Bundesarbeitsgericht
Unzulässigkeit der Aufrechnung

BAG, Urteil vom 5. 12. 2002 – 6 AZR 569/01 (lexetius.com/2002,3178)

[1] 1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 6. August 2001 – 18 Sa 569/01 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten über die Erstattung von Lehrgangskosten.
[4] Der Kläger war seit April 1998 bei der Beklagten als Monteur beschäftigt. Er leistet seiner Ehefrau und zwei Kindern Unterhalt.
[5] Auf Veranlassung der Beklagten nahm er Ende Januar 2000 an einem zehntägigen Lehrgang über Wartungsarbeiten an dem Motorentyp 6 V 396 TC 33 in F teil. Zuvor hatte er sich zur Erstattung der gesamten Lehrgangskosten verpflichtet, soweit er vor Ablauf von drei Jahren das Arbeitsverhältnis beendet. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2000. Nach der Lohnabrechnung für August 2000 belief sich bei einem Gesamtbruttolohn von 6.414,41 DM der Nettolohn auf 3.469,72 DM. Darin war eine Vergütung für 122, 2 geleistete Überstunden in Höhe von 2.622,41 DM brutto enthalten.
[6] Mit Schreiben vom 29. August 2000 verlangte die Beklagte die Rückzahlung aufgewendeter Lehrgangskosten in Höhe von 7.442,42 DM. Einen Teil dieser Forderung rechnete sie mit dem Arbeitsentgelt für August 2000 auf. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Auszahlung der Vergütung verpflichtet. Ein Gegenanspruch bestehe nicht.
[7] Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.774,04 Euro (3.469,72 DM) netto nebst 4 % Zinsen seit dem 4. September 2000 zu zahlen.
[8] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
[9] Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Aufrechnung sei rechtens. Der Kläger sei zur Erstattung der Lehrgangskosten verpflichtet. Die Rückzahlungsvereinbarung sei wirksam.
[10] Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsziel weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Die Beklagte ist nach § 611 BGB verpflichtet, an den Kläger für August 2000 den vereinbarten Lohn und die Überstundenvergütung in Höhe von insgesamt 3.469,72 DM netto zu zahlen. Der Anspruch ist nicht durch Aufrechnung erloschen (§§ 388, 389 BGB).
[12] 1. In Höhe von 3.145,42 DM verstößt die Aufrechnung der Beklagten gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB.
[13] a) § 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850 a bis 850 i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850 c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Er ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850 c Abs. 2 ZPO.
[14] b) Das Landesarbeitsgericht hat den gemäß § 850 c ZPO unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens des Klägers für August 2000 mit 1.090,72 DM fehlerhaft berechnet. Es hat die Pfändungsbeschränkungen des § 850 c Abs. 2 ZPO nicht hinreichend beachtet. Der Kläger ist insgesamt drei Personen gegenüber unterhaltspflichtig. Damit ist ein Nettoeinkommen in Höhe von 2.379,00 DM von der Pfändung ausgenommen (§ 850 c Abs. 1 ZPO). Für das diesen Betrag übersteigende Einkommen in Höhe von 1.090,72 DM gelten jedoch die Pfändungsbeschränkungen des § 850 c Abs. 2 ZPO. Danach verbliebe ein pfändbarer Teil in Höhe von 324,30 DM.
[15] 2. Ob auch in Höhe dieses Teilbetrags das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB beachtet ist, hat die Beklagte nicht dargelegt.
[16] a) Die Lohnabrechnung für August 2000 weist außer dem stetigen Monatslohn in Höhe von 3.792,00 DM brutto auch eine Vergütung für 122, 2 geleistete Überstunden in Höhe von 2.622,41 DM brutto aus. Nach § 850 a Nr. 1 ZPO sind die auf die Leistung von Mehrarbeit entfallenden Teile des Arbeitseinkommens nur zur Hälfte pfändbar. Die Einhaltung der sich daraus ergebenden Pfändungsbeschränkungen läßt sich auf Grund der unzureichenden Angaben der Beklagten aber nicht prüfen. Welcher Teil des ausgewiesenen Gesamtnettobetrags der Überstundenvergütung zuzurechnen ist, ergibt sich aus der Lohnabrechnung nicht. Er kann wegen der berücksichtigungspflichtigen Abgaben auch nicht durch einen Abgleich mit Lohnabrechnungen ohne Überstundenvergütung ermittelt werden.
[17] b) Die Beklagte trägt die Darlegungslast dafür, daß ihre Aufrechnung gegen den gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nur nach Maßgabe des §§ 850 a bis 850 i ZPO pfändbaren Anspruchs des Klägers auf Lohn und Überstundenvergütung das Erlöschen oder den teilweisen Untergang dieser Forderungen bewirkt hat (§ 389 BGB). Dieser Verpflichtung hat sie nicht genügt. Sie hat sich auf die Erklärung beschränkt, die pfändbaren Teile des Arbeitseinkommens seien von Amts wegen zu ermitteln. Zu diesen Ermittlungen sind die Gerichte für Arbeitssachen im Urteilsverfahren, für das der Beibringungsgrundsatz gilt, nicht verpflichtet.