Bundesverwaltungsgericht
Beschwerdefrist; Weiterleitungspflicht der unzuständigen Behörde; Benachteiligung wegen einer Behinderung.
WBO § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und 2, § 23 Abs. 2 Satz 1; AGG §§ 1, 24; SoldGG §§ 1, 18
1. Zum Umfang der Pflicht einer für die Beschwerdeeinlegung unzuständigen Stelle, eine bei ihr eingegangene Wehrbeschwerde fristwahrend an die zuständige Stelle weiterzuleiten.
2. Zum Schutz von Soldaten vor Benachteiligungen wegen einer Behinderung.

BVerwG, Beschluss vom 11. 3. 2008 – 1 WB 8.08 (lexetius.com/2008,939)

[1] Der Antragsteller begehrt die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes.
[2] Auf seine Bewerbung hin teilte ihm das Personalamt der Bundeswehr mit Bescheid vom 19. Januar 2007 mit, dass er ausgewählt worden sei und seine Zulassung zur Laufbahn zum 1. Oktober 2007 verfügt werde, sofern keine Hinderungsgründe vorlägen. Einen Hinderungsgrund könne unter anderem eine fehlende uneingeschränkte körperliche Eignung darstellen.
[3] Die Begutachtung des Antragstellers erbrachte das Ergebnis "gesundheitlich nicht geeignet"; die Erteilung einer militärärztlichen Ausnahme wurde abgelehnt. Das Personalamt der Bundeswehr hob daraufhin mit Bescheid vom 8. Mai 2007, dem Antragsteller ausgehändigt am 29. Mai 2007, seinen Bescheid vom 19. Januar 2007 auf.
[4] Hiergegen erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers mit einem an das Personalamt der Bundeswehr adressierten Schreiben vom 6. Juni 2007 Beschwerde. Das Schreiben ging per Telefax am 11. Juni 2007 gegen 11: 00 Uhr beim Personalamt ein. Dieses leitete die Beschwerde am 13. Juni 2007 auf dem Postweg an das Bundesministerium der Verteidigung weiter, wo es am 14. Juni 2007 einging.
[5] Mit Bescheid vom 8. Januar 2008 wies der Bundesminister der Verteidigung die Beschwerde als unzulässig zurück, weil sie nicht fristgerecht bei einer zuständigen Stelle eingelegt worden sei.
[6] Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung macht der Antragsteller geltend, dass das Personalamt gehalten gewesen sei, die Beschwerde unverzüglich an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Seine Nichtzulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes stelle eine Benachteiligung wegen einer Behinderung dar.
[7] Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen.
Aus den Gründen: …
[8] 18 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg. …
[9] 22 Das Personalamt der Bundeswehr hat seinen Bescheid vom 19. Januar 2007, mit dem dem Antragsteller mitgeteilt wurde, dass seine Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zum 1. Oktober 2007 verfügt werde, sofern keine Hinderungsgründe vorlägen, durch den Bescheid vom 8. Mai 2007 wirksam aufgehoben. Der Bescheid vom 8. Mai 2007 ist bestandskräftig, weil der Antragsteller gegen ihn nicht fristgerecht Beschwerde eingelegt hat.
[10] 23 Gemäß § 6 Abs. 1 WBO darf die Beschwerde frühestens nach Ablauf einer Nacht und muss binnen zwei Wochen eingelegt werden, nachdem der Beschwerdeführer von dem Beschwerdeanlass Kenntnis erhalten hat. Der Bescheid vom 8. Mai 2007 wurde dem Antragsteller am 29. Mai 2007 gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt. Die Beschwerdefrist endete daher mit Ablauf des 12. Juni 2007 (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Bis zu diesem Zeitpunkt ist eine Beschwerde des Antragstellers weder bei dessen nächstem Disziplinarvorgesetzten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WBO) noch beim Bundesministerium der Verteidigung als der für die Entscheidung über die Beschwerde zuständigen Stelle (§ 5 Abs. 1 Satz 2, § 9 Abs. 1 WBO) eingegangen. Die Vorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 1 WBO, wonach die Beschwerde auch bei der Stelle eingelegt werden kann, deren Entscheidung angefochten wird, ist nicht anwendbar, weil vorliegend für den gerichtlichen Rechtsschutz nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern – wie vom Antragsteller auch beschritten – der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten eröffnet ist (§ 23 Abs. 1 WBO i. V. m. § 82 Abs. 1 SG und § 17 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO). Die vom Antragsteller an das Personalamt der Bundeswehr gerichtete und dort am 11. Juni 2007 eingegangene Beschwerde wahrt deshalb die Frist nicht, weil sie bei einer unzuständigen Stelle eingelegt wurde; zum Bundesministerium der Verteidigung ist die dorthin weitergeleitete Beschwerde erst am 14. Juni 2007 und damit nach Fristablauf gelangt.
[11] 24 Es ist vom Antragsteller nicht geltend gemacht und auch sonst nicht ersichtlich, dass er an der Einhaltung der Frist im Sinne des § 7 Abs. 1 WBO durch militärischen Dienst, Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle gehindert war. Es liegt auch kein Fall des § 7 Abs. 2 WBO vor. Unabhängig davon, dass der Bescheid des Personalamts vom 8. Mai 2007 als truppendienstliche Erstmaßnahme keiner Rechtsbehelfsbelehrung bedurft hätte (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 25. April 1974 BVerwG 1 WB 47.73, 75. 73 – BVerwGE 46, 251 sowie zuletzt vom 25. April 2007 BVerwG 1 WB 66.06 -), ist die mit dem Bescheid tatsächlich erteilte Belehrung in jeder Hinsicht, insbesondere auch hinsichtlich der für die Einlegung der Beschwerde zuständigen Stellen, zutreffend erfolgt.
[12] 25 Ein für den Antragsteller unabwendbarer Zufall im Sinne des § 7 Abs. 1 WBO ist ferner nicht darin zu sehen, dass seine Bevollmächtigten die Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist nur an das Personalamt der Bundeswehr und damit nicht an eine zuständige Stelle adressiert und übermittelt haben. Dieser Fehler liegt im Verantwortungsbereich der Bevollmächtigten des Antragstellers, zu deren Aufgaben es gehört, einen Rechtsbehelfsschriftsatz vor der Unterzeichnung durchzulesen und darauf zu achten, ob dieser Schriftsatz an diejenige Stelle adressiert ist, bei der der Rechtsbehelf einzulegen ist. Im Wehrbeschwerdeverfahren geht ein solches von den Bevollmächtigten zu vertretendes Versäumnis zu Lasten des Antragstellers (siehe auch § 85 Abs. 2 ZPO).
[13] 26 Von dieser Verantwortungs- und Risikozuweisung wird der Antragsteller nicht dadurch entlastet, dass das (unzuständige) Personalamt die Beschwerde nicht innerhalb der Beschwerdefrist an das Bundesministerium der Verteidigung weitergeleitet hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 – 1 BvR 166/93BVerfGE 93, 99 [112 ff.]) zur Weiterleitung eines bei einem unzuständigen Gericht eingelegten Rechtsmittelschriftsatzes an das für die Einlegung zuständige Gericht (dort: bei zivilprozessualen Urteilen, für die eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorgeschrieben ist) auch für die Einlegung eines Rechtsbehelfs bei einer unzuständigen Behörde gilt. Auch in diesem Falle käme eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs. 1 WBO nur dann in Betracht, wenn der Rechtsbehelf gerade infolge eines pflichtwidrigen Verhaltens dieser Behörde erst nach Fristablauf bei der zuständigen Stelle eingegangen wäre. Eine Behörde ist allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet, jedes Schriftstück nach seinem Eingang sofort darauf zu überprüfen, ob die eigene Zuständigkeit gegeben ist oder ob das Schriftstück an eine zuständige andere Stelle weiterzuleiten ist. Sie hat den eingegangenen Vorgang vielmehr (nur) im regulären Geschäftsablauf – unter Umständen mit Hinweis auf die Eilbedürftigkeit – an die zuständige Behörde abzugeben (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 20. Juli 2004 – BVerwG 1 WDS-VR 3. 04 – Buchholz 311 § 23 WBO Nr. 1 = NZWehrr 2004, 258, vom 4. November 2004 BVerwG 1 WB 36.04 –, vom 12. Mai 2005 BVerwG 1 WB 11.05 –, vom 28. März 2006 BVerwG 1 WB 2.06 und vom 25. April 2007 a. a. O.).
[14] 27 Nach diesen Maßstäben hat das Personalamt eine Pflicht zur Weiterleitung nicht verletzt. Der Antragsteller konnte unter den gegebenen Umständen nicht berechtigtermaßen erwarten, dass seine bei der unzuständigen Stelle eingelegte Beschwerde innerhalb von eineinhalb Werktagen und damit noch fristgemäß das Bundesministerium der Verteidigung erreichte. Das Personalamt durfte davon ausgehen, dass eine von Rechtsanwälten an das Personalamt adressierte und übermittelte Beschwerde auch dort eingelegt werden sollte. Ein offenkundiges Versehen, das zu einer alsbaldigen Klärung Anlass gegeben hätte – wie etwa, dass ein an das Bundesministerium der Verteidigung adressiertes Schreiben durch eine Verwechslung der Telefax-Nummer erkennbar ungewollt beim Personalamt eingegangen wäre – lag nicht vor. Das Personalamt ist auch keine Stelle, bei der die Einlegung einer Beschwerde ein so ungewöhnlicher Vorgang ist, dass ein Zuständigkeitsmangel naheliegend erscheinen musste; allein aus der bereits genannten (vorliegend nicht anwendbaren) Vorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 1 WBO ergibt sich eine Zuständigkeit des Personalamts für die Beschwerdeeinlegung in einer Vielzahl von Fällen.
[15] 28 Entgegen der Auffassung des Antragstellers musste sich dem Personalamt auch die Eilbedürftigkeit wegen drohenden Fristablaufs nicht aufdrängen. Die Übermittlung per Telefax ist für sich genommen angesichts der Gebräuchlichkeit dieser Übermittlungsform gerade im anwaltlichen Schriftverkehr, und zwar auch bei nicht fristgebundenen oder eiligen Sachen, kein Anzeichen für besondere Eilbedürftigkeit. Die Beschwerdeschrift vom 6. Juni 2007 trägt auch keine deutlich sichtbaren Zusätze wie "Fristsache – Eilt – Sofort vorlegen" oder Ähnliches. Auch war das Fristende nicht durch einen eindeutigen Vermerk wie etwa "Frist: 12. Juni 2007" gekennzeichnet. Ob eine unzuständige Behörde ansonsten überhaupt Fristberechnungen zugunsten eines Beschwerdeführers anstellen muss, kann dahinstehen; das Personalamt war jedenfalls nicht gehalten, in solche Überlegungen auf der Grundlage einer unbestimmten Formulierung wie hier "Bescheid vom 08. 05. 2007, ausgehändigt nicht vor dem 29. 05. 2007" einzutreten. Keiner Erörterung bedarf schließlich, ob eine Weiterleitung der Beschwerde an das Bundesministerium der Verteidigung im regulären Geschäftsablauf binnen zwei – und nicht, wie geschehen, binnen drei – Werktagen möglich und angebracht gewesen wäre. Denn auch danach wäre der Eingang beim Bundesministerium verspätet und die Fristversäumung mithin nicht gerade durch das Personalamt verursacht gewesen.
[16] 29 In der Sache weist der Senat ergänzend darauf hin, dass sich der Antragsteller ohne Erfolg auf die von ihm angeführten Gleichbehandlungsvorschriften beruft, soweit er allgemein – das heißt unabhängig von dem Vorliegen einer anerkannten Schwerbehinderung – eine Benachteiligung wegen einer Behinderung geltend macht. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl I S. 1897), das sich unter anderem gegen Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung richtet (§§ 1, 7 AGG), ist auf Soldaten nicht, auch nicht entsprechend (Umkehrschluss aus § 24 AGG), anwendbar (vgl. Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, Halbbd. 2, 5. Aufl. 2007, § 24 AGG Rn. 5). Für Soldaten gilt vielmehr das Gesetz über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten (Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz – SoldGG) vom 14. August 2006 (BGBl I S. 1904). Anders als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erstreckt sich dieses Gesetz jedoch nicht allgemein auf Benachteiligungen wegen einer Behinderung (siehe § 1 Abs. 1 SoldGG), sondern enthält lediglich eine spezielle Schutzvorschrift (§ 1 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 18 SoldGG) zugunsten schwerbehinderter Soldatinnen und Soldaten (im Sinne von § 2 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001); diese Vorschrift übernimmt im Wesentlichen den Benachteiligungsschutz, der sich für Soldaten bis dahin aus § 128 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 81 Abs. 2 SGB IX (in der bis zum 17. August 2006 geltenden Fassung) ergab.
[17] 30 Die Tatsache, dass das Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz keinen allgemeinen – von dem Vorliegen einer Schwerbehinderung unabhängigen – Schutz gegen Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung gewährt, verstößt nicht gegen europäisches Recht. Gemäß Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl EG Nr. L 303 S. 16), in deren Umsetzung das Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz ergangen ist, können die Mitgliedstaaten vorsehen, "dass diese Richtlinie hinsichtlich von Diskriminierungen wegen einer Behinderung und des Alters nicht für die Streitkräfte gilt". Von dieser Möglichkeit hat der Bundesgesetzgeber bei Erlass des Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetzes – unter Hinweis auf das "überragende Erfordernis der Einsatzbereitschaft und Schlagkraft der Streitkräfte" – bewusst Gebrauch gemacht (vgl. zur Begründung im Einzelnen BTDrucks 16/1780 S. 27). …