Europäischer Gerichtshof
"Nichtigkeitsklage – Beschluss des Europäischen Parlaments vom 24. Mai 2007 zur Prüfung des Mandats von Beniamino Donnici – Abgeordneter des Europäischen Parlaments – Prüfung des Mandats eines Mitglieds des Parlaments – Benennung eines Abgeordneten wegen des Rücktritts von Kandidaten – Art. 6 und 12 des Akts von 1976"
1. Der Beschluss 2007/2121 (REG) des Europäischen Parlaments vom 24. Mai 2007 zur Prüfung des Mandats von Beniamino Donnici wird für nichtig erklärt.
2. Das Europäische Parlament trägt die Kosten von Herrn Donnici sowie die Kosten der Italienischen Republik als Klägerin.
3. Die Italienische Republik als Streithelferin, die Republik Lettland und Herr Occhetto tragen ihre eigenen Kosten.

EuGH, Urteil vom 30. 4. 2009 – C-393/07 (lexetius.com/2009,833)

[1] In den verbundenen Rechtssachen C-393/07 und C-9/08 betreffend Nichtigkeitsklagen nach Art. 230 EG, eingereicht am 1. August 2007 und 22. Juni 2007, Italienische Republik, vertreten zunächst durch I. M. Braguglia, dann durch R. Adam als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Klägerin in der Rechtssache C-393/07, unterstützt durch Republik Lettland, Streithelferin, Beniamino Donnici, wohnhaft in Castrolibero (Italien), Prozessbevollmächtigte: M. Sanino, G. M. Roberti, I. Perego und P. Salvatore, avvocati, Kläger in der Rechtssache C-9/08, unterstützt durch Italienische Republik, gegen Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück, N. Lorenz und L. Visaggio als Bevollmächtigte im Beistand von E. Cannizzaro, professore, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Beklagter, unterstützt durch Achille Occhetto, wohnhaft in Rom (Italien), Prozessbevollmächtigter: P. De Caterini und F. Paola, avvocati, Streithelfer, erlässt DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter), E. Juhász, G. Arestis und J. Malenovský, Generalanwalt: M. Poiares Maduro, Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2009, aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden, folgendes Urteil (*):
[2] 1 Mit ihren Klagen beantragen die Italienische Republik und Herr Donnici beim Gerichtshof, den Beschluss 2007/2121 (REG) des Europäischen Parlaments vom 24. Mai 2007 zur Prüfung des Mandats von Beniamino Donnici, mit dem dessen Mandat als Mitglied des Europäischen Parlaments für ungültig erklärt wird, für nichtig zu erklären (im Folgenden: angefochtener Beschluss).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Der Akt von 1976
[3] 2 Die Art. 1, 2, 6 bis 8, 12 und 13 des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 20. September 1976 im Anhang zum Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 (ABl. L 278, S. 1) in der durch den Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (ABl. L 283, S. 1) geänderten und neu nummerierten Fassung (im Folgenden: Akt von 1976) sehen vor:
"Artikel 1 …
(3) Die Wahl erfolgt allgemein, unmittelbar, frei und geheim.
Artikel 2
Entsprechend ihren nationalen Besonderheiten können die Mitgliedstaaten für die Wahl des Europäischen Parlaments Wahlkreise einrichten oder ihre Wahlgebiete auf andere Weise unterteilen, ohne das Verhältniswahlsystem insgesamt in Frage zu stellen.
Artikel 6
(1) Die Mitglieder des Europäischen Parlaments geben ihre Stimmen einzeln und persönlich ab. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden. …
Artikel 7
(1) Die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament ist unvereinbar mit der Eigenschaft als
- Mitglied der Regierung eines Mitgliedstaats,
- Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
- Richter, Generalanwalt oder Kanzler des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften oder des Gerichts erster Instanz,
- Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank,
- Mitglied des Rechnungshofs der Europäischen Gemeinschaften,
- Bürgerbeauftragter der Europäischen Gemeinschaften,
- Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft,
- Mitglied von Ausschüssen und Gremien, die auf Grund der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft Mittel der Gemeinschaften verwalten oder eine dauernde unmittelbare Verwaltungsaufgabe wahrnehmen,
- Mitglied des Verwaltungsrats oder des Direktoriums oder Bediensteter der Europäischen Investitionsbank,
- im aktiven Dienst stehender Beamter oder Bediensteter der Organe der Europäischen Gemeinschaften oder der ihnen angegliederten Einrichtungen, Ämter, Agenturen und Gremien oder der Europäischen Zentralbank.
(2) Ab der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 ist die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament unvereinbar mit der Eigenschaft als Abgeordneter eines nationalen Parlaments. …
Artikel 8
Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften.
Diese innerstaatlichen Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, dürfen das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen.
Artikel 12
Das Europäische Parlament prüft die Mandate seiner Mitglieder. Zu diesem Zweck nimmt es die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis und befindet über die Anfechtungen, die gegebenenfalls auf Grund der Vorschriften dieses Akts – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden können.
Artikel 13
(1) Ein Sitz wird frei, wenn das Mandat eines Mitglieds des Europäischen Parlaments im Falle seines Rücktritts oder seines Todes oder des Entzugs erlischt.
(2) Vorbehaltlich der sonstigen Vorschriften dieses Akts legt jeder Mitgliedstaat für den Fall des Freiwerdens eines Sitzes die geeigneten Verfahren fest, um diesen Sitz für den Rest des in Artikel 3 genannten Fünfjahreszeitraums zu besetzen.
(3) Ist in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats ausdrücklich der Entzug des Mandats eines Mitglieds des Europäischen Parlaments vorgesehen, so erlischt sein Mandat entsprechend diesen Rechtsvorschriften. Die zuständigen einzelstaatlichen Behörden setzen das Europäische Parlament davon in Kenntnis.
(4) Wird ein Sitz durch Rücktritt oder Tod frei, so setzt der Präsident des Europäischen Parlaments die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaates unverzüglich davon in Kenntnis."
[4] Die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments
[5] 3 Die Art. 3 und 4 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (im Folgenden: Geschäftsordnung) bestimmen:
"Artikel 3
Prüfung des Mandats …
3. Auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses prüft das Parlament unverzüglich die Mandate und entscheidet über die Gültigkeit der Mandate jedes seiner neu gewählten Mitglieder sowie über etwaige Anfechtungen, die aufgrund der Bestimmungen des Akts [von] 1976 geltend gemacht werden, nicht aber über diejenigen, die auf die nationalen Wahlgesetze gestützt werden.
4. Der Bericht des zuständigen Ausschusses stützt sich auf die offizielle Mitteilung sämtlicher Mitgliedstaaten über die Gesamtheit der Wahlergebnisse unter genauer Angabe der gewählten Kandidaten sowie ihrer etwaigen Stellvertreter einschließlich ihrer Rangfolge aufgrund des Wahlergebnisses.
Das Mandat eines Mitglieds kann nur für gültig erklärt werden, wenn das Mitglied die schriftlichen Erklärungen abgegeben hat, zu denen es aufgrund dieses Artikels sowie Anlage I dieser Geschäftsordnung verpflichtet ist.
Das Parlament kann sich jederzeit auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses zu etwaigen Anfechtungen der Gültigkeit des Mandats eines Mitglieds äußern.
5. Wird ein Mitglied benannt, weil Bewerber derselben Liste zurücktreten, dann vergewissert sich der für Wahlprüfung zuständige Ausschuss, dass ihr Rücktritt gemäß Geist und Buchstaben des Akts [von] 1976 sowie Artikel 4 Absatz 3 dieser Geschäftsordnung erfolgt ist. …
Artikel 4
Dauer des Mandats …
3. Jedes zurücktretende Mitglied teilt dem Präsidenten seinen Rücktritt sowie den entsprechenden Stichtag mit, der innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach der Mitteilung liegen muss. Diese Mitteilung erfolgt in Form eines Protokolls, das in Gegenwart des Generalsekretärs oder seines Vertreters aufgenommen, von diesem sowie dem betreffenden Mitglied unterzeichnet und unverzüglich dem zuständigen Ausschuss vorgelegt wird, der sie auf die Tagesordnung seiner ersten Sitzung nach Eingang dieses Dokuments setzt.
Ist der zuständige Ausschuss der Auffassung, dass der Rücktritt nicht mit dem Geist und dem Buchstaben des Akts [von] 1976 vereinbar ist, unterrichtet er hierüber das Parlament, damit dieses einen Beschluss darüber fasst, ob das Freiwerden des Sitzes festgestellt wird oder nicht.
Andernfalls wird das Freiwerden des Sitzes festgestellt, und zwar ab dem Zeitpunkt, der von dem zurücktretenden Mitglied im Rücktrittsprotokoll angegeben wird. Eine Abstimmung des Parlaments findet darüber nicht statt. …
9. Stehen der Annahme oder Beendigung des Mandats offenbar Fehlerhaftigkeit oder Willensmängel entgegen, behält sich das Parlament das Recht vor, das geprüfte Mandat für ungültig zu erklären oder sich zu weigern, das Freiwerden des Sitzes festzustellen."
Das Abgeordnetenstatut
[6] 4 Im vierten Erwägungsgrund des Beschlusses 2005/684/EG, Euratom des Europäischen Parlaments vom 28. September 2005 zur Annahme des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments (ABl. L 262, S. 1, im Folgenden: Abgeordnetenstatut) heißt es: "Die in Artikel 2 geschützte Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten ist regelungsbedürftig und in keinem Text des Primärrechts erwähnt. Erklärungen, in denen sich Abgeordnete verpflichten, das Mandat zu einem bestimmten Zeitpunkt niederzulegen, oder Blanko-Erklärungen über die Niederlegung des Mandats, deren sich eine Partei nach Belieben bedienen kann, sind mit der Freiheit und Unabhängigkeit des Abgeordneten unvereinbar und können daher rechtlich nicht verbindlich sein."
[7] 5 Ferner weist der fünfte Erwägungsgrund des Abgeordnetenstatuts darauf hin, dass Art. 3 Abs. 1 des Statuts den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 des Akts von 1976 aufgreift.
[8] 6 Schließlich bestimmen die Art. 2 und 30 des Abgeordnetenstatuts:
"Artikel 2
(1) Die Abgeordneten sind frei und unabhängig.
(2) Vereinbarungen über Niederlegung des Mandats vor Ablauf oder zum Ende einer Wahlperiode sind nichtig.
Artikel 30
Dieses Statut tritt am ersten Tag der im Jahre 2009 beginnenden Wahlperiode des Europäischen Parlaments in Kraft."
Nationales Recht
[9] 7 Das Gesetz Nr. 18 vom 24. Januar 1979 über die Wahl der italienischen Mitglieder des Europäischen Parlaments (GURI Nr. 29 vom 30. Januar 1979, S. 947, im Folgenden: Gesetz vom 24. Januar 1979) regelt die Wahl der italienischen Mitglieder des Parlaments. Es sieht vor, dass die Abgeordneten in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt werden. Die Sitze werden nach den in diesem Gesetz vorgesehenen Modalitäten proportional auf die Listen verteilt, wobei sich die Anzahl der den – insgesamt fünf – Wahlkreisen jeweils zugeteilten Sitze nach den Ergebnissen der letzten allgemeinen Volkszählung richtet.
[10] 8 Nach Art. 20 des Gesetzes vom 24. Januar 1979 obliegt es den Wahlbüros der verschiedenen Wahlkreise u. a., auf der Grundlage der Ergebnisse der einzelnen Kandidaten deren Rangfolge auf den Listen zu bestimmen. Die Ergebnisse werden dem Ufficio elettorale nazionale per il Parlamento europeo presso la Corte di cassazione (Nationales Wahlbüro für das Europäische Parlament bei der Corte di Cassazione, im Folgenden: italienisches Wahlbüro) übermittelt. Nach Art. 21 dieses Gesetzes hat das italienische Wahlbüro die von den einzelnen Listen landesweit erreichten Stimmenzahlen festzustellen, die Sitze auf der Grundlage dieser Stimmenzahlen auf die Listen und die der jeweiligen Liste zugeteilten Sitze auf die verschiedenen Wahlkreise zu verteilen. Es erstellt nach Art. 23 des Gesetzes ein Protokoll, das dem Sekretariat des Parlaments zu übermitteln ist.
[11] 9 Das Gesetz vom 24. Januar 1979 enthält darüber hinaus in Art. 41 eine eingehende Regelung über die Ersetzung, wonach ein Kandidat, der in mehreren Wahlkreisen gewählt worden ist, dem italienischen Wahlbüro gegenüber erklären muss, für welchen Wahlkreis er sich entscheidet. Für den nicht gewählten Wahlkreis erklärt dieses Wahlbüro den Kandidaten als gewählt, der dem letzten Gewählten folgt. Ein während der Dauer des Mandats freiwerdender Sitz wird vom italienischen Wahlbüro dem Kandidaten derselben Liste und desselben Wahlkreises zugesprochen, der dem letzten Gewählten folgt.
[12] 10 Nach Art. 46 dieses Gesetzes teilt das italienische Wahlbüro dem Sekretariat des Parlaments die auf der Grundlage von Urteilen, mit denen die entsprechenden Rechtsstreitigkeiten unwiderruflich entschieden wurden, erfolgten Ersetzungen mit, korrigiert gegebenenfalls das Wahlergebnis, ersetzt die zu Unrecht als gewählt Erklärten durch die insoweit Berechtigten und unterrichtet die Betroffenen und das Sekretariat des Parlaments.
Sachverhalt und angefochtene Entscheidung
[13] 11 Bei der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 12. und 13. Juni 2004 kandidierte Herr Donnici auf der gemeinsamen Liste Società Civile – Di Pietro Occhetto. Diese Liste gewann zwei Sitze, den einen im Wahlkreis Süditalien, den anderen im Wahlkreis Nordwestitalien. Herr Di Pietro, der in beiden Wahlkreisen den ersten Platz errang, entschied sich für den Wahlkreis Süditalien.
[14] 12 Herr Occhetto kam aufgrund der in den beiden Wahlkreisen erhaltenen Stimmenzahl auf Platz zwei der Wahllisten und lag deshalb im Wahlkreis Süditalien vor Herrn Donnici und im Wahlkreis Nordwestitalien vor Herrn G. Chiesa. Nachdem sich Herr Di Pietro für den Sitz des Wahlkreises Süditalien entschieden hatte, hätte Herr Occhetto als im Wahlkreis Nordwestitalien gewählt erklärt werden müssen. Herr Occhetto, der seinerzeit ein Mandat im italienischen Senat innehatte, verzichtete jedoch mit schriftlicher Erklärung vom 6. Juli 2004, die am folgenden Tag beim italienischen Wahlbüro einging, für beide Wahlkreise auf ein Parlamentsmandat.
[15] 13 Daraufhin erklärte das italienische Wahlbüro am 18. Juli 2004 Herrn Chiesa als im Wahlkreis Nordwestitalien und Herrn Di Pietro als im Wahlkreis Süditalien gewählt und teilte dem Parlament am 12. November 2004 den Namen von Herrn Donnici als auf der Liste der Nachrücker für Herrn Di Pietro Erstplazierten für den Wahlkreis Süditalien mit, während Herr Occhetto, der verzichtet hatte, auf dieser Liste nicht mehr geführt wurde.
[16] 14 Bei den Parlamentswahlen in Italien vom 9. und 10. April 2006 wurde Herr Di Pietro zum Abgeordneten des italienischen Parlaments gewählt und entschied sich – mit Wirkung vom 28. April 2006 – für sein nationales Mandat. Da diese Funktion nach Art. 7 Abs. 2 des Akts von 1976 mit der Eigenschaft als Mitglied des Parlaments unvereinbar ist, stellte dieses das Freiwerden des fraglichen Sitzes fest.
[17] 15 Mit einer an das italienische Wahlbüro gerichteten Erklärung vom 27. April 2006 widerrief Herr Occhetto, der ebenfalls bei den nationalen Wahlen kandidiert hatte, aber nicht wiedergewählt worden war, seinen Verzicht vom 6. Juli 2004 und beantragte, den nach der Entscheidung von Herrn di Pietro für das nationale Parlament freigewordenen Sitz einzunehmen.
[18] 16 Daraufhin gab das italienische Wahlbüro am 8. Mai 2006 die Wahl von Herrn Occhetto zum Mitglied des Parlaments bekannt und teilte dem Parlament am selben Tag den Namen von Herrn Occhetto als Nachrücker für Herrn Di Pietro mit.
[19] 17 Das Tribunale amministrativo regionale del Lazio wies die Klage von Herrn Donnici auf Nichtigerklärung dieser Bekanntgabe durch Urteil vom 21. Juli 2006 als unbegründet ab.
[20] 18 Herr Donnici focht außerdem die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Occhetto – anstelle von Herrn Di Pietro – zum europäischen Abgeordneten beim Parlament an. Diese Anfechtung wurde vom Rechtsausschuss des Parlaments in seiner Sitzung vom 21. Juni 2006 geprüft. Der Ausschuss stellte zunächst fest, dass die Anfechtung gemäß Art. 12 des Akts von 1976 unzulässig sei, da sie auf das italienische Wahlgesetz gestützt sei, und schlug sodann dem Parlament einstimmig vor, das Mandat von Herrn Occhetto mit Wirkung vom 8. Mai 2006 für gültig zu erklären. Das Parlament bestätigte das Mandat von Herrn Occhetto am 3. Juli 2006.
[21] 19 Mit Urteil vom 6. Dezember 2006 gab der Consiglio di Stato dem Rechtsmittel des Antragstellers gegen das Urteil des Tribunale amministrativo regionale del Lazio statt und erklärte die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Occhetto zum Parlamentsmitglied durch das italienische Wahlbüro am 8. Mai 2006 für nichtig. Der Consiglio di Stato stellte u. a. fest, dass "der Volkswille … keinen Kandidaten jemals daran gehindert hat, seine Wahl abzulehnen" und dass "die Unerlässlichkeit der Erstellung einer Rangordnung der gewählten Kandidaten es dem Verzichtenden untersagt, sich nach Belieben wieder in die Rangordnung einzugliedern".
[22] 20 Das Urteil des Consiglio di Stato wurde mit dem Urteil der Corte suprema di cassazione vom 26. März 2007 rechtskräftig, mit dem die Klage von Herrn Occhetto wegen eines Formfehlers für unzulässig erklärt wurde. Mit Klageschrift vom 19. April 2007 legte Herr Occhetto beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde ein, die nach den Angaben des Vertreters von Herrn Occhetto in der Sitzung vom 5. März 2009 noch anhängig war.
[23] 21 Am 29. März 2007 nahm das italienische Wahlbüro von dem Urteil des Consiglio di Stato Kenntnis und gab unter Widerruf des Mandats von Herrn Occhetto die Wahl von Herrn Donnici zum Mitglied des Europäischen Parlaments für den Wahlkreis Süditalien bekannt. Nach Eingang dieser Bekanntgabe beim Parlament nahm dieses im Protokoll der Plenarsitzung vom 23. April 2007 davon Kenntnis und stellte insoweit fest, dass Herr Donnici an den Sitzungen des Parlaments teilnehme, jedoch nur vorläufig und vorbehaltlich des späteren Beschlusses des Parlaments zur Prüfung seines Mandats.
[24] 22 Inzwischen hatte Herr Occhetto mit Schreiben vom 5. April 2007 eine Anfechtung vorgebracht und das Parlament ersucht, die Gültigkeit seines Mandats zu bestätigen und das Mandat von Herrn Donnici nicht für gültig zu erklären. Daraufhin legte das Parlament das Mandat von Herrn Donnici dem Rechtsausschuss zur Prüfung vor.
[25] 23 Das Parlament erließ am 24. Mai 2007 den angefochtenen Beschluss, in dem es heißt:
"Das Europäische Parlament,
- gestützt auf den [Akt von 1976],
- gestützt auf die Artikel 3, 4 und 9 sowie auf Anlage I seiner Geschäftsordnung,
- in Kenntnis der offiziellen Mitteilung der zuständigen italienischen Behörde über die Wahl von Beniamino Donnici ins Europäische Parlament,
- in Kenntnis der am 25. März 2007 eingegangenen Anfechtung der Gültigkeit der Wahl von Beniamino Donnici ins Europäische Parlament durch Achille Occhetto,
- in Kenntnis des Berichts des Rechtsausschusses (A6—0198/2007),
- …
D. in der Erwägung, dass die nationalen Vorschriften über das Verfahren für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Einklang mit den Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung und insbesondere mit dem Primärrecht der Gemeinschaften und mit Geist und Buchstabe des Akts von 1976 stehen müssen; in der Erwägung, dass die zuständigen nationalen Behörden der Legislative, Exekutive und Judikative daher bei der Anwendung und/oder Auslegung ihrer nationalen Vorschriften über das Verfahren für die Wahlen zum Europäischen Parlament den Grundsätzen des gemeinschaftlichen Wahlrechts Rechnung tragen müssen,
E. in der Erwägung, dass auf der Grundlage von Artikel 6 des Akts von 1976, der … die Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten zum echten Schlüsselprinzip erklärt, beurteilt werden muss, ob der Rücktritt von Achille Occhetto gemäß Geist und Buchstaben dieses Akts erfolgt ist,
F. in der Erwägung, dass in Artikel 2 Absatz 1 des Abgeordnetenstatuts (das 2009 in Kraft treten wird) vorgesehen ist, dass die 'Abgeordneten […] frei und unabhängig [sind]', und dass in Absatz 2, der sich eindeutig aus Absatz 1 ableitet, festgelegt ist, dass 'Vereinbarungen über die Niederlegung des Mandats vor Ablauf oder zum Ende einer Wahlperiode […] nichtig [sind]',
G. in der Erwägung, dass diese Bestimmungen des Abgeordnetenstatuts lediglich eine Verdeutlichung des Grundsatzes der Freiheit und der Unabhängigkeit darstellen, der bereits im Akt von 1976 verankert ist …, …
K. in der Erwägung, dass die rechtliche Tragweite des Anwendungsbereichs von Artikel 6 des Akts von 1976 im Interesse des Europäischen Parlaments auch die Kandidaten einschließt, die offiziell auf einer Wahlliste stehen, weil diese Abgeordneten Mitglieder des Parlaments werden könnten,
L. in der Erwägung, dass der Rücktritt von Achille Occhetto auf eine Vereinbarung … zurückgeht … und dass dieser Rücktritt daher als mit dem Buchstaben und Geist des Akts von 1976 unvereinbar und somit als nichtig zu betrachten ist,
M. in der Erwägung, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen und die Gültigkeit des Mandats von Beniamino Donnici aufgrund der Tatsache, dass der Rücktritt von Achille Occhetto nichtig ist, nicht erfüllt sind, …
O. in der Erwägung, dass der [Consiglio di Stato] die Benennung von Achille Occhetto zu einem Mitglied des Europäischen Parlaments mit rechtskräftigem Urteil für nichtig erklärt hat,
P. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament – und nur das Europäische Parlament – gemäß Artikel 12 des Akts von 1976 die Mandate seiner Mitglieder prüft, die in allgemeiner Wahl gewählt wurden; in der Erwägung, dass dieses grundlegende Vorrecht des Europäischen Parlaments nicht in Frage gestellt und erst recht nicht durch eine Maßnahme der nationalen Behörden, die in offensichtlichem Widerspruch zu den einschlägigen Vorschriften und Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts steht, für ungültig erklärt werden kann, selbst wenn dieser Maßnahme Rechtskraft durch den obersten Gerichtshof dieses Staates verliehen wurde, wie dies beim vorliegenden Urteil des [Consiglio di Stato] der Fall ist; …
Q. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament das Mandat von Beniamino Donnici rechtmäßig für ungültig erklären und dabei die Entscheidung des [Consiglio di Stato] außer Acht lassen kann, weil sie dem Buchstaben und dem Geist des Akts von 1976 widerspricht, und daher das Mandat von Achille Occhetto aufrechterhält,
1. erklärt das Mandat des Mitglieds des Europäischen Parlaments, Beniamino Donnici, dessen Wahl von der zuständigen nationalen Behörde mitgeteilt wurde, für ungültig,
2. bekräftigt die Gültigkeit des Mandats von Achille Occhetto, …"
Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten und Anträge der Verfahrensbeteiligten
[26] 24 Mit am 22. Juni 2007 bei der Kanzlei des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften eingegangener Klageschrift, die unter dem Aktenzeichen T-215/07 in das Register eingetragen wurde, hat Herr Donnici den angefochtenen Beschluss, der ihm am 29. Mai 2007 bekannt gegeben worden war, angefochten. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2007, Donnici/Parlament (T-215/07, Slg. 2007, II-5239), hat das Gericht die Rechtssache T-215/07 an den Gerichtshof abgegeben, damit dieser über die Nichtigkeitsklage entscheidet. Diese ist unter dem Aktenzeichen C-9/08 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. Februar 2008 ist Herr Occhetto als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Parlaments und die Italienische Republik als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Herrn Donnici zugelassen worden.
[27] 25 Mit besonderem Schriftsatz, der am 14. August 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat das Parlament eine Einrede nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben und beantragt, dass das Gutachten seines Juristischen Dienstes vom 2. Mai 2007, das als Anlage A. 11 zur Klageschrift von Herrn Donnici vorgelegt worden war, aus den Akten entfernt wird. Mit Beschluss vom 29. Januar 2009, Donnici/Parlament, C-9/08, hat der Gerichtshof dem Antrag des Parlaments stattgegeben und die Entscheidung über den Antrag von Herrn Donnici, als prozessleitende Maßnahme die Vorlage dieses Rechtsgutachtens anzuordnen, dem Urteil in der Hauptsache vorbehalten.
[28] 26 Mit am 1. August 2007 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangener Klageschrift, die unter dem Aktenzeichen C-393/07 in das Register eingetragen wurde, hat auch die Italienische Republik eine Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses, der ihr am 28. Mai 2007 bekannt gegeben worden war, erhoben. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Februar 2008 ist die Republik Lettland in dieser Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Italienischen Republik zugelassen worden. Die Republik Lettland hat sich weder am schriftlichen Verfahren beteiligt noch hat sie an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.
[29] 27 Mit Beschluss des Präsidenten der Vierten Kammer vom 30. Januar 2009 sind die zwei Nichtigkeitsklagen zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
[30] 28 Mit besonderem Schriftsatz, der am 22. Juni 2007 bei der Kanzlei des Gerichts einging und unter dem Aktenzeichen T-215/07 R in das Register eingetragen wurde, hat Herr Donnici beantragt, den Vollzug des angefochtenen Beschlusses auszusetzen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter hat in Vertretung des Präsidenten des Gerichts diesem Antrag stattgegeben und mit Beschluss vom 15. November 2007, Donnici/Parlament (T-215/07 R, Slg. 2007, II-4673), den Vollzug des angefochtenen Beschlusses ausgesetzt.
[31] 29 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. Januar 2009, Occhetto und Parlament/Donnici und Italien (C-512/07 P [R] und C-15/08 P [R], Slg. 2009, I-0000), wurden die von Herrn Occhetto und vom Parlament gegen den Aussetzungsbeschluss eingelegten Rechtsmittel zurückgewiesen.
[32] 30 Mit ihren Klagen beantragen die Italienische Republik und Herr Donnici, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und dem Parlament die Kosten aufzuerlegen. Herr Donnici beantragt inzident nach Art. 241 EG, Art. 3 Abs. 5 der Geschäftsordnung für rechtswidrig zu erklären, und hilfsweise, anzuordnen, das Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Parlaments vom 2. Mai 2007 zu den Akten des vorliegenden Verfahrens zu nehmen. Das Parlament beantragt, die Klagen abzuweisen und der Italienischen Republik und Herrn Donnici die Kosten aufzuerlegen.
Zu den Klagen
[33] 31 In der Rechtssache C-393/07 macht die Italienische Republik fünf Klagegründe geltend, mit denen sie jeweils rügt, dass der angefochtene Beschluss gegen die Art. 6, 8, 12 und 13 des Akts von 1976 und 6 EU, gegen Art. 2 des Abgeordnetenstatuts, gegen die Art. 199 EG sowie 3 und 4 der Geschäftsordnung bzw. gegen die Art. 6 EU sowie 10 EG und 230 EG verstoße sowie dass er einen Begründungsmangel aufweise.
[34] 32 In der Rechtssache C-9/08 macht Herr Donnici zwei Klagegründe geltend, mit denen er erstens eine Verletzung von Art. 12 des Akts von 1976 und Art. 3 Abs. 1 der Geschäftsordnung, des Grundsatzes der Unabhängigkeit, des Verbots der Entgegennahme von Weisungen und der Rechtskraft sowie zweitens einen Begründungsmangel des angefochtenen Beschlusses rügt.
Zum ersten Klagegrund
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
[35] 33 Die Italienische Republik und Herr Donnici machen im Wesentlichen geltend, dass das Parlament sich nach Art. 12 des Akts von 1976 darauf hätte beschränken müssen, die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Donnici durch das italienische Wahlbüro zur Kenntnis zu nehmen. Nach diesem Art. 12 dürfe das Parlament von dieser Bekanntgabe nicht wegen ihrer angeblichen Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht abweichen. Auch könne sich das Parlament bei einer Entscheidung über Anfechtungen nur auf die Bestimmungen des Akts von 1976, nicht aber auf andere Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, einschließlich dessen allgemeine Rechtsgrundsätze, stützen.
[36] 34 Zu Art. 6 des Akts von 1976 tragen sie vor, dass dieser nur auf Abgeordnete, nicht aber auf nicht gewählte Kandidaten anwendbar sei, so dass er den Verzicht nicht erfasse, den Herr Occhetto am 6. Juli 2004 erklärt habe, als er kein Abgeordneter des Parlaments gewesen sei. Da diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur die Ausübung des parlamentarischen Mandats betreffe, würden Vorkommnisse während des Wahlverfahrens und das Verhalten der nicht gewählten Kandidaten vor deren Benennung als Abgeordnete von ihr nicht erfasst.
[37] 35 Das Parlament, unterstützt von Herrn Occhetto, ist dagegen der Auffassung, dass es nach Art. 12 des Akts von 1976 darauf zu achten habe, dass die von den nationalen Behörden vorgenommene Bekanntgabe das Gemeinschaftsrecht im Allgemeinen und die durch den Akt von 1976 aufgestellten Grundsätze im Besonderen wahre. Dieses Verständnis seiner Befugnisse spiegele sich in Art. 3 Abs. 4 und 5 sowie Art. 4 Abs. 3 und 9 seiner Geschäftsordnung und in seiner einschlägigen Praxis wider. Wenn das Wahlverfahren zur Konstituierung des Parlaments führe, gebe es offensichtlich eine gemeinschaftsrechtliche Regelung, die einen Mindeststandard zur Vermeidung jeglicher sich aus den unterschiedlichen nationalen Verfahren ergebender Verfälschung festlege, den das Parlament zu garantieren habe. Müsste sich das Parlament bei der Ausübung seiner Befugnisse dagegen auf die Prüfung der Unvereinbarkeiten im Sinne des Art. 7 des Akts von 1976 beschränken, wäre seine Befugnis ihres eigentlichen Inhalts beraubt.
[38] 36 Das Parlament, unterstützt von Herrn Occhetto, macht geltend, dass es bei einer offensichtlichen Verletzung der tragenden Grundsätze des Akts von 1976, wie des in Art. 6 dieses Akts verankerten Grundsatzes des freien Parlamentsmandats sowie der Grundsätze der allgemeinen Wahl und der Verhältniswahl nach den Art. 1 und 2 des Akts, berechtigt, ja sogar verpflichtet sei, dieser Verletzung nicht Vorschub zu leisten, indem es das Ergebnis des nationalen Verfahrens zur Kenntnis nehme; andernfalls sei die von ihm beschlossene Gültigerklärung rechtswidrig. Aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts sei das Parlament verpflichtet, die Benennung eines Kandidaten durch die nationalen Behörden, die offensichtlich gegen Gemeinschaftsrecht verstoße, unberücksichtigt zu lassen.
[39] 37 Art. 6 des Akts von 1976 schütze auch den gewählten Kandidaten. Andernfalls fände die durch diese Vorschrift gewährte Garantie keine Anwendung auf Handlungen – wie der hier von Herrn Occhetto erklärte, auf einer Wahlvereinbarung beruhende Verzicht –, die verhinderten, dass sich der Wählerwille verwirkliche. Diese Auslegung des Art. 6 werde durch Art. 2 des Abgeordnetenstatuts und Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gestützt.
[40] 38 Das Parlament trägt ferner vor, die Anwendbarkeit des Art. 6 im vorliegenden Fall ergebe sich schon daraus, dass Herr Occhetto an den Sitzungen des Parlaments teilgenommen habe, als die nationalen Behörden ihm die Ersetzung des Betroffenen durch Herrn Donnici mitgeteilt hätten.
Würdigung durch den Gerichtshof
[41] 39 Der erste Klagegrund wirft die Frage auf, wie weit die Befugnisse des Parlaments bei der Prüfung des Mandats seiner Mitglieder nach Art. 12 des Akts von 1976 reichen. Um die Gültigkeit des angefochtenen Beschlusses prüfen zu können, ist daher im Wesentlichen der Umfang der Befugnisse zu untersuchen, die diese Vorschrift dem Parlament gewährt. Art. 12 dieses Akts geht jedenfalls davon aus, dass der Beschluss des Parlaments auf eine Bestimmung des Akts gestützt ist, in Bezug auf die eine Anfechtung vorgebracht werden kann. Da das Parlament insoweit in erster Linie Art. 6 des Akts von 1976 anführt, ist zunächst zu prüfen, ob diese Vorschrift im vorliegenden Fall grundsätzlich anwendbar ist.
- Zur Anwendbarkeit von Art. 6 des Akts von 1976
[42] 40 Art. 6 Abs. 1 des Akts von 1976 sieht vor, dass die Mitglieder des Parlaments ihre Stimmen einzeln und persönlich abgeben und weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden sind.
[43] 41 Ihrem Wortlaut nach bezieht sich diese Vorschrift ausdrücklich auf die "Mitglieder des Parlaments" und betrifft die Ausübung des Parlamentsmandats. Zudem geht es um das Stimmrecht der Mitglieder, das sich seinem Wesen nach nicht mit der Eigenschaft als Kandidat in Verbindung bringen lässt, der aufgrund des von ihm erreichten Listenplatzes amtlich für gewählt erklärt wird (vgl. Beschluss Occhetto und Parlament/Donnici, Randnr. 41).
[44] 42 Art. 6 des Akts von 1976 ist seinem eindeutigen Wortlaut nach nicht auf Handlungen anwendbar, die den Verzicht eines Kandidaten zum Gegenstand haben, wie hier der Verzicht von Herrn Occhetto auf seine Stellung als Nachrücker für Herrn Di Pietro.
[45] 43 Die hierzu vom Parlament vorgebrachten Argumente erlauben es nicht, von dieser Auslegung abzuweichen.
[46] 44 Insbesondere kann dem Parlament keine allgemeine Befugnis zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Wahlverfahren der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die dem Art. 6 des Akts von 1976 angeblich zugrunde liegenden Grundsätze zuerkannt werden, wie sie das Parlament vor allem aus Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit Hilfe einer weiten Auslegung des Art. 6 im Licht dieser Grundsätze ableitet (vgl. in diesem Sinne Beschluss Occhetto und Parlament/Donnici, Randnr. 43).
[47] 45 Eine solche Auslegung des Art. 6 verstößt gegen die Entscheidung seiner Urheber, indem sie diese Bestimmung über die Ausübung des Mandats trotz ihres genau umschriebenen Anwendungsbereichs in eine Vorschrift umwandelt, die das Wahlverfahren regelt, denn dieser Bereich bestimmt sich gemäß Art. 8 des Akts von 1976 grundsätzlich nach den innerstaatlichen Vorschriften.
[48] 46 Zu Art. 2 des Abgeordnetenstatuts, auf den sich das Parlament für seine Auslegung von Art. 6 des Akts von 1976 bezieht, ist festzustellen, dass dieses Statut zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht in Kraft war. Ferner heißt es im vierten Erwägungsgrund des Abgeordnetenstatuts, dass "[d] ie in Artikel 2 geschützte Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten … regelungsbedürftig" sind, da sie "in keinem Text des Primärrechts erwähnt" sind, und in seinem fünften Erwägungsgrund, dass Art. 3 Abs. 1 dieses Statuts den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 des Akts von 1976 aufgreift. Daraus folgt, dass Art. 2 des Abgeordnetenstatuts keine Kodifikation dieses Art. 6 darstellt (vgl. in diesem Sinne Beschluss Occhetto und Parlament/Donnici, Randnr. 44).
[49] 47 Darüber hinaus kann sich das Parlament nach dem Grundsatz der Normenhierarchie nicht auf eine Vorschrift seiner Geschäftsordnung und auf seine vorgebliche Praxis in diesem Bereich berufen, um Art. 6 des Akts von 1976 contra legem auszulegen (Occhetto und Parlament/Donnici, Randnr. 45).
[50] 48 Die Geschäftsordnung ist nämlich eine Maßnahme der internen Organisation, die nicht zugunsten des Parlaments Zuständigkeiten einführen kann, die nicht ausdrücklich durch einen Rechtsakt, im vorliegenden Fall den Akt von 1976, verliehen worden sind (vgl. Urteil vom 21. Oktober 2008, Marra, C-200/07 und C-201/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 38). Umso weniger darf daher mit der vorgeblichen institutionellen Praxis von Art. 6 abgewichen werden.
[51] 49 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der von Herrn Occhetto erklärte Verzicht auf seinen Platz auf der Liste der Nachrücker nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 des Akts von 1976 fällt, so dass diese Vorschrift nicht als Grundlage für eine Anfechtung im Rahmen der Prüfung der Mandate von Mitgliedern des Parlaments nach Art. 12 dieses Akts dienen und das Parlament den angefochtenen Beschluss daher nicht auf eine Verletzung von Art. 6 stützen konnte.
- Verletzung von Art. 12 des Akts von 1976
[52] 50 Nachdem festgestellt worden ist, dass Art. 6 des Akts von 1976 den angefochtenen Beschluss nicht tragen kann, stellt sich die Frage, ob der Beschluss, wie vom Parlament vorgetragen, auf eine Verletzung der in Art. 1 und 2 des Akts von 1976 verankerten Grundsätze der allgemeinen Wahl und der Verhältniswahl gestützt werden kann. Durch seine Bezugnahme auf eine Verletzung dieser Grundsätze hat sich das Parlament eine Befugnis zuerkannt, zu prüfen, ob die amtliche Bekanntgabe der Wahl von Herrn Donnici zum Mitglied des Parlaments unter Beachtung dieser Anforderungen erfolgt ist. Es ist daher zu prüfen, ob Art. 12 dieses Akts dem Parlament eine solche Zuständigkeit bei der Prüfung der Mandate seiner Mitglieder einräumt.
[53] 51 Art. 12 des Akts von 1976 bestimmt, dass das Parlament zum Zwecke der Prüfung der Mandate seiner Mitglieder die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis nimmt und über die Anfechtungen befindet, die gegebenenfalls aufgrund der Vorschriften dieses Akts – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden können.
[54] 52 Nach dem Wortlaut dieses Art. 12 unterliegt die Prüfungsbefugnis, über die das Parlament nach Satz 1 verfügt, zwei wichtigen Einschränkungen, die in Satz 2 genannt sind (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 15. November 2007, Donnici/Parlament, Randnr. 71, und Occhetto und Parlament/Donnici, Randnrn. 31 und 32).
[55] 53 Gemäß Art. 12 Satz 2 Halbsatz 1 des Akts von 1976 nimmt das Parlament "die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis". Ferner ist die in Art. 12 Satz 2 Halbsatz 2 des Akts vorgesehene besondere Zuständigkeit des Parlaments, über vorgebrachte Anfechtungen zu befinden, auch sachlich auf die Anfechtungen beschränkt, "die gegebenenfalls auf Grund der Vorschriften [des Akts von 1976] – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden können".
[56] 54 Zum einen ergibt sich entgegen dem Vorbringen des Parlaments schon aus dem Wortlaut von Art. 12 des Akts von 1976, dass diese Vorschrift dem Parlament nicht die Zuständigkeit einräumt, über Anfechtungen zu entscheiden, die auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts als Gesamtheit vorgebracht werden. Nach ihrem klaren Wortlaut betrifft diese Vorschrift nur die "Anfechtungen, die … auf Grund der Vorschriften dieses Akts vorgebracht werden können" (vgl. in diesem Sinne Beschluss Occhetto und Parlament/Donnici, Randnr. 32).
[57] 55 Zum anderen bedeutet der Vorgang, die "amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis" zu nehmen, dass das Parlament seinen eigenen Beschluss im Zusammenhang mit der Prüfung der Mandate seiner Mitglieder auf die vom italienischen Wahlbüro nach dem Urteil des Consiglio di Stato vom 6. Dezember 2006 vorgenommene Bekanntgabe vom 29. März 2007 stützen musste. Denn diese Bekanntgabe ist das Ergebnis eines mit den nationalen Verfahren im Einklang stehenden Entscheidungsprozesses, durch den die mit dieser Bekanntgabe zusammenhängenden Rechtsfragen endgültig entschieden worden sind, und stellt daher eine bereits bestehende Rechtslage dar. Der Gerichtshof hat aber bereits entschieden, dass die Verwendung des Ausdrucks "zur Kenntnis nimmt" im Zusammenhang mit dem Akt von 1976 dahin auszulegen ist, dass das Parlament insoweit keinerlei Ermessen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament, C-208/03 P, Slg. 2005, I-6051, Randnr. 50).
[58] 56 Diese Auslegung des Ausdrucks "zur Kenntnis nimmt" in Art. 12 Abs. 2 des Akts von 1976 in dessen ursprünglicher Fassung, nach der die Mitgliedstaaten das Parlament über das Freiwerden eines Sitzes unterrichten, das seine Ursache in den innerstaatlichen Vorschriften hat, und dieses davon Kenntnis nimmt, gilt ebenso für den gleichlautenden Ausdruck in Art. 12 des Akts von 1976 in dessen gegenwärtiger Fassung. Wenn Art. 12 Abs. 2 des Akts von 1976 in seiner ursprünglichen Fassung bereits beim Entzug des Mandats eines seiner Mitglieder, der seine Ursache in den innerstaatlichen Vorschriften hat und sich auf die Zusammensetzung dieses Organs auswirkt, jedes Ermessen des Parlaments ausschließt, so fehlt ihm erst recht eine Entscheidungsbefugnis bei der Prüfung der Mandate der Mitglieder des Parlaments, die von den Mitgliedstaaten amtlich benannt wurden, nach Art. 12 des Akts von 1976. In diesem Rahmen handelt es sich nämlich um die Benennung der zukünftigen Mitglieder des Parlaments, die die nationalen Behörden nach dem Wahlverfahren vornehmen, das sich, wie es ausdrücklich aus Art. 8 des Akts von 1976 hervorgeht, nach den innerstaatlichen Vorschriften bestimmt.
[59] 57 Daraus folgt, dass das Parlament die Rechtmäßigkeit der vom nationalen Wahlbüro vorgenommenen Bekanntgabe nicht in Frage stellen darf. Art. 12 des Akts von 1976 berechtigt das Parlament auch nicht dazu, eine solche Bekanntgabe nicht zur Kenntnis zu nehmen, wenn es von einer Unregelmäßigkeit ausgeht (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 15. November 2007, Donnici/Parlament, Randnr. 75).
[60] 58 Diese Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976 wird durch seine Auslegung im Licht der einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrags und durch den Regelungszusammenhang bestätigt, in den sich diese Vorschrift einfügt.
[61] 59 Insoweit ist festzustellen, dass das Parlament nach Art. 5 Abs. 1 EG, Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 EG und Art. 189 Abs. 1 EG die ihm nach den Verträgen zustehenden Befugnisse ausübt und innerhalb der Grenzen dieser ihm insoweit zugewiesenen Befugnisse tätig wird.
[62] 60 Ferner sieht Art. 8 des Akts von 1976 vor, dass sich das Wahlverfahren vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts "in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften" bestimmt. Daher sind die Mitgliedstaaten zwar verpflichtet, die Bestimmungen des Akts von 1976 insoweit zu beachten, als sie bestimmte Wahlmodalitäten vorsehen; doch ändert dies nichts daran, dass es letztlich ihnen obliegt, die Wahl nach dem in ihren innerstaatlichen Vorschriften festgelegten Verfahren zu organisieren und in diesem Rahmen die Stimmen auszuzählen und die Wahlergebnisse amtlich bekannt zu geben (Beschluss vom 15. November 2007, Donnici/Parlament, Randnr. 74).
[63] 61 Schließlich bestimmt Art. 13 Abs. 2 des Akts von 1976, dass die Mitgliedstaaten die geeigneten Verfahren festlegen, um freigewordene Sitze zu besetzen.
[64] 62 Diesem rechtlichen Rahmen zufolge richtete sich das Wahlverfahren für die Wahl der Mitglieder des Parlaments vom 12. und 13. Juni 2004 und die Benennung von Nachrückern für freigewordene Sitze in jedem Mitgliedstaat nach wie vor nach den einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften, hier nach dem Gesetz vom 24. Januar 1979 (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 15. November 2007, Donnici/Parlament, Randnr. 66).
[65] 63 Darüber hinaus ist es mangels einer entsprechenden Gemeinschaftsregelung Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten der Rechtsbehelfe zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2006, Eman und Sevinger, C-300/04, Slg. 2006, I-8055, Randnr. 67).
[66] 64 Das Parlament hat jedoch nicht geltend gemacht, dass die italienischen Verfahrensvorschriften die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität verletzten. Doch selbst wenn dies anzunehmen wäre, ergäbe sich daraus nicht, dass das Parlament befugt wäre, die Handlungen der nationalen Behörden durch seine eigenen Beurteilungen zu ersetzen.
[67] 65 Dafür Sorge zu tragen, dass die Mitgliedstaaten den Vertrag und die von den Organen aufgrund des Vertrags erlassenen Bestimmungen einhalten, obliegt vielmehr insbesondere der Kommission, die nach Art. 226 EG befugt ist, beim Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, wenn sie der Auffassung ist, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat. Außerdem wird die Kontrolle der Wahrung dieser Bestimmungen durch das Verfahren nach Art. 234 EG sichergestellt, das sich in den Rahmen der wahlrechtlichen Streitigkeiten auf nationaler Ebene einfügt.
[68] 66 Dieser rechtliche Rahmen lässt nicht erkennen, dass das Parlament über eine allgemeine Zuständigkeit verfügte, die Vereinbarkeit der Wahlverfahren der Mitgliedstaaten und ihre Anwendung im Einzelfall am Gemeinschaftsrecht zu messen. Daraus folgt, dass sich die Zuständigkeit des Parlaments im Rahmen der Prüfung der Mandate seiner Mitglieder auf die in den einschlägigen Bestimmungen des Akts von 1976 klar definierten Rechte beschränkt (vgl. in diesem Sinne Beschluss Occhetto und Parlament/Donnici, Randnr. 32).
[69] 67 Demnach widerspräche eine Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976, die dem Parlament eine allgemeine Zuständigkeit zur Überprüfung der von den Behörden der Mitgliedstaaten vorgenommenen amtlichen Bekanntgabe einräumte, nicht nur dem Wortlaut dieser Vorschrift, sondern wäre auch unvereinbar mit dem in den Art. 5 EG und 7 EG verankerten Grundsatz, wonach die Zuständigkeiten der Gemeinschaft und ihrer Organe auf Einzelermächtigungen beruhen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2000, Deutschland/Parlament und Rat, C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Randnr. 83, und vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 203 und die dort angeführte Rechtsprechung).
[70] 68 Das in den Randnrn. 35 bis 37 des vorliegenden Urteils dargestellte und von Herrn Occhetto unterstützte Vorbringen des Parlaments kann diese Auslegung von Art. 12 des Akts von 1976, die jegliche Zuständigkeit des Parlaments verneint, von der Bekanntmachung des italienischen Wahlbüros abzuweichen, nicht in Frage stellen.
[71] 69 Das an erster Stelle angeführte Argument, dass die Prüfbefugnisse des Parlaments nach Art. 12 des Akts von 1976 inhaltsleer wären, wenn es die von den Mitgliedstaaten bekannt gegebenen Wahlergebnisse nicht anhand des Gemeinschaftsrechts überprüfen dürfe, ist zurückzuweisen. Denn das Parlament behält die Zuständigkeit, sich im Rahmen des Art. 12 des Akts von 1976 zur Situation eines gewählten Kandidaten zu äußern, der eine der mit der Eigenschaft eines Mitglieds des Parlaments unvereinbaren Eigenschaften besitzt, wie sie in Art. 7 des Akts von 1976 aufgeführt sind (vgl. Beschluss Occhetto und Parlament/Donnici, Randnr. 33).
[72] 70 Zweitens ist zum Vorbringen, das Parlament müsse von einer von den nationalen Behörden vorgenommenen Bekanntgabe, die offenkundig den tragenden Grundsätzen des Akts von 1976 entgegenstehe, abweichen können, um hinsichtlich der Benennung seiner Mitglieder einen Mindeststandard zu garantieren, festzustellen, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, gegebenenfalls nach einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof im Sinne des Art. 234 EG über die Rechtmäßigkeit der nationalen Bestimmungen und Wahlverfahren zu befinden (vgl. Beschluss vom 15. November 2007, Donnici/Parlament, Randnr. 93).
[73] 71 Im vorliegenden Fall hat diese gerichtliche Überprüfung gemäß dem Gesetz vom 24. Januar 1979 vor den zuständigen italienischen Gerichten tatsächlich stattgefunden. Die mit der amtlichen Bekanntgabe der Wahlergebnisse zusammenhängenden Rechtsfragen wurden nämlich mit dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Consiglio di Stato vom 6. Dezember 2006 auf nationaler Ebene endgültig entschieden.
[74] 72 Schließlich stehen der klare Wortlaut von Art. 12 des Akts von 1976 und die von ihm vorgenommene Verteilung der Zuständigkeiten der Feststellung einer Lücke im Schutz des Wahlrechts der Kandidaten bei den Wahlen zum Parlament entgegen.
[75] 73 Deshalb ist auch das Vorbringen des Parlaments zurückzuweisen, dass sein Beschluss zur Prüfung des Mandats selbst rechtswidrig wäre, wenn es verpflichtet wäre, seine eigene Entscheidung auf eine rechtswidrige nationale Handlung, hier die Bekanntgabe der Wahl von Herrn Donnici durch das italienische Wahlbüro, zu stützen.
[76] 74 Im vorliegenden Fall sind die jeweiligen Zuständigkeiten des Parlaments und der nationalen Behörden zur Prüfung der Mandate der Mitglieder des Parlaments, anders als das Parlament unter Bezugnahme auf das Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission (C-64/05 P, Slg. 2007, I-11389), vorträgt, klar zwischen den Gemeinschaftsstellen und den nationalen Behörden aufgeteilt. Insoweit verfügt das Parlament nach Art. 12 des Akts von 1976 nur über die Zuständigkeit, über die Anfechtungen zu befinden, die gegebenenfalls aufgrund der Vorschriften dieses Akts – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden können, während es den nationalen Behörden obliegt, die in Anwendung der gemeinschaftsrechtskonformen innerstaatlichen Vorschriften ermittelten Wahlergebnisse bekannt zu geben.
[77] 75 Demnach war das Parlament nach Art. 12 des Akts von 1976 gehalten, die vom italienischen Wahlbüro vorgenommene Bekanntgabe zur Kenntnis zu nehmen und durfte davon nicht wegen angeblicher Mängel dieser nationalen Handlung abweichen. Der angefochtene Beschluss verstößt gegen Art. 12 dieses Akts, indem er entgegen dieser Bekanntgabe das Mandat von Herrn Donnici für ungültig erklärt und das Mandat von Herrn Occhetto bestätigt.
[78] 76 Nach alledem ist der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären. Unter diesen Umständen braucht sich der Gerichtshof nicht zu den anderen von der Italienischen Republik und Herrn Donnici zur Stützung ihrer Klage vorgebrachten Gründen zu äußern. Die Hilfsanträge von Herrn Donnici sind daher gegenstandslos geworden.
Kosten
[79] 77 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik und Herr Donnici die Verurteilung des Parlaments beantragt haben und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten, und nach Art. 69 § 4 Abs. 3 kann der Gerichtshof entscheiden, dass ein anderer Streithelfer als die in den Abs. 1 und 2 genannten seine eigenen Kosten trägt.
* Verfahrenssprache: Italienisch.