Bundesverfassungsgericht
BVerfG, Beschluss vom 31. 3. 2000 – 1 BvR 1454/97 (lexetius.com/2000,464)
[1] In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der W. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer, – Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Klaus Sedelmeier und Koll., Königstraße 1 A, Stuttgart – gegen a) das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 24. Juni 1997 – 7U 49/97 –, b) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Januar 1997 – 324 O 529/96 – hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 31. März 2000 einstimmig beschlossen:
[2] Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
[3] Gründe: Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des Persönlichkeitsschutzes eines Kindes gegenüber der Bildberichterstattung der Presse. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen Urteile, die sie zur Unterlassung der Veröffentlichung von Fotos des Klägers des Ausgangsverfahrens verpflichtet haben, auf denen er zusammen mit seiner Mutter, Prinzessin Caroline von Monaco, abgebildet war.
[4] Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Die von ihr aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen sind mit dem Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 – 1 BvR 653/96 – geklärt worden. Mangels Erfolgsaussichten ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde auch nicht nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt.
[5] Die angegriffenen Entscheidungen halten den Maßstäben des Art. 5 Abs. 1 GG stand. Die Frage, ob es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt, hat das Oberlandesgericht dahinstehen lassen. Auf den diesen Punkt betreffenden Vortrag der Beschwerdeführerin kommt es somit gar nicht an.
[6] Es verstößt nicht gegen Art. 5 Abs. 1 GG, dass die Gerichte im Rahmen der Auslegung und Anwendung des § 23 Abs. 2 KUG den Belangen des Klägers unter Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und des Art. 6 GG Vorrang gegeben haben. Kinder bedürfen hinsichtlich der Gefahren, die von dem Interesse der Medien und ihrer Nutzer an Abbildungen von Kindern ausgehen, eines besonderen Schutzes. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann durch die Berichterstattung in Medien empfindlicher gestört werden als diejenige von Erwachsenen, so dass der Bereich, in dem sie sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, umfassender geschützt sein muss (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 – 1 BvR 653/96 –, Umdruck S. 35 f.). Dieser Schutz verwirklicht sich nicht nur über das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 Abs. 1 GG, sondern folgt auch aus dem eigenen Recht des Kindes auf ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 24, 119 [144]; 45, 400 [417]; 72, 122 [137]). Das Recht jedes Kindes auf Entwicklung zur Persönlichkeit – auf "Person werden" – umfasst sowohl die Privatsphäre als auch die kindgemäße Entfaltung in öffentlichen Räumen. Zur Entwicklung der Persönlichkeit gehört es, sich in der Öffentlichkeit angemessen bewegen zu lernen. Dies gilt auch für Kinder, deren Eltern von zeitgeschichtlicher Bedeutung sind. An einem Schutzbedürfnis kann es freilich fehlen, soweit die Kinder sich nicht bei alltäglichen Vorgängen in der Öffentlichkeit bewegen, sondern sich allein oder gemeinsam mit den Eltern bewusst der Öffentlichkeit zuwenden, etwa im Mittelpunkt öffentlicher Veranstaltungen stehen, und sich dadurch den Bedingungen öffentlicher Auftritte ausliefern (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 – 1 BvR 653/96 –, Umdruck S. 35 f.). Das Schutzbedürfnis entfällt aber nicht bereits bei einem kindgemäßen Verhalten, das üblicherweise in der Öffentlichkeit geschieht. Insbesondere entfällt es nicht dadurch, dass die Eltern das Kind bei alltäglichen Vorgängen wie Einkaufen oder Spazierengehen begleiten. Auch die Kinder der Personen von zeitgeschichtlicher Bedeutung haben ein Recht, wie andere Kinder auch von ihren Eltern in öffentlichen Räumen begleitet zu werden, ohne allein durch die Anwesenheit der Eltern zum Objekt der Medienberichterstattung zu werden.
[7] Die angegriffenen Entscheidungen führen aus, dass die in Rede stehenden Fotografien den Kläger und seine Mutter in vollkommen alltäglichen Situationen zeigten, so dass dessen Interesse, auch außerhalb seines eng begrenzten häuslichen Bereichs bei alltäglichen Verrichtungen mit seiner Mutter zusammen sein zu können, ohne die Anfertigung und weltweite Verbreitung von Fotos über diesen Vorgang hinnehmen zu müssen, gegenüber den Informations- und Unterhaltungsinteressen der Öffentlichkeit überwiege. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beurteilung, einer Veröffentlichung der streitigen Fotografien stünden berechtigte Interessen des Klägers entgegen, setzt nicht notwendig voraus, dass die Herstellung der Aufnahmen in belästigender Weise erfolgt ist
[8] oder dass eine herabsetzende Abbildung vorliegt.
[9] Die Annahme der Beschwerdeführerin, durch das Verbot solcher Bildveröffentlichungen werde ein erheblicher Teil der Bildberichterstattung nachhaltig behindert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Auch wenn die bloße Unterhaltung
[10] ebenfalls in den Grundrechtsschutz einbezogen ist und sie in mehr oder minder weit reichendem Umfang meinungsbildende Funktion haben kann, darf im Rahmen der Abwägung mit Persönlichkeitsrechten berücksichtigt werden, ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, erörtert oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet werden (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 – 1 BvR 653/96 –, Umdruck S. 41 ff.). Soweit der Schutz des Persönlichkeitsrechts zur Beschränkung bestimmter Mitteilungsformen der Medien führt, ist dies von den Medien hinzunehmen, da wirkungsvoller Persönlichkeitsschutz andernfalls unmöglich wäre. Der Umfang des Persönlichkeitsschutzes verringert sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht dadurch, dass die Bildberichterstattung heute einen wesentlich breiteren Raum in den Medien einnimmt als in früheren Zeiten.
[12] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.