Bundesarbeitsgericht
Die Arbeitsvertraglichen Richtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR sind kein Tarifvertrag

BAG, Beschluss vom 23. 1. 2002 – 4 AZN 760/01 (lexetius.com/2002,2302)

[1] 1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. August 2001 – 5 Sa 792/01 – wird als unzulässig verworfen.
[2] 2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
[3] 3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 11.198,89 Euro festgesetzt.
[4] Gründe: I. Der am 4. September 1958 geborene Kläger ist seit dem 1. August 1981 bei dem Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die "Arbeitsvertraglichen Richtlinien des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) Anwendung. Der Kläger wird seit 1993 in der Ambulanten Rehabilitation, Außenstelle G, als Mitarbeiter des Referats "Sucht" eingesetzt. Die Fachambulanz ist seit 1993 von den Versicherungsträgern zur Durchführung ambulanter Rehabilitationen für Suchtkranke nach den Empfehlungsvereinbarungen "Ambulante Rehabilitation Sucht" vom 29. Januar 1991 anerkannt. Der Kläger, der über therapeutische Zusatzausbildungen verfügt, wurde seit 1991 nach Vergütungsgruppe 4 a AVR vergütet.
[5] Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten begehrt, an ihn ab 1. Oktober 1998 Vergütung nach Vergütungsgruppe 3 zu zahlen. Er hat die Auffassung vertreten, er erbringe Tätigkeiten, die üblicherweise nur von approbierten Psychotherapeuten und Medizinern ausgeübt würden. Deshalb seien diese Tätigkeiten durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung gekennzeichnet, zumal sie bedeutsame Auswirkungen auf die Belange der Allgemeinheit und Lebensverhältnisse Dritter hätten. Die ihm obliegende Pflicht zur Anfertigung von Zwischenberichten über die durchgeführten Rehabilitationen wie auch seine Tätigkeiten im Zusammenhang der Erstellung des medizinischen Entlassungsberichtes belegten, daß er in einem hohen Maße Verantwortung trage.
[6] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es sei nicht möglich gewesen, Arbeitsvorgänge zu bilden. Unterstelle man einen einzigen Arbeitsvorgang, sei nicht dargelegt, daß und inwiefern in rechtlich erheblichem Ausmaß sich seine Tätigkeit durch das Maß der Verantwortung erheblich aus der Vergütungsgruppe 4 b heraushebe – so sind die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu verstehen –. Gehe man von mehreren Arbeitsvorgängen aus, fehle die Darlegung, daß und warum diese einzelnen Arbeitsvorgänge die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe 4 b erfüllten. Die Revision gegen sein Urteil hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
[7] II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen von § 72 a Abs. 3 Satz 2 ArbGG. Nach dieser Vorschrift muß der Beschwerdeführer darlegen, daß die Rechtssache eine Tarifangelegenheit nach § 72 a Abs. 1 Nr. 1 Abs. 3 ArbGG betrifft und grundsätzliche Bedeutung hat.
[8] 1. Der Kläger stützt sich für seine Nichtzulassungsbeschwerde auf die Auslegung der "Arbeitsvertraglichen Richtlinien des Deutschen Caritasverbandes" (AVR Caritasverband), die kein Tarifvertrag im Sinne von § 72 a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG sind. Auf falsche Auslegung dieser besonderen kirchlichen Regelung kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit Erfolg gestützt werden (BAGE 34, 182; Senat 7. September 1988 – 4 AZN 436/88 – AP ArbGG 1979 § 72 a Grundsatz Nr. 36 = EzA ArbGG 1979 § 72 a Nr. 52; Senat 5. Januar 1989 – 4 AZN 629/88BAGE 60, 344). Sie sind nicht von Tarifvertragsparteien ausgehandelt und nach Maßgabe des TVG zustandegekommen. Ihnen fehlt daher der Charakter von Tarifnormen, so daß sie auch nur – wie hier – kraft einzelarbeitsvertraglicher Vereinbarungen für das betreffende Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Andererseits ist aus dem Wortlaut von § 72 a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, dem Sinn und Zweck dieser Verfahrensnorm und dem Gesamtzusammenhang des § 72 a ArbGG zu entnehmen, daß der Gesetzgeber unter "Tarifverträgen" hier nur solche versteht, die nach Maßgabe des TVG zustande gekommen sind und dem entsprechenden allgemeinen arbeitsrechtlichen Begriff entsprechen. Die Aufzählung der Fälle, in denen nach dem Willen des Gesetzgebers die Nichtzulassungsbeschwerde als besonderer Rechtsbehelf hat ermöglicht werden sollen (§ 72 a Abs. 1 ArbGG), ist abschließend und gestattet es schon deswegen nicht, als "Tarifverträge" auch solche Bestimmungen anzusehen, die keine Tarifverträge im Sinne des materiellen Arbeitsrechts sind und insbesondere nicht nach den Erfordernissen des TVG zustande gekommen sind.
[9] 2. Abgesehen davon ist die vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde auch deswegen unzulässig, weil der Kläger nicht dargelegt hat, inwiefern das Landesarbeitsgericht den Begriff des Arbeitsvorgangs verkannt oder bei der Subsumtion wieder aufgegeben hat. Das Landesarbeitsgericht ist von dem vom Senat entwickelten Begriff des Arbeitsvorgangs ausgegangen und bei Unterstellung eines einzigen Arbeitsvorganges und bei Unterstellung mehrerer Arbeitsvorgänge zu der Auffassung gelangt, der tatsächliche Vortrag des Klägers reiche nicht aus, die Merkmale der aufeinander aufbauenden Vergütungsgruppen als hinreichend schlüssig vorgetragen anzusehen. Hier hätte der Kläger im einzelnen darlegen müssen, daß den fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ein fallübergreifendes Fehlverständnis des Begriffs des Arbeitsvorgangs zugrunde liegt und/oder daß das Landesarbeitsgericht die von ihm vorangestellte zutreffende Auslegung des Begriffs des Arbeitsvorgangs bei der Subsumtion wieder aufgegeben hat. Das Landesarbeitsgericht hat entgegen der Auffassung des Klägers einen einzigen Arbeitsvorgang unterstellt, ist aber zu dem Ergebnis gelangt, die Voraussetzungen der vom Kläger begehrten Vergütungsgruppe 3 lägen nicht vor, weil der Kläger nicht vorgetragen habe, daß und inwiefern in rechtlich erheblichem Ausmaß sich seine Tätigkeit durch das Maß der Verantwortung aus der Vergütungsgruppe 4 b herausheben solle.
[10] 3. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist darüber hinaus auch unzulässig, weil die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt worden ist.
[11] a) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt (ständige Rechtsprechung seit BAG 5. Dezember 1979 – 4 AZN 41/97 – BAGE 32, 203). Dementsprechend hat der Beschwerdeführer vorzutragen.
[12] b) Der Kläger hat nicht dargelegt, inwiefern der vorliegende Rechtsstreit über den Einzelfall hinaus eine größere Anzahl vergleichbarer Fallkonstruktionen betrifft. Er hat sich mit dem Hinweis begnügt, durch die Entscheidung des Rechtsstreits seien zahlreiche vergleichbare Sachverhalte betroffen, weil der beklagte Verband bundesweit aktiv sei, insgesamt 320 Einrichtungen existierten, in denen ambulante Rehabilitation ausgeübt werde, die nach den Empfehlungsvereinbarungen über die Leistungen zur ambulanten Rehabilitation Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängiger zwischen den Krankenkassen/Krankenkassenverbänden und dem Verband deutscher Rentenversicherungsträger anerkannt seien. Durch die Entscheidung des Rechtsstreits seien damit zahlreiche vergleichbare Arbeitnehmer, die wie der Kläger als Diplomsozialarbeiter in der ambulanten Rehabilitation tätig seien, hinsichtlich ihrer Eingruppierung betroffen. Das ist zu allgemein gehalten. Es hätte des Vortrags bedurft, daß und in welcher Anzahl andere Arbeitnehmer des beklagten Verbandes, die mit denen des Klägers vergleichbare Tätigkeiten auszuüben haben, Vergütung nach Vergütungsgruppe 3 geltend machen und ob, und wenn ja, welche Rechtsstreitigkeiten insoweit anhängig sind.
[13] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
[14] IV. Der festgesetzte Streitwert folgt aus § 3 ZPO iVm. § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG.