Bundesfinanzhof
Wird die Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen widerrufen und die Sondervorauszahlung auf die Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum, für den die Fristverlängerung gilt, angerechnet, ist der insoweit nicht verbrauchte Betrag der Sondervorauszahlung nicht zu erstatten, sondern mit der Jahressteuer zu verrechnen. Nur soweit die Sondervorauszahlung auch durch diese Verrechnung nicht verbraucht ist, entsteht ein Erstattungsanspruch.
BFH, Urteil vom 16. 12. 2008 – VII R 17/08; FG Berlin-Brandenburg (lexetius.com/2008,4253)
[1] Gründe: I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem am 20. April 2004 über das Vermögen einer GmbH (Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren.
[2] Im Februar 2004 beantragte die Schuldnerin eine Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen und meldete deshalb die hierfür gemäß § 47 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) erforderliche Sondervorauszahlung in Höhe von 3 530 € an, die in der Folgezeit in Teilbeträgen beglichen wurde. Am 24. Februar 2004 beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Unter dem 25. März 2004 widerrief der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) die gewährte Dauerfristverlängerung.
[3] Mit einer "Steuerberechnung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat März 2004" vom 15. Juni 2004 errechnete das FA einen Umsatzsteuer-Überschuss in Höhe von 3 530 €, welchen es mit Umbuchungsmitteilung vom 25. Juni 2004 mit der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsschuld der Schuldnerin für Januar 2004 verrechnete. Nachdem sich der Kläger gegen die Umbuchung gewandt hatte, erließ das FA einen entsprechenden Abrechnungsbescheid; der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
[4] Auf die hiergegen erhobene Klage änderte das Finanzgericht (FG) den Abrechnungsbescheid dahin, dass er ein Guthaben der Schuldnerin in Höhe von 3 530 € ausweist. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1003 veröffentlicht.
[5] Mit seiner Revision macht das FA geltend, dass sich die Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch eine insolvenzrechtliche anfechtbare Rechtshandlung ergeben habe, sondern dass der zur Aufrechnungsmöglichkeit führende Erstattungsanspruch die Folge der Anrechnung der Sondervorauszahlung gemäß § 48 Abs. 4 UStDV gewesen sei.
[6] Der Kläger meint, dass die Herstellung der Aufrechnungslage auf mehreren Rechtshandlungen beruhe, nämlich auf der Anmeldung, der Tilgung der Sondervorauszahlung sowie dem Widerruf der Dauerfristverlängerung, die alle insolvenzrechtlich anfechtbar seien.
[7] II. Die Revision des FA hat nur zum Teil Erfolg, weil die gegen den Abrechnungsbescheid gerichtete Klage teilweise begründet ist. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -) und die Revision des FA ist somit unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO), soweit der Bescheid den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsanspruch des FA für Januar 2004 als durch Aufrechnung mit einem Guthaben aus dem Voranmeldungszeitraum März 2004 in Höhe von 3 530 € erloschen ausweist. Das FG hat den Abrechnungsbescheid allerdings zu Unrecht dahin geändert, dass ein Guthaben der Schuldnerin in Höhe von 3 530 € besteht; insoweit führt die Revision zur Änderung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
[8] 1. Nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) entscheidet die Finanzbehörde mit einem Abrechnungsbescheid über Streitigkeiten, welche die Verwirklichung der Ansprüche i. S. des § 218 Abs. 1 AO betreffen. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide, Steuervergütungsbescheide, Haftungsbescheide und Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden, die Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis. Der Abrechnungsbescheid entscheidet also nur, inwieweit die mit vorgenannten Bescheiden festgestellten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis noch bestehen oder inzwischen ganz oder teilweise erloschen sind (Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 218 Rz 13).
[9] Im Streitfall existiert indes kein Bescheid, der einen Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2004 begründet. Der Betrag von 3 530 € ist lediglich das Ergebnis einer "Steuerberechnung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat März 2004" vom 15. Juni 2004, die an ihrem Ende ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich hierbei nicht um eine Steuerfestsetzung handelt. Es gibt auch keinen Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung der Sondervorauszahlung, der jedenfalls – wenn auch noch nicht durch Bescheid festgesetzt – im Zeitpunkt der Aufrechnung tatsächlich bestand und erfüllbar war.
[10] 2. Die Ansicht des FG und des Klägers, dass durch den Widerruf der Dauerfristverlängerung ein Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung der Sondervorauszahlung und damit die Aufrechnungsmöglichkeit für das FA entstanden sei, ist unzutreffend.
[11] Der Widerruf der Dauerfristverlängerung hatte lediglich zur Folge, dass die Schuldnerin – bzw. mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Kläger – die gemäß § 46 UStDV eingeräumte einmonatige Fristverlängerung für die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen nicht mehr in Anspruch nehmen konnte. Ein Anspruch auf Erstattung der Sondervorauszahlung ergab sich daraus jedoch nicht. Die Sondervorauszahlung 2004 war von der Schuldnerin gemäß § 48 Abs. 1 Satz 3 UStDV angemeldet und damit wirksam festgesetzt worden (§ 168 Satz 1 AO). Ein im März 2004 bestehender Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung der – nach den Feststellungen des FG auch entrichteten – Sondervorauszahlung hätte daher die Aufhebung der vorangegangenen Festsetzung vorausgesetzt; jedoch ist die Festsetzung der Sondervorauszahlung zu keinem Zeitpunkt aufgehoben worden.
[12] Auch wenn eine gewährte Dauerfristverlängerung während des Besteuerungszeitraums endet, ist die geleistete Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung nicht zu erstatten, sondern sie ist auch in diesem Fall – wie es § 48 Abs. 4 UStDV in der im Streitjahr 2004 geltenden Fassung vorschreibt – bei der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Besteuerungszeitraums anzurechnen. Der Besteuerungszeitraum ist nach § 16 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) das Kalenderjahr. Auch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers wird der Besteuerungszeitraum nicht unterbrochen (Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 18. Juli 2002 V R 56/01, BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705; vom 6. November 2002 V R 21/02, BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39). Daher ist auch im Streitfall die von der Schuldnerin geleistete Sondervorauszahlung auf die festgesetzte (oder ggf. wegen der Insolvenz lediglich berechnete) Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Jahres 2004 anzurechnen. Soweit sie durch diese Anrechnung nicht verbraucht ist, ist sie – weil sie eine Vorauszahlung auf die Jahressteuer ist (§ 47 Abs. 1 Satz 1 UStDV) – auf die restliche ggf. noch offene Jahressteuer anzurechnen. Nur soweit die Sondervorauszahlung auch durch diese Anrechnung noch nicht verbraucht ist, hat die Schuldnerin einen Erstattungsanspruch, der in die Insolvenzmasse fällt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705, und in BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39).
[13] Aus den seinerzeit geltenden Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 (UStR 2000) folgt – abgesehen davon, dass es sich hierbei ohnehin nicht um das Gericht bindende Rechtsnormen handelt – nichts anderes. Aus den Feststellungen des FG ergibt sich nicht, dass die Schuldnerin ihre gewerbliche Tätigkeit im Laufe des Jahres 2004 eingestellt (Abschn. 228 Abs. 6 Satz 4 UStR 2000) oder auf die gewährte Dauerfristverlängerung verzichtet hat (Abschn. 228 Abs. 7 Satz 1 UStR 2000).
[14] 3. § 48 Abs. 4 UStDV ist erst durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) dahin geändert worden, dass die festgesetzte Sondervorauszahlung bei der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Besteuerungszeitraums anzurechnen ist, "für den die Fristverlängerung gilt". Ob es sich hierbei lediglich um eine Klarstellung handelt (Bülow in Vogel/Schwarz, UStG, § 18 Rz 85), also auch schon im Streitjahr 2004 die Sondervorauszahlung in jedem Fall der vorzeitigen Beendigung der Dauerfristverlängerung, somit auch im Fall ihres Widerrufs, auf die berechnete Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum, für den die Dauerfristverlängerung noch in Anspruch genommen werden konnte, anzurechnen war (vgl. nunmehr Abschn. 228 Abs. 5 Satz 4 UStR 2008), kann offenbleiben. Auch in diesem Fall ergäbe sich für den Voranmeldungszeitraum März 2004 kein Erstattungsanspruch der Schuldnerin, denn die "Anrechnung" der Sondervorauszahlung auf die Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum bedeutet, dass die errechnete Vorauszahlung für diesen Zeitraum um die Sondervorauszahlung zu kürzen ist (Bülow in Vogel/Schwarz, a. a. O., § 18 Rz 85). Nach der Steuerberechnung des FA gab es aber im Voranmeldungszeitraum März 2004 keine zu kürzende Vorauszahlung, weil sich die errechnete Vorauszahlung mangels steuerpflichtiger Umsätze der Schuldnerin auf 0 € belief. Wegen der deshalb nicht möglichen Anrechnung der Sondervorauszahlung auf die für März 2004 errechnete Vorauszahlung musste sie daher – wie der BFH mit Urteilen in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705 und in BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39 ausgeführt hat – in voller Höhe für die Jahresabrechnung 2004 verbleiben und konnte nicht für März 2004 erstattet werden, denn der Rechtsgrund für die Sondervorauszahlung, die eine Vorauszahlung auf die Jahressteuer ist, fällt nicht bereits mit der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum weg, sondern erst, wenn und soweit die Sondervorauszahlung zur Tilgung der Jahressteuer nicht benötigt wird (BFH-Urteil in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705).
[15] 4. Die Frage, ob sich danach ein Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung der Sondervorauszahlung im Rahmen der Jahresabrechnung 2004 ergibt, kann der Senat nicht beantworten, da das FG die insoweit erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Es ist nicht bekannt, ob und in welcher Höhe eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Jahres zu berechnen und in welcher Höhe die berechnete Jahressteuer nach Anrechnung der Summe der Vorauszahlungen (§ 18 Abs. 4 UStG) ggf. noch offen ist. Gleichwohl muss die Sache nicht an das FG zurückverwiesen werden, weil die Umsatzsteuer-Jahresabrechnung 2004 nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Streitig ist allein, ob sich für den Voranmeldungszeitraum März 2004 ein Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung der geleisteten Sondervorauszahlung ergibt, der mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen des FA verrechnet werden kann. Diese Frage ist jedoch – wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt – zu verneinen. Die durch die Umbuchungsmitteilung des FA vom 25. Juni 2004 erklärte und durch den Abrechnungsbescheid bestätigte Aufrechnung mit dem Anspruch auf Umsatzsteuer-Vorauszahlung Januar 2004 ging daher ins Leere.
[16] Der Kläger kann nach alledem zwar beanspruchen, dass das FA die Sondervorauszahlung nicht mit Steuerschulden der Schuldnerin für Januar 2004 verrechnet; er hat jedoch keinen Anspruch auf einen Abrechnungsbescheid, welcher für den Voranmeldungszeitraum März 2004 ein Guthaben in Höhe von 3 530 € ausweist.