Bundesverfassungsgericht

BVerfG, Beschluss vom 18. 8. 1999 – 1 BvR 2102/98 (lexetius.com/1999,1712)

[1] In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau H., Mühlenstraße 59, Leer, – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Frank Schneider, Altenbergstraße 3, Stuttgart – gegen den Beschluß des Gerichtshofs für die Heilberufe Niedersachsen vom 30. September 1998 – 2 S 2/98 – hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Steiner gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. August 1999 einstimmig beschlossen:
[2] Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
[3] Gründe: I. 1. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluß des Gerichtshofs für die Heilberufe Niedersachsen, mit dem ihr Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens, in dem sie rechtskräftig zur Zahlung einer Geldbuße verurteilt worden war, als unzulässig verworfen wurde.
[4] 2. Die Beschwerdeführerin, eine selbständige Apothekerin, war von einem Berufsgericht wegen eines Berufsvergehens (übertriebene Werbung) zu einer Geldbuße von 3.000 DM verurteilt worden. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde ein, die nicht zur Entscheidung angenommen wurde, da insbesondere die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 94, 372 ff.) zwischenzeitlich geklärt waren. In diesem Beschluß waren bestimmte Werbeverbote für Apotheker als verfassungsrechtlich unzulässig eingestuft worden. Darauf beantragte die Beschwerdeführerin, die die Geldbuße bereits gezahlt hatte, erfolglos die Wiederaufnahme des berufsgerichtlichen Verfahrens.
[5] 3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die Wiederaufnahme des Verfahrens analog § 79 Abs. 1 BVerfGG sei zwingend geboten gewesen. Ein Absehen von dieser Analogie stelle einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG, dar.
[6] II. Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
[7] 1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu, da die verfassungsrechtlichen Fragen der Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch Auslegung von Normen hinreichend geklärt ist (BVerfGE 87, 273 [279 f.]; 96, 375 [394 f.]). Auch § 79 Abs. 1 BVerfGG ist Gegenstand von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gewesen (BVerfGE 11, 263 [265]; 12, 338 [340]).
[8] 2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
[9] Die Entscheidung des Gerichtshofs für die Heilberufe Niedersachsen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet nicht zwingend eine analoge Anwendung von § 79 Abs. 1 BVerfGG auf Fälle der vorliegenden Art.
[10] Die vorstehend zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich vor allem auf Fälle der richterlichen Rechtsfortbildung über den Wortlaut einer Norm hinaus. Hier steht die Auslegung der einschlägigen Norm durch das Berufsgericht jedoch mit ihrem Wortlaut und ihrer Entstehungsgeschichte im Einklang. Rechtsstaatliche Grundsätze, die dieser Auslegung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Ob eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 1 BVerfGG einfachrechtlich vorzuziehen wäre, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden.
[11] Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
[12] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.