Bundesfinanzhof
Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG
Der Antrag auf Anwendung der tariflichen Einkommensteuer nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG erfordert nicht, dass der Anteilseigner aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit auf die Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft einen maßgeblichen Einfluss ausüben kann.

BFH, Urteil vom 25. 8. 2015 – VIII R 3/14 (lexetius.com/2015,2920)

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 13. November 2013 3 K 366/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
[1] Gründe: I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde im Streitjahr (2011) zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 28.950 EUR als Angestellte der E-GmbH, an deren Stammkapital sie zu 5 % beteiligt war. Ihre Vollzeittätigkeit umfasste die Planung von Reisen und Terminen für die Geschäftsleitung. Außerdem war sie in den Bereichen Kundenbetreuung, Lohnabrechnung und Finanzbuchhaltung tätig.
[2] Aus ihrer Beteiligung an der E-GmbH erzielte sie im Streitjahr Einkünfte in Höhe von 18.979 EUR. Die E-GmbH behielt hierauf 25 % Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag ein. In ihrer Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin die Besteuerung dieser Einkünfte nach der niedrigeren tariflichen Einkommensteuer gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) lehnte dies im Einkommensteuerbescheid für 2011 ab. Zur Begründung führte es aus, dass es sich bei der Beteiligung der Klägerin an der E-GmbH nicht um eine – für die Option erforderliche – unternehmerische Beteiligung gehandelt habe, da die Klägerin aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung der E-GmbH habe ausüben können. Nachdem die Klägerin erfolglos Einspruch eingelegt hatte, gab das Finanzgericht (FG) der hiergegen erhobenen Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 277 veröffentlichten Urteil vom 13. November 2013 3 K 366/13 statt.
[3] Das FA trägt zur Begründung seiner Revision im Wesentlichen vor, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Verletzung des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG. Zwar sei die Klägerin zu 5 % an der E-GmbH beteiligt und bei dieser beruflich tätig gewesen. Zu Unrecht sei das FG jedoch davon ausgegangen, dass ein maßgeblicher Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der E-GmbH für die Wahlrechtsausübung nicht erforderlich sei. Dies ergebe sich aus dem in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/7036, S. 14) zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, wonach bei einer reinen Vermögensverwaltung das in § 32d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG gewährte Wahlrecht nicht bestehe.
[4] Das FA beantragt, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
[5] Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
[6] II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Das angefochtene Urteil des FG verletzt nicht § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG. Das FG hat im Ergebnis zu Recht den Einkommensteuerbescheid für 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer auf die Gewinnausschüttung der E-GmbH unter Anwendung der tariflichen Einkommensteuer festgesetzt wird.
[7] 1. Bei den Einkünften der Klägerin aus den Anteilen an der E-GmbH handelt es sich um Kapitaleinkünfte i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Es ergeben sich weder aus den Feststellungen des FG noch aus dem Vortrag der Beteiligten Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Arbeitslohn nach § 19 EStG handeln könnte, weil die Zahlungen als Vorteile "für" die Beschäftigung der Klägerin als Angestellte der E-GmbH gewährt wurden (vgl. Senatsurteile vom 11. Februar 2015 VIII R 4/12, BFHE 249, 154, BStBl II 2015, 647; vom 5. November 2013 VIII R 20/11, BFHE 243, 481, BStBl II 2014, 275).
[8] 2. Die von der Klägerin aus der Beteiligung an der E-GmbH gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG erzielten Kapitaleinkünfte sind, da sie nicht unter § 20 Abs. 8 EStG fallen, gemäß § 32d Abs. 1 EStG grundsätzlich nach dem gesonderten Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 25 % abgeltend zu besteuern. Dies gilt jedoch nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG nicht, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum, für den der Antrag erstmals gestellt wird, unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt und beruflich für diese tätig ist.
[9] Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das FG zu Recht bejaht: Die Klägerin hat den Antrag auf Besteuerung nach der tariflichen Einkommensteuer in der Anlage KAP der Einkommensteuererklärung gestellt, somit innerhalb der Frist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG. Die Klägerin hat auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG erfüllt. Sie war an der E-GmbH zu mehr als 1 % beteiligt und beruflich für diese tätig.
[10] 3. Entgegen der Auffassung des FA macht § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG das Wahlrecht nicht davon abhängig, dass der zu mindestens 1 % an der Kapitalgesellschaft beteiligte Anteilseigner aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben kann.
[11] a) Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (Urteil des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 20. März 2002 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135, unter B. II. 1. a, m. w. N.). Um den objektiven Willen des Gesetzgebers zu erfassen, können alle herkömmlichen Auslegungsmethoden herangezogen werden. Sie schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig. Das gilt auch für die Heranziehung der Gesetzesmaterialien, soweit sie auf den objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen. Sie dürfen jedoch nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen. Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes daher nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (so BVerfG-Beschluss vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126, unter B. I. 1., m. w. N.; Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 23. Oktober 2013 X R 3/12, BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58).
[12] b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG dahingehend auszulegen, dass die berufliche Tätigkeit der Klägerin für die E-GmbH ausreicht, um die Wahlmöglichkeit auf Besteuerung nach der tariflichen Einkommensteuer unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens zu eröffnen.
[13] aa) Nach dem Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG ist für die Option erforderlich, dass der Steuerpflichtige "zu mindestens 1 Prozent an der Kapitalgesellschaft beteiligt und beruflich für diese tätig ist". Der insoweit eindeutige und nicht auslegungsfähige Gesetzeswortlaut enthält hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit des Anteilseigners weder Anforderungen qualitativer noch quantitativer Art.
[14] bb) Für die Auffassung des FA, weitere Voraussetzung für das Antragsrecht sei, dass aufgrund der Berufstätigkeit ein wesentlicher Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Kapitalgesellschaft ausgeübt werden könne, finden sich zwar Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung (s. BTDrucks 16/7036, S. 14). Das FA übersieht jedoch, dass der Gesetzgeber in seinen weiteren Ausführungen diese Aussage relativiert hat. Bei einer typisierenden Betrachtung sei bei Steuerpflichtigen, die zu mindestens 1 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt und beruflich für diese tätig seien, von einer unternehmerischen Beteiligung auszugehen. Der Gesetzgeber hat danach bei der gesetzlichen Regelung des Antragsrechts von seiner weiten Typisierungsbefugnis Gebrauch gemacht. Für weitere Anforderungen an die berufliche Tätigkeit finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte.
[15] cc) Auch für die vom Bundesministerium der Finanzen in seinen Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 1-S 2252/08/10004 (BStBl I 2010, 94) und vom 9. Oktober 2012 IV C 1-S 2252/10/10013 (BStBl I 2012, 953) – jeweils Rz 138 – vertretene Auffassung, wonach eine berufliche Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung für eine Option nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG nicht ausreiche, finden sich im Gesetzeswortlaut selbst keine Anhaltspunkte. Der Senat sieht es daher als zweifelhaft an, ob diese Auslegung dem Gesetz entspricht. Dies bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da jedenfalls die berufliche Tätigkeit der Klägerin bei der E-GmbH weder quantitativ noch qualitativ von untergeordneter Bedeutung war.
[16] dd) Für diese Auslegung spricht auch der Gesetzeszweck. Durch das Wahlrecht nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG soll eine Überbesteuerung aufgrund des Werbungskostenabzugsverbots nach § 20 Abs. 9 EStG vermieden werden (s. hierzu Baumgärtel/Lange in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rz 46). Ist der Arbeitgeber eine Kapitalgesellschaft, kann der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BFH in der Regel weder Finanzierungskosten zum Erwerb von Anteilen an der Kapitalgesellschaft (BFH-Urteil vom 5. April 2006 IX R 111/00, BFHE 213, 341, BStBl II 2006, 654) noch den Verlust der Beteiligung als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend machen (BFH-Urteile vom 17. September 2009 VI R 24/08, BFHE 226, 321, BStBl II 2010, 198; vom 12. Mai 1995 VI R 64/94, BFHE 177, 472, BStBl II 1995, 644). Da ohne das Antragsrecht nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG der Werbungskostenabzug nach § 20 Abs. 9 EStG auch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeschlossen wäre, entspräche eine teleologische Reduktion der Vorschrift im Sinn der Auslegung durch das FA nicht dem Zweck der Regelung, eine Überbesteuerung zu vermeiden.
[17] 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.