Bundesarbeitsgericht
Ortszuschlag – Konkurrenzklausel – Auswirkungen des Inkrafttretens des TVöD
BAG, Urteil vom 17. 7. 2008 – 6 AZR 635/07 (lexetius.com/2008,2230)
[1] 1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 11. Juli 2007 – 17 Sa 58/06 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten über die Höhe des der Klägerin seit dem 1. Oktober 2005 zustehenden Ortszuschlags.
[4] Die Klägerin ist verheiratet und arbeitet seit 1. April 2000 als Heilerziehungspflegerin bei der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Richtlinien für Arbeitsverhältnisse in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Der Ehemann der Klägerin ist bei der S GmbH beschäftigt. Bis zum 30. September 2005 galt für dieses Arbeitsverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), seit dem 1. Oktober 2005 findet darauf der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Der Ehemann der Klägerin erhielt bis zum 30. September 2005 einen Ortszuschlag der Stufe 2 nach dem BAT, der bei der Ermittlung des Vergleichsentgelts für die Zuordnung zu den Stufen der Entgelttabelle des TVöD Berücksichtigung fand. Die Beklagte zahlt der Klägerin auch seit dem 1. Oktober 2005 unter Berufung auf die Konkurrenzklausel der Anlage 1 V (h) Unterabs. 2 der AVR weiterhin nur einen Ortszuschlag der Stufe 1. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die monatliche Differenz zum Ortszuschlag der Stufe 2 für die Monate Oktober 2005 bis einschließlich August 2006 in rechnerisch unstreitiger Höhe.
[5] Anlage 1 V (h) der AVR bestimmt zum Ortszuschlag:
"Sind beide Ehegatten im Geltungsbereich der AVR oder in einem anderen Tätigkeitsbereich der katholischen Kirche vollbeschäftigt und stünde ihnen der Ortszuschlag der Stufe 2 oder einer der folgenden Stufen oder eine entsprechende Leistung in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlags der Tarifklasse Ib zu, so erhält der Mitarbeiter den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages zur Hälfte. …
Ist der Ehegatte des Mitarbeiters außerhalb der in Unterabs. 1 Satz 1 genannten Bereiche tätig oder nach beamtenrechtlichen Grundsätzen versorgungsberechtigt und hat er Anspruch auf Ortszuschlag oder entsprechende Leistungen wesentlich gleichen Inhalts in Höhe der Stufe 2 oder einer der folgenden Stufen oder auf Familienzuschlag der Stufe 1 oder einer der folgenden Stufen oder eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens dem Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlags der Tarifklasse Ib, so erhält der Mitarbeiter den Ortszuschlag der Stufe 1. …"
[6] Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ab 1. Oktober 2005 habe sie Anspruch auf Zahlung des Ortszuschlags der Stufe 2, weil seitdem die Voraussetzungen der Konkurrenzregelung in Anlage 1 V (h) der AVR entfallen seien. Ihr Ehemann habe seitdem weder Anspruch auf Ortszuschlag noch auf eine entsprechende Leistung wesentlich gleichen Inhalts.
[7] Die Klägerin hat beantragt:
1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 427,60 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 102,90 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 1. Juli 2006 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 102,90 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 1. September 2006 zu bezahlen.
[8] Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klagabweisungsantrags geltend gemacht, die Berücksichtigung des Ortszuschlags der Stufe 2 bei der Ermittlung des Vergleichsentgelts gem. § 5 Abs. 2 TVÜ-VKA habe eine soziale Ausgleichsfunktion und deshalb einen wesentlich gleichen Inhalt wie der Ortszuschlag. Der Ehemann der Klägerin beziehe auch nach dem 30. September 2005 ein der Höhe nach unverändertes Bruttoentgelt. Nach dem Grundgedanken der Konkurrenzklausel der AVR sei aber ein Doppelbezug des vollen Ortszuschlags durch beide Ehegatten ausgeschlossen.
[9] Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.
[10] Entscheidungsgründe: I. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben. Der Klägerin steht seit dem 1. Oktober 2005 der Ortszuschlag der Stufe 2 gem. Anlage 1 V (e) Nr. 1 der AVR zu. Seit Inkrafttreten des TVöD liegen die Voraussetzungen für eine Kürzung des Ortszuschlags nach der Anlage 1 V (h) 2. Unterabs. Satz 1 der AVR nicht mehr vor. Der Ehemann der Klägerin hat seit diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Zahlung eines Ortszuschlags mehr. Er bezieht auch keine Leistung, die einen wesentlich gleichen Inhalt wie der Ortszuschlag hat. Dies ergibt die Auslegung der Konkurrenzklausel.
[11] 1. Die Arbeitsvertragsrichtlinien entfalten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine normative Wirkung, sondern bedürfen der einzelvertraglichen Inbezugnahme, um auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung zu finden. Gleichwohl erfolgt die Auslegung dieser Richtlinien nach den gleichen Grundsätzen, die für die Tarifauslegung gelten. Danach ist vom Wortlaut der AVR auszugehen und dabei deren maßgeblicher Sinn zu erforschen, ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der Richtliniengeber und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmungen ist mitzuberücksichtigen, soweit sie in den Richtlinien ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den systematischen Zusammenhang der AVR ist abzustellen (BAG 14. Januar 2004 – 10 AZR 188/03 – AP AVR Caritasverband Anlage 1 Nr. 3, zu II 2 a der Gründe).
[12] a) Der nach Anlage 1 V (e) Nr. 1 der AVR an verheiratete Mitarbeiter gezahlte Ortszuschlag der Stufe 2 stellt keine Gegenleistung für erbrachte Leistungen, sondern einen sozialen Ausgleich dar, der sich aus den mit einer Ehe typischerweise verbundenen finanziellen Belastungen ungeachtet einer konkreten Bedarfssituation ergibt. Ihm kommt somit in erster Linie eine soziale, familienstandsbezogene Ausgleichsfunktion zu (vgl. BVerfG 15. Oktober 1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39, 62; Senat 27. April 2006 – 6 AZR 437/05 – BAGE 118, 123, 127, 130). Mit der Konkurrenzklausel nach Anlage 1 V (h) der AVR wird eine Entlastung kirchlicher Einrichtungen durch die Beschränkung auf eine nachrangige Verpflichtung in den Fällen erreicht, in denen der Ehegatte des Mitarbeiters im außerkirchlichen Bereich beschäftigt ist und Anspruch auf den vollen Ortszuschlag der Stufe 2 hat. Dann entfällt der Anspruch des kirchlichen Mitarbeiters auf den ehegattenbezogenen Anteil des Ortszuschlags (Senat 26. November 1998 – 6 AZR 296/97 –, zu I 1 b der Gründe).
[13] b) Nach Wortlaut und Regelungszweck der Konkurrenzklausel in Anlage 1 V (h) Unterabs. 2 Satz 1 der AVR soll der kirchliche Arbeitgeber von der an sich nach Anlage 1 V (e) Nr. 1 der AVR bestehenden Verpflichtung, an den Mitarbeiter den familienstandsbezogenen Anteil des Ortszuschlags zu zahlen, also nur entbunden sein, wenn dessen bei einem Arbeitgeber im außerkirchlichen Bereich beschäftigter Ehegatte entweder einen Ortszuschlag der Stufe 2 gezahlt bekommt oder jedenfalls eine Leistung erhält, die eine dem Ortszuschlag der Stufe 2 entsprechende soziale familienstandsbezogene Ausgleichsfunktion hat. Dies setzt nicht voraus, dass eine der Bezeichnung oder der Höhe nach mit dem Ortszuschlag der Stufe 2 identische Zahlung erfolgt. Erforderlich ist aber, dass die vom Arbeitgeber des Ehegatten des kirchlichen Mitarbeiters gezahlte Leistung ihrem Wesen und ihrer Struktur nach den gleichen Inhalt hat wie der Ortszuschlag der Stufe 2. Deshalb muss die vom Ehegatten des kirchlichen Mitarbeiters bezogene Leistung wie der Ortszuschlag der Stufe 2 an den Familienstand anknüpfen und von ihm abhängen (vgl. BVerwG 15. November 2001 – 2 C 69/00 – DVBl. 2002, 780, zu § 40 Abs. 6 BBesG).
[14] c) Der Ehemann der Klägerin hat zwar zum 1. Oktober 2005 ein gegenüber dem Bezug im Vormonat der Höhe nach unverändertes Entgelt erhalten. Der ihm bis dahin gezahlte Ortszuschlag der Stufe 2 wurde nämlich gem. § 5 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) in das Vergleichsentgelt einbezogen, nach dem die Zuordnung zu den Stufen der Entgelttabelle des TVöD erfolgte. Der Ehemann der Klägerin ist gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA einer diesem Vergleichsentgelt entsprechenden individuellen Zwischenstufe der gem. § 4 TVÜ-VKA bestimmten Entgeltgruppe zugeordnet worden.
[15] Bereits mit Bildung des Vergleichsentgelts hat der bis zum 30. September 2005 an den Ehemann der Klägerin gezahlte Ortszuschlag der Stufe 2 jedoch seinen bis dahin bestehenden Charakter eines sozialen Ausgleichs für die mit dem Familienstand der Ehe verbundenen finanziellen Belastungen verloren. Deshalb bezieht ein im öffentlichen Dienst beschäftigter, in den TVöD übergeleiteter Ehegatte eines kirchlichen Mitarbeiters seit dem 1. Oktober 2005 auch dann keine Leistung mehr, die wesentlich gleichen Inhalts mit dem familienstandsbezogenen Anteil des Ortszuschlags ist, wenn in die Berechnung seines Vergleichsentgelts nach § 5 TVÜ-VKA der Ortszuschlag der Stufe 2 in voller Höhe eingeflossen ist. Der Ortszuschlag der Stufe 2 war zwar bis zum 30. September 2007 als Bestandteil des Vergleichsentgelts noch rechnerisch ermittelbar. Schon in diesem Zeitraum hatten Änderungen des Familienstands aber keine Neuberechnung des Vergleichsentgelts mehr zur Folge, während es für den Ortszuschlag kennzeichnend und wesenstypisch war, dass er bei Änderungen der Familienverhältnisse überprüft und gegebenenfalls dem geänderten Familienstand angepasst wurde. Ungeachtet eines etwaigen familienpolitisch unterlegten Motivs, den Ortszuschlag der Stufe 2 in die Berechnung des Vergleichsentgelts einzubeziehen, war das Entgelt im Geltungsbereich des TVöD damit bereits in dem für die Klage erheblichen Zeitraum vonOktober 2005 bis einschließlich August 2006 in seiner Zusammensetzung strukturell grundsätzlich geändert. Die unter der Geltung der abgelösten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes verfolgte familienstandsbezogene Ausgleichsfunktion eines Teils des Entgelts ist seit Inkrafttreten des TVöD zugunsten eines reinen Leistungscharakters des Entgelts aufgegeben worden. Seitdem wird der Familienstand bei der Bemessung des Entgelts nicht mehr berücksichtigt. Soweit der Ortszuschlag der Stufe 2 in die Berechnung des Vergleichsentgelts eingeflossen ist, diente dies der Besitzstandswahrung entsprechend dem Status des Arbeitnehmers am Stichtag 30. September 2005. Änderungen des Familienstands nach diesem Zeitpunkt beeinflussten und beeinflussen die Höhe des Entgelts weder zu Gunsten noch zu Lasten des Arbeitnehmers.
[16] d) Dies wird bestätigt durch die zum 1. Oktober 2007 erfolgte vollständige Überführung der in den TVöD übergeleiteten Arbeitnehmer in die neue Entgelttabelle gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA. Seitdem ist auch rechnerisch nicht mehr ermittelbar, in welcher Höhe der frühere Ortszuschlag Teil des nunmehr gezahlten Entgelts ist. Seit diesem Zeitpunkt hängt es vielmehr von Zufälligkeiten ab, ob der früher nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes gewährte Ehegattenanteil des Ortszuschlags zu einer – ggf. sogar überproportionalen – Erhöhung des nach dem TVöD zu zahlenden Entgelts geführt hat, oder ob der frühere Vorteil durch die Zahlung des Ortszuschlags der Stufe 2 nach dem Aufstieg in die nächsthöhere reguläre Stufe der Entgeltgruppe nach § 6 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA vollständig aufgezehrt worden ist.
[17] 2. Da der Arbeitgeber des Ehegatten der Klägerin den Familienstand seit dem 1. Oktober 2005 nicht mehr durch Auszahlung eines Ehegattenanteils im Ortszuschlag berücksichtigt, muss die Beklagte seit diesem Zeitpunkt an die Klägerin den Ortszuschlag der Stufe 2 zahlen, wie es in Anlage 1 V (e) Nr. 1 der AVR vorgesehen ist. Sie kann die Klägerin und ihren Ehegatten nicht mehr auf einen vorrangig vom Arbeitgeber des Ehemanns der Klägerin zu zahlenden sozialen Ausgleich für den Familienstand verweisen, weil ein solcher sozialer Ausgleich nicht mehr erfolgt.