Europäischer Gerichtshof
"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 2005/36/EG – Anerkennung von Berufsqualifikationen – Nichtumsetzung innerhalb der vorgeschriebenen Frist"
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen verstoßen, dass sie die für die Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist vollständig erlassen und der Europäischen Kommission mitgeteilt hat.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.

EuGH, Urteil vom 17. 12. 2009 – C-505/08 (lexetius.com/2009,3732)

[1] In der Rechtssache C-505/08 betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 19. November 2008, Europäische Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk und M. Adam als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Klägerin, gegen Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Beklagte, erlässt DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer) unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin P. Lindh sowie der Richter U. Lõhmus und A. Arabadjiev (Berichterstatter), Generalanwältin: V. Trstenjak, Kanzler: R. Grass, aufgrund des schriftlichen Verfahrens, aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden, folgendes Urteil (*):
[2] 1 Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22, im Folgenden: Richtlinie) verstoßen hat, dass sie die für die Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht vollständig erlassen oder der Kommission diese Vorschriften nicht vollständig mitgeteilt hat.
[3] 2 Nach Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie setzen die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um der Richtlinie bis spätestens 20. Oktober 2007 nachzukommen, und unterrichten die Kommission unverzüglich darüber.
Vorverfahren
[4] 3 Da die Kommission der Ansicht war, die Bundesrepublik Deutschland habe sie nicht über die Maßnahmen zur fristgerechten Umsetzung der Richtlinie in ihr innerstaatliches Recht unterrichtet, leitete sie ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG ein.
[5] 4 Mit Schreiben vom 26. November 2007 forderte die Kommission die Bundesrepublik Deutschland zu einer Stellungnahme auf.
[6] 5 Da die Kommission die Antwort dieses Mitgliedstaats für unzureichend hielt, forderte sie ihn mit einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 5. Juni 2008 auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den behaupteten Verstoß zu beenden.
[7] 6 Die Bundesrepublik Deutschland teilte hierauf mit Schreiben vom 1. August 2008 die Umsetzungsmaßnahmen mit, die auf Bundes- und auf Länderebene noch erfolgen sollten.
[8] 7 Da der Kommission keine Informationen vorlagen, aus denen hervorging, dass alle für die Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen tatsächlich ergriffen worden waren, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
[9] 8 Die Bundesrepublik Deutschland räumt ein, dass sie nicht sämtliche für die Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften fristgerecht habe erlassen und der Kommission habe mitteilen können. Sie gibt zu bedenken, dass die Umsetzungsverpflichtung aus der Richtlinie sehr viele Einzelabstimmungen mit betroffenen Berufsverbänden notwendig gemacht habe und dass zahlreiche Fachgesetze in den Bundesländern hätten angepasst werden müssen. Darüber hinaus beschränkt sie sich darauf, den Gerichtshof über den Stand der Arbeiten zur Umsetzung der Richtlinie zu unterrichten, und gibt an, dass die letzten Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung spätestens bis Ende 2009 erfolgt sein dürften.
[10] 9 Die Kommission nimmt den Stand der verschiedenen Gesetzgebungsverfahren, die der Umsetzung der Richtlinie dienen, zur Kenntnis, stellt jedoch fest, dass die für die Umsetzung erforderlichen Maßnahmen noch immer nicht vollständig für alle Sektoren und auf allen staatlichen Ebenen getroffen worden seien und dass sie von den deutschen Behörden jedenfalls keine Mitteilung darüber erhalten habe.
[11] 10 Der Gerichtshof hat in Bezug auf Maßnahmen, die nach Ablauf der Frist ergriffen wurden, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt war, wiederholt entschieden, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf dieser Frist befand, und dass weder später eingetretene Änderungen noch Bestimmungen, die ein Mitgliedstaat nach Klageerhebung zur Erfüllung seiner Verpflichtungen erlassen hat, vom Gerichtshof berücksichtigt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. März 2003, Kommission/Luxemburg, C-211/02, Slg. 2003, I-2429, Randnr. 6, und vom 10. März 2005, Kommission/Deutschland, C-531/03, Randnr. 22).
[12] 11 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Bundesrepublik Deutschland bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 5. Juni 2008 gesetzten Frist von zwei Monaten nicht alle für die Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen und der Kommission mitgeteilt hatte.
[13] 12 Darüber hinaus kann sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht auf Umstände seiner internen Rechtsordnung einschließlich solcher Umstände, die sich aus seinem bundesstaatlichen Aufbau ergeben, berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 6. Juli 2000, Kommission/Belgien, C-236/99, Slg. 2000, I-5657, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
[14] 13 Die Bundesrepublik Deutschland kann sich daher nicht auf diesen Umstand berufen, um ihr Versäumnis, den Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen, zu rechtfertigen.
[15] 14 Somit ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen hat, dass sie die für die Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist vollständig erlassen und der Kommission mitgeteilt hat.
Kosten
[16] 15 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, ist sie zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
* Verfahrenssprache: Deutsch.