Bundesverwaltungsgericht
BVerwG, Beschluss vom 20. 1. 2014 – 2 B 89.13; VGH Mannheim (lexetius.com/2014,4732)
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 20. Januar 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 18. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
[1] 1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG) ist unbegründet.
[2] 2 1. Der Beklagte steht als Bundesbahnamtsrat (BesGr A12 BBesO) im Dienst der Bundesrepublik Deutschland. Seit Ende des Jahres 2000 war er nach § 13 SUrlV für eine Tätigkeit bei einem Konzernunternehmen der … beurlaubt. Mit Auflösung des Arbeitsvertrages mit der … mit Ablauf des 31. Juli 2008 endete auch die Beurlaubung. Mit Verfügung vom 11. September 2008 enthob der Kläger den Beklagten vorläufig des Dienstes. Gegenstand der gegen den Beklagten erhobenen Disziplinarklage ist der Vorwurf, in den Jahren 1995 bis 1998 in Bezug auf sein Amt von einem Bauunternehmer Geschenke und geldwerte Vorteile – ein Motorrad im Wert von 24 800 DM, zwei Kurse "Motorrad – Perfektionstraining" im Wert von 1 395 DM und 1 455 DM sowie zahlreiche Essenseinladungen im Wert von 1 253 DM – angenommen zu haben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Entfernung aus dem Dienst sei nicht angebracht. Die erforderliche Maßnahme der Zurückstufung könne wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr verhängt werden. Im Berufungsverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof den Komplex "Einladungen zum Essen" aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden. Auf die Berufung des Klägers hat er das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
[3] 3 Die Zuwendungen des Gebers beruhten maßgeblich auf der dienstlichen Stellung und der Tätigkeit des Beklagten. Dem Geber sei es im Rahmen seiner vielfältigen Geschäftskontakte mit der … im Zusammenhang mit einem Bauprojekt darum gegangen, sich auch den Beklagten gewogen zu machen. Diese Absicht sei dem Beklagten auch bekannt gewesen. Das Dienstvergehen wiege so schwer, dass der Beklagte das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Milderungsgründe, die ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen könnten, lägen nicht vor.
[4] 4 2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG).
[5] 5 Der Beklagte sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in folgender Frage:
"Hat ein Beamter den Straftatbestand des § 331 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 20. August 1997 durch verbotene Annahme eines Geschenks gem. § 70 BBG alt verwirklicht, und ist Strafverfolgungsverjährung eingetreten, darf dann ein strafrechtlicher Verstoß gem. § 331 Abs. 1 StGB trotz Verfolgungsverjährung beim Disziplinarmaß als zusätzlicher Erschwernisgrund zu Lasten des Beamten gewertet werden?"
[6] 6 Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine – vom Beschwerdeführer zu bezeichnende – grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr., u. a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 [91 f.]). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die aufgeworfene Frage lässt sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens an Hand des Wortlauts des Gesetzes und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend beantworten, dass der Umstand der Erfüllung des Straftatbestandes im Rahmen des § 13 BDG bei der gebotenen Gesamtabwägung aller be- und entlastenden Umstände zu berücksichtigen ist.
[7] 7 Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDG kann das Verwaltungsgericht auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme erkennen. Es ist nicht an tatsächliche Feststellungen oder disziplinarrechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden. Das Verwaltungsgericht klärt den Sachverhalt in Bezug auf die Handlungen, die dem Beamten in der Disziplinarklage zur Last gelegt werden, und in Bezug auf die bemessungsrelevanten Gesichtspunkte selbst umfassend auf und würdigt die Beweise (§ 58 Abs. 1 BDG sowie § 86 Abs. 1 und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hält das Verwaltungsgericht ein Dienstvergehen für erwiesen und steht dessen Sanktionierung kein rechtliches Hindernis entgegen, bestimmt es die Disziplinarmaßnahme nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG aufgrund einer eigenständigen Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände. Hierunter fallen alle Tatsachen, die im Einzelfall für die Schwere des nachgewiesenen Dienstvergehens, das Persönlichkeitsbild des Beamten und den Umfang der Beeinträchtigung des in ihn gesetzten Vertrauens bedeutsam sind (Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 62.11 – NVwZ-RR 2013, 693 Rn. 31, stRspr).
[8] 8 Das gesetzliche Gebot der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände trägt dem Zweck der Disziplinarbefugnis Rechnung. Dieser besteht nicht darin, begangenes Unrecht zu vergelten. Vielmehr geht es darum, die Integrität des Berufsbeamtentums und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung aufrechtzuerhalten. Daher ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, ob ein Beamter, der in vorwerfbarer Weise gegen Dienstpflichten verstoßen hat, nach seiner Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist und falls dies zu bejahen ist, durch welche Disziplinarmaßnahme auf ihn eingewirkt werden muss, um weitere Pflichtenverstöße zu verhindern (stRspr; vgl. zuletzt Beschluss vom 16. Mai 2012 – BVerwG 2 B 3.12 – NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 5).
[9] 9 Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG ist richtungweisend für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des einheitlichen Dienstvergehens. Für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts generelle Maßstäbe für einzelne Fallgruppen entwickelt. Danach sind bestimmte innerdienstliche Pflichtenverstöße als so gewichtig einzustufen, dass grundsätzlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert ist.
[10] 10 Dem Verbot der Vorteilsannahme in Bezug auf das Amt kommt als Bestandteil der Dienstpflicht zur uneigennützigen Amtsführung herausragende Bedeutung zu. Ein Beamter, der hiergegen verstößt, zerstört regelmäßig das Vertrauen, das für eine weitere Tätigkeit als Beamter, d. h. als Organ des Staates, erforderlich ist. Eine rechtsstaatliche Verwaltung ist auf die berufliche Integrität des Berufsbeamtentums zwingend angewiesen. Jeder Eindruck, ein Beamter sei für Gefälligkeiten offen oder käuflich, beschädigt das unverzichtbare Vertrauen in die strikte Bindung des Verwaltungshandelns an Recht und Gesetz und damit die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung (Urteile vom 22. Oktober 1996 – BVerwG 1 D 76.95 – BVerwGE 113, 4 [5] und vom 28. Februar 2013 a. a. O. Rn. 41).
[11] 11 Hat sich der Beamte der Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, so ist seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis indiziert. Die disziplinarische Höchstmaßnahme ist gerechtfertigt, weil das Verbot der Vorteilsannahme in besonders schwerer Weise missachtet wird. Denn der Beamte hat sich bereit erklärt, als Gegenleistung für einen Vorteil eine rechtswidrige Diensthandlung vorzunehmen. Darüber hinaus ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei strafbarem Verhalten nach § 331 Abs. 1 StGB (Vorteilsannahme im strafrechtlichen Sinne) im Regelfall angezeigt, wenn ein Beamter als Inhaber eines hervorgehobenen Amtes oder einer dienstlichen Vertrauensstellung für die Dienstausübung einen mehr als unerheblichen Vorteil fordert oder annimmt. Auch in diesen Fällen muss eine Unrechtsvereinbarung zustande kommen, d. h. der Beamte muss eine Beziehung zwischen Vorteil und Dienstausübung herstellen. Seit der Erweiterung des Straftatbestandes des § 331 Abs. 1 StGB durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 (BGBl I S. 2038) muss sich diese Vereinbarung nicht mehr auf eine konkrete dienstliche Handlung beziehen. Vielmehr reicht es aus, dass durch den Vorteil das allgemeine Wohlwollen des Beamten bei der Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erkauft werden soll. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte keine Bereitschaft zur Missachtung von Recht und Gesetz hat erkennen lassen (Urteil vom 28. Februar 2013 a. a. O. Rn. 44 m. w. N.).
[12] 12 Entsprechend dem vom Strafverfahren abweichenden Zweck des Disziplinarrechts, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu sichern, sind der Umstand einer etwaigen strafgerichtlichen Verurteilung sowie die Höhe der Kriminalstrafe für die Gewichtung des einheitlichen Dienstvergehens nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme maßgebliche Vertrauensbeeinträchtigung im Sinne von § 13 BDG hängt in erster Linie von der Straftat selbst und ihren Umständen ab (Urteil vom 8. März 2005 – BVerwG 1 D 15.04 – Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24 S. 16 m. w. N.).
[13] 13 Dieser gegenüber dem Strafverfahren andersartige Zweck des Disziplinarverfahrens ist auch für die von den Verjährungsvorschriften des Strafgesetzbuchs abweichende Behandlung des Aspekts des Zeitablaufs nach der Begehung des Dienstvergehens bestimmend. Nach § 15 BDG greift das Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs bei den dort im Einzelnen aufgeführten pflichtenmahnenden (erzieherischen) Maßnahmen. Besteht zwischen der Verfehlung und der disziplinarischen Reaktion keine ausreichende Nähe mehr, die eine solche erzieherische Maßnahme im dienstlichen Interesse noch sinnvoll erscheinen ließe, hat eine Ahndung zu unterbleiben. Eine dennoch erfolgende Disziplinierung käme einer dem Disziplinarrecht fremden Vergeltung gleich (Weiß, in: GKÖD, Bd. II, Teil 4, Stand: Lfg. 2/12 BDG § 15 Rn. 2). Hat das Dienstvergehen zu einem endgültigen Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit geführt (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG), bleiben dagegen die beiden Maßnahmen der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und der Aberkennung des Ruhegehalts, die nicht dem individuellen Erziehungszweck, sondern dem ungeachtet des Zeitablaufs zu wahrenden Interesse an der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes dienen, stets zulässig. Ist der Beamte wegen seines Dienstvergehens auf Dauer untragbar geworden, so ändert auch der Zeitablauf hieran nichts (Beschluss vom 30. August 2012 – BVerwG 2 B 21.12 – juris Rn. 15).