Bundesarbeitsgericht
Verdachtskündigung – Missbrauch von psychisch kranken Personen

BAG, Beschluss vom 12. 3. 2009 – 2 ABR 24/08 (lexetius.com/2009,2184)

[1] Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 1. Oktober 2007 – 3 TaBV 123/06 – wird aufgehoben.
[2] Das Verfahren wird zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
[3] Gründe: A. Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1.) begehrt die Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter zu 2.) zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds R (Beteiligter zu 3.).
[4] Der 1968 geborene, verheiratete und für ein Kind unterhaltsverpflichtete Beteiligte zu 3. ist seit April 1998 bei der Arbeitgeberin als Krankenpfleger mit sozialpsychiatrischer Zusatzausbildung beschäftigt. Er ist Mitglied des Betriebsrats.
[5] Im Jahre 2005 sowie Anfang 2006 wurde die an einer dissoziativen Identitätsstörung erkrankte Patientin K in verschiedenen Einrichtungen der Arbeitgeberin betreut. Im Sommer 2005 war sie Patientin in der F-Klinik, wo auch der Beteiligte zu 3. beschäftigt war. Danach war sie teilweise in der ebenfalls von der Arbeitgeberin betriebenen Tagesklinik (mit Heimbereich) und wiederum in der Klinik.
[6] Am 28. Dezember 2005 führte eine bei der Arbeitgeberin beschäftigte Psychologin, die Zeugin L, ein längeres Gespräch mit Frau K. Hierüber fertigte sie unter dem 23. Januar 2006 eine Dokumentation mit folgendem Inhalt:
"Am 28. 12. 05 erfuhr ich von der Patientin Frau K in einem Gespräch, wir reflektierten die Vorkommnisse vom 25. 12. 05 (Frau K hatte an dem Tag Besuch von Herrn R, der schon ausreichend dokumentiert wurde). In diesem Gespräch berichtete die P., in ihrem Besitz befinde sich auch ein Notebook, das Herrn R gehöre. Sie habe seine vollständige Adresse und E-Mail-Adresse in der Notebook-Tasche gefunden. Die P. begleitete mich am Nachmittag in das Wohnheim B, wo ich jeden Mittwoch an der Patientenvollversammlung teilnehme. Sie nahm die Tasche an sich, und wir fanden die Adresse von Herrn R. Auf dem Weg zurück in die Klinik konfrontierte ich die P. mit der Aussage, dass sie das Notebook ja schon länger habe, also auch schon länger eine Verbindung zu Herrn R bestehen müsse. Daraufhin berichtete Frau K mit kindlicher Stimme, sie habe Herrn R als P. auf der F kennen gelernt, er habe sich immer zu ihr und einer anderen multiplen P. gesetzt und sei sehr interessiert gewesen. Er habe Ihr dann 'aus heiterem Himmel' das Notebook übergeben. Nach der Entlassung habe er den Kontakt zu ihr gesucht und mehrfach im Wohnheim angerufen. (wie die Mitarbeiterinnen mir gestern am 23. 01. 06 mitteilten, tue er das immer noch, er rufe fast täglich unter dem Namen S an). Sie habe sich auch mit ihm getroffen, einmal sei man z. B. in eine Eisdiele gegangen, und einmal habe er mit ihr ins Kino gehen wollen, der Film sei jedoch ausverkauft gewesen. Er habe sie auch in zwei verschiedene Wohnungen mitgenommen. Eine Wohnung sei die seiner Eltern gewesen, diese seien zu dieser Zeit nicht da gewesen. Dort habe er sie aufgefordert sich auszuziehen, das habe sie getan, sie habe Angst gehabt, das sei ihr alles sehr unangenehm gewesen. Er habe dabei im Sessel gesessen und auch keine Hose angehabt. Einmal sei sie in seiner Wohnung gewesen, die Frau von Herrn R sei jedoch ins Zimmer gekommen und habe damit alles verhindert. Die Frau habe sich gewundert, wo sie und Herr R so lange bleiben, sie habe wohl etwas geahnt und habe ganz schrecklich geschimpft und geschrien. Bei seinem Besuch in der K habe Herr R ihm dann seine Liebe gestanden."
[7] Am 9. Januar 2006 fand ein weiteres Gespräch mit Frau K statt, an dem neben dem zuständigen Oberarzt, dem Zeugen A, die Zeugin B, die Ergotherapeutin W und die Krankenschwester Ka teilnahmen. Der Zeuge A fertigte über dieses Gespräch eine "Dokumentation", in der es ua. wie folgt heißt:
"Frau K (insgesamt auch ihre Innenpersonen) gab an, dass diese Anfälle seit dem Sommer im Zusammenhang mit R stünden. Auf unsere Frage, wer R sei, antwortete sie: 'R, der Krankenpfleger von der F, wo ich letztes Jahr war'. Herr R habe sich oft zu ihr und zu einer anderen ebenfalls 'multiplen Patientin' gesetzt und sie intensiv nach ihren Innenpersonen und ihrem Innenleben befragt. Er habe sich sehr interessiert gezeigt. Nach der Entlassung habe er den Kontakt zu ihr gehalten, habe sie in der B unter einem falschen Namen einige Male angerufen und sie nach Hause zu sich bzw. auch in die leere Wohnung seiner Eltern mitgenommen, was sie sehr belastet habe. Er habe sich gegenüber den Schwester in der B als S ausgegeben, sie sei sehr belastet gewesen, habe es z. T. den Schwestern mitgeteilt und sich von diesen manchmal auch verleugnen lassen in dem Sinne, dass sie sagen sollten, sie wäre nicht da oder sie rufe zurück. Zu Hause bei ihm habe er sie dazu gebracht, sich nackt auszuziehen, er zog sich unten herum auch nackt aus und zwang sie, ihn oral zu befriedigen, was für sie sehr ekelig war. Sie habe Angst vor ihm gehabt, zumal er ihr erzählte, dass er beim Betriebsrat und somit unkündbar wäre. Außerdem hätte er keine Angst vor dem Oberarzt der Station Herrn A und er würde gegebenenfalls lügen. Einmal sei er mit ihr im Keller des Hauses gewesen, seine Freundin oder Frau war ebenfalls im Haus und habe sich sehr darüber aufgeregt, dass die beiden lange zusammen weg gewesen seien, sie habe eine Szene gemacht und ihm große Vorwürfe gemacht. Herr R habe ihr (Frau K) erzählt, dass seine Frau psychisch krank sei und er sie nicht mehr liebe, er liebe vielmehr sie und möchte eine Beziehung mit ihr haben. Er habe ihr aber auch Angst gemacht, wenn sie über das erzählen würde, was zwischen den beiden passiert sei. Er habe ihr sowohl sein Handy als auch seinen Laptop gegeben, damit sie ihn besser erreichen könne. Sie habe Angst vor ihm und wolle mit ihm nichts mehr zu tun haben.
Das Gespräch mit Frau K hat mehr als eine Stunde gedauert und war von mehreren dissoziativen Switches (Personalwechsel) begleitet gewesen, unser Eindruck war aber, dass sie danach entlastet war, all dies uns erzählt zu haben."
[8] Nach Darstellung der Arbeitgeberin hat auch die Patientin G dem Zeugen A (Oberarzt) berichtet, der Beteiligte zu 3. habe bei ihrem stationären Aufenthalt im Sommer 2005 versucht, mit ihr Kontakt auf privater Ebene aufzunehmen. Er habe ua. angeboten, ihr beim Umzug zu helfen. Sie habe dieses Angebot angenommen, der Beteiligte zu 3. habe ihr aber eindringlich erklärt, dass sie davon nichts erzählen solle. Weiter habe die Patientin G berichtet, dass der Beteiligte zu 3. private Kontakte nicht nur zu ihr, sondern auch zu der Patientin K gepflegt habe. Er habe geäußert, jetzt, wo Frau K tot sei – Frau K war Ende Februar im Alter von 20 Jahren plötzlich verstorben –, könne er sagen, er habe sie nicht gekannt. Niemand könne ihm etwas nachweisen. Die Patientin G habe gegenüber dem Zeugen A ferner zum Ausdruck gebracht, dass sie sich von dem Beteiligten zu 3. unter Druck gesetzt fühle.
[9] Am 3. März 2006 informierte der Zeuge A den Personalleiter E der Arbeitgeberin über den Verlauf des Gesprächs zwischen ihm und der Patientin G am 27. Februar 2006 sowie über den Inhalt der Unterredungen mit der Patientin K. Am 8. März 2006 übergab er der Geschäftsleitung die Dokumentation über die Gespräche vom 28. Dezember 2005/9. Januar 2006. Am selben Tag fand eine Befragung des Beteiligten zu 3. statt. Hierüber wurde ein Protokoll gefertigt, das folgenden Wortlaut hat:
"Anhörung von Herrn R am 09. März 2006, 13. 30 Uhr
Anwesend: Herr R, Frau P, Herr V, Herr E, Herr J
J.: Herr R, ich werde Sie heute anhören zu Vorkommnissen, die Herr E am 03. 03. 2006 bekannt geworden sind.
J.: 1. Sind Ihnen die Patientinnen K und G bekannt?
[10] R.: Dazu möchte ich keine Stellung nehmen. Herr J wiederholt die Frage.
R.: Ich möchte erst anhören, was Sie zu sagen haben.
J.: 2. Haben Sie während des stationären Aufenthalts von Frau K dieser ein Handy und ein Laptop, welche Ihnen gehören, gegeben?
R.: Nee, das auf keinen Fall.
J.: Wie können Sie es dann erklären, dass sich in der Laptop-Tasche Ihre Wohnungsadresse bzw. Email-Adresse befunden haben?
R.: Habe ich schon damals gesagt, dass ich das nicht weiß. Kann ich mir nicht erklären.
J.: 3. Haben Sie nach der Entlassung von Frau K Kontakt zu ihr gesucht?
R.: Nein
J.: Haben Sie insbesondere in der Zeit von August bis Dezember 2005 bzw. Januar 2006 wiederholt unter dem Namen S im WB B angerufen, um Frau K sprechen zu wollen?
R.: Nein
J.: 4. Haben Sie sich mit Frau K während Ihrer Zeit in der B wiederholt getroffen? Präziser gesagt: Sind Sie mit Ihr in eine Eisdiele Eis essen gegangen bzw. ins Kino, was nicht klappte, weil der Film ausverkauft gewesen ist?
R.: Nehme ich keine Stellung zu.
J.: 5. Sind Sie mit Frau K in der Wohnung Ihrer Eltern gewesen, als diese nicht da waren?
R.: Nein.
J.: Ist es dabei zu folgendem Vorgang gekommen? Sie haben Frau K aufgefordert, sich auszuziehen, das hat sie auch getan. Sie haben sich ausgezogen (Unterleib) und sie gezwungen, Sie oral zu befriedigen.
R.: Nein, das ist nicht passiert.
J.: 6. Sind Sie mit Frau K im Keller Ihres Hauses gewesen und ist es dann zu einer Begegnung mit Ihrer Frau gekommen, der dann eine lautstarke Auseinandersetzung folgte?
R.: Nein mein Haus hat auch keinen Keller. Es gab auch keine Auseinandersetzung.
J.: 7. Haben Sie Frau K gesagt, dass Ihre Frau psychisch krank sei, Sie sie nicht mehr lieben, sondern Frau K und Sie deshalb eine Beziehung haben möchten?
R.: Nein
J.: 8. Haben Sie Frau K mehrmals aufgefordert, über diese Vorfalle nicht zu sprechen?
1. seien Sie im Betriebsrat und somit unkündbar und 2. hätten Sie keine Angst vor dem Oberarzt und würden notfalls lügen.
R.: Nein, stimmt überhaupt nicht. Die Begründung trifft nicht, ergibt auch keinen Sinn.
J.: 9. Sind Sie von Frau G über den Tod von Frau K informiert worden?
R.: Nein
J.: 10. Haben Sie dahingehend reagiert, dass Sie zwar betroffen waren, aber auch gleichzeitig gesagt: Jetzt, wo Frau K tot ist, kann ich ja sagen, ich habe sie nicht gekannt.
R.: Nein
J.: 10a. Waren Sie zu Besuch bei Frau K am 22. 12. 2005 in der B? Dabei sind Sie erkannt worden als R
R.: Dazu möchte ich keine Stellung nehmen.
J.: 11. Haben Sie Frau G gesagt, Sie hätten sowieso schon genug Stress und auch schon eine Abmahnung bekommen?
R.: Nein
J.: 12. Haben Sie Frau G dahingehend unter Druck gesetzt, dass sie nichts sagen solle, sonst würden Sie abgemahnt oder gekündigt.
R.: Nein
J.: 13. Haben Sie Frau G beim Umzug geholfen?
R.: Nein"
[11] Nachdem die Arbeitgeberin den Beteiligten zu 3. zu weiteren Gesprächen über die Angelegenheit aufgefordert hatte, erklärte er mit Schreiben vom 10. März 2006, er habe einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Dieser habe ihm geraten, aufgrund der Schwere der Vorwürfe keine weitere mündliche Stellungnahme abzugeben. Unter demselben Datum forderte die Arbeitgeberin den Beteiligten zu 3. auf, bis zum 13. März 2006, 14: 00 Uhr, weiter schriftlich Stellung zu nehmen. Nachdem eine solche Stellungnahme nicht erfolgte, beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat mit Schreiben vom 14. März 2006 die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. Der Betriebsrat teilte am 20. März 2006 mit, dass er der beabsichtigten Kündigung widerspreche.
[12] Die Arbeitgeberin erstattete gegen den Beteiligten zu 3. Strafanzeige. Am 11. April 2006 wurde der Beteiligte zu 3. von der Kriminalpolizei vernommen. Er erklärte ua.: Er habe die verstorbene Patientin Frau K schon vor ihrem Aufenthalt in der Klinik gekannt. Sie habe dasselbe Sportleistungszentrum aufgesucht wie seine Tochter. Er habe zu Frau K nach ihrem Klinikaufenthalt eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut, aber keine sexuelle Beziehung zu ihr gehabt. Sie sei mehrfach bei ihm zu Hause gewesen. Seine Frau und teilweise seine Tochter seien dabei gewesen. Es habe weitere Treffen gegeben, teilweise in der Klinik oder im Wohnheim, einmal auch in der Stadt. Er habe Frau K gemocht, aber nicht geliebt, das sei ein kleiner, aber feiner Unterschied. Richtig sei, dass er ihr seinen Laptop für ihr Studium gegeben habe, auch, um E-Mails mit ihr austauschen zu können. Richtig sei auch, dass er in dem Wohnheim mehrfach unter falschem Namen angerufen habe. Der Arzt A habe nichts von der freundschaftlichen Beziehung erfahren sollen. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim stellte das Ermittlungsverfahren mit Bescheid vom 27. April 2006 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, weil ohne unmittelbaren Eindruck von der Zeugin etwaige Straftaten nicht nachgewiesen werden könnten.
[13] Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, gegen den Beteiligten zu 3. bestehe der dringende Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Das folge aus den gesamten Umständen, auch aus der Tatsache, dass er falsche Angaben im Rahmen seiner Anhörung gemacht habe. Eine weitere Beschäftigung als Krankenpfleger sei ihr nicht zumutbar. Eine andere Beschäftigungsmöglichkeit gebe es nicht.
[14] Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Zustimmung des Antragsgegners und Beteiligten zu 2. zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Beteiligten zu 3. bestehenden Arbeitsverhältnisses zu ersetzen.
[15] Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
[16] Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, aufgrund der Informationen des Personalleiters habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bereits am 3. März 2006 zu laufen begonnen. Die angeblichen Verfehlungen seien zudem nur sehr vage und unsubstantiiert dargestellt. Die inquisitorisch durchgeführte Vernehmung des Beteiligten zu 3. werde dem Erfordernis einer vorherigen Anhörung des Betroffenen vor Ausspruch der Kündigung nicht gerecht. Darüber hinaus belege der zeitliche Ablauf, dass der Zeuge A der Aussage der Patientin K keine Bedeutung beigemessen habe.
[17] Der Beteiligte zu 3. hat – wie schon in seiner Aussage vor der Kriminalpolizei – behauptet, er habe die Patientin K lange vor ihrem Aufenthalt in der Klinik kennengelernt. Die in den Gesprächsvermerken geschilderten sexuellen Vorkommnisse habe es nicht gegeben. Die Angabe eines falschen Namens bei Anrufen oder Besuchen sei auf Wunsch der Patientin erfolgt. Darüber hinaus habe er nicht gewollt, dass der Zeuge A von seiner freundschaftlichen Beziehung zu Frau K erfahre. Den Laptop habe er Frau K für ihr Studium gegeben, zu einem E-Mail-Schriftverkehr sei es nie gekommen. Bei der Befragung am 8. März 2006 habe er nicht gewusst, worum es eigentlich gehe, aufgrund der Spannungen zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung aber angenommen, man suche etwas, um ihm zu kündigen. Die Arbeitgeberin habe kein Recht gehabt, ihn nach seinen persönlichen Beziehungen zu Frau K zu befragen. Zu einer wahrheitsgemäßen Antwort sei er nicht verpflichtet gewesen. Er hat eingeräumt, Frau G beim Umzug geholfen zu haben.
[18] Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ersetzt. Das Landesarbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen A (Oberarzt) und L (Leiterin der Tagesklinik und Psychotherapeutin) den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Die ebenfalls bei dem Gespräch vom 9. Januar 2006 anwesende Ergotherapeutin W, die von der Arbeitgeberin zum Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht gestellt worden war, hat das Landesarbeitsgericht nicht vernommen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
[19] Der Beteiligte zu 3. war bei der Betriebsratswahl vom 8./9. Dezember 2005 zum Mitglied des Betriebsrats gewählt worden. Diese Betriebsratswahl wurde auf Anfechtung durch Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover (- 2 BV 19/05 -) für unwirksam erklärt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Beschluss vom 27. März 2008 (- 11 TaBV 128/06 -) rechtskräftig zurück. Dieser Beschluss, mit dem eine Beschwerde zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen worden war, wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des beschwerdeführenden Betriebsrats am 15. Mai 2008 zugestellt. Der Betriebsrat legte Nichtzulassungsbeschwerde ein. Am 17. April 2008 war der Betriebsrat zurückgetreten und hatte einen Wahlvorstand bestellt. Nach Rücktritt des Betriebsrats und vor Konstituierung des Wahlvorstands wurde dem Beteiligten zu 3. eine außerordentliche Kündigung mit Datum vom 17. April 2008 übergeben. Am 3./4. Juli 2008 erfolgte eine Neuwahl des Betriebsrats. Der Beteiligte zu 3. wurde erneut gewählt. Im Hinblick auf die Neuwahl wurde die zwischenzeitlich vom Betriebsrat beim Bundesarbeitsgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde im August 2008 beidseitig für erledigt erklärt. Das Verfahren wurde daraufhin mit Beschluss vom 14. August 2008 eingestellt.
[20] Gegen die außerordentliche Kündigung vom 17. April 2008 wandte sich der Beteiligte zu 3. durch Klage vor dem Arbeitsgericht Hannover, das diese Kündigung durch Urteil vom 26. November 2008 (- 8 Ca 185/08 -) für unwirksam erklärte, weil sie mangels der nach § 103 BetrVG erforderlichen Zustimmung nichtig sei. Die dortige Beklagte hatte im Termin vor dem Arbeitsgericht erklärt, sie leite aus der Kündigung vom 17. April 2008 keine Rechte her. Sie hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.
[21] Die Beteiligten zu 2. und 3. vertreten die Auffassung, das vorliegende Verfahren sei aufgrund dieser Vorgänge erledigt.
[22] B. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
[23] I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, ein wichtiger Grund für die von der Arbeitgeberin beabsichtigte außerordentliche Kündigung bestehe nicht. Der von der Arbeitgeberin geltend gemachte Verdacht unzulässiger sexueller Handlungen mit der Patientin K sei nicht hinreichend dringend. Zwar ergäben sich verschiedene Verdachtsmomente, so aus der Aussage von Frau K gegenüber den Zeugen. Aber damit stehe nur fest, dass Frau K den Beteiligten zu 3. belastet habe, nicht aber, dass diese Belastung auch zutreffe. Einer Vernehmung der Zeugin W habe es nicht bedurft, weil sie als Ergotherapeutin keine Angaben zur Glaubhaftigkeit der Aussage der Frau K habe machen können. Das ebenfalls verdächtige Aussageverhalten des Beteiligten zu 3. könne auch darauf zurückzuführen sein, dass er zu dem damaligen Zeitpunkt gemutmaßt habe, die Arbeitgeberin wolle ihm einen privaten Kontakt mit einer Patientin vorwerfen und deshalb möglicherweise arbeitsrechtliche Sanktionen in Betracht ziehen. Die Arbeitgeberin könne die beabsichtigte außerordentliche Kündigung auch nicht – wie aber vom Arbeitsgericht angenommen – mit Erfolg darauf stützen, der Beteiligte zu 3. habe bewusst und aus rein persönlichen Interessen die Betreuungs- und Schutzmaßnahmen der Arbeitgeberin unterlaufen. Insoweit habe die Antragstellerin schon nicht konkret vorgetragen, welche konkreten Anweisungen es in ihrem Betrieb im Hinblick auf private Kontakte zu Patientinnen und Patienten gegeben habe.
[24] II. Dem folgt der Senat nur in Teilen der Begründung. Ob die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen ist, steht noch nicht fest. Die Feststellungen und Würdigungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht die Schlussfolgerung, es fehle an einem wichtigen Grund zur Rechtfertigung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung.
[25] 1. Der Antrag ist nach wie vor zulässig. Das Verfahren ist nicht erledigt.
[26] a) Endet das Amt des Betriebsratsmitglieds, so wird der Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 103 Abs. 2 BetrVG unzulässig (Senat 30. Mai 1978 – 2 AZR 637/76BAGE 30, 320; 27. Juni 2002 – 2 ABR 22/01BAGE 102, 30). Das gilt auch, wenn das Betriebsratsamt aufgrund einer erfolgreichen Anfechtung der Betriebsratswahl endet. Der Arbeitgeber ist nunmehr berechtigt, ohne Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG die Kündigung auszusprechen.
[27] b) Anders ist es jedoch, wenn sich an das Ende der Amtszeit, in der ein Antrag nach § 103 Abs. 2 BetrVG gestellt wurde, ohne Unterbrechung eine neue Amtszeit anschließt. In diesem Fall gilt die Zustimmungsverweigerung fort. Das Verfahren erledigt sich nicht, sondern kann weiter geführt werden (Senat 19. September 1991 – 2 ABR 14/91 – RzK II 3 Nr. 20).
[28] c) Im Streitfall hatte der Beteiligte zu 3. ununterbrochen den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG, § 103 BetrVG. Die Anfechtung einer Betriebsratswahl wirkt nicht zurück. Bis zur Rechtskraft des der Anfechtung stattgebenden Beschlusses genießen die – anfechtbar – gewählten Betriebsratsmitglieder den besonderen Kündigungsschutz. Im vorliegenden Fall wurde der der Anfechtung stattgebende Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen – in dem die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden war – dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 15. Mai 2008 zugestellt. Der Betriebsrat legte Nichtzulassungsbeschwerde ein, die im August 2008 erledigt wurde. Der der Anfechtung stattgebende Beschluss wurde daher nicht vor August 2008 rechtskräftig. Bereits bei der am 3./4. Juli 2008 erfolgten Neuwahl des Betriebsrats wurde der Beteiligte zu 3. wiederum in den Betriebsrat gewählt. Der Sonderkündigungsschutz bestand demnach ohne Unterbrechung.
[29] d) Er war auch nicht durch den Rücktritt des Betriebsrats am 17. April 2008 unterbrochen worden. Der zurückgetretene Betriebsrat bleibt bis zur Wahl des neuen Betriebsrats im Amt (Fitting 24. Aufl. § 13 Rn. 42 und § 21 Rn. 27). Die Mitglieder behalten dabei auch den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG und § 103 BetrVG (Fitting § 22 Rn. 8; Thüsing in Richardi BetrVG 11. Aufl. § 22 Rn. 6).
[30] e) Das Kündigungsverfahren ist durch den Ausspruch der Kündigung vom 17. April 2008 nicht abgebrochen worden. Die Arbeitgeberin hat diese Kündigung vorsorglich für den – nicht eingetretenen – Fall ausgesprochen, dass der Sonderkündigungsschutz entfallen wäre.
[31] 2. Ob der Antrag begründet ist, steht noch nicht fest.
[32] a) Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die beabsichtigte außerordentliche Kündigung könne nicht darauf gestützt werden, dass der Beteiligte zu 3. – auch abgesehen von den intimen Kontakten, derentwegen die Arbeitgeberin sich auf einen dringenden Verdacht stützt – das Pflegekonzept der Arbeitgeberin verletzt und zu eigenem Vorteil unterlaufen habe.
[33] aa) Eine schwere, insbesondere schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (Senat 19. April 2007 – 2 AZR 78/06AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77; 2. März 2006 – 2 AZR 53/05AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 – 7 AZR 128/83AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100; vgl. auch: Senat 16. August 1991 – 2 AZR 604/90 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41). Da die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung die übliche und regelmäßig auch ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung allerdings nur in Betracht, wenn das regelmäßig geringere Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 – 7 AZR 128/83 – aaO).
[34] bb) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Arbeitgeberin habe bereits nicht konkret vorgetragen, welche Anweisungen es in ihrem Betrieb im Hinblick auf Kontakte zu Patientinnen und Patienten gegeben habe. Insbesondere ein Pflegekonzept, das arbeitsvertragliche Pflichten der Pflegekräfte beinhalten und jegliche private Verbindung zwischen Pflegekräften und Patienten untersagen würde, ist nicht ersichtlich. Fehlt es aber insoweit an der Feststellung bestimmter vertraglicher Pflichten, ist auch ein Verstoß gegen derartige Pflichten nicht feststellbar. Die Rechtsbeschwerde greift auch die entsprechenden Feststellungen und Würdigungen des Landesarbeitsgerichts nicht an.
[35] cc) Gleiches gilt für die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, ein etwaiger Verstoß des Beteiligten zu 3. gegen ein Pflegekonzept habe abgemahnt werden müssen. Auch insoweit ist jedenfalls entscheidend, dass die Frage, ob eine Vertragspflichtverletzung ohne vorausgegangene erfolglose Abmahnung als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB ausreicht, nicht ohne genaue Betrachtung der verletzten Pflicht beantwortet werden kann. Da eine solche Pflichtverletzung mangels Darlegung der einschlägigen Vertragspflicht nicht ersichtlich ist, kann von der Entbehrlichkeit einer Abmahnung nicht ausgegangen werden.
[36] b) Im Ansatz zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht an, der dringende Verdacht, der Beteiligte zu 3. könne die Patientin K zu sexuellen Handlungen missbraucht haben, sei an sich geeignet, als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB angesehen zu werden.
[37] aa) Ein Krankenpfleger in einer psychiatrischen Klinik, der für seelisch erkrankte Patienten verantwortlich ist, begeht eine besonders schwere Pflichtverletzung, wenn er seine Stellung als Pfleger zur Befriedigung seiner geschlechtlichen Wünsche ausnutzt. Dies zeigt schon § 174a StGB, wonach mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird, wer eine Person, die in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen aufgenommen und ihm zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit dieser Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. Der Betreiber einer solchen Einrichtung muss sich im Interesse der ihm anvertrauten besonders des Schutzes bedürftigen Menschen darauf verlassen können, dass jegliche sexuellen Übergriffe seitens seiner Arbeitnehmer unterbleiben. Die ohnehin besonders verletzliche Intimsphäre seiner Patienten muss als Zone absoluten Schutzes gewahrt bleiben.
[38] bb) Auch der dringende Verdacht einer Verletzung von erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichten kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (vgl. Senat 8. Juni 2000 – 2 AZR 638/99BAGE 95, 78; 6. November 2003 – 2 AZR 631/02AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2). Der Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kommt in Betracht, wenn dringende auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (Senat 4. Juni 1964 – 2 AZR 310/63BAGE 16, 72; 30. Juni 1983 – 2 AZR 540/81 –; zuletzt 10. Februar 2005 – 2 AZR 189/04 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Der schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben bzw. objektiv durch Tatsachen begründet sein. Er muss dringend sein, dh. bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung (Tat) gerade dieses Arbeitnehmers bestehen (vgl. zu dem Maßstab und den Anforderungen: Senat 26. September 2002 – 2 AZR 424/01 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; 6. November 2003 – 2 AZR 631/02AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2; zuletzt 6. September 2007 – 2 AZR 722/06AP KSchG 1969 § 4 Nr. 62 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 29).
[39] c) Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung trägt nicht die Würdigung, ein dringender Verdacht, die Patientin K sexuell missbraucht zu haben, bestehe gegen den Beteiligten zu 3. nicht.
[40] aa) Das Landesarbeitsgericht hat seine Annahme, gegen den Beteiligten zu 3. bestehe ein gewisser, aber kein dringender Verdacht, aus der Würdigung der von ihm erhobenen Beweise und des übrigen Sachverhalts gewonnen (§ 286 Abs. 1 ZPO). Eine solche Würdigung kann das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt überprüfen, nämlich daraufhin, ob das Beschwerdegericht die Voraussetzungen und die Grenzen des § 286 Abs. 1 ZPO gewahrt und eingehalten hat. Rechtsbeschwerderechtlich von Bedeutung ist deshalb nur, ob das Beschwerdegericht tatsächlich den gesamten Inhalt der Verhandlungen berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ist und ob sie rechtlich möglich ist (BAG 7. November 2002 – 2 AZR 599/01AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50; 1. Oktober 1997 – 5 AZR 685/96BAGE 86, 347 mwN).
[41] bb) Diesem Maßstab wird die Beweiswürdigung durch das Landesarbeitsgericht nicht gerecht.
[42] (1) Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hätte die von der Arbeitgeberin zur Glaubhaftigkeit der von Frau K im Gespräch mit dem Zeugen A gemachten Aussagen benannte Zeugin W hören müssen. Grundsätzlich sind die Gerichte verpflichtet, Beweise zu erheben, mit denen streitiger Vortrag bewiesen werden soll. Nach Art. 103 Abs. 1 GG haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlass der Entscheidung zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Diesem Recht entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfG 14. September 1989 – 1 BvR 674/89NJW 1989, 3007). Das Landesarbeitsgericht hat die Vernehmung der Zeugin W mit der Begründung abgelehnt, sie könne als Ergotherapeutin keine Angaben zur Glaubwürdigkeit der von Frau K erhobenen Vorwürfe machen. Die Glaubwürdigkeit einer psychisch kranken Patientin und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage zu beurteilen, mag allerdings schwierig sein. Inwiefern eine Ergotherapeutin in einer psychiatrischen Klinik schlechthin nicht in der Lage sein sollte, diese schwierige Aufgabe zu bewältigen oder zu ihrer Bewältigung Beobachtungen beizutragen, wird vom Landesarbeitsgericht nicht begründet. Die Ablehnung der Vernehmung dieser Zeugin hat damit umso weniger eine rechtliche Stütze, als im vorliegenden Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 1 ArbGG der Untersuchungsgrundsatz gilt.
[43] (2) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht aus dem Umstand, dass der Beteiligte zu 3. bei seiner ersten Anhörung auf eine Vielzahl von Fragen bewusst falsche Antworten gegeben hat, entnommen, dass dies den Verdacht gegen den Beteiligten zu 3. stütze. Es hat dann aber weiter angenommen, die falschen Aussagen könnten auch dadurch erklärt werden, dass der Beteiligte zu 3. sich vor einer Kündigung gefürchtet habe. Es ist jedoch widersprüchlich, wenn das Landesarbeitsgericht diesen Umstand als verdachtsmindernd bewertet. Er hätte im Gegenteil als ein Umstand gewertet werden müssen, der den Verdacht bestärkt. Wäre die Auffassung des Landesarbeitsgerichts richtig, könnte der in Verdacht geratene Arbeitnehmer den an sich bestehenden Verdacht stets dadurch entkräften, dass er aus – berechtigter – Sorge, er könne gekündigt werden, die Unwahrheit sagt und zwar selbst in solchen Punkten, die er später als nebensächlich und harmlos wertet. Das widerspricht dem Sinn der Anhörungspflicht vor Verdachtskündigungen. Sie soll zwar dem Arbeitnehmer Entlastungsmöglichkeiten bieten, aber nicht durch falsche, sondern durch wahre Aussagen. Außerdem widerspricht die Auffassung des Landesarbeitsgerichts noch aus einem weiteren Grund den Anforderungen an die Verdachtskündigung. Mit der Verdachtskündigung soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass in bestimmten Situationen das Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien durch Verdachtsmomente so stark gestört sein kann, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist. Im Kern geht es also darum, ob mit einer Wiederherstellung des Vertrauens gerechnet werden kann oder nicht. Vertrauen zwischen Vertragsparteien setzt jedoch Wahrhaftigkeit in vertragswesentlichen Fragen voraus. Dem widerspräche es, wenn zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt würde, dass er in einer für den Arbeitgeber erkennbar wesentlichen Frage die Unwahrheit sagt, um sich der möglicherweise berechtigten Reaktion zu erwehren.
[44] (3) Vom Landesarbeitsgericht ist der Sachverhalt auch in weiterer Hinsicht unvollständig gewürdigt worden. Der Vergleich zwischen den Aussagen des Beteiligten zu 3. vor der Kriminalpolizei und gegenüber der Arbeitgeberin am 8. März 2006 sowie der Umstand, dass zwischenzeitlich mehrere von Frau K erhobene Vorwürfe erwiesen sind, lenkt das Augenmerk darauf, dass der Beteiligte zu 3. bei seiner Anhörung am 8. März 2006 spontan jedenfalls in wesentlich mehr Einzelpunkten die Unwahrheit gesagt hat als nach seiner Behauptung die Patientin K, aus deren Erkrankung das Landesarbeitsgericht auf deren nicht ausreichende Glaubwürdigkeit schließen will.
[45] (4) Nicht berücksichtigt hat das Landesarbeitsgericht auch, dass die Erklärungen des Beteiligten zu 3. vom 8. März 2006 in allen Punkten falsch waren, für die entweder Zeugen vorhanden waren oder andere – objektive – Nachweise zu Tage traten. Der Beteiligte zu 3. hat sein leugnendes Verhalten lediglich insoweit aufrechterhalten, als es um den Vorgang ging, für den es aufgrund des tragischen Todes der Patientin K keinen Zeugen gibt.
[46] (5) Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass es den Verdacht gegen den Beteiligten zu 3. erhärtet, dass er mehrfach heimlich – zum Teil sogar unter falschem Namen – privaten Kontakt zu Frau K suchte. Dies verdeutlicht, dass der Kläger selbst annahm, Grund zur Vertuschung seines Verhaltens zu haben. Das wiederum passt nicht gut zu seiner Einlassung, er habe gewissermaßen nur das Beste der Patientin gewollt.
[47] 3. Kann demnach die angefochtene Entscheidung mit der gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten bleiben, so kann der Senat schon deshalb nicht selbst in der Sache entscheiden, weil das Landesarbeitsgericht die Zeugin W vernehmen muss. Ferner wird das Landesarbeitsgericht auch zu erwägen haben, ob noch weitere Möglichkeiten der Aufklärung zugänglich sind. Es wird darauf Bedacht zu nehmen haben, dass ihm nach § 83 Abs. 1 ArbGG eine gegenüber dem Urteilsverfahren erweiterte Untersuchungspflicht obliegt. Denkbar erscheint ua. auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Glaubwürdigkeit der Aussagen der Patientin K. Das Landesarbeitsgericht wird die dabei gewonnenen Erkenntnisse neu zu würdigen haben und dabei die obigen Ausführungen beachten müssen. Sollten neue Tatsachen nicht zu Tage treten und der zur Würdigung stehende Tatsachenstoff sich nicht ändern, wäre zwar die Würdigung, der Verdacht sei nicht hinreichend dringend, noch immer nicht ausgeschlossen, bedürfte aber angesichts des Umstandes, dass in Gestalt der Zeugenaussagen und des eigenen Verhaltens des Beteiligten zu 3. sowie der oben dargestellten Überlegungen für den Beteiligten zu 3. bisher wenig spricht, einer neuen Begründung.