Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 17. 11. 1999 – VIII ZR 315/98 (lexetius.com/1999,333)

[1] Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Zülch, Dr. Beyer, Dr. Leimert und Wiechers am 17. November 1999 gemäß § 554 b Abs. 1 ZPO in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 54, 277) beschlossen:
[2] Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 1998 wird nicht angenommen.
[3] Die Beklagten tragen die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO). Streitwert: 1.000.000 DM.
[4] Gründe 1. Die Revision hat im Endergebnis keine Aussicht auf Erfolg. Insbesondere begegnet die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts keinen Bedenken, wonach § 92 c Abs. 1 HGB in der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung mit dem Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages unvereinbar und daher innerhalb der Europäischen Gemeinschaft unanwendbar ist, soweit nach dieser Vorschrift der Ausgleichsanspruch aus § 89 b HGB in Verträgen mit Handelsvertretern ohne Sitz im Inland entgegen § 89 b Abs. 4 Satz 1 HGB im voraus abbedungen werden kann. Mit Recht sieht das Berufungsgericht hierin eine Diskriminierung, die zwar nicht offen an die Staatsangehörigkeit anknüpft, mittelbar aber eine vergleichbare Situation schafft, indem die Anknüpfung an die Niederlassung des Handelsvertreters regelmäßig ausländische Dienstleistungserbringer betrifft. Da diese für ausländische Handelsvertreter nachteilige Ungleichbehandlung auch nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt wird, stellt sie eine nach Art. 49, 12 in der seit dem 1. Mai 1999 geltenden Fassung des EG-Vertrages (früher: Art. 59, 6 EGV) unzulässige versteckte oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar.
[5] a) Soweit der Senat in seinem Urteil vom 17. Dezember 1997 (VIII ZR 235/96, WM 1998, 771 unter III 2) in den nicht bindenden Erwägungen zum weiteren Verfahrensverlauf demgegenüber Zweifel am Vorliegen einer versteckten Diskriminierung im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zum deutschen Nachtbackverbot (Urteil vom 14. Juli 1981, Rs. 155/80, Oebel, Slg. 1981, 1993) geäußert hat, hält er hieran nach erneuter Überprüfung nicht mehr fest. Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Entscheidung das Vorliegen einer Diskriminierung verneint, weil die angegriffene Regelung nicht nach Maßgabe der Staatsangehörigkeit der Wirtschaftsteilnehmer, sondern nach dem Ort der Niederlassung Anwendung findet (aaO Rdnr. 7, 16). Der vorliegende Fall ist damit indes nicht vergleichbar. Zwar knüpft auch die Vorschrift des § 92 c Abs. 1 HGB a. F. an den Ort der Niederlassung an, indem sie die im deutschen Handelsvertreterrecht bestimmte Unabdingbarkeit sozialer Schutzvorschriften grundsätzlich bei allen Handelsvertretern aufhebt, die keine inländische Niederlassung haben. Das betrifft jedoch anders als im Fall des Nachtbackverbotes nicht alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer in gleichem Maße. Der Ort der Niederlassung ist bei Handelsvertretern nämlich nicht gleichbedeutend mit dem Ort der Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit. Vielmehr werden von § 92 c Abs. 1 HGB a. F. auch solche Handelsvertreter erfaßt, die ebenso wie inländische Handelsvertreter im Inland tätig werden, ihre Niederlassung aber (nur) im Ausland haben.
[6] b) Die sich hieraus ergebende Ungleichbehandlung auch der im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer erfährt durch die Zielsetzung des § 92 c Abs. 1 HGB a. F. keine hinreichende Rechtfertigung. Zweck der Vorschrift ist es, den Parteien die Möglichkeit zu eröffnen, das Vertragsverhältnis mit einem im Ausland tätigen Handelsvertreter von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit, die für deutsche Verhältnisse geboten sind, zu befreien und den jeweiligen örtlichen Verhältnissen anzupassen (Begr. zum RegE, BT-Drucks. 1/3856, S. 18; Heymann/Sonnenschein, HGB, Bd. 1, § 92 c Rdnr. 1; Schlegelberger/Schröder, HGB, Bd. 2, 5. Auflage 1973, § 92 c unter I). Diesem Anliegen wäre aus Sicht des Gemeinschaftsrechts regelmäßig dadurch genügt, daß es beim gesetzlichen Vertragsstatut nach Art. 28 Abs. 2 EGBGB und damit bei der für den ausländischen Handelsvertreter geltenden (ausländischen) Rechtsordnung belassen bliebe. Kommt dagegen aufgrund der Rechtswahl der Parteien deutsches Recht zur Anwendung, so ist kein Grund erkennbar, den Handelsvertreter mit Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat anders zu behandeln als einen solchen mit inländischer Niederlassung. Insbesondere ist der ausländische Handelsvertreter entgegen der Ansicht der Revision nicht weniger schutzwürdig als ein inländischer Handelsvertreter. Soweit etwa die Unabdingbarkeit des zukünftigen Ausgleichsanspruchs nach § 89 b Abs. 4 Satz 1 HGB dem Schutz des Handelsvertreters vor der Gefahr dient, sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von dem Unternehmen auf die ihn benachteiligenden Abreden einzulassen (BGH, Urteil vom 6. Februar 1985 I ZR 175/82, NJW 1985, 3076 unter II 2; Urteil vom 29. März 1990 I ZR 2/89, NJW 1990, 2889 unter I1 b; Senatsurteil vom 10. Juli 1996 VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867 unter II 1, jew. m. w. Nachw.), besteht diese Gefahr für den ausländischen Handelsvertreter jedenfalls für den, der sich für die Anwendbarkeit deutschen Rechts entscheidet in nicht geringerem Maße (so auch OLG München RIW 1989, 155, 156; Hepting/Detzer RIW 1989, 337, 341 f). Daß Handelsvertreter ohne inländische Niederlassung typischerweise wirtschaftlich unabhängig seien und ihre Verträge frei aushandeln könnten, wie dies die Revision ohne nähere Begründung vorträgt, ist demgegenüber nicht, jedenfalls nicht in dieser Allgemeinheit erkennbar.
[7] c) Da die gemeinschaftsrechtliche Frage der Vereinbarkeit von § 92 c Abs. 1 HGB a. F. mit dem EG-Vertrag somit auf der Grundlage gesicherter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu beantworten war, ohne daß am Auslegungsergebnis ernstliche Zweifel verblieben, bedurfte es auch keiner Anrufung des Europäischen Gerichtshofes nach Art. 234 Abs. 3 EGV (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. 283/81, C. I. L. F. I. T., Slg. 1982, 3415, 3429 Rdnr. 14 und 16; BVerfGE 82, 159, 194).
[8] 2. Die Revision hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Feststellung, daß § 92 c Abs. 1 HGB a. F. mit dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot unvereinbar ist. Der Vorschrift kommt heute keine nennenswerte Bedeutung mehr zu, da sie mit dem 1. Januar 1990 außer Kraft getreten ist und auch die nach Art. 29 EGHGB bestimmte Übergangszeit mit Ablauf des Jahres 1993 geendet hat.