Ausschluss einer Entschädigung in Überschuldungsfällen nach § 1 Abs. 2 des Vermögensgesetzes verfassungswidrig

BVerwG, Mitteilung vom 20. 10. 2000 – 40/00 (lexetius.com/2000,4262)

[1] Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in einem vermögensrechtlichen Verfahren um die Wiedergutmachung von DDR-Unrecht beschlossen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob § 1 Abs. 3 des Entschädigungsgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
[2] Nach den Vorschriften des Entschädigungsgesetzes besteht regelmäßig ein Anspruch auf Entschädigung, wenn die nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes an sich gebotene Rückübertragung des auf Grund einer Schädigungsmaßnahme verloren gegangenen Eigentums an einem Vermögenswert nicht möglich ist. Eine solche durch Rückübertragung wiedergutzumachende Schädigung ist nach § 1 Abs. 2 des Vermögensgesetzes auch dann gegeben, wenn bebaute Grundstücke und Gebäude auf Grund nicht kostendeckender Mieten überschuldet waren und deshalb durch Enteignung, Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen wurden. Ist in diesen Fällen eine Rückgabe unmöglich, gewährt jedoch die vom vorlegenden Senat für verfassungswidrig gehaltene Vorschrift eine Entschädigung nur für den Fall, dass die Übernahme in Volkseigentum durch Enteignung erfolgte. In den übrigen Fällen (Übernahme in Volkseigentum durch Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung) wird eine Entschädigung ausgeschlossen. Der Senat sieht in diesem Entschädigungsausschluss einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Er hat sich dabei von der Erwägung leiten lassen, dass der Gesetzgeber die infolge der Mietenpolitik der DDR eingetretenen Eigentumsverluste an bebauten Grundstücken und Gebäuden in die Schädigungstatbestände des § 1 des Vermögensgesetzes eingereiht und sie damit als restitutionswürdiges Unrecht anerkannt habe. Folgerichtig habe er auch bei diesen Schädigungen im Falle der Unmöglichkeit der aus seiner Sicht gebotenen Rückübertragung wie bei allen anderen Restitutionstatbeständen eine Entschädigung anordnen müssen. Es sei nicht erkennbar, dass diese Sachverhalte Besonderheiten aufwiesen, die es rechtfertigen könnten, gerade im Bereich der Entschädigung zu differenzieren und damit im Ergebnis von jeglicher Wiedergutmachung abzusehen. Daher sei der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt.
[3] Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergebe sich auch daraus, dass der Gesetzgeber ohne hinreichenden sachlichen Grund die Entschädigung in den Fällen der Überschuldung unterschiedlich geregelt habe. So habe er für eine infolge der Überschuldung vorgenommene Enteignung von bebauten Grundstücken oder Gebäuden eine Entschädigung vorgesehen, diese aber in den vergleichbaren Fällen der "erzwungenen Selbstschädigung" (Eigentumsverzicht, Erbausschlagung oder Schenkung) ausgeschlossen.
BVerwG, Beschluss vom 19. 10. 2000 – 7 C 1.00