als auch die von teilzeitbeschäftigten Beamten geleistete Mehrarbeit als Arbeit definiert wird, die von den Beamten über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus geleistet wird, und zum anderen diese Mehrarbeit zu einem geringeren Satz vergütet wird als dem Stundensatz, der auf die innerhalb der individuellen Arbeitszeit geleistete Arbeit entfällt, so dass teilzeitbeschäftigte Beamte für die Arbeit, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der Stundenzahl leisten, die ein vollzeitbeschäftigter Beamter im Rahmen seiner Arbeitszeit erbringen muss, schlechter vergütet werden als vollzeitbeschäftigte Beamte, dann entgegensteht, wenn
- von allen Beschäftigten, für die diese Regelung gilt, ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Beschäftigter betroffen ist und
- die Ungleichbehandlung nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Kosten
[46] 45 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
* Verfahrenssprache: Deutsch.