Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 14. 1. 2015 – XII ZB 352/14; LG Regensburg (lexetius.com/2015,100)

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2015 durch die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Regensburg – 5. Zivilkammer – vom 30. Mai 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €
[1] Gründe: I. Der Betroffene wendet sich gegen die Anordnung der Betreuung.
[2] Der Betroffene, der an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt ist, befindet sich derzeit aufgrund eines rechtskräftigen Strafurteils im Maßregelvollzug nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Bezirkskrankenhaus.
[3] Auf Anregung des Krankenhauses hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und der persönlichen Anhörung des Betroffenen eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge und
[4] Aufenthaltsbestimmung für nervenärztliche Behandlung angeordnet und den Beteiligten zu 1 zum Betreuer bestellt.
[5] Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen ohne dessen erneute Anhörung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.
[6] II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht.
[7] 1. Das Beschwerdegericht hat die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung nach § 1896 Abs. 1 BGB bejaht und zur Begründung folgendes ausgeführt:
[8] Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten leide der Betroffene an einer paranoiden Schizophrenie, wobei differenzialdiagnostisch auch an eine schizotype Störung gedacht werden müsse. Aufgrund der bestehenden psychischen Erkrankung des Betroffenen bestehe auch eine Betreuungsbedürftigkeit.
[9] Nach der aktuellen Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses willige der Betroffene nicht in eine medikamentöse Behandlung ein, die bei einer schizophrenen Erkrankung aber die wichtigste therapeutische Maßnahme sei. Ein milderes Mittel komme nicht in Betracht. Von einer nochmaligen Anhörung des Betroffenen habe gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen werden können, da hieraus kein neuer Erkenntnisgewinn zu erwarten gewesen sei.
[10] 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[11] a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB.
[12] aa) Nach dieser Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene – wie hier – der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10FamRZ 2011, 630 Rn. 3). Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10FamRZ 2011, 630 Rn. 8).
[13] Die Begriffe der freien Willensbestimmung in § 1896 Abs. 1 a BGB und in § 104 Nr. 2 BGB sind, wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10FamRZ 2011, 630 Rn. 7 und vom 26. Februar 2014 – XII ZB 577/13FamRZ 2014, 830 Rn. 13), im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln.
[14] Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Erforderlich ist sein Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 – XII ZB 577/13FamRZ 2014, 830 Rn. 14).
[15] Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10FamRZ 2011, 630 Rn. 8 mwN).
[16] Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn der Betroffene imstande ist, nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 – XII ZB 577/13FamRZ 2014, 830 Rn. 16).
[17] bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, da sie sich zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 a BGB nicht verhält. Insoweit fehlt es auch an den erforderlichen Feststellungen. Insbesondere ergibt sich aus dem vom Beschwerdegericht zur Begründung seiner Entscheidung in Bezug genommenen Sachverständigengutachten nicht, ob der Betroffene zur Bildung eines freien Willens i. S. v. § 1896 Abs. 1 a BGB in der Lage ist.
[18] Die Sachverständige kommt in ihrem Gutachten zwar zu dem Ergebnis, dass bei dem Betroffenen aufgrund der festgestellten psychischen Störung die Indikation für eine Betreuung im Bereich der Gesundheitsfürsorge und insoweit auch für den Bereich der Aufenthaltsbestimmung gegeben ist. Im Übrigen führt die Sachverständige jedoch nur aus, dass es aufgrund der Störung und der unterschiedlichen Ausprägung der Störung schwer zu beurteilen sei, ob der Betroffene in die Maßnahme einwilligen könne. Bei einem nicht vorhandenen Krankheitsbewusstsein müsse man aber wohl davon ausgehen, dass dem Betroffenen eine Einwilligung in diese Maßnahmen letztlich nicht möglich sei. Ob dem Betroffenen krankheitsbedingt die Fähigkeit fehlt, einen freien Willen zu bilden und die Bedeutung der Einrichtung einer Betreuung für seine Lebensgestaltung zu erkennen, hat die Sachverständige damit nicht festgestellt.
[19] Da der Betroffene in dem bei seiner Anhörung vorgelegten Schreiben vom 24. November 2013 ausdrücklich die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt hat, durfte ohne entsprechende Feststellungen zu § 1896 Abs. 1 a BGB keine Betreuung angeordnet werden. Dass gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2012 – XII ZB 502/11FamRZ 2012, 869 Rn. 19).
[20] b) Die angefochtene Entscheidung ist auch deshalb fehlerhaft, weil das Beschwerdegericht entgegen § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht auf den gegenüber der Betreuungsbehörde ausdrücklich geäußerten Wunsch des Betroffenen, seine Mutter zur Betreuerin zu bestellen, eingegangen ist.
[21] aa) Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB hat das Betreuungsgericht dem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 – XII ZB 165/10FamRZ 2011, 285 Rn. 14).
[22] bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht hat sich nicht mit dem Wunsch des Betroffenen, seine Mutter zur Betreuerin zu bestellen, befasst.
[23] 3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
[24] 4. Die Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben und, weil die Sache in tatsächlicher Hinsicht noch nicht ausreichend aufgeklärt ist, an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
[25] Dies gibt dem Beschwerdegericht Gelegenheit, im Rahmen der persönlichen Anhörung die Willenskundgabe des Betroffenen zu überprüfen und wegen der Frage, ob die Bestellung der Mutter zur Betreuerin möglicherweise dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft, weitere Ermittlungen anzustellen.