Bundesgerichtshof
Die auf ein gesetzliches Notprozeßführungsrecht gestützte Grundbuchberichtigungsklage einzelner Separationsinteressenten wahrt die Frist des Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB nicht, wenn die Interessenten bereits von der Gemeinde zur Geltendmachung des Eigentums der Interessentengesamtheit ermächtigt sind, dies aber nicht offenlegen.
BGH, Urteil vom 6. 6. 2003 – V ZR 320/02; OLG Naumburg (lexetius.com/2003,1445)
[1] Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Gaier und Dr. Schmidt-Räntsch für Recht erkannt:
[2] Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 20. August 2002 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
[3] Tatbestand: Im Grundbuch von H. waren "Die Separationsinteressenten von H." als Eigentümer der Flurstücke 226/20 und 233/21 der Flur 2 eingetragen. Ein Rechtsträgernachweis vom 9. November 1983 gibt als Grund der
[4] Überführung der Flächen in Volkseigentum einen Beschluß des Rates der Gemeinde vom 1. November 1983 an. Volkseigentum wurde am 29. November 1983 im Grundbuch vermerkt. Aufgrund von Vermögenszuordnungsbescheiden vom 18. Juni 1996 wurde die Beklagte am 27. März 1997 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen.
[5] Mit ihrer am 29. September 1998 eingegangenen, am 20. Oktober 1998 zugestellten Klage haben die Kläger hinsichtlich des Flurstücks 226/20 und des aus Flurstück 233/21 hervorgegangenen Flurstücks 21/14 die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs zugunsten der Separationsinteressenten beantragt. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig, das Oberlandesgericht als unbegründet abgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den Berichtigungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
[6] Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hält die Klage, soweit die Kläger den Berichtigungsanspruch der Interessentengemeinschaft in gesetzlicher Prozeßstandschaft verfolgen, für unzulässig. Soweit sie sich auf eine Ermächtigung der Gemeinde H. zur Prozeßführung stützen, sei die Klage unbegründet. Denn die Gemeinde habe – jedenfalls – mit Ablauf des 30. September 1998 Eigentum an den Flächen nach Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB erworben. Die Ermächtigung zur Prozeßführung hätten die Kläger nämlich erst nach diesem Zeitpunkt dem Gericht angezeigt.
[7] Dies hält den Angriffen der Revision stand.
[8] II. 1. Zutreffend hat das Berufungsgericht eine gesetzliche Prozeßstandschaft der Kläger verneint, eine gewillkürte Prozeßstandschaft dagegen bejaht.
[9] a) Revisionsrechtlich ist zwar davon auszugehen, daß die Kläger Mitglieder, der weitere Personen umfassenden Separationsinteressentengemeinschaft sind. Dies berechtigte sie jedoch unter den hier gegebenen Umständen nicht, die Rechte der Interessenten im eigenen Namen geltend zu machen. Die Interessenten an den von den Gemeinheitsteilungen des 19. Jahrhunderts (für Preußen: Gemeinheitsteilungsordnung vom 7. Juni 1821, GS. S. 53) ausgenommenen, den gemeinsamen Zwecken benachbarter Höfe dienenden Zweckgrundstücken bilden einen altrechtlichen Personenzusammenschluß, der, was das gemeinsame Vermögen angeht, grundsätzlich eine Gemeinschaft zur gesamten Hand darstellt (h. M.; näher, auch zu hier nicht interessierenden Ausnahmefällen, Böhringer, NJ 2000, 120, 122; zum Fortbestehen der Interessentengemeinschaften vgl. Art. 113 EGBGB, für die Zeit der DDR § 2 Abs. 2 Satz 2 EGZGB). Ob und inwieweit Mitgliedern von Gesellschaften mit gesamthänderisch gebundenem Vermögen, entsprechend der Regel für Teilhaber einer Gemeinschaft (§ 744 Abs. 2 BGB), die Befugnis zukommt, Rechte der Gesamtheit im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, ist umstritten und von der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt (ablehnend BGHZ 17, 181, 182; ablehnend für die Klage im Eigeninteresse bei Verweigerung der Mitwirkung der Mitgesellschafter BGHZ 39, 14, 20; offengelassen Urteil v. 11. Februar 1980, II ZR 41/79, WM 1980, 1141, 1143; zum Streitstand vgl. MünchKomm-BGB/Ulmer, 3. Aufl., § 705 Rdn. 21; Staudinger/Langhein, BGB [2002], § 744 Rdn. 31). Für ein Notgeschäftsführungsrecht der klagenden Separationsinteressenten spricht, daß die Berichtigungsklage der Erhaltung des Vermögenswertes des Personenzusammenschlusses dient. Dagegen spricht die an die Körperschaften angenäherte Vertretung der Gesamtheit durch "Organe", die Art. 233 § 10 Abs. 3 EGBGB aufgreift. Dies geht zurück auf die gesetzliche Anordnung der Vertretungsverhältnisse für die von den Gemeinheitsteilungen ausgeschlossenen Zweckgrundstücke (für Preußen: Gesetz, betreffend die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten gemeinschaftlichen Angelegenheiten vom 2. April 1887, GS. S. 105, wonach die Vertretung auf Antrag dem Gemeindevorstand zu übertragen war). Der Streitstand nötigt den Senat indes nicht, die Frage zu entscheiden. Jedenfalls für die entsprechende Anwendung im Bereich der Gesamthandsgemeinschaften ist eine Verwaltungsmaßregel nach § 744 Abs. 2 BGB nicht nur durch die Erforderlichkeit der Maßnahme als solche bedingt, sondern mit Rücksicht auf den Vorrang der für die Gemeinschaft geltenden Regelungen als subsidiäres Recht zu verstehen (zutr. MünchKomm-BGB/Karsten Schmidt, aaO, §§ 744, 745 Rdn. 41), das nur eingreift, wenn die handlungsbefugten Organe der Gemeinschaft nicht handeln. Für Gemeinschaften im Bereich des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten findet dieser Gesichtspunkt der Subsidiarität des Notgeschäftsführungsrechts einzelner Mitglieder in der dort vorgesehenen Bestellung eines Administrators bei Ausbleiben einer gemeinschaftlichen Verwaltung eine weitere Stütze (LRS 37 I 17; vgl. auch MünchKomm-BGB/Quack, aaO, Art. 233 § 10 EGBGB, Rdn. 1, der das gesetzliche Vertretungsrecht der Gemeinde als "eine Art Notgeschäftsführung durch die Gemeinde" begreift; zutr. dagegen Staudinger/Rauscher, aaO [1996] Art. 233 § 10 EGBGB, Rdn. 1, der mit Wortlaut und Zweck des Gesetzes allein von einem Handeln in fremdem Namen ausgeht). Unter diesem Gesichtspunkt besteht kein Prozeßführungsrecht der Kläger im Interesse der Separationsinteressenten; denn die Gemeinde H., auf deren Gemarkung die Zweckgrundstücke gelegen sind, hatte die Kläger, wie diese selbst vortragen, bereits vor Prozeßbeginn ermächtigt, im eigenen Namen den Berichtigungsantrag zu verfolgen. Hierzu war sie gemäß Art. 233 § 10 Abs. 1 und Abs. 2 EGBGB befugt. Die Interessentengemeinschaft hatte mithin durch ihre gesetzliche Vertreterin gehandelt. Eine Notwendigkeit, die Klage, wie dies ausdrücklich erfolgt ist, als gesetzliche Prozeßstandschafter, gestützt auf § 744 Abs. 2 BGB, zu erheben, bestand nicht.
[10] b) Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klageerhebung in gewillkürter Prozeßstandschaft bestehen nicht. Die Kläger haben als Separationsinteressenten ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Wahrung der Rechte der Gesamtheit. Eine unbillige Beeinträchtigung der Rechte der Beklagten (BGHZ 96, 151, 155) ist mit ihr nicht verbunden. Auf die Ermächtigung haben sich die Kläger, was grundsätzlich erforderlich ist (BGHZ 125, 196, 201), in der Tatsacheninstanz, nämlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 15. Dezember 1998, berufen.
[11] 2. Die Klage auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung konnte den Verlust des Eigentums der Separationsinteressenten, falls dieses die Enteignungsmaßnahme zur Zeit der DDR überstanden hat, durch Fristablauf (Art. 233 § 2 Abs. 2 EGBGB) nicht hindern.
[12] a) Die Vorschrift ist, unbeschadet des Umstandes, daß zum Stichtag, dem 30. September 1998, Volkseigentum im Grundbuch nicht mehr eingetragen war, heranzuziehen. Der Senat hat bereits – weitergehend – entschieden, daß Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB eingreift, wenn nicht mehr, wie hier, der Abwicklungsberechtigte selbst, sondern eine Gesellschaft im Grundbuch eingetragen ist, die dessen Funktion übernommen hat (Urt. v. 14. März 2003, V ZR 280/02 z. Veröff. best.). Die Beklagte war Abwicklungsberechtigte. In ihrer, den Vermerk zugunsten des Volkseigentums ablösenden Eintragung als Eigentümerin kam die bestehende Zuordnung des ehemaligen volkseigenen Vermögens berichtigend zum Ausdruck.
[13] b) Die Kläger haben es versäumt, sich vor Ablauf des 30. September 1998 auf die von der Gegenseite erteilte Ermächtigung zu berufen. Die Wirkungen der gewillkürten Prozeßstandschaft treten erst in dem Augenblick ein, in dem sie offengelegt wird oder offensichtlich ist (vgl. BGHZ 78, 1, 6, 8; Urt. v. 3. März 1993, IV ZR 267/91, NJW-RR 1993, 669, 671; Urt. v. 7. Juni 2001, I ZR 49/99, NJW-RR 2002, 20, 22). Dieser Grundsatz, der der Ermächtigung die Wirkung des § 185 BGB versagt, ist von der Rechtsprechung zur Verjährung gemäß § 209 BGB a. F. entwickelt worden (vgl. bereits BGH, Urt. v. 26. November 1957, VIII ZR 70/57, NJW 1958, 338, 339 = MDR 1958, 421, 422, m. Anm. Bülow). Durchgreifende Bedenken, ihn auch auf die Wahrung der Frist des Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB durch Klageerhebung anzuwenden, bestehen nicht. Zwar führt die Vorschrift, anders als die Verjährung, zum Verlust des Rechts selbst. Im Vordergrund steht aber hier wie dort das gesetzgeberische Anliegen, Rechtsfrieden zum Nachteil des Berechtigten, der sich verschwiegen hat, zu schaffen (vgl. zur Verjährung BGHZ 59, 72, 74; Motive I, 291 f.). Art. 237 § 2 EGBGB sollte, in Anlehnung an eine Verwirkungs- (vgl. Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 585) oder Ersitzungsvorstellung, die definitive Klärung einer – aus der Wirklichkeit der DDR herrührenden unübersichtlichen und zweifelhaften – Rechtslage bewirken (vgl. OLG Dresden, VIZ 2000, 424, 425; MünchKomm-BGB/Busche, 3. Aufl., Art. 237 § 2 EGBGB, Rdn. 1, 17, 20; Bamberger/Roth/Kühnholz, BGB 2003, Art. 237 § 2 EGBGB, Rdn. 1), indem jedem, der sich auf einen Mangel berufen konnte, eine letzte, zeitlich begrenzte Chance eingeräumt wurde, diesen Mangel geltend zu machen; danach soll im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit eine Berufung auf den Mangel nicht mehr möglich sein (vgl. MünchKomm-BGB/Busche aaO, Rdn. 1; Schmidt-Räntsch aaO; ders., VIZ 1997, 449, 453; unergiebig insoweit die Gesetzesmaterialien, vgl. BT-Drucks. 13/7275, abgedruckt in ZIP 1997, 711, 712).
[14] c) Dies verstößt nicht gegen Art. 14 GG, obwohl der gesetzliche Eigentumserwerb und damit der entschädigungslose Entzug der Rechtsposition des früheren Eigentümers ohne Rücksicht auf die Schwere etwaiger Erwerbsfehler eintritt (vgl. auch Senat, Urt. v. 10. Oktober 1997, V ZR 80/96, WM 1998, 81, 82 = VIZ 1998, 94, 95). Anders als die Revision meint, ist die Verhältnismäßigkeit angesichts der Bedeutung des mit der Vorschrift verfolgten Ziels gewahrt. Bei ihrem Inkrafttreten waren bereits sieben Jahre seit dem Beitritt verstrichen; während dieser Zeit und noch ein weiteres Jahr bis zum 30. September 1998 bestand für die vom Eigentumsverlust bedrohten "Alt" -Eigentümer Gelegenheit, ihre Rechte aus dem Eigentum geltend zu machen (vgl. MünchKomm-BGB/Busche aaO, Art. 237 § 2 EGBGB, Rdn. 20 m. w. N.; Bamberger/Roth/Kühnholz aaO, Art. 237 § 2 EGBGB, Rdn. 2; a. A. Rosenberger, VIZ 1997, 403; Horst, DtZ 1997, 183; s. auch Grün, ZIP 1996, 1860; 1997, 491).
[15] d) Der Senat hat es bisher offengelassen, ob der Erwerb des Abwicklungsberechtigten des ehemaligen Volkseigentums nach Art. 237 § 2 EGBGB gegenüber dem Erwerb des Buchberechtigten nach Art. 237 § 1 EGBGB insoweit begünstigt ist, als dem wahren Berechtigten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Ausschlußfrist versagt ist (Art. 232, § 2 Abs. 2 Satz 3 einerseits, Abs. 1 Satz 4 andererseits; Urt. v. 17. November 2000, V ZR 487/99, WM 2001, 477, 479). Die Frage kann auch weiter offen bleiben. Die Kläger haben die Frist, jedenfalls nicht unverschuldet versäumt; denn der fristwahrenden Erhebung der Klage in gewillkürter Prozeßstandschaft stand nichts im Wege.