Bundesverwaltungsgericht
Diebstahl; Vermögen des Dienstherrn; Bagatellgrenze; Disziplinarmaßnahme; Anvertrautsein; Dienstaufsicht; Dienstgradherbsetzung.
StGB § 242; WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7
1. Zur Bemessung der gerichtlichen Disziplinarmaßnahme bei einem zum Nachteil des Dienstherrn durch einen Zeitsoldaten verübten zweifachen Diebstahl von Betriebsstoffen im Wert von ca. 12 €.
2. Anvertraut sind dienstliche Betriebsstoffe einem Soldaten nur dann, wenn er an ihnen Gewahrsam hat und sie ihm durch den Eigentümer oder Berechtigten zum Verwalten und Verwenden in dem Vertrauen belassen worden sind, er werde mit den überlassenen Stoffen ausschließlich im Sinne des Anvertrauenden verfahren.
3. Der Schuldmilderungsgrund einer nicht hinreichenden Dienstaufsicht besteht bei einem Diebstrahl zu Lasten des Dienstherrn nicht bereits dann, wenn von den zuständigen vorgesetzten keine hinreichenden Maßnahmen zur Verminderung des Diebstahlrisikos getroffen worden sind.

BVerwG, Urteil vom 13. 2. 2008 – 2 WD 9.07; TDG Süd (lexetius.com/2008,1305)

[1] Der Ende Mai 2006 nach Ablauf seiner Dienstzeit aus der Bundeswehr ausgeschiedene 28 Jahre alte frühere Zeitsoldat hatte im Jahre 2005 Motorenöl und Frostschutzmittel im Wert von insgesamt ca. 12 € aus einem Materiallager für private Zwecke entwendet, zu dem er als Gruppenführer Zugang hatte.
[2] Das Truppendienstgericht setzte den früheren Soldaten mit dem Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Reserve wegen des Dienstvergehens – unter ausdrücklicher Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (2. Wehrdienstsenat) – in den Mannschaftsdienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve herab. Auf die auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung des früheren Soldaten hat das Bundesverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und den früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Unteroffiziers herabgesetzt.
Aus den Gründen: …
[3] 33 Der frühere Soldat hat damit nach den den Senat ebenfalls bindenden Schuldfeststellungen der Truppendienstkammer seine Dienstpflichten nach § 7 SG und § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 SG verletzt. …
[4] 35 Die Truppendienstkammer hat mit dem angefochtenen Urteil den früheren Soldaten zu Unrecht in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve herabgesetzt. Geboten und angemessen war eine Herabsetzung in den Dienstgrad eines Unteroffiziers der Reserve. …
[5] 37 Das Dienstvergehen des früheren Soldaten ist nach seiner Eigenart und Schwere, die sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung bestimmen, vorliegend dadurch geprägt, dass er kriminelles Unrecht (§ 242 Abs. 1 St GB) zu Lasten seines Dienstherrn beging und dadurch das Vertrauen in seine persönliche Integrität mit unmittelbaren Auswirkungen auf sein Dienstverhältnis in erheblichem Maße beschädigte. …
[6] 39 Aber auch die Verletzung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierten Pflicht jedes Soldaten, dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, stellt keine Missachtung einer bloßen Nebenpflicht dar. …
[7] 40 Der nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 W DO zu berücksichtigende Unrechtsgehalt der in Rede stehenden Pflichtverletzungen nach § 7 SG und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG hängt jedoch letztlich maßgeblich von den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalles ab. Denn § 38 Abs. 1 W DO stellt zur Bestimmung von Eigenart und Schwere auf das konkrete Dienstvergehen ab (vgl. dazu Urteile vom 1. April 2003 BVerwG 2 WD 48.02 –, vom 18. September 2003 BVerwG 2 WD 3.03 BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235. 01 § 38 W DO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 – und vom 13. Februar 2008 BVerwG 2 WD 5.07 -).
[8] 41 Zu Lasten des früheren Soldaten fällt hier zunächst ins Gewicht, dass er als Instandsetzungsunteroffizier und als mit dieser Funktion betrauter Gruppenführer uneingeschränkten Zugang zum Handlager, in dem sich das Frostschutzmittel und das Motorenöl befanden, hatte und dass er diese Berechtigung zur Erreichung seines kriminellen Zieles ausnutzte. …
[9] 42 Allerdings waren dem früheren Soldaten nach den vom Senat ergänzend getroffenen Feststellungen weder das Handlager noch das in Rede stehende Frostschutzmittel und das Motorenöl "anvertraut". Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn der frühere Soldat eine besondere dienstliche Schutz- und Verwendungspflicht hinsichtlich dieses Materials gehabt hätte. Denn Anvertrauen ist – im Wehrdisziplinarrecht nicht anders als im Strafrecht – die Hingabe oder das Belassen einer Sache durch den Eigentümer oder sonst Berechtigten zum Verwalten und Verwenden in dem Vertrauen, der Besitzer werde mit der ihm überlassenen Sache ausschließlich im Sinne des Anvertrauenden verfahren, sie also nur in seinem Sinne aufbewahren, verwenden und sie schützen. Allein die Möglichkeit des Zugriffs auf diese Gegenstände reicht für eine diesbezügliche Feststellung des Anvertrautseins nicht aus (vgl. Urteil vom 18. Februar 2004 BVerwG 2 WD 11.03 Buchholz 235. 01 § 38 W DO 2002 Nr. 15 = ZBR 2005, 260). Dem früheren Soldaten war hinsichtlich des Frostschutzmittels und des Motorenöls eine solche Stellung nicht übertragen oder eingeräumt. Das Handlager, aus dem dieses Material von ihm entwendet wurde, wurde von einem anderen speziell damit beauftragten Soldaten verwaltet und unterstand der Aufsicht des zuständigen Zugführers. Der Soldat hatte an den im Handlager aufbewahrten Gegenständen und Materialien nicht einmal Gewahrsam. Mit seinen Tathandlungen brach er vielmehr diesen für ihn fremden Gewahrsam und begründete erst durch Wegschaffen und Verstecken des gestohlenen Materials (an einem dem Berechtigten nicht bekannten Ort) für sich neuen Gewahrsam. …
[10] 50 Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Soldaten mindern würden, liegen nicht vor. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u. a. Urteile vom 18. März 1997 BVerwG 2 WD 29.95 BVerwGE 113, 70 = Buchholz 235. 0 § 34 W DO Nr. 28 = NZWehrr 1997, 212 – und vom 6. Mai 2003 BVerwG 2 WD 29.02 BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235. 01 § 107 W DO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31 – m. w. N.) dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Die Voraussetzungen für das Vorliegen solcher Milderungsgründe sind hier auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht erfüllt. …
[11] 53 Konkrete Anhaltspunkte für ein den früheren Soldaten teilweise entlastendes Mitverschulden von Vorgesetzten – etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung der Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteile vom 19. September 2001 BVerwG 2 WD 9.01 Buchholz 236. 1 § 10 SG Nr. 48, vom 17. Oktober 2002 BVerwG 2 WD 14.02 Buchholz 236. 1 § 12 SG Nr. 19, vom 13. März 2003 BVerwG 1 WD 4.03 Buchholz 235. 01 § 38 W DO 2002 Nr. 2 und vom 6. Mai 2003 a. a. O.) – sind nicht erkennbar. Der Umstand, dass nach den in der Berufungshauptverhandlung ergänzend getroffenen Feststellungen die Ausgabe der im Handlager vorgehaltenen Frostschutzmittel und Motorenöle ohne weitere Kontrollen (z. B. mittels einer zu führenden und zu überwachenden Ausgabeliste) erfolgte, vermag den früheren Soldaten nicht zu entlasten. Denn er wusste auch ohne derartige oder weitere Maßnahmen der Dienstaufsicht, dass er das Vermögen und Eigentum des Dienstherrn zu achten hatte und insbesondere keinen Diebstahl begehen durfte. Die Situation offenkundig fehlender hinreichender Sicherungen des Handlagers gegen Diebstahl nutzte er zielgerichtet aus. Daraus kann er für sich keine Milderungsgründe ableiten. …
[12] 62 In seiner neueren Rechtsprechung hat der Senat aus Gründen der Gleichbehandlung und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (Art. 3 Abs. 1 GG) in allen Fällen des Zugriffs eines Soldaten auf Vermögen des Dienstherrn bei der Bemessung von Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens (vgl. u. a. Urteile vom 18. September 2003 BVerwG 2 WD 3.03 BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235. 01 § 38 W DO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122, vom 18. Februar 2004 BVerwG 2 WD 11.03 Buchholz 235. 01 § 38 W DO 2002 Nr. 15 und vom 22. März 2006 BVerwG 2 WD 7.05 Buchholz 450. 2 § 107 W DO 2002 Nr. 2) und dessen Folgen differenziert. Denn gerade auch im Disziplinarrecht ist das verfassungsrechtlich gewährleistete Verhältnismäßigkeitsgebot zu beachten. Dieses ist im Soldaten-Disziplinarrecht vom Gesetzgeber dahingehend konkretisiert, dass die Bemessung der Disziplinarmaßnahme stets in einem angemessenen Verhältnis zum Dienstvergehen und zu seinem Unrechtsgehalt (vgl. § 38 Abs. 1 W DO "Eigenart und Schwere") stehen (vgl. Urteil vom 27. August 2003 BVerwG 2 WD 5.03 BVerwGE 119, 1 = Buchholz 235. 01 § 38 W DO 2002 Nr. 10 m. w. N.) sowie ferner die Auswirkungen des Dienstvergehens, das Maß der Schuld, die bisherige Führung und die Persönlichkeit sowie die Beweggründe des Soldaten berücksichtigen muss. Deshalb ist eine Differenzierung nach der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie nach den weiteren im Gesetz genannten Kriterien der Maßnahmebemessung zwingend geboten, und zwar nicht nur nach "oben", sondern auch nach "unten". Davon sind bestimmte Arten von Dienstvergehen, etwa solche zu Lasten des Vermögens des Dienstherrn, nicht ausgenommen. Das Verhältnismäßigkeitsgebot steht nicht zur Disposition der Wehrdienstgerichte.
[13] 63 An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. …
[14] 72 Da im vorliegenden Fall das Vermögen des Dienstherrn, gegen das sich das Dienstvergehen des früheren Soldaten richtete, aus den oben dargelegten Gründen diesem nicht anvertraut war, kam als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Verhängung der Höchstmaßnahme nicht in Betracht.
[15] 73 Gegen eine Herabsetzung in einen Mannschaftsdienstgrad sprach vor allem der relativ geringe Schadensbetrag von 12,75 €, der die auch in der Rechtsprechung der für das Beamtenrecht zuständigen Senate des Bundesverwaltungsgerichts herangezogene "Bagatellgrenze" von 50 € deutlich unterschritt. Für die Maßnahmebemessung ist es nicht bedeutungslos, ob es sich um einen vorsätzlich verursachten Vermögensschaden z. B. in Millionenhöhe oder im Rahmen des sog. Bagatellbereichs handelt. Die Hemmschwelle, die der jeweilige Täter zu überwinden hat, ist in solchen Fällen in aller Regel nicht gleich. Hinzu kam, dass es dem früheren Soldaten aufgrund der praktisch unzureichenden Sicherungsmaßnahmen relativ leicht gemacht wurde, das Frostschutzmittel und das Motorenöl zu entwenden, so dass von ihm auch deshalb nur eine relativ niedrige Hemmschwelle zu überwinden war.
[16] 74 Eine niedrigere gerichtliche Disziplinarmaßnahme in Gestalt einer Kürzung des Ruhegehalts (§ 58 Abs. 2 Nr. 1 W DO) kam dagegen vorliegend nicht in Betracht.
[17] 75 Zwar ist der frühere Soldat zwischenzeitlich mit Ablauf des 31. Mai 2006 aus der Bundeswehr ausgeschieden. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass er angesichts seines Alters von 28 Jahren künftig (z. B. im Rahmen von Wehrübungen) wieder zum Dienst in der Bundeswehr herangezogen wird. Damit müssen weiterhin spezialpräventive Gesichtspunkte in die Maßnahmebemessung einbezogen werden. Die Unbekümmertheit und Leichtfertigkeit, mit der der frühere Soldat aus eigennützigen Beweggründen kriminelles Unrecht beging und dem Dienstherrn vorsätzlich einen – wenn auch relativ geringfügigen – Vermögensschaden zufügte, machen eine deutliche Pflichtenmahnung erforderlich, zumal sich der Senat nicht hinreichend hat davon überzeugen können, dass sich der frühere Soldat nach der Tat mit seinem Dienstvergehen in dem gebotenen Maße – über das Bedauern der dadurch ausgelösten negativen Folgen für ihn selbst hinaus – auseinandergesetzt hat. Der frühere Soldat hat zwar schriftlich geltend gemacht, er bereue "zutiefst" sein Fehlverhalten; es tue ihm leid. Die konkreten Hintergründe seiner Pflichtverletzungen sind jedoch im Unklaren geblieben. Einen persönlichen Eindruck von ihm hat der Senat nicht gewinnen können, da der frühere Soldat nicht zur Berufungshauptverhandlung erschienen ist. Zu Lasten des früheren Soldaten war vor allem zu berücksichtigen, dass er mit seinem Dienstvergehen das Vertrauen seiner Vorgesetzten in einem Maße erschüttert hatte, dass er durch die Stammdienststelle des Heeres in die Laufbahn der Unteroffiziere zurückgeführt werden musste und nicht mehr als Gruppenführer Verwendung finden konnte. Sein Fehlverhalten hatte damit erhebliche personalwirtschaftliche Konsequenzen.
[18] 76 Auch generalpräventive Gesichtspunkte erfordern trotz des relativ geringen Vermögensschadens und der dargelegten Umstände der Tatbegehung eine Dienstgradherabsetzung. Da das Dienstvergehen nach den getroffenen Feststellungen – über den damit dienstlich unmittelbar befassten Personenkreis hinaus – im dienstlichen Umfeld des früheren Soldaten bekannt wurde und da nicht zuletzt auch deshalb eine Änderung seiner dienstlichen Verwendung erforderlich wurde, ist eine nach außen sichtbare Pflichtenmahnung unverzichtbar, zumal Milderungsgründe in den Umständen der Tat nicht vorliegen. Allein die vom früheren Soldaten während seiner Dienstzeit erbrachten ansprechenden dienstlichen Leistungen reichen nicht aus, die Notwendigkeit einer solchen nach außen sichtbaren Pflichtenmahnung entfallen zu lassen. Es muss gerade in einem Bereich, in dem der verlässliche Umgang mit Vermögen des Dienstherrn erfahrungsgemäß nur schwer kontrolliert werden kann, darauf Bedacht genommen werden, dass andere Soldaten in ihrem Rechtsbewusstsein und in ihrer Bereitschaft zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Dienstpflichten nicht negativ tangiert, sondern bestärkt werden. Durch eine Pflichtenmahnung in Gestalt einer Dienstgradherabsetzung wird der Umgebung des früheren Soldaten das Gewicht der Verfehlung vor Augen geführt und deutlich gemacht, dass die Begehung von vorsätzlichen Straftaten auch im Falle einer nur noch kurzen Restdienstzeit nicht folgenlos bleibt.