Bundesarbeitsgericht
Wirtschaftsausschuss – Ende der Amtszeit
Die Amtszeit der Mitglieder des in einem Unternehmen gebildeten Wirtschaftsausschusses endet, wenn die Belegschaftsstärke des Unternehmens nicht nur vorübergehend auf weniger als 101 ständig beschäftigte Arbeitnehmer absinkt. Dies gilt auch, wenn die Amtszeit des Betriebsrats, der den Wirtschaftsausschuss bestellt hat, noch nicht beendet ist.
BAG, Beschluss vom 7. 4. 2004 – 7 ABR 41/03 (lexetius.com/2004,1594)
[1] Auf die Sprungrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 5. Mai 2003 – 1 BV 65/03 – aufgehoben.
[2] Der Antrag wird zurückgewiesen.
[3] Gründe: A. Die Beteiligten streiten über den Fortbestand des im Unternehmen der Arbeitgeberin gebildeten Wirtschaftsausschusses.
[4] Die Arbeitgeberin beschäftigte in ihrem Unternehmen früher mehr als 100 Arbeitnehmer. Im Mai 2002 bestellte der Betriebsrat einen Wirtschaftsausschuss. Im Sommer 2002 nahm die Arbeitgeberin einen Personalabbau vor. Aus diesem Anlass wurden ein Interessenausgleich und ein Sozialplan vereinbart. Seitdem beschäftigt die Arbeitgeberin nur noch 82 Arbeitnehmer. In der Folgezeit informierte die Arbeitgeberin den Wirtschaftsausschuss nicht mehr über die wirtschaftlichen Angelegenheiten, weil sie meinte, der Wirtschaftsausschuss sei wegen des Absinkens der Belegschaftsstärke auf weniger als 101 Arbeitnehmer erloschen.
[5] Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Wirtschaftsausschuss bestehe trotz der Reduzierung der Beschäftigtenzahl auf weniger als 101 Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Amtszeit des Betriebsrats fort.
[6] Der Betriebsrat hat beantragt, der Antragsgegnerin aufzugeben, den bei ihr bestehenden Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend gemäß § 106 Abs. 2 BetrVG über die wirtschaftlichen Angelegenheiten unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten.
[7] Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
[8] Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Mit der vom Arbeitsgericht auf Antrag der Arbeitgeberin mit Zustimmung des Betriebsrats zugelassenen Sprungrechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin weiterhin die Zurückweisung des Antrags. Der Betriebsrat beantragt, die Sprungrechtsbeschwerde zurückzuweisen.
[9] B. Die nach § 96a Abs. 1 ArbGG zulässige Sprungrechtsbeschwerde ist begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu Unrecht stattgegeben. Das Amt des im Unternehmen der Arbeitgeberin gebildeten Wirtschaftsausschusses hat im Sommer 2002 geendet, da in dem Unternehmen seitdem dauerhaft nur noch 82 Arbeitnehmer beschäftigt werden und deshalb die Errichtungsvoraussetzungen für den Wirtschaftsausschuss entfallen sind.
[10] I. Der Antrag ist zulässig. Er bedarf allerdings der Auslegung.
[11] 1. Nach dem Antragswortlaut begehrt der Betriebsrat von der Arbeitgeberin die Vornahme einer Handlung, nämlich die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses über die wirtschaftlichen Angelegenheiten unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen. In dieser Form ist der Antrag nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Denn es ist nicht ersichtlich, welche konkreten Informationen die Arbeitgeberin dem Wirtschaftsausschuss erteilen soll. Der Betriebsrat hat lediglich den Gesetzestext von § 106 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz BetrVG wiederholt und ohne konkreten Bezug auf einen bestimmten Streit zwischen den Beteiligen eine entsprechende Verpflichtung der Arbeitgeberin verlangt. Ein solches Begehren ist unzulässig, weil im Falle der Stattgabe des Antrags ungeklärt bliebe, wie die Arbeitgeberin einer etwaigen Unterrichtungspflicht wann und in welchem Umfang nachzukommen hätte (BAG 29. Juni 1988 – 7 ABR 15/87 – AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 37 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 43, zu I 2 a b der Gründe).
[12] 2. Aus der Antragsbegründung und dem übrigen Vorbringen der Beteiligten ergibt sich jedoch, dass zwischen ihnen allein die Frage streitig ist, ob der Wirtschaftsausschuss noch besteht oder ob dessen Amt wegen des Absinkens der Belegschaftsstärke auf unter 101 Arbeitnehmer geendet hat. Der Antrag ist daher im Sinne eines entsprechenden Feststellungsbegehrens auszulegen (BAG 29. Juni 1988 – 7 ABR 15/87 – AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 37 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 43, zu I 2 c der Gründe).
[13] II. Der Antrag ist unbegründet. Das Amt des Wirtschaftsausschusses hat auf Grund des Absinkens der Belegschaftsstärke auf in der Regel weniger als 101 ständig beschäftigte Arbeitnehmer geendet.
[14] 1. Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist in allen Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Mit der Zahl der "in der Regel" Beschäftigten ist die Beschäftigtenzahl gemeint, die für das Unternehmen im allgemeinen kennzeichnend ist. Vorübergehende Schwankungen in der Belegschaftsstärke bleiben außer Betracht (BAG 22. Februar 1983 – 1 AZR 260/81 – BAGE 42, 1 = AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 7 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 54, zu II 1 der Gründe). Die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses werden nach § 107 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vom Betriebsrat für die Dauer seiner Amtszeit bestimmt. Werden die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses nach § 107 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vom Gesamtbetriebsrat bestimmt, endet deren Amtszeit in dem Zeitpunkt, in dem die Amtszeit der Mehrheit der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats abgelaufen ist. Aus diesen Bestimmungen folgt entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht, dass ein einmal bestellter Wirtschaftsausschuss auch dann fortbesteht, wenn die Anzahl der in der Regel ständig Beschäftigten auf 100 Arbeitnehmer oder weniger absinkt. Vielmehr ergibt eine Auslegung der Vorschriften, dass das Amt des Wirtschaftsausschusses endet.
[15] a) Das Betriebsverfassungsgesetz enthält für den Fall des Absinkens der Belegschaftsstärke keine ausdrückliche Regelung. Die Bestimmungen in § 107 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG begrenzen lediglich die Amtszeit der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses auf die Amtszeit des Betriebsrats, der sie bestellt hat. Das bedeutet zwar im Regelfall, dass die Amtszeit der Wirtschaftsausschussmitglieder mit derjenigen des Betriebsrats übereinstimmt. Dies beruht darauf, dass der Wirtschaftsausschuss ein Hilfsorgan des Betriebsrats ist und ein neu gewählter, möglicherweise personell anders zusammengesetzter Betriebsrat die Möglichkeit haben soll, die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses als seines Beratungsgremiums in wirtschaftlichen Angelegenheiten neu zu bestimmen. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass das Amt der Wirtschaftsausschussmitglieder auch dann für die verbleibende Amtszeit des Betriebsrats fort besteht, wenn die Voraussetzungen für die Errichtung des Wirtschaftsausschusses nachträglich entfallen.
[16] b) Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses ergibt sich jedoch, dass das Amt der Wirtschaftsausschussmitglieder vom Fortbestand der in § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG normierten Errichtungsvoraussetzungen abhängt.
[17] Der Wirtschaftsausschuss hat nach § 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten. Er soll daher in wirtschaftlichen Angelegenheiten als Hilfsorgan des Betriebsrats die Kooperation zwischen der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat fördern (vgl. etwa Richardi/Annuß BetrVG 8. Aufl. § 107 Rn. 5 und § 106 Nr. 19; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 106 Rn. 4). Die zwingende Bildung eines Wirtschaftsausschusses ist allerdings von einer bestimmten, an der Belegschaftsstärke orientierten Unternehmensgröße abhängig, nämlich von in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern. Nur unter dieser Voraussetzung hat es der Gesetzgeber für erforderlich gehalten, einen Wirtschaftsausschuss zu errichten und ihn mit beratenden Funktionen in wirtschaftlichen Angelegenheiten auszustatten. Die Vorschrift des § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist abschließend und kann nicht entsprechend auf kleinere Unternehmen angewandt werden. In Unternehmen, die die Errichtungsvoraussetzungen nicht erfüllen, ist weder ein Wirtschaftsausschuss zu bilden, noch obliegen die ihm zugewiesenen Aufgaben dem Betriebsrat selbst (BAG 5. Februar 1991 – 1 ABR 24/90 – BAGE 67, 155 = AP BetrVG 1972 § 106 Nr. 10 = EzA BetrVG 1972 § 106 Nr. 15). Dazu stünde es im Widerspruch, wenn der Wirtschaftsausschuss mit allen Befugnissen auch dann für die verbleibende Amtszeit des Betriebsrats im Amt bliebe, wenn die Errichtungsvoraussetzungen für den Wirtschaftsausschuss nach dessen Bestellung entfallen, weil die Belegschaftsstärke in dem Unternehmen nicht nur vorübergehend auf weniger als 101 ständig beschäftigte Arbeitnehmer absinkt. In diesem Fall endet vielmehr das Amt der Wirtschaftsausschussmitglieder, auch wenn die Amtszeit des Betriebsrats noch andauert (Richardi/Annuß BetrVG 8. Aufl. § 106 Rn. 11; MünchArbR/Joost § 319 Rn. 4; Löwisch/Kaiser BetrVG 5. Aufl. § 106 Rn. 5; GK-BetrVG/Fabricius-Oetker 7. Aufl. § 106 Rn. 21; Etzel Betriebsverfassungsrecht 8. Aufl. Rn. 945; aA DKK/Däubler BetrVG 9. Aufl. § 106 Rn. 13a; Grauvogel/Hase/Röhricht, Wirtschaftsausschuß und Betriebsrat Rn. 271; wohl auch Hessisches LAG 17. August 1993 – 4 TaBV 61/93 – DB 1994, 1248).
[18] Für den Wirtschaftsausschuss gilt insoweit nichts anderes als für einen Betriebsrat, dessen Amtszeit endet, wenn die Zahl der ständig beschäftigten Arbeitnehmer des Betriebs nicht nur vorübergehend auf unter fünf Arbeitnehmer absinkt und damit die Voraussetzungen für die Bildung eines Betriebsrats entfallen (vgl. dazu etwa DKK/Berg BetrVG 9. Aufl. Rn. 184 zu § 1; ErfK/Eisemann 4. Aufl. BetrVG § 1 Rn. 22; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 1 Rn. 269; GK-BetrVG/Kraft 7. Aufl. § 1 Rn. 70; Richardi BetrVG 8. Aufl. § 1 Rn. 128), oder für einen Gesamtbetriebsrat, dessen Amt ebenfalls endet, wenn die Voraussetzungen für seine Errichtung nicht mehr vorliegen, weil in dem Unternehmen nicht mehr mehrere Betriebsräte bestehen (BAG 5. Juni 2002 – 7 ABR 17/01 – BAGE 101, 273 = AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 47 Nr. 9).
[19] Durch den Wegfall des Wirtschaftsausschusses entfallen zwar auch die diesem zugewiesenen Beteiligungsrechte, die er als Hilfsorgan des Betriebsrats wahrzunehmen hat. Dabei handelt es sich jedoch um eine Rechtsfolge, von der das Gesetz auch in anderen Fällen geänderter betrieblicher Verhältnisse ausgeht, wie sich aus § 325 Abs. 2 UmwG ergibt. Nach dieser Vorschrift kann bei der Spaltung oder Teilübertragung eines Rechtsträgers, die die Spaltung eines Betriebs und den Wegfall von Rechten oder Beteiligungsrechten des Betriebsrats in den aus der Spaltung hervorgegangenen Betrieben zur Folge hat, durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag die Fortgeltung dieser Rechte und Beteiligungsrechte vereinbart werden. Die Regelung setzt daher voraus, dass Veränderungen der betrieblichen Strukturen den Verlust von Rechten und Beteiligungsrechten des amtierenden Betriebsrats zur Folge haben können und diese nicht ohne weiteres bis zum Ende der Amtszeit des Betriebsrats fortbestehen.
[20] 2. Hiernach hat das Amt des im Unternehmen der Arbeitgeberin gebildeten Wirtschaftsausschusses geendet. Die Arbeitgeberin beschäftigt nach einem Personalabbau im Sommer 2002 nur noch 82 Arbeitnehmer anstatt, wie zuvor, 110 Arbeitnehmer. Das Arbeitsgericht hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, ob die Belegschaftsstärke dauerhaft und nicht nur vorübergehend auf unter 101 Arbeitnehmer abgesunken ist. Davon ist jedoch auszugehen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der Personalabbau stattgefunden hat und dass aus diesem Anlass ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart wurde. Daraus ist zu schließen, dass es sich nicht um vorübergehende Schwankungen im Personalbestand handelt, sondern um eine dauerhafte Reduzierung der Belegschaftsstärke.