Bundesarbeitsgericht
Antrag auf Neubescheidung im Rahmen einer Konkurrentenklage, Bevorzugung von Beamten gegenüber Angestellten bei der Stellenbesetzung
1. Art. 33 Abs. 2 GG garantiert Angestellten gleichermaßen wie Beamten den Zugang zu einem öffentlichen Amt, sofern nicht ein Funktionsvorbehalt zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben besteht.
2. Die Praxis, eine festgelegte Zahl von Beförderungsstellen aus haushaltsrechtlichen Erwägungen nur mit Beamten zu besetzen, verstößt gegen Art. 33 Abs. 2 GG.

BAG, Urteil vom 5. 11. 2002 – 9 AZR 451/01 (lexetius.com/2002,3194)

[1] 1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. Mai 2001 – 5 Sa 1942/00 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob die Ablehnung der Bewerbung des Klägers für die Stelle des Leiters/der Leiterin der Gruppe SchwbG (Abteilung 3) beim Versorgungsamt W fehlerhaft war und deshalb das beklagte Land zu einer neuen Auswahlentscheidung verpflichtet ist.
[4] Der Kläger ist seit dem Januar 1974 als Angestellter in der Versorgungsverwaltung tätig. Nach § 2 des Anstellungsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen Anwendung.
[5] Seit dem 1. Januar 1996 ist der Kläger als Sachbearbeiter in der Abteilung für Arbeitsmarktpolitische Förderprogramme (APF) beim Versorgungsamt E tätig. Er nahm dort vertretungsweise die ihm übertragenen Tätigkeiten eines Sachbearbeiters wahr, die den Merkmalen der VergGr. IV a Fallgruppe 1 a des Teiles I der Anlage 1 a zum BAT entsprachen. Wegen seiner bisherigen Eingruppierung in die VergGr. IV b BAT erhielt er eine Vertreterzulage nach § 24 Abs. 2 BAT. Am 10. September 1999 bewarb sich der Kläger auf die vom beklagten Land ausgeschriebene Stelle des Leiters/der Leiterin der Gruppe SchwbG (Abteilung 3) BesGr. A 11 BBesO/VergGr. IV a BAT beim Versorgungsamt W. Daneben bewarben sich ein weiterer Angestellter sowie fünf Beamte. Am 7. Dezember 1999 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, daß es beabsichtige, den Dienstposten einem beamteten Mitbewerber zu übertragen. Angestellte waren nicht in das Auswahlverfahren einbezogen worden.
[6] Auf Antrag des Klägers wurde dem beklagten Land durch einstweilige Verfügung untersagt, die streitgegenständliche Stelle zu besetzen, bevor nicht das Hauptsacheverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist (Arbeitsgericht Münster 7. Januar 2000 – 4 Ga 45/99 – nv.; Landesarbeitsgericht Hamm 19. Juni 2000 – 8 Sa 284/00 – nv.). Das Landesarbeitsgericht wies in seinem Urteil insbesondere darauf hin, daß Art. 33 Abs. 2 GG einer Differenzierung zwischen Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes bei der Stellenbesetzung im Rahmen von Einstellungen, Beförderungen und Versetzungen entgegenstehe. Das beklagte Land übertrug dem Kläger am 10. April 2000 mit sofortiger Wirkung die von ihm ausgeübte Tätigkeit beim Versorgungsamt E unter Höhergruppierung in VergGr. IV a Fallgruppe 1 a des Teiles I der Anlage 1 a zum BAT auf Dauer. Es teilte ihm mit Schreiben vom 4. September 2000 mit, daß er nunmehr in den Kreis der Bewerber um den ausgeschiedenen Dienstposten einbezogen werde. Hierzu heißt es in dem Schreiben: "in der vorbezeichneten Angelegenheit teile ich mit, daß Sie, nachdem sie in Ihrer Funktion als APF-Sachbearbeiter im Versorgungsamt E nunmehr in die Vergütungsgruppe IVa Fallgruppe 1 a BAT eingruppiert sind, als sog. Versetzungsbewerber in den Kreis der Bewerber um den ausgeschriebenen Dienstposten des Leiters einer SchwbG-Gruppe beim Versorgungsamt W einbezogen werden. Insoweit schließt sich der Beklagte der Rechtsauffassung des LAG Hamm in seiner Berufungsentscheidung vom 19. 06. 00 – 8 Sa 284/00 – an. Allerdings hat die hierauf begründete Auswahlentscheidung ergeben, daß Ihrem Versetzungsantrag nicht entsprochen werden kann. Mit Ihrer Versetzung wäre eine Wiederbesetzung des vakant werdenden Dienstpostens eines APF-Sachbearbeiters beim Versorgungsamt E verbunden, was mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand und insbesondere mit einer Unterbrechung der Kontinuität der Aufgabenerledigung (u. a. längerfristige Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters/einer neuen Mitarbeiterin) einherginge. Aus dienstlichen Gründen vermag ich daher Ihrem Versetzungsantrag nicht zu entsprechen."
[7] Im Haushaltsplan des beklagten Landes für das Jahr 2001 wurden im Geschäftsbereich der Versorgungsämter insgesamt 104 Planstellen der BesGr. A 11 BBesO und 65 Angestelltenstellen der VergGr. III/IV a BAT ausgewiesen. Auf der hier streitigen Ebene der Versorgungsverwaltung wurden 38 Beamte der BesGr. A 11 und 17 Angestellte nach der VergGr. BAT III/IV a beschäftigt.
[8] Der Kläger hat beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, den beim Versorgungsamt W zu besetzenden Dienstposten eines Leiters der Gruppe Schwerbehindertengesetz Abteilung 3 mit dem Kläger zu besetzen und dem Kläger die Aufgaben des Leiters der Gruppe Schwerbehindertengesetz Abteilung 3 beim Versorgungsamt W unter Eingruppierung in Vergütungsgruppe BAT IV a zu übertragen; hilfsweise das beklagte Land zu verurteilen, die im Rahmen der Ausschreibung des Dienstposten eines Leiters der Gruppe Schwerbehindertengesetz Abteilung 3 beim Versorgungsamt W getroffene Auswahlentscheidung unter Beachtung der Kriterien des Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ermessensfehlerfrei zu wiederholen und über die Bewerbung des Klägers entsprechend Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu entscheiden und es bei Meidung eines Ordungsgeldes bis zu einer Höhe von 500.000,00 DM oder Ordnungshaft zu unterlassen, den Dienstposten eines Leiters der Gruppe Schwerbehindertengesetz Abteilung 3 beim Versorgungsamt W mit einem Konkurrenten des Klägers zu besetzen und/oder die Aufgaben des Leiters der Gruppe Schwerbehindertengesetz Abteilung 3 beim Versorgungsamt W einem Konkurrenten des Klägers zu übertragen, bevor nicht eine erneute Auswahlentscheidung erfolgt ist und ein Zeitraum von zwei Wochen nach Mitteilung an den Kläger vergangen ist.
[9] Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
[10] Das Arbeitsgericht hat dem hilfsweise gestellten Klageantrag stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Die Berufung des beklagten Landes und die Anschlußberufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land das Ziel der vollständigen Abweisung der Klage.
[11] Entscheidungsgründe: A. Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht das beklagte Land auf den Hilfsantrag des Klägers verurteilt.
[12] I. Der Hilfsantrag ist zulässig.
[13] Mit dem Hilfsantrag wird ein im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren zulässiges Klageziel verfolgt.
[14] Zwar ist die Antragsfassung des Klägers § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO nachgebildet. Nach der Klarstellung in der mündlichen Revisionsverhandlung erstrebt der Kläger jedoch nicht die Aufhebung der Ablehnungsentscheidung als belastenden Verwaltungsakt, dessen Aufhebung es in einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber überhaupt nicht bedarf (Senat 2. Dezember 1997 – 9 AZR 668/96BAGE 87, 171). Richtig verstandenes Ziel des Hilfsantrags ist, das beklagte Land zur erneuten Durchführung einer Auswahlentscheidung anzuhalten und ihm bis dahin die anderweite Besetzung des im Antrag beschriebenen Dienstpostens zu untersagen.
[15] II. Der entsprechend I. verstandene Hilfsantrag ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute Auswahl. Das beklagte Land hat die anderweitige Besetzung des Dienstpostens bis zum Abschluß des neuen Auswahlverfahrens zu unterlassen.
[16] 1. Art. 33 Abs. 2 GG gibt jedem Bewerber ein subjektives Recht auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren (Senat 2. Dezember 1997 – 9 AZR 445/96BAGE 87, 165). In der Rechtsprechung des Senats wird daher der Anspruch auf erneute Auswahl anerkannt, wenn die bisherige Auswahlentscheidung des Arbeitgebers sich als fehlerhaft erweist, den Kläger in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt und die ausgeschriebene Stelle noch nicht endgültig besetzt ist (Senat 2. Dezember 1997 – 9 AZR 668/96 -aaO; 2. Dezember 1997 – 9 AZR 445/96 – aaO). Bei der dann erneut vorzunehmenden Auswahlentscheidung ist der Arbeitgeber daran gebunden, die vom Gericht festgestellten Rechtsfehler zu vermeiden.
[17] 2. Das mit der Auswahl des Beamtenbewerbers abgeschlossene Auswahlverfahren des beklagten Landes hat den Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers verletzt.
[18] a) Entgegen der Auffassung der Revision war das beklagte Land nicht berechtigt, ausschließlich Beamte in das Ausleseverfahren einzubeziehen und den Kläger als Angestellten hiervon auszuschließen. Zwar hat das beklagte Land, wie sich aus dem Schreiben vom 4. September 2000 ergibt, im Verlaufe des Rechtsstreits den Kläger "als sog. Versetzungsbewerber in den Kreis der Bewerber … einbezogen", es aber aus dienstlichen Gründen abgelehnt, ihn nach den in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien auszuwählen.
[19] b) Art. 33 Abs. 2 GG verbietet ein Vorzugsrecht für eine bestimmte Gruppe von Bediensteten (Senat 18. September 2001 – 9 AZR 410/00BAGE 99, 67). Der Schutzbereich des Art. 33 Abs. 2 GG gilt für alle Beschäftigten und angehenden Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, unabhängig davon, ob es sich um Beamte, Angestellte oder Arbeiter handelt (Senat 2. Dezember 1997 – 9 AZR 445/96BAGE 87, 165; BVerwG 7. Dezember 1994 – 6 P 35/92 – AP BAT SR 2 y § 2 Nr. 13).
[20] aa) Das beklagte Land kann sich für seine vorgenommene Differenzierung nicht auf den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG berufen. Art. 33 Abs. 4 GG soll gewährleisten, daß die hoheitsrechtlichen Aufgaben jederzeit, vor allem auch in Krisenzeiten loyal, zuverlässig und qualifiziert erledigt werden. Dies wird nur sichergestellt, wenn die Bediensteten, die in die Aufgabenerledigung eingebunden sind und an den obrigkeitlichen Verfügungen mitwirken, dem für Beamte geltenden Dienstrecht, insbesondere dem Streikverbot, unterliegen (Senat 11. August 1998 – 9 AZR 155/97BAGE 89, 300). Die Beurteilung einer Aufgabe als hoheitlich iSv. Art. 33 Abs. 4 GG bestimmt sich nach ihrem Inhalt und dem Umfang des zur Verfügung stehenden ordnungsbehördlichen Instrumentariums (Senat 11. August 1998 – 9 AZR 155/97 – aaO). Das beklagte Land hat nicht vorgetragen, welche hoheitlichen Aufgaben iSd. Art. 33 Abs. 4 GG im Rahmen der ausgeschriebenen Stelle vorzunehmen sind. Zudem hat das beklagte Land die Beschränkung auf beamtete Bewerber im Laufe des Bewerbungsverfahrens aufgegeben, in dem es dem Kläger mit Schreiben vom 4. September 2000 mitteilte, er werde in den Kreis der Bewerber einbezogen. Art. 33 Abs. 4 GG sichert die hoheitlichen Funktionen des Staates, in dem er als Regel vorsieht, daß ihre Ausübung Beamten übertragen wird. Er verbietet es jedoch nicht generell, dafür auch Arbeitnehmer einzusetzen (BVerfG 2. März 1993 – 1 BvR 1213/85BVerfGE 88, 103).
[21] bb) Bei der Auswahlentscheidung durften die in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien Eignung, Leistung und Befähigung nicht deshalb unberücksichtigt werden, weil die Besetzung des begehrten Dienstpostens für den Kläger nur zu einer Versetzung und nicht zu einer Beförderung mit Höhergruppierung führen würde. Es gibt keinen sachlich rechtfertigenden Grund, Versetzungsbewerber zu benachteiligen. Art. 33 Abs. 2 GG schützten den Zugang zu einem anderen Amt auch dann, wenn damit keine höhere Vergütung verbunden ist (Senat 11. August 1998 – 9 AZR 155/97BAGE 89, 300, 302).
[22] cc) Ausreichende dienstliche Gründe stehen einer Versetzung des Klägers nicht entgegen. Das beklagte Land beruft sich auf entgegenstehende Gründe, die üblicherweise mit jeder Versetzung verbunden sind, wie Notwendigkeit der Wiederbesetzung der Stelle und Einarbeitung des neuen Stelleninhabers. Derartige Gründe reichen nicht aus, um eine von den Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG abweichende Auswahlentscheidung zu rechtfertigen oder einen Versetzungsbewerber von vorne herein nicht in das Auswahlverfahren einzubeziehen.
[23] dd) Die der Auswahlentscheidung zugrunde liegende Praxis des beklagten Landes, eine frei werdende Planstelle der BesGr. A 11 dem Beamtenbewerber der BesGr. A 10 zuzuweisen, der am längsten auf einem höherwertigen Dienstposten gearbeitet und auf seine Beförderung gewartet hat (sog. A 11er Karussell), verstößt gegen Art. 33 Abs. 2 GG.
[24] Entgegen der Auffassung der Revision ist das beklagte Land nicht gegenüber den Beamten gebunden, die wegen des Fehlens einer Planstelle auf einem gegenüber ihrer Besoldungsgruppe höherwertigen Dienstposten eingesetzt waren. Aus der Wartezeit folgt kein Anwartschaftsrecht auf Beförderung. Das entspricht auch der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Denn solange eine Beförderung noch nicht erfolgt ist, kann sogar die Übertragung eines höheren Dienstpostens rückgängig gemacht werden (vgl. BVerwG 9. März 1989 – 2 C 4/87ZBR 1990, 79; Wittkowski NJW 1993, 817, 818).
[25] Ebenso steht Haushaltsrecht der Besetzung der Stelle durch einen Angestellten nicht entgegen. Hier hat der Haushaltsgesetzgeber des beklagten Landes keine entgegenstehende Regelung getroffen (§ 20 Abs. 2, § 46 LHO NRW). Grundsätzlich gilt, daß allein haushaltsrechtliche Erwägungen keine Ausnahme von dem in Art. 33 Abs. 2 GG garantierten gleichen Zugangsrecht rechtfertigen können (Senat 28. Mai 2002 – 9 AZR 751/00 – zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN). Deshalb kann die Praxis der Stellenbewirtschaftung des beklagten Landes das Zugangsrecht des Klägers erst recht nicht beschränken. Danach werden Beamte ohne eine zur Verfügung stehende Beamtenplanstelle nicht auf eine freie Angestelltenstelle befördert. Dieser Nachteil rechtfertigt es nicht, in der Weise einen Nachteilsausgleich vorzusehen, daß eine festgelegte Zahl von Beförderungsstellen der Besetzung mit Beamten vorbehalten bleiben darf. Art. 33 Abs. 2 GG garantiert statusunabhängig ein Recht auf Zugang für ein vorhandenes öffentliches Amt, sofern es auch in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt werden kann (BVerwG 26. Oktober 2000 – 2 C 31/99ZTR 2001, 191).
[26] 3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen Unterlassungsanspruch des Klägers gegen eine endgültige Besetzung des Dienstpostens bis zum Abschluß des erneuten Auswahlverfahrens bejaht. Das beklagte Land hat den Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers verletzt. Es ist daher als Störer iSd. § 1004 Abs. 1 BGB anzusehen. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, daß die vom Land mit Schreiben vom 7. Dezember 1999 angekündigte ihn in seinem Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzende endgültige Übertragung des Dienstpostens unterläßt (vgl. Senat 22. Juni 1999 – 9 AZR 541/98BAGE 92, 112).
[27] B. Das beklagte Land hat gem. § 97 ZPO die durch ihre erfolglose Revision verursachten Kosten zu tragen.