Bundesgerichtshof
AGBG § 9; BGB § 307 Abs. 1 Satz 1
Eine von einem Mineralölunternehmen zum Abschluss von Tankstellenverträgen verwendete Klausel, nach der dieses berechtigt ist, von einem Agenturkonto, auf dem der Tankstellenverwalter die Erlöse aus dem Verkauf von Kraft- und Schmierstoffen gesondert aufzubewahren hat, im Lastschriftverfahren regelmäßig Abschlagszahlungen auch für solche Verkaufserlöse abzubuchen, die der Tankstellenverwalter im Zeitpunkt der Abbuchung noch nicht vereinnahmt hat, ist wegen unangemessener Benachteiligung des Tankstellenverwalters unwirksam.

BGH, Urteil vom 8. 11. 2005 – KZR 18/04 – Vorfinanzierung; OLG Düsseldorf (lexetius.com/2005,2994)

[1] Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2005 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Ball, Prof. Dr. Bornkamm und Dr. Raum für Recht erkannt:
[2] Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 24. März 2004 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Mai 2004 teilweise aufgehoben und das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 14. August 2002 teilweise geändert.
[3] Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, von dem Agenturkonto des Klägers bei der V.-Bank e. G., S. weg, B., Konto-Nummer, Abschlagszahlungen auf Erlöse aus Kraftstoffverkäufen an der Tankstelle R. straße in B. abzubuchen, die der Kläger im Zeitpunkt der Abbuchung noch nicht vereinnahmt hat.
[4] Von den Kosten des ersten Rechtszuges und des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/6, die Beklagte 5/6 zu tragen. Dem Kläger fallen die im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entstandenen Gerichtskosten sowie 1/12 seiner außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zur Last. Die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
[5] Tatbestand: Der Kläger betreibt eine Selbstbedienungstankstelle, an der er als Handelsvertreter Kraftstoffe und Motorenöle im Namen und für Rechnung des beklagten Mineralölunternehmens verkauft. § 8 des im Mai 1996 abgeschlossenen Tankstellenvertrages trifft nähere Bestimmungen über die Abrechnung der Verkaufserlöse. In seinem Absatz 5 heißt es:
"E. ist berechtigt, eine Abschlagszahlung für noch nicht an E. abgeführte Agenturgelder zu erheben. Diese richtet sich nach den durchschnittlichen Kraftstoff-Tagesabsätzen (ohne Gutschein-/Kreditkarten-Geschäft), dem jeweiligen Verrechnungspreis (Tankstellenverkaufspreis minus Provision) und dem durchschnittlichen Abrechnungsweg (Zeit zwischen Liefertag und Bankbelastung). Der Abschlagszahlungsbetrag wird im Lastschriftverfahren eingezogen. Die jeweilige Höhe der Abschlagszahlung wird regelmäßig, spätestens nach einer Preisänderung um mehr als 10 Pf/l oder auf Wunsch des TV (= Tankstellenverwalter) überprüft und erforderlichenfalls neu festgelegt."
[6] Auf der Grundlage dieser Klausel zieht die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von dem Agenturkonto, auf dem der Kläger die Verkaufserlöse gesondert aufzubewahren hat (§ 8 Abs. 3 des Tankstellenvertrages), im Lastschriftverfahren regelmäßig Abschlagszahlungen auch für solche Verkaufserlöse ein, die der Kläger im Zeitpunkt der Abbuchung von dem Agenturkonto noch nicht vereinnahmt hat. Das ist zum einen bei Wegfahrdiebstählen, zum anderen bei sogenannten Stationskrediten – dem Verkauf von Kraftstoff auf Monatsrechnung – der Fall, solange dem Stationskreditkunden der Kaufpreis für bereits bezogene Kraftstoffmengen gestundet ist. Mit der Klage begehrt der Kläger, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, die Verurteilung der Beklagten, die Abbuchung von Abschlagszahlungen auf noch nicht vereinnahmte Agenturerlöse zu unterlassen, hilfsweise die Feststellung ihrer Unzulässigkeit. In den Vorinstanzen ist die Klage ebenso wie ein nicht in die Revisionsinstanz gelangter Zahlungsantrag ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat hinsichtlich des Unterlassungs- und Feststellungsbegehrens zugelassenen Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren insoweit weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[7] Entscheidungsgründe: Die Revision hat Erfolg.
[8] I. Das Berufungsgericht hat die Abbuchungsregelung nach § 8 Abs. 5 des Tankstellenvertrages für unbedenklich gehalten. Zur Begründung hat es ausgeführt:
[9] Der Kläger werde durch die Regelung nicht unangemessen benachteiligt (§ 9 Abs. 1 AGBG). Die Beklagte, der die Verkaufserlöse rechtlich zustünden, habe ein schutzwürdiges Interesse daran, die Erlöse zeitnah einzuziehen. Die im Vertrag vorgesehene Unterstellung, der Tankstellenverwalter verfüge im Zeitpunkt der Einziehung über die Absatzerlöse, beruhe auf der Erfahrung, dass er diese Gelder im Zeitpunkt der Einziehung durch die Beklagte in den meisten Fällen tatsächlich bereits eingenommen habe. Soweit dies – wie bei EC- und Kreditkartenzahlung – nicht der Fall sei, erstatte die Beklagte zuviel abgebuchte Beträge unstreitig am folgenden Tag. Bei den nur in geringem Umfang vorkommenden Kraftstoffdiebstählen stelle sie den Tankstellenverwalter ebenfalls schadensfrei. Durch Diebstähle verursachte Einnahmeausfälle müsse er bis zur Erstattungsleistung der Beklagten im Wege einer ihn nicht nennenswert nachteilig treffenden Vorfinanzierung lediglich überbrücken. Gleiches gelte bis zum Eingang der Kundenzahlung, sofern der Tankstellenverwalter sogenannte Stationskredite gewähre. In diesem Fall sei ferner zu berücksichtigen, dass der Tankstellenverwalter aus der Gewährung von Krediten und Zahlungserleichterungen eigene wirtschaftliche Vorteile ziehe, die in der Bindung umsatzstarker Kunden an seine Tankstelle und in der Sicherung der auf diese Kunden entfallenden Absatzmengen bestünden. Diese Umstände wirkten sich wiederum auf die Höhe der ihm zufließenden Provisionen aus.
[10] II. Diese Beurteilung greift die Revision mit Erfolg an. Die Beklagte ist nicht berechtigt, von dem Agenturkonto des Klägers Abschlagszahlungen auf Verkaufserlöse abzubuchen, die der Kläger im Zeitpunkt der Abbuchung noch nicht vereinnahmt hat. Die Bestimmung des § 8 Abs. 5 Satz 2 des Tankstellenvertrages, aus der die Beklagte eine entsprechende Berechtigung herleiten will, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gemäß § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam.
[11] 1. Nach § 8 Abs. 5 Satz 2 des Tankstellenvertrages sind die der Beklagten zustehenden Abschlagszahlungen für noch nicht abgeführte Agenturgelder auf der Grundlage der "durchschnittlichen Kraftstoff-Tagesabsätze ohne Gutschein-/Kreditkarten-Geschäft" zu berechnen. Nach dieser Regelung kann die Beklagte von dem Agenturkonto des Klägers Abschlagszahlungen auch für solche Verkaufserlöse abbuchen, die der Kläger im Zeitpunkt der Belastung des Agenturkontos noch nicht vereinnahmt hat, weil dem Kunden der entsprechende Kaufpreis im Rahmen eines sogenannten Stationskredits bis zur monatlichen Abrechnung gestundet ist, oder die ihm entgehen, weil ein Tankkunde wegfährt, ohne den entnommenen Kraftstoff zu bezahlen. Denn weder der nach dem Wortlaut der Klausel maßgebliche durchschnittliche Kraftstoff-Tagesabsatz noch die an den Zapfsäulen elektronisch erfasste tatsächliche Tagesabsatzmenge, die die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seit einigen Jahren in Abweichung von § 8 Abs. 5 Satz 2 des Tankstellenvertrages der Berechnung der Abschlagszahlungen zugrunde legt, gibt Auskunft darüber, welchen Anteil des Verkaufserlöses der Tankstellenverwalter nicht sogleich in bar eingenommen, sondern kreditiert hat und welcher Erlös ihm gegebenenfalls durch Wegfahrdiebstähle entgangen ist. Dies hat zur Folge, dass der Kläger, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, die entsprechenden Beträge bis zu deren Erstattung durch die Beklagte (im Fall von Wegfahrdiebstählen) bzw. bis zur Begleichung der Monatsrechnung durch Stationskreditkunden vorfinanzieren muss.
[12] 2. Die Belastung mit der Vorfinanzierung der genannten Beträge benachteiligt den Kläger jedenfalls insoweit entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, als sie ihm die Vorfinanzierung der aus Geschäften mit Stationskreditkunden erzielten Verkaufserlöse aufbürdet.
[13] a) Es gehört nicht zu den gesetzlichen oder typischen Pflichten eines Handelsvertreters, dem Prinzipal gegenüber für Verkaufserlöse, die der Vertreter nach der vertraglichen Absprache einzuziehen hat, in Vorlage zu treten.
[14] Zwar hat der Handelsvertreter nach den gesetzlichen Bestimmungen des Geschäftsbesorgungs- und des Auftragsrechts, die ergänzend zu den speziellen Regelungen des Handelsgesetzbuchs auf das Rechtsverhältnis zwischen Unternehmer und Handelsvertreter Anwendung finden (statt aller Hopt, Handelsvertreterrecht, 3. Aufl., § 86 HGB Rdn. 6), dem Prinzipal die von ihm mit Inkassovollmacht eingezogenen Beträge herauszugeben (§ 667 BGB; Hopt aaO Rdn. 17). Die Vorfinanzierung solcher Beträge ist jedoch regelmäßig mit finanziellen Nachteilen verbunden, die einem Handelsvertreter in Allgemeinen Geschäftsbedingungen billigerweise nicht auferlegt werden können.
[15] b) Das ist im vorliegenden Fall nicht deswegen anders, weil den Tankstellenverwaltern der Beklagten der Verkauf von E.-Produkten (Kraftstoffe und Motorenöle) nach § 2 Nr. 1 des Tankstellenvertrages grundsätzlich nur gegen Barzahlung, gegen Tankschecks oder gegen von der Beklagten zugelassene Gutscheine bzw. Kreditkarten erlaubt, die Gewährung von Stationskrediten mithin untersagt ist. Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass die Beklagte nach den nicht in revisionsrechtlich beachtlicher Weise angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts in Wahrheit Stationskredite als Mittel der Kundenbindung fördert und den Tankstellenverwaltern Anleitung und Computersoftware zur Gewinnung von Stationskreditkunden und zur Verwaltung von Stationskrediten zur Verfügung stellt. Die Abgabe von Kraftstoff an umsatzstarke Abnehmer (Taxibetriebe, Fuhrparkkunden) auf Monatsrechnung ist im Übrigen im Tankstellengewerbe seit langem gängige Praxis, so dass kein Tankstellenverwalter und auch kein Mineralölunternehmen im Wettbewerb um Großabnehmer von der Einräumung solcher Stationskredite absehen kann. Ist der Kläger danach aber faktisch gezwungen und wird er von der Beklagten sogar dazu ermuntert, Großabnehmern Stationskredite einzuräumen, so kann die Belastung des Klägers mit Abschlagszahlungen für Kraftstoffabsatzmengen, auf deren Bezahlung er bis zu einem Monat warten muss, nicht damit gerechtfertigt werden, dass ihm der Verkauf von E.-Produkten auf Kredit grundsätzlich nicht gestattet sei.
[16] c) Die Unangemessenheit der Abschlagsregelung des § 8 Abs. 5 Satz 2 des Tankstellenvertrages kann auch nicht mit der Erwägung des Berufungsgerichts verneint werden, es handele sich dabei – ebenso wie bei der Überbrückung der Zeit bis zur Erstattungsleistung der Beklagten in den seltenen Fällen von Wegfahrdiebstählen – nur um eine den Kläger nicht nennenswert nachteilig treffende Vorfinanzierung. Der Wortlaut der Klausel, von dem bei der Inhaltskontrolle auszugehen ist, schränkt die mit der Vorfinanzierung von Stationskrediten verbundenen Belastungen des Tankstellenverwalters nicht ein. Welches Maß sie erreichen, hängt allein davon ab, in welchem Umfang der Tankstellenverwalter seinen Kunden Stationskredite einräumt. Eine generelle Aussage in Bezug auf die Spürbarkeit der Belastung ist somit nicht möglich. Die Einschätzung des Berufungsgerichts wäre zudem auch für den hier zu beurteilenden Fall mit dem Vorbringen des Klägers in den Tatsacheninstanzen nicht zu vereinbaren. Denn der Kläger hat, wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang feststellt, den auf Stationskredite entfallenden monatlichen Umsatz seiner Tankstelle mit bis zu 30.000 € angegeben. Auch wenn der Kläger – wie das Berufungsgericht weiter ausführt – für diese von der Beklagten bestrittene Angabe keinen Beweis angetreten hat, kann angesichts dieses Vortrags nicht ohne weiteres angenommen werden, die Vorfinanzierung belaste den Kläger nicht in nennenswertem Umfang.
[17] d) Die Belastung des Klägers mit den Kosten der Vorfinanzierung kreditierter Verkaufserlöse lässt sich auch nicht mit der weiteren Erwägung des Berufungsgerichts rechtfertigen, der Tankstellenverwalter ziehe aus der Gewährung von Stationskrediten durch die Bindung umsatzstarker Kunden an seine Tankstelle und die Sicherung der auf diese Kunden entfallenden Absatzmengen eigene wirtschaftliche Vorteile in Gestalt höherer Provisionen. Denn die Vorteile, die sich aus der Bindung umsatzstarker Kunden und der Sicherung entsprechender Absatzmengen ergeben, kommen in gleicher Weise der Beklagten zugute und können daher eine den Tankstellenverwalter einseitig benachteiligende Vertragsgestaltung nicht kompensieren.
[18] e) Schließlich ist die Klausel auch nicht deshalb als unbedenklich anzusehen, weil sie in Satz 4 die Möglichkeit vorsieht, dass die Höhe der Abschlagszahlung auf Wunsch des Tankstellenverwalters überprüft und erforderlichenfalls neu festgelegt wird. Denn auch bei der Überprüfung und einer etwaigen Neufestlegung der Abschlagszahlung hätte die Beklagte die Möglichkeit, den Kläger wiederum an der unangemessenen, die Stationskredite ausklammernden Berechnungsformel festzuhalten.
[19] 3. Um eine angemessene Regelung zu erreichen, müssten die der Berechnung der Abschlagszahlungen nach § 8 Abs. 5 Satz 2 des Tankstellenvertrages zugrunde gelegten Kraftstoffabsatzmengen somit nicht nur um die dort genannten Erlöse aus Gutschein- und Kreditkarten-Geschäften, sondern darüber hinaus auch um die Verkaufserlöse aus Stationskreditgeschäften, soweit der Tankstellenverwalter diese im Zeitpunkt der Abbuchung noch nicht vereinnahmt hat, bereinigt werden. Diese notwendige Einschränkung enthält die Klausel nicht. § 8 Abs. 5 Satz 2 des Tankstellenvertrages ist daher gemäß § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam. Folglich kann die Beklagte aus dieser Bestimmung nicht das Recht herleiten, von dem Agenturkonto des Klägers Abschlagszahlungen auf Verkaufserlöse abzubuchen, die der Kläger noch nicht vereinnahmt hat.
[20] III. Das angefochtene Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit das Unterlassungsbegehren des Klägers ohne Erfolg geblieben ist (§ 562 Abs. 1 ZPO).
[21] Die Sache ist zur Endentscheidung reif, so dass der Senat in der Sache selbst entscheidet (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da § 8 Abs. 5 Satz 2 des Tankstellenvertrages gemäß § 9 Abs. 1 AGBG (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam ist und eine andere Rechtsgrundlage für die Abbuchung von Abschlagszahlungen auf noch nicht vereinnahmte Verkaufserlöse nicht in Betracht kommt, ist der Unterlassungsklage stattzugeben.