Bundesarbeitsgericht
Tarifpluralität – Metallhandwerk/Baugewerbe
BAG, Urteil vom 4. 12. 2002 – 10 AZR 113/02 (lexetius.com/2002,3035)
[1] Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 12. November 2001 – 16 Sa 806/00 – aufgehoben.
[2] Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 19. Januar 2000 – 7 Ca 1887/97 – wird zurückgewiesen.
[3] Die Klägerin hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
[4] Tatbestand: Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe VVaG (im folgenden ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Dies richtet sich nach den Bestimmungen des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die tarifvertraglich vorgesehenen Auskünfte für den Zeitraum von Februar 1997 bis März 1999 und hilfsweise eine Entschädigungszahlung.
[5] Der Beklagte ist Diplom-Ingenieur (FH) im Fachbereich Maschinenbau und Feinwerktechnik. Er ist seit dem 14. Februar 1997 als Inhaber eines Metallbauerbetriebes in die Handwerksrolle bei der Handwerkskammer Wiesbaden eingetragen. Seit dem 1. Januar 1997 ist er Mitglied der Innung der Metallhandwerke W. Diese Innung ist Mitglied des Fachverbandes Metall Hessen, der mit der IG Metall am 17. Oktober 1995 einen ab 1. November 1995 geltenden und am 13. August 1998 einen ab 1. September 1998 geltenden Manteltarifvertrag ua. für Betriebe des Metallbauer-Handwerks (im Folgenden: MTV) für das Bundesland Hessen abgeschlossen hat. Diese Tarifverträge sind kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf die Arbeitsverhältnisse im Betrieb des Beklagten anwendbar.
[6] Im Betrieb des Beklagten werden nahezu ausschließlich auf auswärtigen Baustellen Stahl- und Aluminiumteile zugeschnitten, angepaßt und zu Fassadenkonstruktionen montiert. Anschließend werden Glas (hauptsächlich in der Form von Festverglasungen) oder Bleche eingesetzt.
[7] Die Klägerin hat in insgesamt sieben, vom Arbeitsgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtsstreiten die Auffassung vertreten, bei dem Betrieb des Beklagten handele es sich um einen baugewerblichen Betrieb im Tarifsinne.
[8] Nachdem zunächst in zwei Verfahren Säumnisentscheidungen ergangen sind, hat die Klägerin nach Einspruch des Beklagten, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt, 1. den Beklagten zu verurteilen, ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele Arbeitnehmer, die nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches SGB VI über die gesetzliche Rentenversicherung eine arbeiterrentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausübten (gewerbliche Arbeitnehmer), in den Monaten Februar 1997 bis August 1997, Dezember 1997 bis Dezember 1998 in dem Betrieb des Beklagten beschäftigt wurden, sowie in welcher Höhe die Bruttolohnsumme für diese Arbeitnehmer und die Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft insgesamt in den genannten Monaten angefallen sind; für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an sie DM 120. 675, 00 zu zahlen, 2. das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 3. Juli 1998 – 7 Ca 202/98 – zu Ziffer 1. 1 und zu Ziffer 2 mit einer Entschädigungssumme von DM 19. 200, 00 aufrecht zu erhalten, 3. das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 12. November 1999 – 7 Ca 2024/99 – aufrecht zu erhalten und den Beklagten weiter zu verurteilen, für den Fall, daß er der im Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 12. November 1999 bezeichneten Auskunftsverpflichtung nicht innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Zustellung des landesarbeitsgerichtlichen Urteils nachkommt, an die Klägerin eine weitere Entschädigung in Höhe von DM 11. 815, 00 zu zahlen.
[9] Der Beklagte hat beantragt, unter Aufhebung der Versäumnisurteile die Klage abzuweisen.
[10] Sein Betrieb erfülle zwar auf Grund der arbeitszeitlich überwiegend ausgeübten Tätigkeiten die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 12 (Fassadenbauarbeiten) sowie Nr. 37 (Trocken- und Montagebauarbeiten) VTV. Gleichermaßen unterfalle der Betrieb aber als Metallbauerbetrieb den Tarifverträgen des Metallhandwerks in Hessen. Nach § 4 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Metallbauer vom 10. April 1989 würden der Fachrichtung Konstruktionstechnik Fertigkeiten und Kenntnisse im Herstellen und Montieren von Unterkonstruktionen für Verkleidungen und Fassaden, der Befestigung von Bauteilen und Bauelementen an Bauwerken sowie das Montieren oder Demontieren von Metallbau- und Stahlbaukonstruktionen und damit exakt die Tätigkeiten zugeordnet, die arbeitszeitlich überwiegend in seinem Betrieb ausgeführt würden. An diese Tarifverträge sei er kraft Verbandsmitgliedschaft gebunden. Ob auch Arbeitnehmer kraft Mitgliedschaft tarifgebunden seien, könne er nicht feststellen, weil keiner der Arbeitnehmer bereit sei, sich zu einer Gewerkschaftszugehörigkeit zu erklären. Es liege ein Fall einer Tarifpluralität vor, der nach dem Grundsatz der Spezialität zu lösen sei. Der Manteltarifvertrag für das Metallhandwerk in Hessen (MTV) verdränge als speziellerer Tarifvertrag den Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) und den VTV. Der räumliche Geltungsbereich sei gegenüber dem bundesweit geltenden BRTV enger und könne daher regionaltypische Besonderheiten berücksichtigen. Dies gelte auch für den fachlichen Geltungsbereich. Der von den Bautarifen bestimmte Geltungsbereich umfasse jede bauliche Tätigkeit. Auch Fassadenbauarbeiten nach § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 12 VTV bzw. Trocken- und Montagebauarbeiten nach Nr. 37 beträfen verschiedene Branchen, während der Tarifvertrag für das Metallhandwerk/Hessen nur einen kleinen Ausschnitt hiervon, nämlich Stahlkonstruktionen mit dem Werkstoff Metall in Verbindung mit Blech und Glas erfasse.
[11] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben über die arbeitszeitlich überwiegend ausgeübte Art der Tätigkeit und der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[12] Entscheidungsgründe: Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden arbeitsgerichtlichen Urteils.
[13] I. Das Landesarbeitsgericht hat der Auskunftsklage nach § 27 Abs. 1 VTV für den Klagezeitraum mit der Begründung stattgegeben, kraft Allgemeinverbindlichkeit fänden der BRTV sowie der VTV Anwendung, weil der Betrieb ein baulicher Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 12 (Fassadenbauarbeiten) und Nr. 37 (Montagebauarbeiten) VTV sei. Nach seinem Geltungsbereich unterfalle der Betrieb zwar auch dem MTV, da die arbeitszeitlich überwiegend wahrgenommenen Tätigkeiten des Zuschnitts und der Anpassung von Stahlteilen für Fassadenbaukonstruktionen und das Einsetzen von Blechen und Glas der Fachrichtung Konstruktionstechnik des Metallbauer-Handwerks zugeordnet werden könnten. Da nicht vorgetragen sei, daß während des Klagezeitraums irgendein Arbeitnehmer Mitglied der IG Metall gewesen sei, liege ein Fall der Tarifpluralität vor, da der MTV nur durch einzelvertragliche Vereinbarung zur Anwendung komme.
[14] Entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne Tarifpluralität nicht nach dem Grundsatz der Spezialität aufgelöst werden. Dies sei mit dem Zweck und den gesetzlich in § 5 Abs. 4 TVG geregelten Rechtsfolgen einer Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) nicht in Einklang zu bringen und entziehe Außenseitern den Schutz des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages. Die gesetzlichen Folgen einer AVE könnten nicht unter Berufung auf ein Prinzip der Tarifeinheit außer Kraft gesetzt werden. Dafür fehle es an einem rechtlichen Grund. Nach der gesetzlichen Konzeption des TVG könnten in einem Betrieb für verschiedene Arbeitsverhältnisse unterschiedliche Tarifverträge gelten. Der Gesetzgeber sei weder von einem Prinzip der Tarifeinheit ausgegangen noch liege eine Regelungslücke vor, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschlossen werden könne. Die bei der Geltung mehrerer Tarifverträge entstehenden praktischen Schwierigkeiten seien zu überwinden; Praktikabilitätserwägungen könnten die Gerichte nicht von der Verpflichtung entbinden, das Gesetz anzuwenden. Da eine Tarifkonkurrenz zwischen mehreren normativ geltenden Tarifwerken nicht vorliege, sei der Arbeitgeber tarifvertraglich zur Auskunft verpflichtet.
[15] Hilfsweise bestehe der Auskunftsanspruch auch, weil der MTV den VTV nicht nach dem Grundsatz der Spezialität verdränge. Er stelle allgemein nur auf Arbeiten mit einem bestimmten Werkstoff ab und erfasse auch Produktionsprozesse wie im Maschinen- und Werkzeugbau, während der VTV von seinem Regelungsbereich ausschließlich auf Arbeiten an Bauwerken ausgerichtet und deshalb der für den Betrieb des Beklagten speziellere Tarifvertrag sei.
[16] II. Dem folgt der Senat nicht.
[17] 1. Die Klägerin hat keinen Auskunftsanspruch nach § 27 VTV gegen den Beklagten für den Klagezeitraum. Der nach seinem fachlichen Geltungsbereich für den Betrieb des Beklagten speziellere MTV verdrängt den VTV.
[18] a) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Betrieb des Beklagten für den Klagezeitraum dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV nach § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 12 (Fassadenbauarbeiten) sowie Nr. 37 (Trocken- und Montagebauarbeiten) VTV unterfällt und nicht gemäß Abschnitt VII Nr. 12 (Klempnerhandwerk) ausgenommen war. Dagegen wendet sich der Beklagte nicht mehr. Kraft Allgemeinverbindlichkeit wird der Betrieb des Beklagten deshalb grundsätzlich nach § 5 Abs. 4 TVG von den tariflichen Bestimmungen des VTV erfaßt.
[19] b) Der Betrieb des Beklagten unterfiel im Klagezeitraum aber auch dem fachlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für das Metallbauer-Handwerk, das Maschinenbaumechaniker-Handwerk, das Werkzeugmacher-Handwerk, das Dreher-Handwerk, das Feinmechaniker-Handwerk, das Metallformer- und das Metallgießer-Handwerk in Hessen vom 17. Oktober 1995, gültig ab 1. November 1995, sowie vom 13. August 1998, gültig ab 1. September 1998 (MTV). Nach jeweils § 1 Abs. 2 gelten diese Tarifverträge fachlich ua. für alle Betriebe des Metallbauer-Handwerks (mit den Fachrichtungen Konstruktionstechnik, Metallgestaltung, Anlagen- und Fördertechnik, Landtechnik und Fahrzeugbau). Diese Fachrichtungen nehmen Bezug auf die in § 4 Abs. 2 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Metallbauer/zur Metallbauerin vom 10. April 1989 (BGBl. I S 746) geregelten Ausbildungsberufsbilder. Sie bezeichnen in der Fachrichtung Konstruktionstechnik als Gegenstand der Berufsausbildung das Befestigen von Bauteilen und Bauelementen an Bauwerken (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 b), das Herstellen von Bauteilen und Bauelementen für Metallbau- oder Stahlkonstruktionen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 c), das Herstellen und Montieren von Unterkonstruktionen für Verkleidungen und Fassaden (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 d) und das Montieren von Metallbau- und Stahlbaukonstruktionen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 e). Dies entspricht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den im Betrieb des Beklagten verrichteten Tätigkeiten der Erstellung und der Montage von Fassadenkonstruktionen aus Metallwerkstoffen und Glas.
[20] c) An diesen Tarifvertrag ist der Beklagte kraft Mitgliedschaft in der Innung der Metallhandwerke W, die wiederum Mitglied im tarifschließenden Fachverband Metall in Hessen ist, nach § 3 Abs. 1 TVG gebunden. Daß die Bestimmungen des MTV nach § 4 Abs. 1 TVG auch nur für ein einziges Arbeitsverhältnis normativ wirken, kann jedoch nicht festgestellt werden, weil der Beklagte nicht hat darlegen können, daß während des Klagezeitraums auch nur einer seiner Arbeitnehmer Mitglied der IG Metall gewesen ist. Die vom Landesarbeitsgericht festgestellte arbeitsvertragliche Vereinbarung des MTV begründet keine unmittelbare und zwingende Wirkung des Tarifvertrages auf die Arbeitsverhältnisse (BAG 22. September 1993 – 10 AZR 207/92 – BAGE 74, 238). Damit liegt nicht der Fall einer Tarifkonkurrenz, sondern derjenige einer Tarifpluralität vor. Für die Annahme einer solchen Tarifpluralität genügt die Möglichkeit, daß ein der tarifschließenden Gewerkschaft angehörender Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt ist bzw. beschäftigt werden könnte (BAG 26. Januar 1994 – 10 AZR 611/92 – BAGE 75, 298). Dies ist der Fall.
[21] d) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts besteht ein Auskunftsanspruch nach § 27 VTV nicht bereits deshalb, weil der allgemeinverbindliche VTV im Gegensatz zu dem einzelvertraglich vereinbarten MTV nach § 5 Abs. 4 TVG normativ wirkt.
[22] aa) Fälle der Tarifpluralität wie auch solche der Tarifkonkurrenz sind nach dem Prinzip der Tarifeinheit im Regelfall dahingehend aufzulösen, daß nur der speziellere Tarifvertrag zur Anwendung kommt. Das ist der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der dort tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird (BAG 24. Januar 1990 – 4 AZR 561/89 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 126 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 6; 26. Januar 1994 – 10 AZR 611/92 – BAGE 75, 298; 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 242 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 15; aA mwN Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 277 ff.; vgl. auch BAG 28. Mai 1997 – 4 AZR 663/95 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 8; 20. Februar 2002 – 4 AZR 23/01 – nv., zu II 1 d der Gründe).
[23] Daran hält der Senat jedenfalls für die Geltungsbereichsstreitigkeiten der Sozialkassen des Baugewerbes fest. Im Falle der Tarifpluralität verdrängt ein speziellerer Tarifvertrag den VTV, sofern jedenfalls der Arbeitgeber – wie hier – kraft Verbandsmitgliedschaft an den spezielleren Tarifvertrag gebunden ist (BAG 26. Januar 1994 – 10 AZR 611/92 – aaO). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der speziellere Tarifvertrag ohne Tarifbindung des Arbeitgebers lediglich einzelvertraglich vereinbart ist (BAG 22. September 1993 – 10 AZR 207/92 – aaO). Mit der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, wonach es auf die Tarifgeltung in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis ankomme, hat sich der Senat in den zitierten Entscheidungen mehrfach auseinander gesetzt und ist ihr insbesondere im Hinblick auf die Funktionalität gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien iSd. § 4 Abs. 2 TVG nicht gefolgt. Die hier angefochtene Entscheidung enthält insoweit keine neuen Argumente.
[24] Auch aus § 1 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (AEntG vom 26. Februar 1996 BGBl. I S 227, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Juli 2002, BGBl. I S 2787) ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht, daß ein inländischer Arbeitgeber, der vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt wird, gesetzlich zur Abführung der Beiträge verpflichtet ist, auch wenn er kraft Verbandsmitgliedschaft an einen für seinen Betrieb sachnäheren Tarifvertrag gebunden ist. Soweit § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG für den ausländischen Arbeitgeber bzw. Satz 3 für den inländischen Arbeitgeber eine gesetzliche Rechtspflicht zur Beitragsabführung begründen, handelt es sich um klarstellende Bestimmungen zu § 1 Abs. 3 Satz 1 AEntG, deren Zweck sich darin erschöpft, daß sie als Gebotsnormen den rechtstechnisch erforderlichen Anknüpfungspunkt für die in § 5 AEntG enthaltene Bußgeldbewehrung bilden (Koberski/Asshoff/Hold AEntG § 1 Rn. 318; Ulber AÜG § 1 AEntG Rn. 41). Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber im Zuge der Einführung des AEntG die Fragen von Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität für den Bereich der Verfahrenstarifverträge gesetzlich im Sinne eines unbedingten Vorranges dieser Tarifverträge regeln wollte, sind nicht ersichtlich.
[25] b) Der Klage kann auch nicht mit der Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts stattgegegeben werden. Der VTV wird von dem spezielleren MTV verdrängt.
[26] aa) Nach dem Grundsatz der Spezialität kommt allein der Tarifvertrag zur Anwendung, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird (Senat 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – aaO; 26. Januar 1994 – 10 AZR 611/92 – aaO).
[27] bb) Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß BRTV und VTV von spartenspezifischen Handwerkstarifverträgen nach dem Grundsatz der Spezialität verdrängt werden, sofern zumindest der Arbeitgeber tarifgebunden ist (vgl. BAG 27. August 1986 – 4 AZR 280/85 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 70; 22. September 1993 – 10 AZR 207/92 – BAGE 74, 238 – zum Schreinerhandwerk; 24. Januar 1990 – 4 AZR 561/89 – aaO; 26. Januar 1994 – 10 AZR 611/92 – aaO, zu Drainierungsarbeiten, Vorrang der Tarifverträge für landwirtschaftliche Lohnunternehmen). Auch im Verhältnis zu einem Manteltarifvertrag für das metallverarbeitende Handwerk werden in einem Betrieb des Schlosserhandwerks, der Decken- und Wandverkleidungen fast ausschließlich aus Metall herstellt und montiert, der BRTV und der VTV nach dem Grundsatz der Spezialität verdrängt, weil die Tarifverträge für das Schlosserhandwerk sachnäher und damit spezieller sind (BAG 14. Juni 1989 – 4 AZR 200/89 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4).
[28] cc) Dies gilt auch im Verhältnis zwischen BRTV und VTV und dem MTV.
[29] (1) Der räumliche Geltungsbereich des MTV ist enger als derjenige des bundesweit geltenden VTV. Ein nach seinem räumlichen Geltungsbereich enger begrenzter Tarifvertrag kann grundsätzlich eher regionalen Besonderheiten Rechnung tragen als ein bundesweit geltender Tarifvertrag, der diese weitgehend vernachlässigen muß (BAG 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – aaO).
[30] (2) Da es maßgeblich darauf ankommt, welcher Tarifvertrag den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird, ist der fachliche (betriebliche) Geltungsbereich von besonderem Gewicht (BAG 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – aaO).
[31] Grundsätzlich ist für den fachlichen (betrieblichen) Geltungsbereich der gesamte vom Tarifvertrag bestimmte Bereich entscheidend (BAG 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – aaO). Abzustellen ist dabei auf den BRTV, weil der VTV keine materiellen Regelungen der Arbeitsbedingungen enthält, sondern lediglich das Verfahren für die in § 8 BRTV vorgesehene Urlaubs- und Lohnausgleichskasse und die weiteren Sozialkassen des Baugewerbes regelt (BAG 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – aaO; 14. Juni 1989 – 4 AZR 200/89 – aaO).
[32] Daraus ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts aber nicht, daß der BRTV bereits deshalb als der speziellere Tarifvertrag anzusehen ist, weil er nur auf Betriebe beschränkt ist, die sich mit Arbeiten an Bauwerken beschäftigen, während der MTV auf den Werkstoff Metall abstellt, ohne daß es auf spezifische arbeitstechnische Zwecke ankommt. Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, daß es nicht entscheidend darauf ankommt, ob ein Tarifvertrag gegenüber dem BRTV ausschließlich eine sich daraus ergebende "Teilmenge" regelt (zB "Fassadenbauarbeiten aus Metall"). Folgte man dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts, wäre der BRTV immer schon dann der speziellere Tarifvertrag, wenn vom fachlichen Geltungsbereich konkurrierender Tarifverträge auch Betriebe erfaßt werden, die keine baulichen Leistungen erbringen. Auch das Bundesarbeitsgericht geht nicht von diesem Grundsatz aus (vgl. BAG 26. Januar 1994 – 10 AZR 611/92 – aaO).
[33] Stellt ein Tarifvertrag in seinem fachlichen Geltungsbereich im wesentlichen auf den Zweck der Tätigkeit ab, wie dies bei den Bautarifverträgen der Fall ist, und der andere auf die Verwendung eines bestimmten Werkstoffs, wie im MTV, können Zweck und Werkstoff nicht unmittelbar als vergleichbare Kriterien gegenübergestellt werden. Welcher Tarifvertrag spezieller ist, muß sich aus anderen Kriterien ergeben.
[34] Im vorliegenden Fall ist der Geltungsbereich des MTV bereits deshalb enger und dieser deshalb spezieller, weil er nur Betriebe des Metallhandwerks erfaßt, während der BRTV auch Industriebetriebe, also insgesamt eine wesentlich breitere Skala von Betriebsformen und Organisationseinheiten umfaßt. Aus ähnlichen Erwägungen hat der Senat in der Entscheidung vom 25. Juli 2001 (- 10 AZR 599/00 – aaO) den Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie Sachsen-Anhalt trotz dessen engeren räumlichen Geltungsbereichs nicht für spezieller als den BRTV gehalten.
[35] (3) Hingegen läßt sich weder aus dem persönlichen Geltungsbereich der Tarifverträge noch aus den materiellen Arbeitsbedingungen, die die Tätigkeit der Arbeitnehmer des Betriebes des Beklagten berühren, eine Spezialität eines der Tarifwerke herleiten.
[36] Den typischerweise bei der Tätigkeit auf wechselnden Baustellen im gesamten Bereich der Bundesrepublik entstehenden Regelungsbedürfnissen tragen beide Tarifwerke Rechnung. Zwar mag die Regelungsdichte im BRTV für Tätigkeiten auf wechselnden Baustellen höher sein als diejenige im in erster Linie auf die Produktion ausgerichteten MTV, jedoch enthält auch der letztere ausreichende Regeln zu Auswärtstätigkeiten (§ 22) und Erschwerniszuschlägen (§ 15), die die betriebliche Tätigkeit des Beklagten erfassen. Ein Günstigkeitsvergleich ist hierbei nicht vorzunehmen.
[37] Damit sind hier maßgeblich der engere räumliche Geltungsbereich und der engere fachliche Geltungsbereich im Hinblick auf die alleinige Einbeziehung von Handwerksbetrieben im MTV.