Bundesarbeitsgericht
Glasfaserverstärkter Kabelkanal – Kabelleitungstiefbau

BAG, Urteil vom 14. 12. 2011 – 10 AZR 570/10 (lexetius.com/2011,7086)

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Juli 2010 – 18 Sa 698/10 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
[1] Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte zur Zahlung von Beiträgen und Erteilung von Auskünften nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) in seiner jeweils geltenden und für allgemeinverbindlich erklärten Fassung verpflichtet ist.
[2] Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Der Beklagte betreibt ein Unternehmen zur Montage von glasfaserverstärkten Kunststoffkabelkanälen (GFK-Kanäle) im Bereich der Deutschen Bahn. Er ist bei der Stadt U mit dem Gewerbe "Montage von glasfaserverstärkten Kunststoffen, Kabeltiefbau, Verkehrswegebau" angemeldet und Mitglied der Berufsgenossenschaft für die Bauwirtschaft. Sein Betrieb wurde als Betrieb des Bauhauptgewerbes von der Bundesagentur für Arbeit zur Beschäftigungsumlage nach § 354 SGB III herangezogen. Der Beklagte montiert GFK-Kanäle entlang von Bahntrassen auf Stützen aus Kunststoff oder Stahl, die er überwiegend mit einer Rammglocke in den Boden einbringt. Bei Bedarf wird die Standfestigkeit durch Montageeisen (Winkel an beiden Seiten) erhöht. Verläuft das Gleis durch Tunnel oder über Brücken und Viadukte (ca. 25 % bis 30 % der Streckenabschnitte), werden Konsolen verwendet, die mit Hilfe von Bohrungen an der Wand oder mit Hilfe spezieller Vorrichtungen am Geländer angebracht werden. Vor der Installation eines Kabelkanals wird die Trasse festgelegt, freigeschnitten, eingemessen und abgesteckt. Nach Montage des Kabelkanals verlegen andere Unternehmen die Kabel. Nach Fertigstellung können die Signal- und Schrankenanlagen mit Strom versorgt und elektronisch gesteuert werden. GFK-Kanäle werden bei schwierigen Geländeverhältnissen verwendet; im Übrigen kommen auch Beton- und Stahltröge im Bereich der Deutschen Bahn zum Einsatz.
[3] Der betriebliche Geltungsbereich des VTV ist nach seinem § 1 Abs. 2 ua. wie folgt geregelt:
"Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.
Abschnitt I
Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.
Abschnitt II
Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfasst, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen und Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. …
Abschnitt V
Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden: …
18. Gleisbauarbeiten; …
25. Rohrleitungsbau-, Rohrleitungstiefbau-, Kabelleitungstiefbauarbeiten und Bodendurchpressungen; …"
[4] Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Montage oberirdischer GFK-Kanäle sei eine bauliche Tätigkeit. Sie begehrt die Zahlung von Beiträgen für die Monate Juli 2007 bis Dezember 2007 und Februar 2008 bis November 2008 in unstreitiger Höhe. Für die Monate Januar 2009 bis September 2009 verlangt sie Auskunft über die Zahl der gewerblichen Arbeitnehmer und die geleisteten Bruttolohnsummen und für den Fall der nicht rechtzeitigen Auskunftserteilung die Zahlung einer Entschädigung.
[5] Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
1. an sie 27.875,12 Euro zu zahlen;
2. ihr auf dem von ihr zur Verfügung gestellten Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar 2009 bis September 2009 im Betrieb des Beklagten beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsummen und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten an-gefallen sind;
3. für den Fall, dass diese Pflicht zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an sie eine Entschädigungssumme iHv. 10.440,00 Euro zu zahlen.
[6] Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Lediglich das Einbringen der Stützen sei eine bauliche Leistung, dessen Zeitanteil nur bei 10 % bis 15 % liege.
[7] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
[8] Entscheidungsgründe: Die Revision ist unbegründet.
[9] I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 18 Abs. 1 VTV in seiner im Streitzeitraum geltenden Fassung einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Sozialkassenbeiträge.
[10] 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Betrieb dann vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, wenn arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschn. I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz oder Verdienst bzw. auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an. Für den Anwendungsbereich des VTV reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschn. I bis III zusätzlich geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschn. IV und V genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt werden, muss darüber hinaus geprüft werden, ob die ausgeübten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschn. I bis III erfüllen (st. Rspr., vgl. nur BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 190/10 – Rn. 11). Werden baugewerbliche Tätigkeiten iSd. Abschn. I bis V erbracht, sind ihnen diejenigen Nebenarbeiten ebenfalls zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen in Zusammenhang stehen (BAG 17. November 2010 – 10 AZR 845/09 – Rn. 20).
[11] 2. Es liegt nahe, dass der Betrieb des Beklagten bereits deshalb vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst wird, weil er arbeitszeitlich überwiegend Gleisbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 18 VTV erbringt.
[12] Zum Gleisbau gehören alle Arbeiten zur Herstellung und Erhaltung des Oberbaus von Schienenbahnen. Gleisbauarbeiten können beim Neubau von Gleisen und Weichen, bei ihrer Erneuerung und Unterhaltung anfallen (BAG 1. April 2009 – 10 AZR 593/08 – Rn. 20). Es spricht viel dafür, dass zu den Gleisbauarbeiten alle Arbeiten gehören, die notwendig sind, damit die Gleisanlage ihrer Zweckbestimmung als Fahrbahn für Schienenfahrzeuge (wieder) genügen kann. Regelmäßig genügt sie dieser Zweckbestimmung erst dann, wenn Schienenverkehr möglich ist. Dazu müssen die Signal- und Schrankenanlagen mit Strom versorgt und elektronisch gesteuert werden können. Dies ist ohne einen Kabelkanal entlang der Bahntrasse nicht möglich. Für die Montage von GFK-Kanälen an Bahntrassen gilt deshalb nichts anderes als für die Montage von Leitplanken entlang von Straßen. Kabelkanäle können ebenso als notwendige Bestandteile des Bauwerks "Gleisanlage" gesehen werden, wie Leitplanken, deren Montage zu den Straßenbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV gehört (BAG 15. November 2006 – 10 AZR 698/05 – Rn. 21, BAGE 120, 197) und die notwendige Bestandteile des Bauwerks "Straße" sind.
[13] 3. Auch wenn der Begriff der "Gleisbauarbeiten" eng ausgelegt wird und nur solche Arbeiten erfasst, die unmittelbar auf die Errichtung des Gleiskörpers und auf die Verlegung des Gleises bezogen sind, unterfällt der Betrieb des Beklagten dem betrieblichen Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 VTV. Die verrichteten Arbeiten sind jedenfalls Kabelleitungstiefbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV.
[14] a) Ein GFK-Kanal dient der Führung und damit der "Leitung" der in den Kabelkanal eingebrachten Kabel. Die Montage eines Kabelkanals ist deshalb "Kabelleitungsarbeit" im Tarifsinne. Gleichzeitig liegen Tiefbauarbeiten vor. Tiefbau ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Zweig der Bautechnik, der das Errichten von Bauwerken zu ebener Erde sowie in und unter der Erde umfasst. Dazu zählen Arbeiten des Straßen-, Eisenbahn-, Erd- und Grundbaus, des Wasserbaus sowie der Abwässerbeseitigung (BAG 8. Dezember 2010 – 10 AZR 710/09 – Rn. 18). Ein Kabelkanal ist ein Bauwerk, da er aufgrund seiner eigenen Schwere auf dem Erdboden ruht. Seine Montage ist dem Tiefbau zuzurechnen, wenn er zu ebener Erde errichtet wird (BAG 24. August 1994 – 10 AZR 67/94 – zu II 3 b der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 182).
[15] b) Dies ist vorliegend der Fall, auch wenn die GFK-Kanäle nicht unmittelbar auf dem Erdboden aufliegen, sondern überwiegend auf Stützen montiert werden. Diese Stützen werden mit einer Ramme im Erdreich verankert und bei Bedarf durch Winkel stabilisiert. Schließlich macht es für die Annahme von Kabelleitungstiefbauarbeiten keinen Unterschied, ob der Kanal aus Beton oder aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt wird. Beides sind gebräuchliche Materialien im Hoch- und Tiefbau.
[16] c) Entgegen der Auffassung der Revision liegen Kabelleitungstiefbauarbeiten im Tarifsinne nicht nur dann vor, wenn der Betrieb auch die Kabel verlegt. Gegenstand der Kabelleitungstiefbauarbeiten ist die Errichtung der für die Führung der Kabel benötigten "Kabelleitung". Dies ist der GFK-Kanal. Die bloße Verlegung der Kabel ist gerade keine bauliche Tätigkeit (BAG 26. September 2001 – 10 AZR 669/00 – zu II 2 a der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 244 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 110; 24. August 1994 – 10 AZR 67/94 – zu II 3 a der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 182; 18. Januar 1984 – 4 AZR 41/83BAGE 45, 11). Arbeiten des Elektroinstallationsgewerbes sind vielmehr nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 12 ausdrücklich vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen. Montiert ein Betrieb den zur Führung der Kabel bestimmten Kanal und verlegt er auch die Kabel, liegt zwar ein einheitlicher Arbeitsvorgang vor, der den Kabelleitungstiefbauarbeiten zugerechnet wird (BAG 26. September 2001 – 10 AZR 669/00 – zu II 2 a der Gründe, aaO); notwendige Voraussetzung für die Annahme von Kabelleitungstiefbauarbeiten ist das Verlegen der Kabel jedoch nicht.
[17] II. Der Auskunftsanspruch folgt aus § 21 Abs. 1 VTV, der Anspruch auf Entschädigung für den Fall der Nichterteilung der Auskunft aus § 61 Abs. 2 ArbGG. Die Klägerin hat die Entschädigung auf Grundlage eines Prüfberichts der Bundesagentur für Arbeit berechnet und ist für den Auskunftszeitraum von acht gewerblichen Arbeitnehmern ausgegangen. Einwände gegen die Höhe der Entschädigung hat der Beklagte nicht geltend gemacht.
[18] III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.