Bundesverwaltungsgericht
Bebauungsplan; Auslegung des Planentwurfs; Bekanntmachungsfrist; Kompensation; Abwägung; Privateigentum; Festsetzungen, widersprüchliche.
BauGB § 1 Abs. 6, § 3 Abs. 2
Eine Verkürzung der Bekanntmachungsfrist für die Auslegung des Entwurfs eines Bebauungsplans ist für seine Wirksamkeit unerheblich, wenn die (bekannt gemachte) Dauer der Auslegung so bemessen ist, dass die Mindestfristen des § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB für Bekanntmachung und Auslegung des Entwurfs insgesamt eingehalten werden.

BVerwG, Beschluss vom 23. 7. 2003 – 4 BN 36.03; VGH Kassel (lexetius.com/2003,1343)

[1] In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 23. Juli 2003 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Lemmel, Halama und Dr. Jannasch beschlossen:
[2] Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März 2003 wird zurückgewiesen.
[3] Die Antragsteller zu 1 und 2 und die Antragsteller zu 3 und 4 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte als Gesamtschuldner.
[4] Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
[5] Gründe: Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsteller bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
[6] 1. Die Beschwerde macht geltend, rechtsgrundsätzliche Bedeutung habe die Frage, "ob die Auslegung eines Bebauungsplans den Anforderungen des § 3 Abs. 2 BauGB entspricht, wenn bei Überschneidung von Bekanntmachungsfrist und Offenlegungsfrist zwar die vorgeschriebene Dauer der Auslegung, nicht jedoch die Bekanntmachungsfrist von einer Woche eingehalten wird". Dem ist nicht zu folgen.
[7] Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage missverständlich formuliert ist. Es geht hier um eine Offenlegung nach § 3 Abs. 2 BauGB, bei der am 16. November 1998 bekannt gemacht worden ist, dass der Planentwurf vom 23. November bis zum 23. Dezember 1998 öffentlich ausliege. Entscheidungserheblich und so auch von der Beschwerde gemeint ist deshalb allein, ob die Nichteinhaltung der Bekanntmachungsfrist des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB auch dann zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen kann, wenn die (bekannt gemachte) Auslegungszeit so bemessen ist, dass der Zeitraum zwischen der Bekanntmachung der Auslegung und deren (bekannt gemachtem) Ende insgesamt sowohl die Wochenfrist des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB als auch die Mindestfrist von einem Monat für die Auslegung gemäß Satz 1 der Vorschrift umfasst. Um einen Tag verkürzt ist hier nämlich die Bekanntmachungsfrist, weil die Wochenfrist des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB erst am Tage nach der Bekanntmachung beginnt, während die Mindestfrist des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB um einen Tag überschritten ist, weil bei der Berechnung dieser Frist der erste Tag der Auslegung mitzuzählen ist (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6. Juni 1972 GmS-OGB 2/71 BVerwGE 40, 363).
[8] Die so präzisierte Frage hat das Normenkontrollgericht zu Recht bejaht. Für diese Beurteilung bedarf es nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Zulassung einer "Kompensation" (vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 Rn. 41) ist dann unbedenklich, wenn dem interessierten Bürger durch eine formell fehlerhafte Bekanntmachung der Auslegung des Planentwurfs sein gesetzlicher Anspruch auf Einsicht in die Planungsunterlagen im Ergebnis nicht verkürzt wird. Das ist der Fall, wenn die Fristen des § 3 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BauGB insgesamt eingehalten werden und wenn sich die längere Auslegung auch bereits aus der Bekanntmachung ergibt. Diese Rechtsauffassung wird seit Jahrzehnten in Literatur und Rechtsprechung allgemein vertreten (vgl. z. B. Dolde, NJW 1975, 21; Beninde, BauR 1984, 433 ff.; Bielenberg, a. a. O.; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, § 3 Rn. 14, jeweils m. w. N.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. März 1984 1 C 10/83 BRS 42 Nr. 24). Die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Jahre 1970 geäußerten Zweifel (Beschluss vom 15. Juli 1970 III 312/70 BRS 23 Nr. 10) sind überholt.
[9] 2. Die Revision kann auch nicht wegen Abweichung von dem Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2002 1 BvR 1402/01 (DÖV 2003, 376) zugelassen werden.
[10] Eine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Rechtssatz mit einem widersprechenden Rechtssatz abgerückt ist. Dass eine solche Divergenz hier vorliege, trägt die Beschwerde selbst nicht vor. Insbesondere bezeichnet sie keinen Rechtssatz, mit dem das Normenkontrollgericht von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgewichen sei. Gerügt wird vielmehr nur, dass das Normenkontrollgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht hinreichend berücksichtigt, deshalb erforderliche rechtliche Prüfungen zu Unrecht unterlassen und daher verkannt habe, dass die Antragsgegnerin unter Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Beurteilung des Abwägungsvorgangs das Verhältnismäßigkeitsprinzip völlig außer Acht gelassen habe. Selbst wenn diese Beurteilung zutreffend wäre, würde sich aus ihr nicht der Revisionszulassungsgrund der Abweichung ergeben.
[11] Darüber hinaus geht das Normenkontrollgericht auch in der Sache von keinem anderen rechtlichen Ansatz als das Bundesverfassungsgericht aus. Nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts kommt es bei der Prüfung der Abwägungsentscheidung der Antragsgegnerin maßgeblich darauf an, ob die für die planerische Entscheidung sprechenden Belange gewichtige private Belange wie die Ausnutzung grundrechtlich verbürgten Eigentums zurückdrängen können. Das Normenkontrollgericht führt unter Bezugnahme auf die Festsetzungen des Bebauungsplans und seine Begründung im Einzelnen aus, weshalb sich die Antragsgegnerin "auch unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts, den das verfassungsrechtlich verbürgte Grundeigentum genießt", noch im Rahmen des ihr eingeräumten planerischen Gestaltungsspielraums halte. Es billigt das planerische Ziel, die Bachaue künftig von weiterer als der bereits vorhandenen Bebauung freizuhalten, und verneint sinngemäß einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil die betroffenen Grundstücke bisher überwiegend und insoweit auch zusammenhängend nicht bebaut seien. Die hiervon abweichende Wertung der Beschwerde führt nicht zum Zulassungsgrund der Divergenz.
[12] 3. Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, die Entscheidung des Normenkontrollgerichts weiche von den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Januar 1994 BVerwG 4 NB 30. 93 (NVwZ 1994, 684) und vom 17. Juli 2001 BVerwG 4 B 55.01 (BRS 64 Nr. 29) ab. Die Beschwerde entnimmt diesen Entscheidungen zu Recht den Rechtssatz, dass unterschiedliche Festsetzungen für ein und dieselbe Fläche als wirksamer Beitrag zur Ordnung der baulichen Nutzung ausscheiden, wenn sie sich gegenseitig ausschließen. Sie irrt jedoch, wenn sie annimmt, das Normenkontrollgericht vertrete eine andere Auffassung. Im Gegenteil ergibt sich aus der Nichtigkeitsfeststellung im ersten Satz des Urteilstenors, dass auch nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts widersprüchliche Festsetzungen für ein Grundstück unzulässig sind.
[13] Tatsächlich rügt die Beschwerde etwas anderes: Sie wendet sich dagegen, dass das Normenkontrollgericht einen nur scheinbaren Widerspruch angenommen und deshalb auch nur klarstellend die Nichtigkeit der Festsetzungen über Art und Maß der baulichen Nutzung auf den Flächen festgestellt hat, auf denen nach seiner Auslegung des Bebauungsplans eine bauliche Nutzung ausgeschlossen ist. Um diese Frage ging es in den Entscheidungen des Senats vom 4. Januar 1994 und vom 17. Juli 2001 (a. a. O.) nicht; auch insoweit ist deshalb der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gegeben. Darüber hinaus steht die Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts tendenziell nicht etwa im Gegensatz, sondern in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei Ungereimtheiten gemeindlicher Satzungen zunächst einmal zu prüfen sei, ob sie sich durch Auslegung überwinden lassen. So hat der Senat beispielsweise den Rechtssatz, dass bei Zeichen in einem Bebauungsplan normalerweise davon auszugehen sei, dass sie als Festsetzungen gewollt seien, dahingehend eingeschränkt, dass er nicht bei einem offenkundigen Versehen gelte (Beschluss vom 4. Januar 1994, a. a. O.). Im vorliegenden Fall hat das Normenkontrollgericht in tatrichterlicher Würdigung des streitigen Bebauungsplans die mit der Festsetzung einer privaten Grünfläche unvereinbaren Festsetzungen als Redaktionsversehen und deshalb als unbeachtlich angesehen. Dagegen ist nichts zu erinnern.
[14] 4. Die geltend gemachte Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2002 BVerwG 4 CN 1.02 (BVerwGE 117, 58) könnte nur vorliegen, wenn die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung, den Bebauungsplan erst nach Klärung von Entschädigungsfragen bekannt machen zu lassen, noch eine abwägende Entscheidung erfordert hätte. Davon geht das Normenkontrollgericht jedoch nicht aus; es wertet die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung als einen "Nichtbekanntmachungsbefehl". Unter dieser Voraussetzung stimmt der rechtliche Ansatz des Normenkontrollgerichts mit dem des Bundesverwaltungsgerichts in der o. a. Entscheidung überein. Ob das Normenkontrollgericht die Voraussetzung richtig beurteilt hat, lässt sich nicht mit der geltend gemachten Divergenzrüge in Zweifel ziehen.
[15] 5. Ob die Aufklärungsrüge den Darlegungsanforderungen genügt, ist zweifelhaft. Welche entscheidungserheblichen konkreten Tatsachen, von denen das Normenkontrollgericht nicht in seiner Entscheidung bereits ausgegangen ist, bei der vermissten Ortsbesichtigung festgestellt worden wären, lässt sich der Beschwerde kaum entnehmen. Dass der Westerbach "keine Auefunktion" mehr habe, ist keine reine Tatsachenbehauptung, sondern enthält Wertungen. Ebenso wenig deutlich ist, welche tatsächlichen Feststellungen bei einer Ortsbesichtigung zu der Behauptung, die als Grünfläche festgesetzten Grundstücke würden nicht als zusammenhängend wahrgenommen, hätten getroffen werden können.
[16] Diese Fragen können jedoch offen bleiben. Denn die Beschwerde trägt nicht vor, dass die Antragsteller in der mündlichen Verhandlung eine Ortsbesichtigung beantragt haben. Ein solcher Antrag wäre jedoch nur dann überflüssig gewesen, wenn sich dem Normenkontrollgericht die Notwendigkeit einer Ortsbesichtigung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen. Davon kann jedoch hier keine Rede sein. Dem Normenkontrollgericht lagen die Planungsunterlagen der Antragsgegnerin vor, aus denen sich die Örtlichkeit ergab. Unstreitig war ferner, dass sich die Bachaue nicht mehr in einem unberührten Zustand befand; ein Ziel der Planung bestand gerade in dem "naturnahen Ausbau" des Westerbachs (Urteil S. 11). Wenn die sich aus den Verwaltungsvorgängen und den Schriftsätzen der Prozessbeteiligten ergebende Tatsachengrundlage nach Ansicht der Antragsteller gleichwohl unzutreffend war, hätten sie dies substantiiert vortragen und in der mündlichen Verhandlung unter Beweis stellen müssen.
[17] 6. Die Einwendungen der Beschwerde gegen die Tenorierung sind unbegründet. Das Normenkontrollgericht ist davon ausgegangen, dass die im Urteilstenor für nichtig erklärten Festsetzungen aus einem früheren Planentwurf stammten und von der Antragsgegnerin nicht gewollt waren. Es hat sie wie ein Redaktionsversehen behandelt und die Antragsgegnerin lediglich zur Klarstellung verpflichtet, ihre Unbeachtlichkeit durch Feststellung ihrer Nichtigkeit bekannt zu machen. Im Übrigen hat das Normenkontrollgericht den Bebauungsplan für fehlerfrei gehalten und den Normenkontrollantrag abgelehnt. Weshalb auf der Grundlage dieser materiellen Rechtsauffassung die Tenorierung der Normenkontrollentscheidung fehlerhaft sein sollte, ist nicht erkennbar. Das Vorbringen der Beschwerde ist nur nachvollziehbar, wenn man es nicht als gegen die Tenorierung, sondern als gegen die (materielle) Entscheidung gerichtet ansieht; insoweit legt die Beschwerde jedoch mit ihrer Rüge keinen Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 1 VwGO dar.
[18] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.