Bundesfinanzhof
Besteuerung der Barabfindung bei einem Aktientausch nach Einführung der Abgeltungsteuer
Ein Barausgleich, der anlässlich eines Aktientausches für vor dem 1. Januar 2009 erworbene ausländische Aktien gezahlt wird, ist nicht gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG 2009 in eine einkommensteuerpflichtige Dividende umzuqualifizieren, wenn die Anteile wegen Ablaufs der einjährigen Veräußerungsfrist bereits steuerentstrickt waren.

BFH, Urteil vom 20. 10. 2016 – VIII R 10/13 (lexetius.com/2016,4182)

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 11. Dezember 2012 10 K 4059/10 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
[1] Gründe: I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2009) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin erwarb im Jahr 2006 insgesamt 750 Aktien der US-amerikanischen Firma X (300 Aktien am 18. April 2006, 200 Aktien am 15. Mai 2006 und 250 Aktien am 6. November 2006). Im Zusammenhang mit der Übernahme der Firma X durch die US-amerikanische Firma Y erhielt sie für jede X-Aktie 0, 985 Y-Aktien und eine Zahlung in Höhe von 33 US-Dollar. Infolgedessen wurden im Streitjahr aus dem Depot der Klägerin 750 X-Aktien ausgebucht und 738, 75 Y-Aktien eingebucht. Die Barabfindung in Höhe von umgerechnet 16.548,54 EUR wurde von der depotführenden Bank der Kapitalertragsteuer unterworfen. Die Klägerin stellte in der Einkommensteuererklärung für 2009 den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG) und auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG. Sie vertrat die Auffassung, dass die im Zusammenhang mit dem Aktientausch erhaltene Zuzahlung nicht der Abgeltungsteuer unterliege.
[2] Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) folgte dem Antrag nicht und berücksichtigte bei der Einkommensteuerfestsetzung die Barabfindung im Rahmen der Günstigerprüfung als Kapitaleinkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG dem Abgeltungsteuersatz unterliegen. Es wies den hiergegen erhobenen Einspruch zurück, da die Barabfindung nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG als Kapitalertrag i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu besteuern sei. Das Finanzgericht (FG) hat der hiergegen erhobenen Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 520 veröffentlichten Urteil vom 11. Dezember 2012 10 K 4059/10 E stattgegeben.
[3] Mit der Revision rügt das FA, das Urteil des FG verletze §§ 20 Abs. 4a Satz 2, 52a Abs. 10 Satz 10 EStG. Danach sei die Barabfindung als Kapitalertrag nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu besteuern. Dies gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige sie als Gegenleistung für den Tausch von Aktien erhalte, für die die Spekulationsfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der am 1. Januar 1999 geltenden Fassung (a. F.) bereits abgelaufen sei. Maßgeblich für die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG sei nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG der Zufluss der Barabfindung und nicht der Zeitpunkt der Anschaffung der Anteile.
[4] Das FA beantragt, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
[5] Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
[6] II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der bei dem Aktientausch gezahlte Barausgleich in Höhe von 16.548,54 EUR nicht gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG als Kapitalertrag i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung nach § 32d Abs. 1 EStG zugrunde zu legen ist.
[7] 1. Erhält der Steuerpflichtige bei einem Aktientausch i. S. des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG zusätzlich zu eingetauschten Aktien eine Gegenleistung, gilt diese gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG als Kapitalertrag i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zwar findet die Vorschrift nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erstmals auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge Anwendung. Die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG setzt jedoch voraus, dass es sich um eine steuerbare Gegenleistung für den Erhalt der Anteile handelt, da sich der Regelungsgehalt der Vorschrift auf die Umqualifizierung der Barkomponente in eine Dividende beschränkt. Sie begründet kein Besteuerungsrecht für bereits steuerentstrickte Vermögenswerte (so auch Jachmann/Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 803; Beinert, GmbH-Rundschau 2012, 291, 295 f.; im Ergebnis ebenso Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rz 585; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz Fa 25; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Kommentar zum KStG und EStG, § 20 EStG Rz 299a; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 20 Rz 160; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 35. Aufl., § 20 Rz 163; Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 434; Wüllenkemper, EFG 2013, 522 f.; Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 13 UmwStG Rz 379; Bron, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2014, 353, 355 f.; a. A. Trossen in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl., Anh. 11 Rz 103; Steinlein, DStR 2009, 509, 510 f.; Benecke und Schnitger, Die Unternehmensbesteuerung 2011, 1, 11). Andernfalls würde die Besteuerung nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG auf Vermögensbestände zugreifen, die nicht der Einkommensteuer unterliegen.
[8] Danach unterliegt der bei dem Aktientausch gezahlte Barausgleich in Höhe von insgesamt 16.548,54 EUR nicht der Besteuerung. Die Klägerin hat den Barausgleich für den Mehrwert der eingetauschten X-Aktien erhalten, die sie vor dem 1. Januar 2009 angeschafft hatte und bei denen die Veräußerungsfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. i. V. m. § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG zum Zeitpunkt des Aktientauschs und der Barzuzahlung bereits abgelaufen war. Der Wertgehalt der Aktien unterlag danach nicht mehr der Besteuerung, so dass die Umqualifizierung nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG nicht greift. Ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG beim Tausch der Aktien – wie vom FG angenommen – erfüllt waren, kann danach offenbleiben.
[9] 2. Diese Auslegung ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, da die Besteuerung des Barausgleichs zu einem verfassungsrechtlich unzulässigen Zugriff des Fiskus auf bereits steuerentstrickte Vermögenspositionen führen würde.
[10] a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Unzulässigkeit von rückwirkenden Gesetzen verstößt eine Besteuerung gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit sie auf Vermögensgegenstände zugreift, die nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerentstrickt waren und bis zum Zeitpunkt der Verkündung der neuen gesetzlichen Regelung steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können (z. B. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, 21 ff.). Danach würde die Umqualifizierung des Barausgleichs gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG in einen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu besteuernden Kapitalertrag zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Besteuerung der Aktien der Klägerin führen, für die die einjährige Haltefrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. zum Zeitpunkt der Verkündung des Jahressteuergesetzes 2009 am 24. Dezember 2008, mit dem die Regelung des § 20 Abs. 4a EStG eingeführt wurde, bereits abgelaufen war.
[11] b) Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet wären, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung der bereits steuerentstrickten Aktien durch die Besteuerung des Barausgleichs zu rechtfertigen, sind nicht erkennbar. Die Regelung des § 20 Abs. 4a EStG sollte nach der Gesetzesbegründung dazu führen, die Abgeltungsteuer für Steuerpflichtige und quellensteuerabzugsverpflichtete Kreditinstitute bei einem Aktientausch praktikabel auszugestalten (BTDrucks 16/10189, S. 50; BTDrucks 16/11108, S. 16). Hieraus ergibt sich jedoch keine Rechtfertigung für den steuerlichen Zugriff auf den Barausgleich beim Tausch endgültig steuerentstrickter Aktien. Ein solcher ist angesichts der durch § 32d Abs. 4 EStG geschaffenen Möglichkeit, den Steuereinbehalt im Festsetzungsverfahren rückgängig zu machen, auch nicht erforderlich.
[12] 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.