Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 4. 2. 2016 – AnwZ (Brfg) 59/15; AGH Hamm (lexetius.com/2016,472)

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Dr. Bünger und Dr. Remmert sowie den Rechtsanwalt Prof. Dr. Quaas und die Rechtsanwältin Schäfer am 4. Februar 2016 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 21. August 2015 verkündete Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
[1] Gründe: I. Der Kläger ist seit 2003 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 29. Mai 2015 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung.
[2] Die Klage gegen den Widerrufsbescheid hat der Anwaltsgerichtshof – unter Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klageerhebung – abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
[3] II. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
[4] 1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2011 – AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Daran fehlt es.
[5] Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach der mit Wirkung ab 1. September 2009 erfolgten Änderung des Verfahrensrechts allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder – wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist – auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2011 – AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff. und vom 10. März 2014 – AnwZ (Brfg) 77/13, juris Rn. 3 mwN).
[6] a) Der Kläger hat sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vom 29. Mai 2015 in Vermögensverfall befunden. Er war zu diesem Zeitpunkt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen mit der Folge, dass der Eintritt des Vermögensverfalls vermutet wird (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls hat der Kläger nicht widerlegt. Ein Rechtsanwalt, der im Schuldnerverzeichnis eingetragen ist, muss zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 14. Oktober 2014 – AnwZ (Brfg) 22/14, juris Rn. 5 und vom 6. Februar 2014 – AnwZ (Brfg) 83/13, BRAK-Mitt. 2014, 164 Rn. 5; jeweils mwN).
[7] Dies hat der Kläger nicht getan. Insbesondere hat er nicht hinreichend dargelegt, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse – vom maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vom 29. Mai 2015 aus gesehen – zumindest in absehbarer Zeit nachhaltig geordnet sein würden (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 5. November 2015 – AnwZ (Brfg) 28/15, juris Rn. 3 mwN).
[8] Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 20. Mai 2015 hat er einen geschäftlichen Neuanfang im Wege der Begründung einer Bürogemeinschaft, die Vorlage der Einnahmen-Überschuss-Rechnungen für das erste und zweite Quartal 2015, die Vorlage von einzelnen Erledigungsnachweisen, Zahlungsbelegen, Ratenzahlungsvereinbarungen und einer Forderungsaufstellung einschließlich entsprechender Abtretungserklärungen angekündigt sowie vorgetragen, dass er aller Voraussicht nach Privatdarlehen seiner Eltern und seiner Lebensgefährtin erhalten werde, mit denen er die dringlichsten Tilgungen vornehmen könne. Hieraus war eine nachhaltige Ordnung seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse in absehbarer Zeit nicht ausreichend zu erkennen.
[9] Insbesondere fehlten nähere Angaben zu den Einzelheiten des geplanten geschäftlichen Neuanfangs, zum konkreten Inhalt der vorzulegenden Dokumente sowie dazu, dass die Privatdarlehen mit Sicherheit zu erwarten waren und welche der gegenüber dem Kläger bestehenden Forderungen hierdurch erfüllt werden konnten.
[10] b) Der Anwaltsgerichtshof hat zutreffend einen Verstoß der Beklagten gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verneint.
[11] Der Widerrufsbescheid der Beklagten ist, wie der Anwaltsgerichtshof im Einzelnen ausgeführt hat, nicht ergangen, ohne dass der Kläger zuvor hinreichend Gelegenheit gehabt hatte, Stellung zu nehmen. Er war, wie er in seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 20. Mai 2015 eingeräumt hat, seit Ende März/Anfang April 2015 wieder voll einsatzfähig. Bis zum Widerrufsbescheid vom 29. Mai 2015 hatte er mithin ausreichend Gelegenheit, eine etwaige Änderung seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse hinreichend darzulegen.
[12] Der Kläger trägt in der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung vor, er hätte, wenn ihm ausreichend Zeit gegeben worden wäre, verbindliche Ratenzahlungsvereinbarungen und Abreden über die Ruhendstellung oder Rücknahmen von Vollstreckungsmaßnahmen geltend machen und im Hinblick auf seine Finanzlage einen Konsolidierungsplan vorlegen können. Er habe sich im Mai 2015 in Verhandlungen über ein Angestelltenverhältnis mit einem Rechtsanwalt befunden, das entsprechend den Anforderungen des Bundesgerichtshofs habe gestaltet werden sollen. Auf dieser Grundlage habe er nachvollziehbar seine Konsolidierung betreiben können. Er habe nach seinem krankheitsbedingten Ausfall und nach Wiederaufnahme des Kanzleibetriebs im April 2015 realisierbare Angebote für die Gläubiger ausarbeiten müssen. Hierfür habe er zunächst seine Einkommenslage zu überprüfen gehabt. Nach Zustellung des Widerrufsbescheides seien indes Verhandlungen mit Gläubigern ausgeschlossen gewesen, da er als Anwalt kein Einkommen mehr habe erzielen können.
[13] Damit macht der Kläger – wie auch bereits in seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 20. Mai 2015 – geltend, er habe, wenn ihm weitere Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden wäre, innerhalb der entsprechenden Frist seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse ordnen können. Abgesehen davon, dass auch dieser Vortrag die nachhaltige Ordnung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers in absehbarer Zeit nicht hinreichend konkret erkennen lässt, dient die im Rahmen eines Widerrufsverfahrens einzuräumende Anhörungsfrist (§ 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG), worauf der Anwaltsgerichtshof zutreffend hingewiesen hat, nicht der Ermöglichung der Ordnung der Vermögensverhältnisse des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts. Liegen – wie vorliegend – nach erfolgter Anhörung die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vor, weil der Kläger in das Schuldnerverzeichnis eingetragen ist und er die daraus folgende Vermutung des Vermögensverfalls nicht durch die Darlegung zumindest in absehbarer Zeit nachhaltig geordneter Vermögens- und Einkommensverhältnisse widerlegt hat, ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.
[14] 2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 6. Februar 2012 – AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 25 mwN).
[15] Diese Voraussetzungen werden vom Kläger nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Rechtslage ist eindeutig und nicht klärungsbedürftig.
[16] 3. Der Kläger hat auch keinen Verfahrensmangel dargelegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 112e BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
[17] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.