Zulässigkeit von Fragebogen im Schuldienst des Freistaats Sachsen

BAG, Mitteilung vom 7. 9. 1995 – 43/95 (lexetius.com/1995,468)

[1] Die Klägerin war Diplomlehrerin in der ehemaligen DDR und steht seit dem 3. Oktober 1990 im Schuldienst des beklagten Landes. Sie wurde im März 1991 aufgefordert, ein als Erklärung bezeichnetes Formular auszufüllen. Darin waren Fragen nach einer Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit, nach Funktionen in politischen Parteien oder Massenorganisationen sowie nach Ausbildung und früheren Beschäftigungen, insbesondere auf Leitungsebene, enthalten. Die Klägerin ist der Auffassung, sie müsse eine solche Erklärung nicht abgeben. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen.
[2] Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts im wesentlichen bestätigt: Der Arbeitnehmer ist nach seiner Einstellung verpflichtet, Anfragen zu seiner Vor- und Ausbildung zu beantworten, wenn davon auszugehen ist, daß die bei der Einstellung abgegebenen Erklärungen und danach erfolgte Ergänzungen nicht mehr vorhanden sind. In der ehemaligen DDR bestand nach dem sog. Modrow-Erlaß die Möglichkeit, die Personalakten zu "bereinigen". Der neue Arbeitgeber kann deshalb nicht von der Vollständigkeit übernommener Personalunterlagen ausgehen. Er hat deshalb schon wegen den nach § 1 Abs. 2 KSchG (Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz) und § 1 Abs. 3 KSchG (Soziale Auswahl) bestehenden Verpflichtungen ein berechtigtes Interesse, über die Vor- und Ausbildung des Arbeitnehmers unterrichtet zu sein. Der Arbeitnehmer ist dagegen im Regelfall nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben, wenn nicht besondere rechtliche Grundlagen hierfür bestehen. Nach § 1 Abs. 2 S 4 KSchG ist es Sache des Arbeitgebers, die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die eine Kündigung rechtfertigen. Eine vorprozessuale Auskunftspflicht des Arbeitnehmers stünde hierzu im Widerspruch. Das beklagte Land ist nach dem Grundgesetz verpflichtet, nur solche Lehrer einzusetzen, die zu den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes stehen. Der Individualschutz des Arbeitnehmers hat zurückzutreten, soweit es um die Sicherstellung dieser Aufgabe geht. Daher sind solche Fragen zulässig, die Zweifel an der Eignung eines Lehrers im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit betreffen. Hierzu gehören die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit und Funktionen in politischen Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR (vgl. zu Fragen im Tendenzbetrieb BAG, Beschluß vom 21. 9. 1993 – 1 ABR 28/93 –, AP Nr. 4 zu § 94 BetrVG 1972, zu B II 3c, d der Gründe).
[3] Der Senat hat dagegen die folgende Frage als unzulässig erachtet:
[4] "Falls die Fragen 1. 1 und 1. 2 ("Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit") mit Nein beantwortet werden: Haben Sie solche Kontakte gehabt, die zu Ihrer Anwerbung führen sollten, was Sie aber ablehnten? Ja/Nein Wenn ja: Wann und zu welcher Aufgabe sollten Sie verpflichtet werden?"
[5] Es besteht kein berechtigtes Interesse des beklagten Landes, über erfolglose Anwerbungsversuche unterrichtet zu werden, weil die Eignung des Lehrers hierdurch nicht berührt wird.
BAG, Urteil vom 7. 9. 1995 – 8 AZR 828/93; LAG Chemnitz