Europäischer Gerichtshof
"Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 4 Abs. 5 und Art. 12 Abs. 3 Buchst. a – Anhänge D und H – Begriff 'Lieferungen von Wasser' – Ermäßigter Mehrwertsteuersatz"
1. Art. 4 Abs. 5 und Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" im Sinne dieses Anhangs das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht, so dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig wird, für diese Leistung als Steuerpflichtiger gilt.
2. Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 sind dahin auszulegen, dass unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht. Zudem können die Mitgliedstaaten konkrete und spezifische Aspekte der "Lieferungen von Wasser" – wie das im Ausgangsverfahren fragliche Legen eines Hausanschlusses – mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen, vorausgesetzt, sie beachten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt.

EuGH, Urteil vom 3. 4. 2008 – C-442/05 (lexetius.com/2008,520)

[1] In der Rechtssache C-442/05 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. November 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2005, in dem Verfahren Finanzamt Oschatz gegen Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien, Beteiligter: Bundesministerium der Finanzen, erlässt DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter L. Bay Larsen, J. Makarczyk (Berichterstatter), P. Kris und J.-C. Bonichot, Generalanwalt: J. Mazák, Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2007, unter Berücksichtigung der Erklärungen – des Finanzamts Oschatz, vertreten durch T. Martin als Bevollmächtigten, – des Zweckverbands zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien, vertreten durch Steuerberater F. Schmidt, – der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und U. Forsthoff als Bevollmächtigte, – der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Fiengo, avvocato dello Stato, – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juli 2007 folgendes Urteil (*):
[2] 1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung des Begriffs "Lieferungen von Wasser" in Anhang D Nr. 2 und Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2001/4/EG des Rates vom 19. Januar 2001 (ABl. L 22, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
[3] 2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Oschatz (im Folgenden: Finanzamt) und dem Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (im Folgenden: Zweckverband) wegen der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks (im Folgenden: Hausanschluss).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
[4] 3 Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
"Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in Bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist. …"
[5] 4 In Anhang D Nr. 2 dieser Richtlinie werden u. a. die "Lieferungen von Wasser" erwähnt.
[6] 5 Art. 12 Abs. 3 Buchst. a dieser Richtlinie sieht vor:
"Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. …
Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar. …"
[7] 6 Anhang H ("Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MWSt.-Sätze angewendet werden können") der Sechsten Richtlinie nennt als Kategorie 2 "Lieferungen von Wasser".
Nationales Recht
[8] 7 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes von 1999 (im Folgenden: UStG) in der auf den Ausgangssachverhalt anwendbaren Fassung unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
[9] 8 Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art gewerblich oder beruflich tätig. Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nach § 4 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes u. a. Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser dienen.
[10] 9 Nach § 12 Abs. 1 UStG beträgt die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 % der Bemessungsgrundlage.
[11] 10 § 12 Abs. 2 UStG sieht jedoch vor, dass sich die Steuer für die Umsätze aus den Lieferungen, der Einfuhr und dem innergemeinschaftlichen Erwerb der in Anlage 2 des Gesetzes bezeichneten Gegenstände, darunter nach Anlage 2 Nr. 34 Wasser, auf 7 % ermäßigt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
[12] 11 Der Zweckverband stellt die Trinkwasserversorgung und die Abwasserbeseitigung im Auftrag mehrerer Städte und Gemeinden im Gebiet Torgau-Westelbien sicher. Dafür umfassen seine Tätigkeiten u. a. das Auffangen, die Fortleitung, die Aufbereitung und die Lieferung von Trinkwasser an seine Kunden, die Eigentümer der an das Wasserverteilungsnetz angeschlossenen Grundstücke. In diesem Rahmen legt der Zweckverband auf Verlangen seiner Kunden Hausanschlüsse, wofür er ein kostendeckendes Einmalentgelt erhält. Die Hausanschlussleitungen bleiben im Eigentum des Zweckverbands.
[13] 12 Das Finanzamt war der Auffassung, dass sich das Legen eines Hausanschlusses von der Lieferung von Wasser unterscheide, so dass es hierauf den in der nationalen Regelung vorgesehenen Regelmehrwertsteuersatz anwandte.
[14] 13 Nach erfolglosem Einspruchsverfahren beim Finanzamt erhob der Zweckverband Klage beim Finanzgericht Sachsen und trug vor, dass für das Legen des Hausanschlusses derselbe ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten müsse wie für die Lieferung von Wasser.
[15] 14 Das Finanzgericht Sachsen gab der Klage des Zweckverbands mit der Begründung statt, dass die Lieferung von Wasser und das Legen des Hausanschlusses die einheitliche Leistung "Lieferung von Wasser" im Sinne der nationalen Regelung zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie darstellten.
[16] 15 Das Finanzamt legte daraufhin gegen diese Entscheidung Revision an den Bundesfinanzhof ein.
[17] 16 Mit den Beteiligten des Ausgangsverfahrens geht das vorlegende Gericht davon aus, dass der Zweckverband beim Legen des Hausanschlusses nach der nationalen Regelung als Unternehmer tätig werde. Aus dem Vortrag der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung des Ausgangsverfahrens ergebe sich allerdings, dass der Zweckverband aufgrund einer Satzung und in den Formen des öffentlichen Rechts tätig sei, was mit Blick auf Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie gegen seine Mehrwertsteuerpflicht spräche.
[18] 17 Hinsichtlich des anwendbaren Mehrwertsteuersatzes weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass bis zum Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 4. Juli 2000 das Legen von Hausanschlüssen als eine Nebenleistung zur Lieferung von Wasser angesehen worden sei.
[19] 18 Das vorlegende Gericht neigt ebenfalls dazu, das Legen von Hausanschlüssen als Lieferung von Wasser anzusehen, ist aber der Auffassung, dass diese Frage von der Auslegung des Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und des Anhangs H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie abhängt.
[20] 19 Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Fällt die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Anlage des Grundstückseigentümers (sogenannter Hausanschluss) durch ein Wasserversorgungsunternehmen gegen gesondert berechnetes Entgelt unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" im Sinne der Sechsten Richtlinie (Anhang D Nr. 2 und Anhang H Kategorie 2)?
Zur Vorlagefrage
Zur Zulässigkeit
[21] 20 Das Finanzamt und die deutsche Regierung haben in ihren Erklärungen Zweifel an der Erheblichkeit der Vorlagefrage geäußert, soweit sie Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie betreffe, weil im Ausgangsverfahren die Mehrwertsteuerpflicht des Zweckverbands nicht in Frage stehe.
[22] 21 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 19. Februar 2002, Arduino, C-35/99, Slg. 2002, I-1529, Randnr. 25, und vom 11. Juli 2006, Chacón Navas, C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Randnr. 33).
[23] 22 In der vorliegenden Rechtssache ist jedoch keine dieser Voraussetzungen erfüllt.
[24] 23 In seiner Vorlageentscheidung beschreibt nämlich das nationale Gericht, das mit einem das Mehrwertsteuerrecht betreffenden Rechtsstreit befasst ist, ausführlich den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits.
[25] 24 Weiter befragt es den Gerichtshof zum Mehrwertsteuerrecht der Gemeinschaft, insbesondere zum Begriff "Lieferungen von Wasser", der sowohl in Anhang D als auch in Anhang H der Sechsten Richtlinie vorkommt, um beurteilen zu können, ob das Legen eines Hausanschlusses unter diesen Begriff zu subsumieren ist.
[26] 25 Zwar geht es im Ausgangsverfahren in erster Linie um die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf das Legen eines Hausanschlusses als Ausnahme zur Anwendung des Regelmehrwertsteuersatzes, doch lässt sich dem Vorabentscheidungsersuchen entnehmen, dass das vorlegende Gericht auch die Frage beantwortet wissen möchte, ob der Zweckverband Steuerpflichtiger im Hinblick auf die Mehrwertsteuer ist, was eine Vorbedingung für die Anwendung eines Mehrwertsteuersatzes auf diese Leistung ist.
[27] 26 Die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist damit nicht hypothetischer Natur, sondern weist einen Zusammenhang mit der Realität und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits auf.
[28] 27 Die Vorlagefrage ist daher zulässig.
Zur Beantwortung der Vorlagefrage
[29] 28 Zunächst ist der Teil der Vorlagefrage zu beantworten, der sich auf Art. 4 Abs. 5 und Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie bezieht, und sodann der Teil, der die Anwendung eines der in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a in Verbindung mit Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen ermäßigten Mehrwertsteuersätze betrifft.
Zu Art. 4 Abs. 5 und Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie
[30] 29 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht zunächst wissen, ob das Legen eines Hausanschlusses unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" im Sinne des Anhangs D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie fällt.
[31] 30 Da es in der Sechsten Richtlinie an einer Definition fehlt, ist daran zu erinnern, dass bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift wie Anhang D Nr. 2 dieser Richtlinie nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C-156/98, Slg. 2000, I-6857, Randnr. 50, und vom 6. Juli 2006, Kommission/Portugal, C-53/05, Slg. 2006, I-6215, Randnr. 20).
[32] 31 Indem Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie vorsieht, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten in jedem Fall als Steuerpflichtige gelten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist, versieht er die Regel der Behandlung dieser Einrichtungen als Nichtsteuerpflichtige mit einer Einschränkung, die zu den Einschränkungen hinzukommt, die sich daraus ergeben, dass es sich nach Unterabs. 1 dieser Bestimmung um im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübte Tätigkeiten handeln muss und dass Unterabs. 2 eine Ausnahme für den Fall vorsieht, dass die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 soll damit sicherstellen, dass bestimmte Arten von wirtschaftlichen Tätigkeiten, deren Bedeutung sich aus ihrem Gegenstand ergibt, nicht deshalb von der Mehrwertsteuer befreit werden, weil sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1989, Comune di Carpaneto Piacentino u. a., 231/87 und 129/88, Slg. 1989, 3233, Randnr. 26).
[33] 32 Im vorliegenden Fall ist die Wasserlieferung durch die Bereitstellung von Wasser für die Allgemeinheit gekennzeichnet und erfolgt, wie der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge feststellt, über feste Netze zur Versorgung der Allgemeinheit.
[34] 33 Aus der Vorlageentscheidung und den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ergibt sich, dass der Hausanschluss in der Verlegung einer Leitung durch den Zweckverband besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht.
[35] 34 Es steht fest, dass ohne den Hausanschluss dem Eigentümer oder Bewohner des Grundstücks kein Wasser bereitgestellt werden könnte. Der Anschluss ist also für die Wasserbereitstellung unentbehrlich.
[36] 35 Da der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Zweck von Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie darin besteht, sicherzustellen, dass die in Anhang D aufgeführten Arten wirtschaftlicher Tätigkeiten von größerer Bedeutung, darunter "Lieferungen von Wasser", nicht deshalb von der Mehrwertsteuer befreit werden, weil der Erbringer der Dienstleistung eine Person des öffentlichen Rechts ist, da zudem die Lieferung von Wasser durch die Bereitstellung von Wasser für die Allgemeinheit gekennzeichnet ist und da schließlich der Hausanschluss für die Wasserbereitstellung unentbehrlich ist, fällt der Hausanschluss unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" im Sinne des Anhangs D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie.
[37] 36 Daraus folgt, dass der Zweckverband, selbst wenn er den Hausanschluss im Rahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie legen würde, nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie für diese Leistung als Steuerpflichtiger gälte.
[38] 37 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 5 und Anhang D Nr. 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" im Sinne dieses Anhangs das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht, so dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig wird, für diese Leistung als Steuerpflichtiger gilt.
Zu Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie
[39] 38 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht ferner wissen, ob der Hausanschluss unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" im Sinne des Anhangs H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie fällt.
[40] 39 Aus Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ergibt sich, dass die Anwendung eines oder zweier ermäßigter Mehrwertsteuersätze eine Möglichkeit ist, die den Mitgliedstaaten abweichend von der grundsätzlichen Geltung des Regelsteuersatzes eingeräumt wird. Zudem dürfen nach dieser Bestimmung nur die in Anhang H aufgeführten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen mit den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen belegt werden.
[41] 40 Zwar sind die "Lieferungen von Wasser" in der Sechsten Richtlinie nicht definiert, doch ist den Richtlinienbestimmungen auch nicht zu entnehmen, dass dieser Begriff für jeden Anhang, in dem er erwähnt ist, unterschiedlich auszulegen wäre. Da der Hausanschluss, wie sich aus Randnr. 34 des vorliegenden Urteils ergibt, für die Wasserversorgung der Allgemeinheit unentbehrlich ist, fällt er daher auch unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" in Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie.
[42] 41 Der Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie zwingt allerdings auch nicht zu der Auslegung, dass der ermäßigte Satz nur dann angewandt werden kann, wenn er sich auf alle Aspekte der "Lieferungen von Wasser" im Sinne des Anhangs H der Richtlinie bezieht, so dass eine selektive Anwendung des ermäßigten Satzes nicht ausgeschlossen ist, sofern sie keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nach sich zieht (vgl. entsprechend Urteil vom 8. Mai 2003, Kommission/Frankreich, C-384/01, Slg. 2003, I-4395, Randnr. 27).
[43] 42 Die Einführung und Beibehaltung ermäßigter Mehrwertsteuersätze, die niedriger sind als der in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie festgesetzte Regelsteuersatz, sind nämlich nur zulässig, wenn sie den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht missachten, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt und es verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. u. a. Urteile vom 3. Mai 2001, Kommission/Frankreich, C-481/98, Slg. 2001, I-3369, Randnrn. 21 und 22, sowie vom 23. Oktober 2003, Kommission/Deutschland, C-109/02, Slg. 2003, I-12691, Randnr. 20).
[44] 43 Unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt, haben die Mitgliedstaaten daher die Möglichkeit, konkrete und spezifische Aspekte der "Lieferungen von Wasser" im Sinne des Anhangs H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie wie den Hausanschluss mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen.
[45] 44 Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage des Weiteren zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Ausgangsverfahren in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht. Zudem können die Mitgliedstaaten konkrete und spezifische Aspekte der "Lieferungen von Wasser" – wie das im Ausgangsverfahren fragliche Legen eines Hausanschlusses – mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen, vorausgesetzt, sie beachten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt.
Kosten
[46] 45 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
* Verfahrenssprache: Deutsch.