Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 11. 10. 2016 – VI ZR 547/14; OLG Frankfurt a. M. (lexetius.com/2016,3892)

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Offenloch und die Richterinnen Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 200.000 €
[1] Gründe: I. Die Kläger, zwei in Spanien tätige Rechtsanwälte, nehmen den Beklagten auf Unterlassung von Äußerungen in Anspruch, die er in Schreiben an die D-Bank aufgestellt hat.
[2] Der Beklagte ist als Erbschaftssucher tätig und im Streitfall auf der Suche nach dem Vermögen einer in den 30er Jahren nach Spanien ausgewanderten Unternehmerfamilie. Der in S. ansässige jüdische Unternehmer W. transferierte ab 1923 das Anlagevermögen seiner Fabrik nach Spanien und das Geldvermögen seiner Frau in die Schweiz. Der Vater des Klägers zu 1 führte in Spanien eine Rechtsanwaltskanzlei und war beratend für Frau W. tätig. Der Kläger zu 1 selbst war von 1974 bis 2007 in führenden Positionen der spanischen Tochtergesellschaft der D-Bank tätig und arbeitete parallel dazu als Rechtsanwalt in der Kanzlei seines Vaters. Dabei übernahm er in Einzelfällen die Beratung von Frau W. Frau W. erbte das Vermögen ihres Mannes, sie selbst starb 1976 und wurde von dem Neffen Dr. B. beerbt. Der Kläger zu 1 führte seine Beratertätigkeit für diesen fort. Dr. B. starb 1990 und hinterließ als testamentarische Erben die Eheleute S. Diesen floss aus dem Nachlass ein Betrag von etwa 2 Mio. € zu. Weiteres Vermögen konnten sie trotz Nachforschungen nicht auffinden.
[3] Der Bruder des Klägers zu 1 unterhielt bei der Schweizer C.-Bank ein Konto nebst Unterkonten. Hierfür hatte der Kläger zu 1 ab 1983 eine Vollmacht.
[4] Im Jahre 1993 überwies er das Guthaben auf den im Namen seines Bruders geführten Konten bei der Schweizer C.-Bank auf ein Konto der D.-Bank. Der Beklagte vermutet hierin einen betrügerischen Akt zum Nachteil des Nachlasses. Mit notariellem Vertrag kaufte der Beklagte im Jahre 2012 von den Eheleuten S. den Nachlass nach Dr. B. mit dem Ziel, noch nicht realisiertes Vermögen zu suchen, aufzufinden und zu verwerten. Im Rahmen der anschließenden Suche sandte er im Juni und Juli 2012 drei Schreiben an die D-Bank als ehemaligen Arbeitgeber des Klägers zu 1. Er behauptete darin, der Kläger zu 1 habe sich zum Testamentsvollstrecker und -verwalter des Dr. B. gemacht, habe Treuhandkonten für Dr. B. bei der D.-Bank eingerichtet, dorthin Millionenbeträge transferiert und sodann auf unbekannte Konten weitergeleitet, er habe betrügerisch und rechtswidrig gehandelt und versuche gegenwärtig, Geldbeträge zu transferieren und Beweismittel zu vernichten oder zu verändern. Der Beklagte zu 2 sei an dem Versuch beteiligt, Geldbeträge zu transferieren und Beweismittel zu manipulieren. Der Beklagte ist der Ansicht, es müsse noch erhebliches Vermögen aus dem Nachlass nach Dr. B. geben. Der Kläger zu 1 habe über 20 Jahre lang versucht, seine Beteiligung am Verschwinden des Vermögens zu vertuschen.
[5] Das Landgericht hat der Unterlassungsklage stattgegeben, die Berufung des Beklagten zum Oberlandesgericht blieb überwiegend ohne Erfolg. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Beklagte sein Begehren, die Klage abzuweisen, weiter.
[6] II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
[7] 1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (Senat, Beschluss vom 13. Januar 2015 – VI ZR 551/13, RuS 2015, 2012; Beschluss vom 12. Mai 2009 – VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 mwN).
[8] 2. So verhält es sich im Streitfall.
[9] a) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig Beweisangebote zu seinem Vorbringen übergangen, Dr. B. sei wirtschaftlich Berechtigter des unter dem Namen des Bruders des Klägers zu 1 geführten Kontos bei der C.-Bank gewesen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handele es sich bei dem Beweisantritt weder um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis noch fehlte den Beweisangeboten die Eignung zum Beweismittel.
[10] aa) Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, es fehle an jeder Darstellung dafür, ob eine Treuhandvereinbarung geschlossen worden sei, zwischen welchen Personen sowie auch, ob dem Bruder des Klägers zu 1 Vermögen übertragen worden sei, sowie an jeder zeitlichen und räumlichen Eingrenzung für beides, hat es die Anforderungen an die Schlüssigkeit und Konkretheit des insoweit erforderlichen Vortrages überspannt und deshalb zu Unrecht die Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen als unzulässigen Ausforschungsbeweis gewertet und abgelehnt.
[11] Eine darlegungsbelastete Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2014 – VI ZR 560/13, NZG 2014, 949, 952). Dabei muss, wenn das Zustandekommen bestimmter Abreden behauptet wird, nicht unbedingt zu Einzelheiten der Umstände dieser Abrede vorgetragen werden (vgl. Senatsurteil vom 4. Juli 2000 – VI ZR 236/99, NJW 2000, 3286, 3287). Es hängt vom Einzelfall ab, in welchem Maße die Partei ihr Vorbringen durch die Darlegung konkreter Einzeltatsachen noch weiter substantiieren muss. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob sich die Geschehnisse, die Gegenstand des Parteivortrages sind, im Wahrnehmungsbereich der Partei abgespielt haben (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 2001 – VI ZR 55/00, NJW-RR 2001, 1294, 1295). Der Beklagte war bei den nach seinem Vortrag zwischen 1976 (Tod der Frau W.) und 1990 (Tod des Dr. B.) zu datierenden möglichen Ereignissen im Rahmen der unstreitigen geschäftlichen Beziehungen zwischen Frau W., Dr. B. und der Kanzlei des Klägers zu 1 bzw. seines Vaters nicht dabei. Da ihm offensichtlich schriftliche Unterlagen für diesen Zeitraum nicht zur Verfügung stehen, kann von ihm mehr als die Behauptung der Existenz einer solchen Vereinbarung unter Benennung von Zeugen, die Dr. B. kannten, ihn beerbten und/oder eigene Nachforschungen angestellt haben, bei zeitlich grober Eingrenzung zur Substantiierung nicht verlangt werden.
[12] bb) Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann (vgl. nur Senatsbeschluss vom 22. März 2016 – VI ZR 163/14, juris, mwN). Bei der Zurückweisung eines Beweismittels als ungeeignet ist größte Zurückhaltung geboten, es muss jede Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2003 – IV ZR 438/02, NJW 2004, 767, 769).
[13] Weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch der Wahrnehmung durch den Zeugen berechtigen den Tatrichter von einer Beweisaufnahme abzusehen (BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10). Diese Ungeeignetheit kann zumindest in Bezug auf die vom Beklagten benannten Zeugen, nämlich die Eheleute S. und den Vater des Beklagten, nicht angenommen werden. Nach den unstreitigen Feststellungen sind die Eheleute S. die testamentarischen Erben des Dr. B., die nach den Darlegungen des Beklagten bereits eigene Nachforschungen nach dem Verbleib des angeblich verschwundenen Vermögens angestellt hatten. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie durch ihre Bekanntschaft oder Freundschaft mit Dr. B noch zu Lebzeiten oder durch ihre Nachforschungen Informationen erlangt haben, die zur Klärung der Behauptung des Beklagten beitragen könnten. Nach den Darlegungen der Kläger und des Beklagten war auch der Vater des Beklagten, der Zeuge F., mit Nachforschungen nach dem Verbleib des angeblichen Vermögens befasst und hatte Kontakt zu dem Kläger zu 2 aufgenommen. Es ist insoweit ebenfalls nicht auszuschließen, dass er im Rahmen seiner Recherche Kenntnisse über die unter Beweis gestellte Behauptung erworben hat. Lediglich hinsichtlich des als Zeugen benannten Herrn Fa. kann den Feststellungen des Gerichts und den Darlegungen des Beklagten ein irgendwie gearteter Bezug zu dem behaupteten Geschehen nicht entnommen werden.
[14] b) Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht den Vortrag hinsichtlich der Kenntnisse der Zeugin S., einer ehemaligen Mitarbeiterin der C.-Bank, zu dem vermeintlichen Treuhandkonto als neuen und damit nicht zuzulassenden Vortrag (§ 531 Abs. 2 ZPO) gewertet hat.
[15] Vortrag ist nicht neu, wenn bereits in erster Instanz gehaltener schlüssiger Vortrag durch weitere Tatsachenbehauptungen konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (vgl. Senatsurteile vom 16. Oktober 2007 – VI ZR 173/06, NJW-RR 2008, 335, 337; vom 1. Dezember 2009 – VI ZR 221/08, NJW-RR 2010, 839, 841; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – V ZB 225/12, NJW-RR 2015, 465 Rn. 7). Eine Nichtberücksichtigung von Vortrag aufgrund offenkundig fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO verletzt den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 3. November 2008 – II ZR 236/07, NJW-RR 2009, 332 Rn. 5 ff.). So liegt es im Streitfall. Bereits in erster Instanz hatte der Beklagte vorgetragen, dass die C.-Bank im Rahmen ihrer Nachforschungen bestätigt habe, dass es sich beim Bankkonto des Bruders des Klägers zu 1 um ein wirtschaftlich Dr. B. zustehendes Konto handele. Die Zeugin S. ist dazu nicht explizit benannt worden, das dort in Bezug genommene und vorgelegte Schreiben der C.-Bank hat jedoch die Übersendung der entsprechenden Bankunterlagen zum Gegenstand und die Zeugin S. hat dieses Anschreiben rechts neben dem Abteilungsleiter unterzeichnet. Wenn nun die Behauptung des Beklagten, die C.-Bank habe Kenntnisse zum Treuhandverhältnis in der Berufungsbegründung dahingehend präzisiert wird, der bei der C.-Bank zuständige Ansprechpartner, die Zeugin S., habe Kenntnisse, so stellt dies auch unter Beachtung der dem Beklagten überhaupt möglichen Konkretisierung in der Sache kein neues Vorbringen dar. Soweit das Berufungsgericht die Nichterhebung des Beweises damit rechtfertigt, es seien keine Tatsachen vorgetragen, woher die Zeugin wisse, dass es sich um Treuhandkonten des verstorbenen Dr. B. handele, ist ebenfalls darauf hinzuweisen, dass sie die in erster Instanz vorgelegten Schreiben der C. Bank vom 11. Mai 2006 mitunterzeichnet hat. Es ist nicht auszuschließen, dass sie als von der C.-Bank mit internen Nachforschungen im konkreten Fall beauftragte Mitarbeiterin Angaben zu den Verknüpfungen zwischen den bei der C. Bank geführten Konten und Personen machen kann.
[16] c) Ferner rügt die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg, dass das Berufungsgericht zur Behauptung, in einem Gespräch am 7. September 2006 habe ein leitender Mitarbeiter der C.-Bank bestätigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Treuhandschaft des Klägers zu 1 und der wirtschaftlichen Berechtigung des Dr. B. gebe, keine Beweisaufnahme durchgeführt hat. Das Berufungsgericht überspannt schon die Anforderungen an die zumutbare Konkretisierung des Vortrags, wenn es davon ausgeht, der Beklagte habe nicht konkret behauptet, der unbenannte Mitarbeiter habe angegeben, er wisse, dass das Vermögen auf dem Konto Nr. … nicht dem formellen Kontoinhaber, sondern Dr. B. gehöre. Der Vortrag des Beklagten, dass den Anwesenden wörtlich von einem leitenden Mitarbeiter der C.-Bank (nicht nur) der Zusammenhang zwischen der Treuhandschaft von Herrn M. (Bruder des Klägers zu 1), dem Kläger zu 1 und der wirtschaftlichen Berechtigung von Dr. B. bestätigt worden sei, ist nämlich genau in diesem Sinne zu verstehen.
[17] Zwar ist das Berufungsgericht bei Beweisanträgen im Rahmen eines Indizienbeweises freier gestellt als bei sonstigen Beweisanträgen und darf und muss abschätzen, ob die unter Beweis gestellte Hilfstatsache (Bestätigung eines Treuhandverhältnisses durch einen leitenden Mitarbeiter der kontoführenden Bank) für den Nachweis der Hauptsache (Bestehen eines Treuhandvertrags mit Dr. B.) ausreicht. Bei einem Indizienbeweis darf und muss der Richter vor der Beweiserhebung prüfen, ob der Indizienbeweis schlüssig ist, ob also die Gesamtheit aller vorgetragenen Indizien – ihre Richtigkeit unterstellt – ihn von der Wahrheit der Hauptsache überzeugen würde (BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260 f.). Daran fehlt es hier. Es kann danach nicht ausgeschlossen werden, dass die Gesamtheit aller vorgetragenen Indizien das Gericht vom Bestehen einer derartigen Vereinbarung überzeugen würde. Eine Beweisaufnahme zu den Indiztatsachen kann dann nicht unterbleiben. Wenn ein leitender Mitarbeiter einen solchen Zusammenhang zwischen der Treuhandschaft und der wirtschaftlichen Berechtigung mitgeteilt hat, handelt es sich um ein gewichtiges Indiz für das behauptete Bestehen eines Treuhandvertrages mit Dr. B. Auch "Zeugen vom Hörensagen" müssen dazu vernommen werden (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1985 – VI ZR 19/84, NJW 1986, 1541, 1542). Es ist eine Frage der Beweiswürdigung, ob das Gericht den Bekundungen der Zeugen Glauben schenkt.