Europäisches Gericht
"Humanarzneimittel – Verfahren der Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden – Antrag auf Ausweisung des Arzneimittels 'Spezieller flüssiger Schöllkrautwurzelextrakt' ('Ukrain') als Arzneimittel für seltene Leiden – Entscheidung der Kommission, mit der die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden abgelehnt wurde"
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Now Pharm AG trägt die Kosten.

EuG, Urteil vom 9. 9. 2010 – T-74/08 (lexetius.com/2010,3009)

[1] In der Rechtssache T-74/08 Now Pharm AG mit Sitz in Luxemburg (Luxemburg), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte C. Kaletta und I.-J. Tegebauer, dann Rechtsanwältin C. Kaletta, Klägerin, gegen Europäische Kommission, vertreten durch B. Schima und M. Šimerdová als Bevollmächtigte, Beklagte, wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C (2007) 6132 der Kommission vom 4. Dezember 2007, mit der die Ausweisung des Medikaments "Spezieller flüssiger Schöllkrautwurzelextrakt" als Arzneimittel für seltene Leiden im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. 2000, L 18, S. 1) abgelehnt wurde, erlässt DAS GERICHT (Fünfte Kammer) unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter M. Prek (Berichterstatter) und V. M. Ciuc, Kanzler: Katarina Andová, Verwaltungsrätin, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2010, folgendes Urteil (*):
Rechtlicher Rahmen
[2] 1 Damit Patienten mit seltenen Leiden in der Europäischen Gemeinschaft wirksam behandelt werden können, haben das Europäische Parlament und der Rat die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. 2000, L 18, S. 1) erlassen. Diese am 22. Januar 2000 in Kraft getretene Verordnung führt ein Anreizsystem ein, das darauf abzielt, pharmazeutische Unternehmen zu Investitionen in die Erforschung, die Entwicklung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln für seltene Leiden anzuregen.
[3] 2 Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000 sieht vor:
"Ein Arzneimittel wird als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen, wenn der Investor nachweisen kann, dass
a) das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines Leidens bestimmt ist, das lebensbedrohend ist oder eine chronische Invalidität nach sich zieht und von dem zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinschaft nicht mehr als fünf von zehntausend Personen betroffen sind, oder
das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines lebensbedrohenden Leidens, eines zu schwerer Invalidität führenden oder eines schweren und chronischen Leidens in der Gemeinschaft bestimmt ist und dass das Inverkehrbringen des Arzneimittels in der Gemeinschaft ohne Anreize vermutlich nicht genügend Gewinn bringen würde, um die notwendigen Investitionen zu rechtfertigen,
und
b) in der Gemeinschaft noch keine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde oder dass das betreffende Arzneimittel – sofern eine solche Methode besteht – für diejenigen, die von diesem Leiden betroffen sind, von erheblichem Nutzen sein wird."
[4] 3 Das in Art. 5 der Verordnung Nr. 141/2000 in der auf den Sachverhalt des vorliegenden Falls anwendbaren Fassung geregelte Verfahren der Ausweisung ist wie folgt ausgestaltet:
"(1) Um die Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden zu erhalten, stellt der Investor bei der [Europäischen Arzneimittel-] Agentur in einem beliebigen Stadium der Entwicklung eines Arzneimittels einen entsprechenden Antrag; dies erfolgt vor Stellung des Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen.
(2) Dem Antrag sind folgende Angaben und Unterlagen beizufügen:
a) Name oder Fi [rm] a und ständige Anschrift des Investors,
b) Wirkstoffe des Arzneimittels,
c) vorgeschlagenes therapeutisches Anwendungsgebiet,
d) Begründung, dass die Kriterien des Artikels 3 Absatz 1 erfüllt sind und Darstellung des Entwicklungsstandes einschließlich der erwarteten Anwendungsgebiete.
(3) Die Kommission erstellt in Konsultation mit den Mitgliedstaaten, der Agentur und den interessierten Parteien ausführliche Leitlinien für Form und Inhalt der Anträge auf Ausweisung von Arzneimitteln als Arzneimittel für seltene Leiden.
(4) Die Agentur prüft die Gültigkeit des Antrags und legt dem Ausschuss [für Arzneimittel für seltene Leiden] die Ergebnisse in Form eines Kurzberichts vor. Sie kann den Investor erforderlichenfalls auffordern, zusätzliche Angaben und Unterlagen bereitzustellen.
(5) Die Agentur stellt sicher, dass der Ausschuss innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt eines gültigen Antrags ein Gutachten abgibt.
(6) Der Ausschuss bemüht sich bei der Erstellung seines Gutachtens darum, einen Konsens zu erzielen. Gelingt dies nicht, wird das Gutachten mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Ausschusses angenommen. Das Gutachten kann im schriftlichen Verfahren erstellt werden.
(7) Entspricht der Antrag nach dem Gutachten des Ausschusses nicht den Kriterien des Artikels 3 Absatz 1, so teilt die Agentur dies dem Investor unverzüglich mit. Der Investor kann innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt des Gutachtens unter Angabe ausführlicher Gründe einen Widerspruch einlegen, den die Agentur an den Ausschuss weiterleitet. Der Ausschuss prüft auf seiner nächsten Sitzung eine etwaige Revision seines Gutachtens.
(8) Die Agentur übermittelt das endgültige Gutachten des Ausschusses unverzüglich der Kommission, die innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt des Gutachtens eine Entscheidung annimmt. Steht der Entscheidungsentwurf ausnahmsweise nicht im Einklang mit dem Gutachten des Ausschusses, so wird die endgültige Entscheidung nach dem Verfahren des Artikels 73 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 [des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln, ABl. L 214, S. 1] angenommen. Die Entscheidung wird dem Investor sowie der Agentur und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten mitgeteilt.
(9) Als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesene Arzneimittel werden in das Gemeinschaftsregister für Arzneimittel für seltene Leiden eingetragen. …"
[5] 4 Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 847/2000 der Kommission vom 27. April 2000 zur Festlegung von Bestimmungen für die Anwendung der Kriterien für die Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden und von Definitionen für die Begriffe "ähnliches Arzneimittel" und "klinische Überlegenheit" (ABl. L 103, S. 5) bestimmt:
"(2) Für die Durchführung des Artikels 3 der Verordnung … Nr. 141/2000 über Arzneimittel für seltene Leiden gilt folgende Begriffsbestimmung:
- 'Erheblicher Nutzen' ist ein klinisch relevanter Vorteil oder ein bedeutender Beitrag zur Behandlung von Patienten."
[6] 5 Ferner hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Mitteilung zur Verordnung Nr. 141/2000 erlassen (ABl. 2003, C 178, S. 2), in deren Abschnitt A4 es heißt:
"… Der erhebliche Nutzen wird in der Verordnung … Nr. 847/2000 … wie folgt definiert: '… ist ein klinisch relevanter Vorteil oder ein bedeutender Beitrag zur Behandlung von Patienten'. Der Antragsteller muss nachweisen, dass zum Zeitpunkt der Ausweisung ein erheblicher Nutzen im Vergleich zu einem vorhandenen zugelassenen Arzneimittel oder einer solchen Methode besteht. Da mit dem betreffenden Arzneimittel für seltene Leiden unter Umständen wenig oder keine klinische Erfahrung vorliegt, ist von dem vom Antragsteller angenommenen Nutzen auszugehen. In allen Fällen muss der Ausschuss für Arzneimittel für seltene Leiden (Committee on Orphan Medicinal Products – COMP) bewerten, ob diese Annahmen durch die verfügbaren Daten bzw. die vom Antragsteller eingereichten Nachweise bestätigt werden.
Auf jeden Fall muss der angenommene Nutzen vom Antragsteller durch die Vorlage von Nachweisen/Daten begründet werden. Dabei sind die besonderen Merkmale des Leidens und der bestehenden Methoden zu berücksichtigen. …"
[7] 6 Außerdem bestimmt § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für Arzneimittel für seltene Leiden der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) (im Folgenden: Ausschuss) (COMP/8212/00 Rev 2) vom 8. Dezember 2004:
"Wenn erforderlich, können der Ausschuss und seine Arbeitsgruppen die Dienste von Sachverständigen für besondere Gebiete der Wissenschaft oder Technik in Anspruch nehmen. Diese Sachverständigen müssen im Verzeichnis europäischer Sachverständiger aufgeführt sein."
[8] 7 Schließlich sieht § 11 Abs. 2 und 3 der Geschäftsordnung des Ausschusses vor:
"(2) Die Mitglieder des Ausschusses und der Arbeitsgruppen sowie die in dieser Geschäftsordnung erwähnten Sachverständigen dürfen keine unmittelbaren Interessen in der pharmazeutischen Industrie verfolgen, die ihre Unvoreingenommenheit beeinträchtigen könnten. Sie verpflichten sich, im öffentlichen Interesse und unabhängig zu handeln, und müssen jährlich ihre finanziellen Verhältnisse offen legen. Alle mittelbaren Interessen, über die sie möglicherweise mit der pharmazeutischen Industrie verbunden sind, werden in ein öffentlich zugängliches Verzeichnis bei der EMEA eingetragen. Darüber hinaus werden die Interessenerklärungen der Mitglieder auf der Website der EMEA zugänglich gemacht.
(3) Zu Beginn jeder Sitzung legen die Mitglieder des Ausschusses und der Arbeitsgruppen (sowie die an der Sitzung teilnehmenden Sachverständigen) alle Sonderinteressen offen, die die Annahme begründen könnten, dass sie sich nachteilig auf ihre Unabhängigkeit in Bezug auf die Tagesordnungspunkte auswirken. Diese Erklärungen werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht."
Vorgeschichte des Rechtsstreits
[9] 8 Die Klägerin, die Now Pharm AG, hat ein Arzneimittel namens "Spezieller flüssiger Schöllkrautwurzelextrakt" (im Folgenden: Ukrain) zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs entwickelt. Nach ihren Angaben ist dieses Arzneimittel eine aus Schöllkraut gewonnene Alkaloidverbindung, die sich, intravenös injiziert, binnen weniger Minuten im Primärtumor und in den Metastasen anreichere und im ultravioletten Licht fluoresziere, so dass krankes Gewebe von gesundem genau unterschieden werden könne. Zudem bringe es Krebszellen zum Absterben, ohne gesundes Gewebe anzugreifen.
[10] 9 Der Klägerin wurde in mehreren Staaten außerhalb der Europäischen Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Ukrain erteilt. Wie sie hervorhebt, wurde ihr eine solche Genehmigung dagegen in Österreich im Jahr 2002 auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. H. W. verweigert.
[11] 10 Am 6. Februar 2007 beantragte die Klägerin bei der EMEA die Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden.
[12] 11 Am 31. Mai 2007 gab der Ausschuss gemäß Art. 5 Abs. 6 der Verordnung Nr. 141/2000 ein negatives Gutachten ab, verbunden mit der Empfehlung, die Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden abzulehnen. Das Medikament erfülle nicht die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 141/2000, und der nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b erforderliche Nachweis, dass Ukrain von erheblichem Nutzen für diejenigen sein werde, die von dem fraglichen Leiden – für das eine zufriedenstellende Behandlungsmethode durch die Gemeinschaft zugelassen worden sei – betroffen seien, liege nicht vor. Am 25. Juni 2007 legte die Klägerin gegen dieses Gutachten gemäß Art. 5 Abs. 7 der Verordnung Nr. 141/2000 Widerspruch ein. Am 6. September 2007 reichte sie eine ausführliche Begründung dieses Widerspruchs ein.
[13] 12 Am 10. Oktober 2007 gab der Ausschuss ein endgültiges negatives Gutachten gemäß Art. 5 Abs. 8 der Verordnung Nr. 141/2000 ab. Der Ausschuss war der Auffassung, Ukrain erfülle die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 141/2000, aber die Klägerin habe nicht dargetan, dass Ukrain im Hinblick auf bereits bestehende zufriedenstellende Methoden zur Behandlung des Leidens für die davon Betroffenen von erheblichem Nutzen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 sei. Der Ausschuss erhielt daher das negative Gutachten vom 31. Mai 2007 aufrecht und empfahl, die Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs abzulehnen.
[14] 13 Mit Entscheidung vom 4. Dezember 2007 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), die der Klägerin am 5. Dezember 2007 mitgeteilt wurde, folgte die Kommission der Empfehlung, die die EMEA in ihrem Gutachten vom 10. Oktober 2007 gegeben hatte, und lehnte den Antrag auf Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs ab.
Verfahren und Anträge der Parteien
[15] 14 Mit Klageschrift, die am 6. Februar 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
[16] 15 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Fünfte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.
[17] 16 Die Parteien haben in der Sitzung vom 28. April 2010 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
[18] 17 Die Klägerin beantragt,
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;
- die Kommission zu verurteilen, den Antrag der Klägerin vom 6. Februar 2007 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden;
- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
[19] 18 Die Kommission beantragt,
- die Klage als unbegründet abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Zum Antrag, die Kommission zu verurteilen, den Antrag der Klägerin vom 6. Februar 2007 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden
[20] 19 Da der Gemeinschaftsrichter im Rahmen der ihm durch den Vertrag verliehenen Zuständigkeit zur Nichtigerklärung nicht befugt ist, den Gemeinschaftsorganen Weisungen zu erteilen, ist dieser Antrag unzulässig.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung
[21] 20 Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin drei Nichtigkeitsgründe an. Im Rahmen ihres ersten Nichtigkeitsgrundes wirft die Klägerin der Kommission einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000 vor. Mit dem zweiten Nichtigkeitsgrund wird die fehlende Qualifikation und die Befangenheit eines der vom Ausschuss hinzugezogenen Sachverständigen gerügt. Schließlich macht die Klägerin mit ihrem dritten Nichtigkeitsgrund geltend, dass die angefochtene Entscheidung mit offensichtlichen Beurteilungsfehlern behaftet sei.
Zum ersten Nichtigkeitsgrund: Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000
- Vorbringen der Parteien
[22] 21 Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000 verstoßen, der die Kriterien für die Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden festlege.
[23] 22 Erstens habe sich die Kommission für ihre Schlussfolgerung, dass Ukrain im Vergleich mit gegenwärtig zugelassenen Behandlungsmethoden keinen erheblichen Vorteil für die von Bauchspeicheldrüsenkrebs Betroffenen aufweise, in Wirklichkeit auf das in Art. 8 Abs. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 141/2000 vorgesehene Kriterium der klinischen Überlegenheit gestützt. Dieses Kriterium müsse aber nur dann erfüllt sein, wenn der Investor des Arzneimittels für seltene Leiden eine Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels beantrage. Für eine Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden genüge bereits der Nachweis eines erheblichen Nutzens, während seine klinische Überlegenheit nicht belegt werden müsse.
[24] 23 Insbesondere seien die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000, darunter die des erheblichen Nutzens, erfüllt, so dass Ukrain demnach als Arzneimittel für seltene Leiden hätte ausgewiesen werden müssen. Denn einerseits diene Ukrain der Behandlung eines seltenen Leidens, nämlich von Bauchspeicheldrüsenkrebs, und andererseits sei es als solches von erheblichem Nutzen, da es nur für Krebszellen, nicht aber für gesunde Zellen toxisch sei, die Lebensdauer der Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs verlängere und für diejenigen Patienten, bei denen die zugelassene Behandlung zu toxisch wirke, die letzte Hilfe darstelle.
[25] 24 Zur Untermauerung ihrer Ausführungen weist die Klägerin darauf hin, dass sie dem Ausschuss bei der Beantragung der Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden in der im September 2007 eingereichten Begründung ihres Widerspruch vom Juni 2007 und im Rahmen ihrer Äußerungen bei einem Treffen in der EMEA im Oktober 2007 mehrere präklinische Studien und vier klinische Studien (Studie von Zemskov von 2002, Studie von Gansauge von 2002, Studie von Aschhoff von 2003 und Studie von Gansauge von 2007) präsentiert habe. Diese verschiedenen Studien hätten dazu beigetragen, Einzelheiten des Wirkungsmechanismus von Ukrain zu klären, und ließen den Schluss zu, dass kein anderes Präparat derart günstige Eigenschaften für die Krebsbehandlung besitze.
[26] 25 Insoweit erklärt die Klägerin zunächst eine Studie (Panzer von 2000) für falsch, die zum Ergebnis gekommen sei, dass Ukrain auch für normale Zellen toxisch wirke. Zum einen seien ihre Autoren auf die offensichtlichen Widersprüche zwischen dieser Studie und den früheren Studien nicht eingegangen, und zum anderen sei dieses Ergebnis durch keine spätere Studie bestätigt worden.
[27] 26 Sodann bemerkt sie, eine mit Mitteln einer deutschen Universität finanzierte klinische Pilotstudie, nämlich die Studie Gansauge von 2007, habe nachzuweisen vermocht, dass Ukrain bei Pankreaskarzinomen nicht nur in vitro wirksam sei, sondern auch signifikante klinische Vorteile in Bezug auf Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber herkömmlichen Therapien aufweise. In Verbindung mit dem bereits zugelassenen Arzneimittel Gemcitabin verlängere Ukrain die Lebensdauer der Patienten um durchschnittlich 120 Tage.
[28] 27 Zudem habe Ukrain den Status eines Arzneimittels für seltene Leiden für Bauchspeicheldrüsenkrebs in den USA und in Australien auf der Grundlage der auch der Kommission übermittelten Unterlagen erhalten und der Erfinder von Ukrain sei für den Nobelpreis 2005 und für den Alternativ-Nobelpreis 2007 nominiert worden.
[29] 28 Schließlich bemerkt die Klägerin, direkte vergleichende klinische Prüfungen zwischen Ukrain und anderen bei der Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs eingesetzten Arzneimitteln seien nicht durchgeführt worden, führt aber indirekte Vergleiche zwischen der Kombination von Gemcitabin mit Ukrain und der Kombination von Gemcitabin mit Erlotinib an. Sie stellt fest, dass die Überlebensrate im ersten Fall deutlich höher sei und die vier klinischen Studien eine wesentlich höhere Überlebensrate bei Verabreichung von Ukrain, allein oder in Kombination mit Gemcitabin, ergäben als bei Verabreichung nur von Gemcitabin. Die bessere klinische Wirksamkeit von Ukrain sei folglich durch diese vorläufigen Daten belegt worden.
[30] 29 Zweitens seien die Anforderungen der Kommission an den Nachweis des erheblichen Nutzens übertrieben. Die Bedingungen, die der Ausschuss an die von der Klägerin vorgelegten klinischen Studien der Phase II gestellt habe, entsprächen in Wirklichkeit dem Anforderungsniveau, das normalerweise für klinische Studien der Phase III, die im Rahmen des Verfahrens der gemeinschaftsweiten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels für seltene Leiden verwendet würden, verlangt werde. Der Ausschuss habe die zu Ukrain durchgeführten Pilotstudien mit anderen Worten so behandelt, als wären sie Phase-III-Studien. Die Fragen, die den im Rahmen des Widerspruchsverfahrens herangezogenen Experten N. und K. gestellt worden seien, hätten nur im Rahmen eines Verfahrens der gemeinschaftsweiten Genehmigung für das Inverkehrbringen gestellt werden dürfen.
[31] 30 Drittens liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vor. Der Ausschuss habe an die zu erfüllenden Kriterien und die für die Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden vorzulegenden Studien und Unterlagen höhere Anforderungen gestellt als bei Investoren anderer medikamentöser Behandlungen wie Chimeric antibody to mesothelin und Nimuzuteb. Letztere hätten hierfür eine "Zulassung als Arzneimittel für seltene Leiden" erhalten, ohne dass so weit reichende Studien gefordert worden seien, wie sie die Kommission bei Ukrain verlangt habe.
[32] 31 Die Kommission habe insofern sachfremde Erwägungen herangezogen. Die angefochtene Entscheidung sei eher aufgrund einer "Marktpolitik" erfolgt und nicht anhand der festgelegten Kriterien. Die Kommission habe somit das vornehmliche Ziel der Verordnung Nr. 141/2000 verkannt, das darin bestehe, die Entwicklung von Behandlungen bei seltenen Leiden zu fördern.
[33] 32 Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beantragt, den vorliegenden Nichtigkeitsgrund zurückzuweisen.
- Würdigung durch das Gericht
[34] 33 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren betreffend Arzneimittel für seltene Leiden in zwei verschiedenen Phasen abläuft. Die erste Phase betrifft die Ausweisung des Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden, die zweite die Genehmigung für das Inverkehrbringen des für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittels und das damit verknüpfte Marktexklusivitätsrecht.
[35] 34 In Bezug auf das Verfahren der Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden sieht Art. 3 der Verordnung Nr. 141/2000 die Kriterien vor, die das Arzneimittel hierfür erfüllen muss. Der Investor des Arzneimittels für seltene Leiden muss insbesondere nachweisen, dass in der Gemeinschaft noch keine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des Leidens zugelassen wurde, auf das sich das Arzneimittel bezieht, für das der Antrag auf Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden gestellt wird. Wenn aber eine solche Methode existiert, soll es nach dem Willen des Gesetzgebers möglich sein, jedes potenzielle Arzneimittel, das der Behandlung desselben Leidens dient, als Arzneimittel für seltene Leiden auszuweisen, sofern der betreffende Investor nachweist, dass dieses Arzneimittel für von dem Leiden betroffene Patienten von erheblichem Nutzen sein wird.
[36] 35 Der erhebliche Nutzen ist in der Verordnung Nr. 847/200 als "ein klinisch relevanter Vorteil oder ein bedeutender Beitrag zur Behandlung von Patienten" beschrieben.
[37] 36 Zu der zweiten Phase des Verfahrens, nämlich die der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels für seltene Leiden, kommt es erst, wenn das betreffende Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen ist.
[38] 37 Im vorliegenden Fall ist die angefochtene Entscheidung in der ersten Phase, nämlich der der Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden, ergangen. Außerdem ist zwischen den Parteien unstreitig, dass Arzneimittel zur Behandlung des Bauchspeicheldrüsenkarzinoms bereits auf dem Markt zugelassen waren und deshalb der Klägerin der Nachweis oblag, dass ihr Arzneimittel für die von dieser Krankheit betroffenen Patienten von erheblichem Nutzen sein würde.
[39] 38 Hierzu ist festzustellen, dass der von der Klägerin behauptete erhebliche Nutzen darin bestehen soll, dass Ukrain nur gegenüber Krebszellen wirke und daher für gesunde Zellen nicht toxisch sei, eine Verlängerung der Lebensdauer der Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs ermögliche und für Patienten, die die toxischen Wirkungen anderer Arzneimittel nicht mehr vertrügen, die letzte Hilfe darstelle.
[40] 39 Dies alles ist bei der Prüfung der Rügen zu berücksichtigen, die in dem Nichtigkeitsgrund enthalten sind, mit dem ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000 geltend gemacht wird.
[41] 40 Mit einer ersten Rüge führt die Klägerin im Wesentlichen aus, dass es für den Nachweis des erheblichen Nutzens keiner vergleichenden Untersuchung zwischen einem Arzneimittel, für das die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden beantragt werde, und den bestehenden Behandlungsmethoden bedürfe, sondern dieser Nachweis bezogen auf die dem Arzneimittel selbst innewohnenden positiven Eigenschaften geführt werden müsse. Ukrain besitze genau solche positiven Eigenschaften und sei daher von erheblichem Nutzen.
[42] 41 Aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000 und der Definition des "erheblichen Nutzens" in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 847/2000 geht eindeutig hervor, dass der Nachweis des erheblichen Nutzens nur in dem speziellen Fall verlangt wird, dass bereits eine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde.
[43] 42 So muss nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a erster Halbsatz und Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 der Investor eines Arzneimittels, für das die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden beantragt wird, nachweisen, dass es für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines seltenen Leidens bestimmt ist und noch keine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde. Demgegenüber muss der Investor eines potenziellen Arzneimittels, mit dem ein seltenes Leiden behandelt werden soll, für dessen Diagnose, Verhütung oder Behandlung eine solche zufriedenstellende Methode bereits existiert, nicht nur nach diesem Art. 3 Abs. 1 Buchst. a erster Halbsatz nachweisen, dass das fragliche Arzneimittel tatsächlich für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des seltenen Leidens bestimmt ist, sondern gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b auch, dass das potenzielle Arzneimittel für die von diesem Leiden betroffenen Patienten von erheblichem Nutzen sein wird.
[44] 43 Die Feststellung des erheblichen Nutzens ist daher in eine vergleichende Untersuchung in Bezug auf eine bereits existierende und zugelassene Methode oder ein entsprechendes Arzneimittel eingebettet. Denn "der klinisch relevante Vorteil" und der "bedeutende Beitrag zur Behandlung von Patienten", die dem potenziellen Arzneimittel für seltene Leiden die Eigenschaft des erheblichen Nutzens verleihen, können nur im Vergleich mit den bereits zugelassenen Behandlungen festgestellt werden.
[45] 44 Diese Auslegung wird durch die Mitteilung der Kommission zur Verordnung Nr. 141/2000 (oben in Randnr. 5 angeführt) bestätigt, der zufolge der "Antragsteller … nachweisen [muss], dass zum Zeitpunkt der Ausweisung ein erheblicher Nutzen im Vergleich zu einem vorhandenen zugelassenen Arzneimittel oder einer solchen Methode besteht".
[46] 45 Aus der angefochtenen Entscheidung und insbesondere dem Gutachten des Ausschusses, das als Anhang beigefügt und Bestandteil der Entscheidung ist, geht hervor, dass die Ausweisung von "Ukrain" als Arzneimittel für seltene Leiden deshalb abgelehnt wurde, weil ein erheblicher Nutzen dieses Präparats im Vergleich zu den derzeit zugelassenen Methoden zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht nachgewiesen worden sei. Die Kommission hat die Prüfung daher zu Recht in Form einer vergleichenden Betrachtung von Ukrain und der bestehenden Arzneimittel vorgenommen, um daraus zu schließen, dass es an einem Nachweis des erheblichen Nutzens von Ukrain im Vergleich zu anderen Arzneimitteln fehle.
[47] 46 Da der Nachweis des erheblichen Nutzens, wie oben dargelegt, in eine vergleichende Untersuchung in Bezug auf eine bereits existierende und zugelassene Methode oder ein entsprechendes Arzneimittel eingebettet ist, hat die Kommission nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 verstoßen, als sie festgestellt hat, dass der Klägerin der Nachweis obliege, dass Ukrain einen erheblichen Nutzen im Vergleich zu den in der Union bereits zugelassenen Arzneimitteln aufweise und dass der Beweis für einen solchen Vorteil deshalb nicht unter Beschränkung auf die dem Ukrain selbst innewohnenden positiven Eigenschaften erbracht werden könne, ohne sie mit denen der zugelassenen Methoden zu vergleichen.
[48] 47 Die Klägerin vertritt daher zu Unrecht die Auffassung, dass die Kommission ihre Prüfung von Ukrain auf die Frage hätte beschränken müssen, ob dieses Arzneimittel für sich genommen einen klinisch relevanten Vorteil biete oder einen bedeutenden Beitrag zur Behandlung von Patienten darstelle, ohne einen Vergleich mit den bestehenden und zugelassenen Behandlungsmethoden anzustellen. Ebenso erfolglos beruft sie sich darauf, dass die Kommission schon dadurch, dass sie den erheblichen Nutzen im Rahmen einer vergleichenden Untersuchung von Ukrain und bereits zugelassenen Arzneimitteln beurteilt habe, die in Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 141/2000 vorgesehene Voraussetzung der klinischen Überlegenheit angewandt habe.
[49] 48 Mit einer zweiten Rüge macht die Klägerin geltend, dass die Anforderungen der Kommission an den Nachweis des erheblichen Nutzens übertrieben seien, da es sich um Anforderungen handele, an die normalerweise der Nachweis der klinischen Überlegenheit des betreffenden Arzneimittels nach Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 141/2000 geknüpft sei. Insbesondere entsprächen die Bedingungen, die die Kommission an die von der Klägerin vorgelegten klinischen Studien der Phase II gestellt habe, dem Anforderungsniveau, das normalerweise für klinische Studien der Phase III, die im Rahmen des Verfahrens der gemeinschaftsweiten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels für seltene Leiden verwendet würden, verlangt werde. Die Fragen, die den im Rahmen des Widerspruchsverfahrens herangezogenen Sachverständigen N. und K. gestellt worden seien, hätten nur im Rahmen eines Verfahrens der gemeinschaftsweiten Genehmigung für das Inverkehrbringen gestellt werden dürfen.
[50] 49 Diese Rüge kann keinen Erfolg haben. Wie es nämlich in der Mitteilung der Kommission zur Verordnung Nr. 141/2000 (oben in Randnr. 5 angeführt) heißt, ist insofern, als mit dem potenziellen Arzneimittel, für das der Antrag auf Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden gestellt wird, unter Umständen wenig oder keine klinische Erfahrung vorliegt, von dem vom Antragsteller angenommenen Nutzen auszugehen, wobei diese Annahmen durch die verfügbaren Daten bzw. die vom Antragsteller eingereichten Nachweise bestätigt werden müssen.
[51] 50 So kann sich ein Antrag auf Ausweisung je nach Fallgestaltung auf vorläufige Daten aus präklinischen Studien stützen, also Studien, die an Zellen und/oder Tieren und nicht an Menschen durchgeführt werden, oder, sofern sie existieren, auf Daten aus klinischen Studien, d. h. Studien an Menschen. Zwar können präklinische Studien als Prognose interessante Informationen zum erheblichen Nutzen liefern, den ein potenzielles Arzneimittel im Vergleich zu anderen zugelassenen Präparaten bieten kann, doch sind klinische Studien hierfür umso besser geeignet. Solche Studien werden nämlich in vivo durchgeführt und sind daher die beste denkbare Informationsquelle. Kommen klinische Studien zu dem Schluss, dass das betreffende Arzneimittel keinen erheblichen Nutzen aufweist, wird dieses Ergebnis durch in vitro durchgeführte präklinische Studien nicht von vornherein in Frage gestellt. Gleichwohl sind Fälle vorstellbar, in denen die Plausibilität klinischer Studien aufgrund ihnen anhaftender methodologischer Probleme mit Vorsicht betrachten werden muss. In einem solchen Fall ist es durchaus denkbar, die präklinischen Studien für die Beurteilung heranzuziehen, ob das betreffende Arzneimittel womöglich von erheblichem Nutzen ist.
[52] 51 Hier hat die Klägerin den Antrag auf Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden auf vier klinische Studien und andere Nachweise, wie z. B. präklinische Studien, gestützt.
[53] 52 Erstens wurden in Bezug auf die klinischen Studien in der angefochtenen Entscheidung zahlreiche methodologische Probleme aufgeführt, aufgrund deren diesen Studien keine hinreichende wissenschaftliche Plausibilität zugebilligt werden könne. Wegen dieser methodologischen Probleme forderte der Ausschuss die Klägerin auf, ihm die vollständigen Original-Studienprotokolle vorzulegen, um die insoweit bestehenden Zweifel gegebenenfalls auszuräumen. Weder konnte die Klägerin diese Unterlagen vorlegen, noch war es der EMEA – trotz entsprechender Ersuchen an die Urheber der Studien – möglich, sie zu erlangen. Der Ausschuss hat sich daher auf der Grundlage derjenigen Unterlagen, die ihm zur Verfügung gestellt worden waren, eine Meinung gebildet.
[54] 53 Insoweit ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, wonach die Kommission an die klinischen Studien der Phase II Bedingungen gestellt habe, wie sie normalerweise für diejenigen der Phase III verlangt würden. So hat die Kommission festgestellt, dass die beiden angeblich randomisierten Studien viele Probleme wegen ihres Ungleichgewichts aufwiesen, das Fehlen eines vollständigen Protokolls und vollständiger Ergebnisse die objektive Evaluierung dieser Ergebnisse verhindere, auch die beiden anderen Studien mehrere methodologische Probleme aufwiesen, die in den vier Berichten genannte durchschnittliche Überlebenszeit von 8, 1 bis zu 33, 8 Monaten gereicht habe und sich diese Unterschiede eher auf die erwähnten methodologischen Fehler zurückführen ließen als auf die Wirkung der Behandlung mit Ukrain. Damit hat die Kommission nichts anderes getan, als die fehlende Klarheit der Methoden hervorzuheben, die in den in Phase II durchgeführten Studien verwendet wurden. Die Klägerin hat daher nicht dargetan, dass die Bedingungen, die der Ausschuss an die von ihr vorgelegten klinischen Studien der Phase II gestellt hat, in Wirklichkeit dem Anforderungsniveau entsprachen, das normalerweise für klinische Studien der Phase III verlangt wird.
[55] 54 Da nach den Feststellungen der Kommission die vier von der Klägerin vorgelegten klinischen Studien aufgrund der Zweifel an ihrer wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit nicht den Nachweis erbringen, dass Ukrain für die an Bauchspeicheldrüsenkrebs leidenden Patienten von erheblichem Nutzen sein wird, ist zweitens zu prüfen, ob die Kommission andere Unterlagen hätte berücksichtigen müssen, auf die sich die Klägerin beruft und die möglicherweise einen solchen Nutzen belegen.
[56] 55 Zunächst verweist die Klägerin auf eine Reihe präklinischer Studien, aus denen hervorgehe, dass kein anderes Präparat derart günstige Eigenschaften für die Krebsbehandlung besitze wie Ukrain. Die Kommission hat jedoch zu Recht und von der Klägerin nicht ernsthaft bestritten festgestellt, dass sich diese Studien auf andere Krankheiten als Bauchspeicheldrüsenkrebs bezögen. Wie die Kommission ausführt, hat die Klägerin nicht dargetan, dass die Ergebnisse dieser Studien auch auf Bauchspeicheldrüsenkrebs anwendbar sind. Ebenso hat die Klägerin nichts vorgetragen, was die Begründetheit der Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung in Frage stellen könnte, wonach die vorklinischen Studien für den Nachweis eines erheblichen Nutzens von Ukrain nicht ausreichen konnten, weil sie keinen Vergleich mit bestehenden Behandlungsmethoden enthielten.
[57] 56 Sodann vermag die Klägerin nicht zu belegen, dass die Ausführungen der Kommission zur selektiven Zytotoxizität von Ukrain offensichtlich fehlerhaft sind. Zum einen ist der angefochtenen Entscheidung (vgl. S. 40 und 41 des Anhangs) zu entnehmen, dass die Kommission ihre Schlussfolgerungen auf eine wissenschaftliche Studie (Panzer von 2000) stützt, in der die selektive Zytotoxizität von Ukrain in Frage gestellt wird. Dass diese Studie nach Ansicht der Klägerin im Widerspruch zu anderen wissenschaftlichen Studien, darunter der von Panzer von 1998, steht, erschüttert zum anderen die Erwägungen der Kommission keineswegs, sondern belegt, dass insoweit keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlagen. Daher kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie dieses Fehlen gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse berücksichtigt hat. Folgte man dem Gedankengang der Klägerin, bedeutete dies außerdem, dass das Gericht für jede der von den Parteien angeführten Studien prüfen müsste, ob sie in wissenschaftlicher Hinsicht zutrifft, was den Umfang seiner Kontrolle auf diesem Gebiet überstiege.
[58] 57 Auch dass Ukrain in den Vereinigten Staaten und in Australien den Status eines Arzneimittels für seltene Leiden erlangt haben soll, genügt nicht, um die Feststellungen der Kommission zum Fehlen eines erheblichen Nutzens in Frage zu stellen. Denn einschlägig sind nur die Bestimmungen der Union, die Kriterien zur Ausweisung von Arzneimitteln für seltene Leiden vorsehen, weshalb der Umstand, dass Ukrain in anderen Ländern die Kriterien für die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden angeblich erfüllt, insoweit ohne Bedeutung ist.
[59] 58 Schließlich kann die Klägerin auch die Tatsache, dass der Erfinder von Ukrain für den Nobelpreis 2005 und für den Alternativ-Nobelpreis 2007 nominiert worden ist, nicht anführen, um die Begründetheit der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Denn die Kommission hat nicht die wissenschaftliche Eignung des Erfinders des Ukrain in Frage gestellt, sondern auf zahlreiche Probleme der wissenschaftlichen Methodologie hingewiesen, die Zweifel an der Plausibilität der ärztlichen Befunde in den klinischen Studien aufgeworfen hätten.
[60] 59 Die Klägerin rügt drittens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Kommission habe für die Bewertung von Ukrain andere Beurteilungsmaßstäbe angelegt als bei Investoren anderer medikamentöser Behandlungen, wie z. B. Nimuzuteb und Chimeric antibody to mesotholin; die gegenüber diesen Investoren gestellten Anforderungen an die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden seien niedriger gewesen.
[61] 60 Ferner führt die Klägerin aus, sie sei diskriminiert worden, weil die Kommission sachfremde Erwägungen herangezogen habe, auf die sie im Rahmen von Verfahren der Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden in Bezug auf andere pharmazeutische Behandlungen keinen Wert gelegt habe. Die angefochtene Entscheidung sei eher aufgrund einer "Marktpolitik" erfolgt und nicht anhand der festgelegten Kriterien. Die Kommission trägt vor, dieses Argument sei erstmals in der Erwiderung vorgebracht worden und gemäß Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts unzulässig.
[62] 61 Das Gericht weist die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zurück. Zum einen sind die Kriterien, an die sich die Kommission gehalten hat, wie oben dargelegt, korrekt. Zum anderen kann sich die Klägerin, selbst wenn man unterstellt, dass im Rahmen von Verfahren der Ausweisung anderer Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden falsche Kriterien angewandt wurden, nicht mit Erfolg auf diesen Umstand berufen, da der Grundsatz der Gleichbehandlung mit dem des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden muss, der besagt, dass sich niemand zu seinem Vorteil auf eine gegenüber anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998, SCA Holding/Kommission, T-327/94, Slg. 1998, II-1373, Randnr. 160, vom 27. Februar 2002, Streamserve/HABM [STREAMSERVE], T-106/00, Slg. 2002, II-723, Randnr. 67, und vom 20. März 2002, LR AF 1998/Kommission, T-23/99, Slg. 2002, II-1705, Randnr. 367).
[63] 62 Außerdem ist das Argument, die Kommission habe sachfremde Erwägungen herangezogen, auf die sie im Rahmen anderer Verfahren der Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden keinen Wert gelegt habe, zurückzuweisen, ohne dass auf die Frage seiner Unzulässigkeit eingegangen zu werden braucht.
[64] 63 Die Klägerin hat nämlich weder dargelegt, welches andere Kriterium als das des erheblichen Nutzens die Kommission angewandt haben soll, noch irgendeinen Beleg dafür vorgebracht, dass es Politik der Kommission wäre, bestimmte pharmazeutische Unternehmen gegenüber anderen zu bevorzugen. Vielmehr geht aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Kommission lediglich den von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000 verlangten Nachweis gefordert hat, dass Ukrain von erheblichem Nutzen sein wird. Das Erfordernis eines erheblichen Nutzens ergibt sich also nicht aus einer "Marktpolitik", sondern ist ein Kriterium, das aus den anwendbaren Rechtsvorschriften folgt.
[65] 64 Aufgrund dieser Erwägungen ist der Nichtigkeitsgrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 141/2000 geltend gemacht wird, zurückzuweisen.
Zum zweiten Nichtigkeitsgrund: fehlende Qualifikation und Befangenheit von Prof. H. W.
- Vorbringen der Parteien
[66] 65 Die Klägerin trägt als Erstes vor, Prof. H. W., den der Ausschuss im Verfahren der Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden als Sachverständigen benannt habe, sei nicht qualifiziert gewesen, um ein Urteil über das betreffende Arzneimittel abzugeben, da er kein Experte für Onkologie sei.
[67] 66 Als Zweites macht die Klägerin geltend, dass Prof. H. W. bereits in zwei Genehmigungsverfahren in Österreich eine negative Stellungnahme zu Ukrain abgegeben habe und dies seine wissenschaftliche Objektivität in Bezug auf dieses Arzneimittel in Frage stelle.
[68] 67 Die Klägerin bringt mehrere Argumente zum Beweis der Befangenheit von Prof. H. W. vor. Erstens habe er neue, in aktuellen Studien vorgestellte Untersuchungsergebnisse ignoriert.
[69] 68 Zweitens habe Prof. H. W. weder berücksichtigt noch der Kommission zur Kenntnis gebracht, dass die Behandlung mit Ukrain die Operation zur Entfernung des Krebstumors erleichtere, dass bestimmte Publikationen, auf die er sich stütze, in Bezug auf die mutmaßliche Toxizität von Ukrain einander widersprächen und dass dieses Arzneimittel die einzige Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs darstelle, die auch durch intramuskuläre Verabreichung erfolgen könne, ohne dass es zu Gewebsnekrosen komme.
[70] 69 Drittens weist die Klägerin darauf hin, dass sie Phase-II-Studien, sogenannte Pilotstudien, vorgelegt habe, die darauf abzielten, zu überprüfen, ob die Wirkung, die Ukrain gegen die sehr resistenten Pankreaskrebszellen in vitro zeige, auch klinisch zu beobachten sei. Die Professoren H. W., N. und K. hätten diese Pilotstudien als Phase-III-Studien behandelt, die normalerweise erst nach Einreichung eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen des als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittels durchgeführt würden.
[71] 70 Klinische Studien stellten keine unabdingbare Voraussetzung für die Ausweisung eines Medikaments als Arzneimittel für seltene Leiden dar. Der Ausschuss habe sich aber fast ausschließlich auf diese Studien und auf die Kritik gestützt, die er an ihnen üben zu können geglaubt habe, um das negative Gutachten zu rechtfertigen.
[72] 71 Außerdem entspreche die Kritik von Prof. H. W. an den vier von ihr vorgelegten klinischen Studien fast wörtlich der Kritik in dem für das österreichische Gesundheitsministerium erstellten früheren Gutachten. Wie unzutreffend diese Kritik sei, werde u. a. durch zwei anfechtbare Äußerungen zur Studie Gansauge von 2002 deutlich.
[73] 72 Im Übrigen entbehre die Behauptung der Kommission, das Votum von Prof. H. W. habe "bei der Entscheidung keine Rolle gespielt", jeder Grundlage. Die verwendeten Unterlagen seien nämlich von Prof. H. W. ausgewählt worden, und weder die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hinzugezogenen Sachverständigen noch die Kommission hätten sich für eine andere Beurteilung als Prof. H. W. entschieden.
[74] 73 Die Kommission weist das Vorbringen der Klägerin zurück und hält diesen Nichtigkeitsgrund für unbegründet.
- Würdigung durch das Gericht
[75] 74 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 141/2000 die Ausschussmitglieder von Sachverständigen begleiten lassen können.
[76] 75 Außerdem ist zu betonen, dass sich die Kommission in einem komplexen Bereich der Wissenschaft wie dem der Arzneimittel für seltene Leiden meist den Gutachten des Ausschusses anschließt, da sie selbst nicht über genügend andere Informationsquellen auf diesem Gebiet verfügt. In diesem Sinne ist übrigens nach der Vorstellung des Gemeinschaftsgesetzgebers eine Entscheidung, die vom Gutachten des Ausschusses abweicht, der Ausnahmefall. So heißt es in Art. 5 Abs. 8 der Verordnung Nr. 141/2000: "Steht der Entscheidungsentwurf ausnahmsweise nicht im Einklang mit dem Gutachten des Ausschusses, so wird die endgültige Entscheidung nach dem Verfahren des Artikels 73 der Verordnung … Nr. 2309/93 … angenommen."
[77] 76 Unter diesen Umständen kann zum einen der Ausschuss nur dann seiner Aufgabe gerecht werden, wenn er aus Personen zusammengesetzt ist, die über den notwendigen wissenschaftlichen Sachverstand in den jeweils betroffenen Bereichen verfügen, oder wenn seine Mitglieder von Personen beraten werden, die diesen Sachverstand besitzen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 21. November 1991, Technische Universität München, C-269/90, Slg. 1991, I-5469, Randnr. 22).
[78] 77 Zum anderen handelt es sich beim Verfahren der Ausweisung von Arzneimitteln für seltene Leiden um ein Verwaltungsverfahren, das mit komplexen wissenschaftlichen Bewertungen verbunden ist, für die die Kommission über ein weites Ermessen verfügt. Umso genauer sind daher im vorliegenden Fall die Garantien zu beachten, die die Gemeinschaftsrechtsordnung in den Verwaltungsverfahren gewährt, darunter die Verpflichtung, sorgfältig und unvoreingenommen alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen. Einer solchen Verpflichtung kann nicht wirksam nachgekommen werden, wenn das Gutachten des Ausschusses, auf das sich die Kommission stützt, von Sachverständigen erstellt wurde, die befangen sind.
[79] 78 Dies ist bei der Prüfung der von der Klägerin vorgebrachten Rügen zu berücksichtigen.
[80] 79 Soweit als Erstes gerügt wird, dass Prof. H. W. als Experten für Pharmakologie die Qualifikation fehle, ein Gutachten auf diesem Gebiet zu erstellen, ist festzustellen, dass sich die Klägerin im Wesentlichen darauf stützt, dass er kein Spezialist für Krebstumore sei, weil er kein Onkologe sei. Letztlich läuft diese Rüge auf die Behauptung hinaus, dass nur ein Onkologe befugt sei, ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten zu Ukrain abzugeben, und die Kommission dadurch, dass sie keinen Spezialisten für Onkologie hinzugezogen habe, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.
[81] 80 Der Kommission ist jedoch weder in Bezug auf die Wahl eines Experten für Pharmakologie im Allgemeinen noch im Hinblick auf die Wahl von Prof. H. W. im Besonderen ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen.
[82] 81 Zum einen ist die Entscheidung des Ausschusses, sich von einem Spezialisten für Pharmakologie beraten zu lassen, um beurteilen zu können, ob Ukrain für Patienten, die unter Bauchspeicheldrüsenkrebs leiden, von erheblichem Nutzen ist, legitim. Die Pharmakologie studiert nämlich die Wechselwirkungen zwischen einem Wirkstoff und dem Organismus, in dem er seine Wirkung entfaltet, um anschließend die gewonnenen Erkenntnisse zu therapeutischen Zwecken nutzen können. Ein Spezialist für Pharmakologie erweist sich somit als geeigneter Sachverständiger für die Abgabe eines wissenschaftlich fundierten Gutachtens über die Wirkungen eines potenziellen Arzneimittels auf den Organismus.
[83] 82 Zum anderen lässt sich vernünftigerweise nicht bestreiten, dass Prof. H. W. über umfangreiches Fachwissen in der Pharmakologie verfügt. So ist zwischen den Parteien unstreitig, dass er im Verzeichnis europäischer Sachverständiger aufgeführt ist, viele Jahre lang Vorstand des Instituts für Pharmakologie einer österreichischen Universität war und von 1997 bis 2000 Mitglied des Ausschusses für Arzneispezialitäten, dem jetzigen Ausschuss für Humanarzneimittel, bei der EMEA war.
[84] 83 Außerdem wurde Prof. H. W. bereits in Österreich als Sachverständiger in zwei Verfahren betreffend Ukrain hinzugezogen. Aus diesem Grund kann vernünftigerweise angenommen werden, dass er erst recht nachgewiesene Kenntnisse über das in Rede stehende potenzielle Arzneimittel besitzt.
[85] 84 Dass die Wahl des Ausschusses auf Prof. H. W. fiel, erscheint daher angesichts seiner Stellung als anerkannter Spezialist für Pharmakologie und seiner bereits bestehenden Kenntnisse über Ukrain gerechtfertigt.
[86] 85 Folglich ist die Rüge, dass Prof. H. W. zur Erstellung eines Gutachtens über Ukrain nicht qualifiziert sei, zurückzuweisen.
[87] 86 Als Zweites ist die Rüge der Befangenheit von Prof. H. W. zu prüfen.
[88] 87 Erstens ist hervorzuheben, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beachtung der Garantien, die die Gemeinschaftsrechtsordnung in den Verwaltungsverfahren gewährt, eine um so größere Bedeutung zukommt, wenn die Organe der Gemeinschaft über ein weites Ermessen verfügen. Zu diesen Garantien gehört insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unvoreingenommen alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs Technische Universität München, oben in Randnr. 76 angeführt, Randnr. 14, und vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C-326/05 P, Slg. 2007, I-6557, Randnr. 77, sowie Urteil des Gerichts vom 18. September 1995, Nölle/Rat und Kommission, T-167/94, Slg. 1995, II-2589, Randnr. 73).
[89] 88 Das Erfordernis der Unvoreingenommenheit, dem die Gemeinschaftsorgane unterliegen, gilt zudem auch für die insoweit hinzugezogenen Sachverständigen. Insbesondere muss ein Sachverständiger, der um Erstellung eines Gutachtens über die Wirkungen eines potenziellen Arzneimittels gebeten wird, seine Aufgabe absolut unvoreingenommen erfüllen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil des Gerichts vom 11. September 2002, Alpharma/Rat, T-70/99, Slg. 2002, II-3495, Randnrn. 172, 183 und 211).
[90] 89 Hierzu sieht § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses vor, dass sich für besondere Gebiete der Wissenschaft oder Technik der Ausschuss und seine Arbeitsgruppen mit Sachverständigen umgeben können, die im Verzeichnis europäischer Sachverständiger aufgeführt sind. Nach § 11 Abs. 2 und 3 der Geschäftsordnung dürfen die Mitglieder des Ausschusses und der Arbeitsgruppen sowie die Sachverständigen keine unmittelbaren Interessen in der pharmazeutischen Industrie verfolgen, die ihre Unvoreingenommenheit oder Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten, und müssen vor jeder Sitzung alle Interessen offen legen, die die Annahme begründen könnten, dass sie sich nachteilig auf ihre Unabhängigkeit in Bezug auf die Tagesordnungspunkte auswirken.
[91] 90 Prof. H. W. hat ehrenwörtlich versichert, keine unmittelbaren oder mittelbaren Interessen in der pharmazeutischen Industrie zu verfolgen, was von der Klägerin nicht bestritten worden ist. Er ist demnach den Erklärungspflichten aus §§ 10 und 11 der Geschäftsordnung nachgekommen und war keinem Interessenkonflikt ausgesetzt, der seine Unvoreingenommenheit in Frage stellen könnte.
[92] 91 Zweitens ist die Klägerin zu Unrecht der Ansicht, allein daraus, dass der Sachverständige H. W. bereits ein Gutachten in zwei anderen Verfahren betreffend Ukrain erstellt habe, folge bereits, dass er nicht ohne Verstoß gegen die Verpflichtung zur Unvoreingenommenheit in derselben Eigenschaft in dem Verwaltungsverfahren habe auftreten können, das zum Erlass der angefochtenen Entscheidung geführt habe.
[93] 92 Die einzige in der Geschäftsordnung des Ausschusses vorgesehene Verpflichtung, deren Verletzung zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit von Prof. H. W. hätte führen können, ist nämlich diejenige, dass kein Interessenkonflikt mit der pharmazeutischen Industrie bestehen darf. Wie aber oben in Randnr. 90 ausgeführt worden ist, ist nicht bestritten worden, dass der Sachverständige über keinerlei Interesse verfügte, das mit dem Gegenstand seiner Aufgabe als Gutachter in Konflikt treten konnte.
[94] 93 Aus der Verpflichtung zur Unvoreingenommenheit lässt sich nicht ableiten, dass ein Sachverständiger allein deswegen rechtlich daran gehindert wäre, im Rahmen eines Verfahrens der Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden hinzugezogen zu werden, weil er bereits ein Gutachten zu demselben Arzneimittel im Rahmen eines in einem Mitgliedstaat der Union durchgeführten anderen, nationalen Verfahrens erstellt hat.
[95] 94 Drittens versucht die Klägerin erfolglos, anhand einer Reihe von Umständen die Unvoreingenommenheit von Prof. H. W. in Zweifel zu ziehen.
[96] 95 Selbst wenn, wie die Klägerin vorträgt, die Kommentare von Prof. H. W. fast wörtlich denen in dem für das österreichische Gesundheitsministerium erstellten früheren Gutachten entsprochen haben sollten, wäre dies zunächst einmal kein Beleg dafür, dass Prof. H. W. voreingenommen war. Es könnte vielmehr bedeuten, dass er dies für die einzige wissenschaftlich zulässige Folgerung in Bezug auf Ukrain hielt.
[97] 96 Sodann hat Prof. H. W., anders als die Klägerin meint, bei der Erstellung seines Gutachtens keine von ihr vorgelegten aktuellen Studien ignoriert. Dem Anhang der angefochtenen Entscheidung ist nämlich zu entnehmen, dass Prof. H. W. Studien wie die von Aschhoff von 2003 und von Gansauge von 2007, die nach den Gutachten durchgeführt wurden, die er im Rahmen von zwei nationalen Verwaltungsverfahren betreffend Ukrain im Auftrag der österreichischen Gesundheitsministeriums angefertigt hatte, berücksichtigt hat.
[98] 97 Zurückzuweisen ist auch das Vorbringen der Klägerin, die Unvoreingenommenheit von Prof. H. W. könne in Frage gestellt werden, weil er bewusst nur negative Veröffentlichungen über Ukrain berücksichtigt habe. Selbst wenn Prof. H. W. positive Veröffentlichungen über Ukrain nicht stärker herausgestellt haben sollte, hat er doch genügend negative Erkenntnisse angeführt, um bei vernünftiger Betrachtung allein auf deren Grundlage in voller wissenschaftlicher Objektivität ein negatives Gutachten zur Frage des erheblichen Nutzens von Ukrain abgeben zu können.
[99] 98 Auch das Vorbringen, Prof. H. W. habe ebenso wie die Professoren N. und K. klinische Phase-II-Studien als Phase-III-Studien behandelt, ist zurückzuweisen. Wie nämlich oben in Randnr. 53 ausgeführt worden ist, hat die Kommission nichts anderes getan, als die fehlende Klarheit der Methoden hervorzuheben, die in den in Phase II durchgeführten Studien verwendet wurden.
[100] 99 Schließlich ist festzustellen, dass entgegen der Behauptung der Klägerin positive Ergebnisse einzelner Studien, wie z. B. das Phänomen der "Einkapselung des Tumors", nicht verschwiegen, sondern dem Ausschuss durchaus zur Kenntnis gebracht wurden; dessen Mitglieder gaben ihr negatives Gutachten also in Kenntnis sämtlicher Stellungnahmen und Erläuterungen der Klägerin ab.
[101] 100 Somit hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sich Prof. H. W. bei Erstellung seines Gutachtens von anderen als rein wissenschaftlichen Erwägungen leiten ließ.
[102] 101 Aus alledem folgt, dass die Rüge der fehlenden Qualifikation und der Befangenheit von Prof. H. W. zurückzuweisen ist.
Zum dritten Nichtigkeitsgrund: offensichtliche Beurteilungsfehler der Kommission
- Vorbringen der Parteien
[103] 102 Nach Ansicht der Klägerin ist das vom Ausschuss abgegebene Gutachten fehlerhaft.
[104] 103 Als Erstes macht sie geltend, Ukrain habe einen anderen Wirkungsmechanismus als die zugelassenen Arzneimittel, was bereits ein ausreichender Grund für seine Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden sei. Ukrain wirke nämlich selektiv, weil es normale Zellen nicht angreife, was zur Folge habe, dass die Lebensqualität der Patienten nicht verschlechtert werde. Im Unterschied zu herkömmlichen Behandlungen komme es durch die intramuskuläre Verabreichung nicht zu Gewebsnekrosen. Außerdem verlängere Ukrain die Lebensdauer der Patienten in Kombination mit Gemcitabin um 120 Tage.
[105] 104 Die durch die Verabreichung von Ukrain an Patienten erzielten interessanten Ergebnisse seien im Antrag auf seine Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden dargestellt und durch vier klinische Studien sowie sehr vielversprechende präklinische Studien untermauert worden. Aus den klinischen Studien gehe hervor, dass man durch indirekte Vergleiche zwischen der Kombination von Gemcitabin mit Ukrain einerseits und von Gemcitabin mit Erlotinib andererseits die bessere Wirksamkeit von Ukrain habe nachweisen können. Zu den präklinischen Studien sei festzustellen, dass die in der Pharmakologie häufig beobachtete Diskrepanz zwischen guten präklinischen und enttäuschenden klinischen Ergebnissen bei Ukrain nicht festzustellen sei. Die Nachweise hätten es ihr daher ermöglichen müssen, die Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden zu erreichen.
[106] 105 Als Zweites stellt sie insoweit die vom Ausschuss, vom Sachverständigen H. W. sowie von den Sachverständigen N. und K. in Beantwortung von Fragen des Ausschusses gerügten methodologischen Probleme in Abrede.
[107] 106 Es treffe nicht zu, dass bei der Studie Zemskov von 2002 keine statistische Methode spezifiziert worden sei; in dieser Studie seien die Kaplan-Meier-Überlebenskurven herangezogen und ein "log rank" -Test durchgeführt worden. Der Studie Aschhoff von 2003 sei klar zu entnehmen, dass 28 Patienten zwischen August 1997 und Dezember 2003 an ihr teilgenommen hätten, von denen 21 nicht auf Gemcitabin angesprochen und sieben die Chemotherapie abgelehnt hätten; daraus könne geschlossen werden, dass mindestens 21 der 28 Patienten bereits in fortgeschrittenem Stadium gewesen seien und schon alle Behandlungsoptionen ausgeschöpft hätten. Die niedrige Patientenzahl bei diesen beiden Studien erkläre sich daraus, dass die zwei in die Studien einbezogenen Kliniken nicht auf die Behandlung des Pankreaskarzinoms spezialisiert gewesen seien.
[108] 107 Die im Rahmen der Studie Gansauge von 2002 angewandten Kriterien zur Bewertung des Stadiums der Krankheit der Patienten (Staging-Kriterien) seien von der Internationalen Vereinigung gegen Krebs (Union internationale contre le cancer, UICC) international anerkannt und somit klar.
[109] 108 Die Studie Gansauge von 2007 liefere zusätzliche Daten zum Vorteil einer kombinierten adjuvanten Behandlung mit Gemcitabin und Ukrain und zur daraus resultierenden beträchtlichen Verlängerung der Lebensdauer.
[110] 109 Im Ergebnis sei die Begutachtung durch den Ausschuss nicht objektiv erfolgt. So seien einige vorgelegte wissenschaftliche Publikationen falsch interpretiert oder gar außer Acht gelassen worden. Die Behauptung, wonach "methodologische Unregelmäßigkeiten" die Untersuchungsergebnisse zugunsten von Ukrain beeinflusst haben könnten, sei nicht richtig und unbegründet.
[111] 110 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Nichtigkeitsgrund zurückzuweisen.
- Würdigung durch das Gericht
[112] 111 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Kommission in Bereichen, in denen sie komplexe technische und/oder wissenschaftliche Bewertungen vorzunehmen hat, ein weites Ermessen zuzuerkennen ist. Im Rahmen seiner gerichtlichen Kontrolle muss der Gemeinschaftsrichter feststellen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (Urteil Industrias Químicas del Vallés/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 76, sowie Urteile des Gerichts vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T-74/00, T-76/00, T-83/00 bis T-85/00, T-132/00, T-137/00 und T-141/00, Slg. 2002, II-4945, Randnr. 201, und vom 3. September 2009, Cheminova u. a./Kommission, T-326/07, Slg. 2009, II-0000, Randnr. 107).
[113] 112 Sodann ist das in Art. 5 der Verordnung Nr. 141/2000 geschaffene Verfahren dadurch gekennzeichnet, dass in ihm einer objektiven und eingehenden wissenschaftlichen Beurteilung der betreffenden potenziellen Arzneimittel durch den Ausschuss die tragende Rolle zukomme. Da die Kommission die Wirksamkeit und/oder Schädlichkeit eines Arzneimittels im Rahmen des Verfahrens betreffend den Antrag auf Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden nicht selbst wissenschaftlich beurteilen kann, soll die zwingende Konsultation des Ausschusses nämlich dazu dienen, ihr die für diese Beurteilung unerlässlichen wissenschaftlichen Gesichtspunkte zu liefern, damit sie in voller Sachkenntnis die zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus der öffentlichen Gesundheit geeigneten Maßnahmen ergreifen kann (vgl. entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 111 angeführt, Randnr. 198). Selbst wenn das Gutachten des Ausschusses die Kommission nicht bindet, ist es demnach gleichwohl von entscheidender Bedeutung. Insoweit ist, wie oben in Randnr. 75 ausgeführt, Art. 5 Abs. 8 der Verordnung Nr. 141/200 zu entnehmen, dass eine Entscheidung, die nicht mit dem Gutachten des Ausschusses in Einklang steht, als Ausnahmefall betrachtet wurde.
[114] 113 Schließlich geht aus Art. 1 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Ausweisung von Ukrain als Arzneimittel für seltene Leiden für die Indikation "Behandlung von Pankreaskarzinomen" aus den im Anhang zu dieser Entscheidung angeführten Gründen abgelehnt wurde. Demnach ist die Kommission nicht vom Gutachten des Ausschusses abgewichen, sondern hat sich die darin getroffenen Feststellungen zu eigen gemacht.
[115] 114 Deshalb muss sich nach Ansicht des Gerichts die Prüfung, ob ein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorliegt, auf alle in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Erwägungen erstrecken, einschließlich derjenigen, auf die dort verwiesen wird, also auch auf den Anhang, der daher Bestandteil der angefochtenen Entscheidung ist.
[116] 115 Zur Prüfung auf Vorliegen eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers müssen in einem ersten Schritt die wesentlichen Bestandteile der angefochtenen Entscheidung aufgeführt werden. Im Rahmen der ersten vier Abschnitte des Anhangs der angefochtenen Entscheidung legt die Kommission dar, dass sich die Klägerin zum Nachweis der therapeutischen Eigenschaften von Ukrain auf vier klinische Studien gestützt habe: die von Zemskov von 2002, die von Gansauge von 2002, die von Aschoff von 2003 und die von Gansauge von 2007. Diese vier Studien, von denen die klinischen Daten über Bauchspeicheldrüsenkrebs stammten, wiesen Probleme in methodologischer und praktischer Hinsicht auf, die ihre Brauchbarkeit für die Bewertung der medizinischen Plausibilität der Erkenntnisse und insbesondere des Vorhandenseins eines erheblichen Nutzens ernsthaft beeinträchtigt hätten.
[117] 116 Die Kommission führt hierzu aus, dass die vier oben genannten Studien an insgesamt 190 Patienten mit der Diagnose "Pankreaskarzinom" durchgeführt worden seien und dass in ihnen eine substanzielle Wirkung auf die Überlebensrate von Patienten, die mit Ukrain behandelt worden seien, geltend gemacht werde. Allerdings seien die beiden angeblich randomisierten Studien wegen ihrer Unausgewogenheit mit mehreren Problemen behaftet, die die Möglichkeit einer eindeutigen Interpretation der Ergebnisse stark beeinträchtigten; das Fehlen eines vollständigen Protokolls und vollständiger Ergebnisse verhindere die objektive Evaluierung der Ergebnisse. Die Kommission hat hierzu erläutert, dass die EMEA diese Studien vergeblich mehrfach von der Klägerin angefordert habe. Ferner wiesen ihrer Ansicht nach auch die beiden anderen Studien mehrere methodische Probleme auf. Die in den vier Berichten genannte durchschnittliche Überlebenszeit habe zwischen 8, 1 und 33, 8 Monaten gelegen. Die Klägerin habe diese Abweichungen eingeräumt und hierfür "Unterschiede in der Population und in der verabreichten Dosierung" verantwortlich gemacht. Die Kommission ihrerseits war der Meinung, diese Unterschiede ließen sich eher auf einige der erörterten Verfahrensfehler zurückführen als auf die Wirkung der Behandlung. Zudem sei eine kürzlich in einer Fachzeitschrift erschienene und mit Peer-Review durchgeführte Untersuchung (Ernst und Schmidt, 2005) zur potenziellen Wirksamkeit von Ukrain in der Onkologie zu dem Schluss gekommen, dass die methodologische Qualität der meisten Ukrain-Studien schlecht sei, die Interpretation verschiedener Versuche durch andere Probleme beeinträchtigt worden sei, viele Vorbehalte eine positive Schlussfolgerung verböten und unabhängige rigorose Studien dringend erforderlich seien.
[118] 117 Derartige unabhängige Studien seien in der Literatur nicht zu finden, und andere Forscher, die Ukrain in einer klinischen Phase-II-Studie hätten untersuchen wollen, um seine Wirksamkeit bei verschiedenen Krebsformen festzustellen, hätten erklärt, dass sie die Arznei nicht hätten erhalten können (Farrugia und Sievin, 2000).
[119] 118 Ferner vertrat die Kommission die Auffassung, die Behauptung eines erheblichen Nutzens im Vergleich zu den gegenwärtig verfügbaren Behandlungsmethoden, insbesondere zu den zugelassenen Arzneimitteln zur Behandlung desselben Leidens (Gemcitabin und Erlotinib), werde angesichts der widersprüchlichen präklinischen Belege, der methodologischen Probleme und der in der Fachliteratur berichteten fehlenden Reproduzierbarkeit nicht bestätigt.
[120] 119 Die Kommission gab an, aufgrund der Zweifel an der Plausibilität der veröffentlichten Daten habe sie die vollständigen Original-Studienprotokolle und die Studienberichte von der Klägerin angefordert, um die vorgelegten Daten im Kontext der Begründungen für den angeblichen erheblichen Nutzen beurteilen zu können. Die Klägerin habe diese Dokumente nicht eingereicht und dies damit gerechtfertigt, dass die vier klinischen Studien, auf denen die Behauptung des erheblichen Nutzens beruhe, den Forschern gehörten, die sie durchgeführt hätten. Die EMEA habe sich mit den vier betreffenden Autoren der klinischen Aufsätze in Verbindung gesetzt und sie um weitere Informationen zu den Methoden und Ergebnissen ersucht. Die Angaben von Dr. Gansauge hätten nichts Neues enthalten, und zu der Studie Zemskov habe sie keine Informationen erhalten.
[121] 120 Schließlich führte die Kommission aus, die Klägerin bezeichne zwar zu Recht die Einreichung dieser Daten im Stadium der Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden als nicht zwingend. Es sei aber schwierig, den Anspruch eines erheblichen Nutzens nur aufgrund der in der Fachliteratur publizierten Daten zu akzeptieren, wenn man die vielen methodologischen Probleme dieser Artikel in Betracht ziehe.
[122] 121 Im fünften Abschnitt des Anhangs der angefochtenen Entscheidung legte die Kommission dar, dass die Klägerin nach Art. 5 Abs. 7 der Verordnung Nr. 141/2000 am 6. September 2007 eine ausführliche Begründung des Widerspruchs vom 25. Juni 2007 gegen das negative Gutachten des Ausschusses vom 31. Mai 2007 eingelegt habe. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens seien zwei Sachverständige, die Professoren K. und N., hinzugezogen worden, deren Aufgabe es gewesen sei, drei Fragen zu beantworten. Mit der ersten Frage seien die Sachverständigen gefragt worden, ob sie der Auffassung des Ausschusses zustimmten, dass die verfügbaren Beweismittel nicht ausreichten, um den erheblichen Nutzen von Ukrain nachzuweisen. Die zweite sei dahin gegangen, ob die Sachverständigen die Ansicht des Ausschusses teilten, dass die vier von der Klägerin angeführten Studien mit vielen methodologischen Fehlern behaftet seien. Mit der dritten Frage habe festgestellt werden sollen, ob die ausführliche Begründung des Widerspruchs zur Klärung der Probleme beigetragen habe, auf die in der ursprünglichen Beurteilung hingewiesen worden sei.
[123] 122 Dem Anhang zufolge bejahten die Sachverständigen die beiden ersten Fragen. Zur dritten Frage stellten sie fest, dass die Klägerin keine Klärung hinsichtlich der in der ursprünglichen Beurteilung zum Ausdruck gebrachten Probleme herbeigeführt habe.
[124] 123 Die Kommission erwähnte sodann im Anhang die ausführlichen Antworten, die auf das Vorbringen der Klägerin gegeben worden waren, und dementsprechend die Gründe, warum ein erheblicher Nutzen nicht nachgewiesen worden sei.
[125] 124 Unter Berücksichtigung aller dieser Angaben in der angefochtenen Entscheidung und dem zugehörigen Anhang ist in einem zweiten Schritt festzustellen, ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen dartut, dass offensichtliche Beurteilungsfehler begangen wurden.
[126] 125 Als Erstes sind die Ausführungen der Klägerin zu den Eigenschaften von Ukrain zu prüfen. Sie trägt vor, anders als die bereits zugelassenen Arzneimittel zur Behandlung des Bauchspeicheldrüsenkrebses wirke Ukrain selektiv, weil es normale Zellen nicht zerstöre und nur auf Krebszellen einwirke, keine starke Nebenwirkung habe und die Lebenserwartung der Patienten verlängere. Es lässt sich zwar nicht ausschließen, dass diese Eigenschaften im Rahmen eines Vergleichs mit den Eigenschaften der zugelassenen Arzneimittel Personen, die am Pankreaskarzinom leiden, einen erheblichen Nutzen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 bringen, doch wird im vorliegenden Fall die wissenschaftliche Methodologie der Studien, auf denen diese Ergebnisse beruhen, selbst in Zweifel gezogen.
[127] 126 Deshalb ist zu untersuchen, ob das Vorbringen der Klägerin die Kritik der Sachverständigen und der Kommission an den einzelnen Studien entkräftet, auf die sich die Klägerin zur Begründung ihres Antrags berufen hat.
[128] 127 Erstens wendet sich die Klägerin gegen die Feststellung des Sachverständigen K. im Rahmen des Widerspruchsverfahrens, wonach die Studien von Zemskov von 2002 und Aschhoff von 2003 durch eine geringe Patientenzahl über einen sehr langen Zeitraum gekennzeichnet seien. Allerdings beschränkt sie sich auf die Behauptung, diese niedrige Patientenzahl erkläre sich daraus, dass die beiden in die Studien einbezogenen Kliniken nicht auf die Behandlung des Pankreaskarzinoms spezialisiert seien. Dem lässt sich keinesfalls entnehmen, dass insoweit ein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorläge.
[129] 128 Zweitens ist festzustellen, ob, wie die Klägerin meint, die Studien, auf die sie sich stützt, nicht an methodologischen Problemen leiden.
[130] 129 Was zunächst die Studie Zemskov von 2002 angeht, bestreitet die Klägerin, dass dort keine statistische Methode spezifiziert worden sei; in dieser Studie seien die Kaplan-Meier-Überlebenskurven herangezogen und ein "log rank" -Test durchgeführt worden. Daran ist richtig, dass die beiden genannten statistischen Methoden durchaus in der Studie Zemskov zu finden sind, doch betrifft die Kritik der Kommission am Fehlen einer statistischen Methode eine dem Einsatz dieser Methoden vorgelagerte Stufe. Die Kommission vertrat nämlich zu Recht die Meinung, dass, um die Überlebenskurve der Teilnehmer an der Studie bewerten zu können, die Angabe erforderlich gewesen wäre, wie die Teilnehmergruppen gebildet und nach welchen Kriterien (Alter, Geschlecht usw.) die Teilnehmer, aus denen die einzelnen Gruppen bestanden, ausgewählt worden seien. Die Kommission stellte jedoch von der Klägerin insoweit unbestritten fest, dass diese Studie keine Angaben hierzu enthalten habe.
[131] 130 Was sodann die Studie Gansauge von 2002 betrifft, macht die Klägerin vergeblich geltend, dass die im Rahmen dieser Studie angewandten Kriterien zur Bewertung des Krankheitsstadiums (Staging-Kriterien) von der UICC anerkannt gewesen seien. Wie zur Studie Zemskov von 2002 dargelegt worden ist, trug die Kommission nämlich vor, dass das in dieser Studie festgestellte methodologische Problem auf einer früheren Stufe auftrete. Die in der Studien verwendeten Einschlusskriterien seien nicht eindeutig, weil die Staging-Kriterien der Patienten vor der Aufnahme in die Studie nicht spezifiziert worden seien und auch nicht vermerkt worden sei, ob alle Patienten endoskopiert worden seien. Aus diesen Informationen könnten sich unabhängig von der angewandten Behandlung Folgen für das Überleben des Patienten ergeben.
[132] 131 Die Klägerin hat sich auf die Angabe beschränkt, dass die betreffenden Kriterien von der UICC anerkannt seien, und nichts vorgebracht, um die vorstehende Feststellung zu erschüttern. Daher hat die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie ausgeführt hat, dass die Feststellungen zu Ukrain in der Studie Gansauge von 2002 mit Vorsicht zu betrachten seien und sich mit ihnen nicht habe dartun lassen, dass Ukrain für an Bauchspeicheldrüsenkrebs leidende Patienten von erheblichem Nutzen sein würde.
[133] 132 Was ferner die Studie Aschhoff von 2003 angeht, hob die Kommission hervor, dass es sich um eine retrospektive Studie handele und weder die Aufnahme- noch die Allokationskriterien angegeben seien, so dass ein "Bias", d. h. ein zu falschen Ergebnissen führender methodologischer Fehler, nicht ausgeschlossen werden könne. Soweit die Klägerin ausführt, aus dieser Studie ergebe sich eindeutig, dass 28 Patienten zwischen August 1997 und Dezember 2003 rekrutiert worden seien, von denen 21 auf Gemcitabin nicht angesprochen und 7 eine Chemotherapie abgelehnt hätten, und sich daraus schließen lasse, dass mindestens 21 der 28 Patienten bereits in einem fortgeschrittenen Stadium gewesen seien und schon alle therapeutischen Optionen ausgeschöpft hätten, reicht dies nicht aus, um die legitimen Vorbehalte auszuräumen, die die Kommission gegenüber der betreffenden Studie geäußert hat.
[134] 133 Was schließlich die Studie Gansauge von 2007 über die kombinierte adjuvante Therapie mit Gemcitabin und Ukrain betrifft, war die Kommission der Auffassung, dass sich bei ihr weder die Wirkung von Ukrain von derjenigen von Gemcitabin unterscheiden noch feststellen lasse, ob die Behandlung überhaupt eine Wirkung habe. Denn es fehle eine Placebogruppe, die normalerweise notwendig sei, wenn es kein zugelassenes Arzneimittel für die adjuvante Therapie gebe; es sei also nur mit historischen Daten verglichen worden. Alle an dieser Studie teilnehmenden Patienten hätten bei der Operation tumorfreie Resektionsränder gehabt und damit eine hoch präselektierte Gruppe mit einer von vornherein besseren Prognose dargestellt. Statt den Ausführungen der Kommission entgegenzutreten, hat sich die Klägerin mit der Feststellung begnügt, dass diese Publikation zusätzliche Daten zum Vorteil der kombinierten adjuvanten Therapie mit Gemcitabin und Ukrain sowie zu der sich daraus ergebenden erheblichen Verlängerung der Überlebensdauer enthalten habe. Diese Ausführungen lassen keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission erkennen.
[135] 134 Als Zweites ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, Ukrain habe einen anderen Wirkungsmechanismus als die zugelassenen Arzneimittel und dies sei bereits ein ausreichender Grund, um einen erheblichen Nutzen anzunehmen. Wie im Rahmen der Prüfung des ersten Nichtigkeitsgrundes dargelegt, kann sich der Nachweis des erheblichen Nutzens von Ukrain nicht allein aus seinen Wirkungsmechanismen ergeben, sondern erfordert einen Vergleich dieses Arzneimittels mit den bereits zugelassenen Arzneimitteln. Die Tatsache allein, dass sich der Wirkungsmechanismus eines Arzneimittels von dem eines anderen, bereits zugelassenen unterscheidet, bedeutet für sich genommen nicht, dass das zuerst genannte Arzneimittel von erheblichem Nutzen für Personen ist, die an der Krankheit leiden, die mit diesen beiden Arzneimitteln bekämpft werden soll. Wenn nämlich die Ergebnisse der Verwendung des zuerst genannten Arzneimittels nicht von denen abweichen, die mit der Verwendung des zuletzt genannten erzielt werden, ist es ohne Bedeutung, dass die beiden Arzneimittel durch unterschiedliche Wirkungsmechanismen zu im Wesentlichen gleichen Ergebnissen gelangen; in diesem Fall kann von einem erheblichen Nutzen aufgrund der Verwendung des zuerst genannten Arzneimittels keine Rede sein.
[136] 135 Zudem wiederholt die Klägerin in Bezug auf die zusammenfassenden Schlussfolgerungen des Ausschusses im Widerspruchsverfahren vergebens, dass die Eigenschaften von Ukrain diesem Arzneimittel einen erheblichen Nutzen verliehen. Denn sowohl die im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens und des Widerspruchsverfahrens hinzugezogenen Sachverständigen als auch die Ausschussmitglieder haben schwere methodologische Fehler in den vier Studien festgestellt, auf die sich die Klägerin stützt. Es sind diese methodologischen Probleme, derentwegen die Kommission der Auffassung war, den Ergebnissen dieser Studien keinen objektiven wissenschaftlichen Wert beimessen zu können. Durch die bloße Wiederholung des Ergebnisses dieser Studien hat die Klägerin somit keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission dargetan.
[137] 136 Insoweit ist auch die Kritik der Klägerin an den Ausführungen zur Toxizität des Arzneimittels in der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen. So stützte sich die Kommission auf die Studie Panzer von 2000, um Vorbehalte gegenüber der behaupteten selektiven Zytotoxizität der Bestandteile von Ukrain zu äußern. Wie oben in Randnr. 56 ausgeführt, fällt zum einen in einem derart komplexen wissenschaftlichen Bereich eine solche Problematik in das weite Ermessen der Kommission. Zum anderen ist der Umstand, dass die Ergebnisse dieser Studie nicht durch andere Berichte bestätigt werden, für sich allein kein Beleg für einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission.
[138] 137 Nach alledem ist der Nichtigkeitsgrund, mit dem offensichtliche Beurteilungsfehler geltend gemacht werden, zurückzuweisen.
[139] 138 Da die Klägerin mit sämtlichen Nichtigkeitsgründen unterlegen ist, ist die vorliegende Klage abzuweisen.
Kosten
[140] 139 Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
* Verfahrenssprache: Deutsch.