Bundesgerichtshof
Bei Übereignung einer Sachgesamtheit durch Raumübereignung ist dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügt, wenn die Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen ergibt, daß für einen geringen Teil der Gegenstände zwar eine Übereignung gewollt, aber ein schuldrechtlicher Rückübertragungsanspruch vereinbart ist.
BGH, Urteil vom 3. 7. 2000 – II ZR 314/98; OLG Dresden; LG Dresden (lexetius.com/2000,1521)
[1] Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h. c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke für Recht erkannt:
[2] Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 10. September 1998 im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. Die Berufung der Beklagten gegen das Teil-Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 2. März 1995 wird zurückgewiesen. Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren je zur Hälfte.
[3] Tatbestand: Der Kläger ist der Auffassung, er sei Eigentümer der Mustersammlung der S. D. Er nimmt die Beklagten im Wege der Stufenklage auf Auskunft über den gegenwärtigen Bestand der Sammlung und Feststellung seines Eigentums, hilfsweise des Bestehens von Schadensersatzansprüchen, in Anspruch.
[4] Die Mustersammlung stand im Eigentum der S. D. GmbH (im folgenden: GmbH), die durch Umwandlung aus dem VEB S. D. hervorgegangen war. Durch notariellen Vertrag vom 19. Dezember 1991 vereinbarten die Treuhandanstalt, die frühere Alleingesellschafterin der GmbH, einerseits und die neue Alleingesellschafterin der GmbH, die M. S. A., sowie die GmbH selbst andererseits, daß die GmbH sämtliche Ausstellungstücke, die als Mustersammlung unter B I 3a ihrer DM-Eröffnungsbilanz aufgeführt und mit 1.224.139,42 DM aktiviert waren, auf erstes Anfordern der Treuhandanstalt unentgeltlich dem Kläger oder einem Dritten übertragen werde. Im Gegenzug verzichtete die Treuhandanstalt auf die in der Eröffnungsbilanz ausgewiesene Ausgleichsverbindlichkeit von 1.167.447,33 DM.
[5] Der überwiegende Teil der Mustersammlung war im Hauptgebäude der GmbH in Fr. untergebracht, und zwar im Mustersaal (III. Stock links), im Raum Malereimuster (II. Stock rechts) und im Weißboden (IV. und V. Stock). Zur Umsetzung der notariellen Vereinbarung vom Dezember 1991 schloß die GmbH mit dem Kläger im Oktober und Dezember 1992 eine Reihe von Verträgen. Unter anderem überließ sie dem Kläger durch Vertrag vom 5. Oktober 1992 die genannten Räume zur Nutzung, und beide einigten sich über den Übergang des Eigentums an der Sammlung.
[6] Hinsichtlich derjenigen Teile der Sammlung, die sich nicht in den erwähnten Räumen befanden, vereinbarten der Kläger und die GmbH durch Vertrag vom 6./7. Oktober 1992 folgendes: Soweit sie nicht bereits durch eine rote Numerierung und/oder ein rotes "M" gekennzeichnet waren, sollten sie in den folgenden Tagen mit einer roten Markierung versehen werden; der Kläger als Eigentümer stellte die Stücke ab sofort der GmbH leihweise zur Verfügung. Aus praktischen Gründen erhielten die danach noch zu kennzeichnenden Musterstücke dann allerdings nicht eine rote Markierung, sondern wurden mit einem Etikett mit dem Aufdruck "F. S." versehen.
[7] Unter dem 16. Dezember 1992 kamen der Kläger und die GmbH überein, daß der Kläger auch die in den ihm zur Nutzung überlassenen Räumen verwahrten Teile der Mustersammlung an die GmbH auslieh.
[8] Nachdem über das Vermögen der GmbH am 4. Februar 1993 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden war, veräußerte der Beklagte zu 1 mit notariell beurkundetem Vertrag vom 11. Mai 1993 u. a. die Mustersammlung an den Beklagten zu 2. Am selben Tage schlossen die Beklagten eine Vereinbarung, in der der Beklagte zu 2 sich verpflichtete, die Kosten eines voraussichtlich von dem Beklagten zu 1 wegen der Mustersammlung gegen den Kläger zu führenden Anfechtungsprozesses bis zum Höchstbetrag von 80. 000, – DM zu übernehmen.
[9] Durch Teilurteil vom 2. März 1995 hat das Landgericht Dresden dem Auskunftsbegehren des Klägers – mit einer Einschränkung bezüglich des sogenannten Weißwarenlagers – stattgegeben. Die Berufung des Klägers führte zum Wegfall der Einschränkung, die Berufung der Beklagten zur Abweisung des Auskunftsantrags. Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Berufungsurteil vom 10. Oktober 1996, soweit es zum Nachteil des Klägers ergangen war, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (Senat, Urt. v. 1. Dezember 1997 – II ZR 312/96). Mit Urteil vom 10. September 1998 hat das Berufungsgericht die Entscheidung des Landgerichts geändert: Der Beklagte zu 2 ist unter Zurückweisung seiner Berufung im übrigen und Abweisung der weitergehenden Auskunftsklage verurteilt worden, dem Kläger unter Beifügung einer aktuellen Liste Auskunft darüber zu erteilen, welche Stücke der Mustersammlung der S. mit einem Etikett mit der Aufschrift "F. S." versehen oder mit einem roten "M" beschriftet sind. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die uneingeschränkte Verurteilung beider Beklagten zur Auskunftserteilung entsprechend der landgerichtlichen Entscheidung.
[10] Entscheidungsgründe: Die Revision führt zur Wiederherstellung des Teilurteils des Landgerichts, soweit es dem Auskunftsbegehren des Klägers stattgegeben hat, und damit zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen jenes Teilurteil.
[11] I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger sei Eigentümer nur derjenigen Stücke der Mustersammlung geworden, die mit einem roten "M" gekennzeichnet oder mit einem Etikett mit dem Aufdruck "F. S." versehen waren. Hinsichtlich der übrigen Teile der Sammlung liege eine wirksame Übereignung nicht vor, weil dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz insoweit nicht Genüge getan sei. Es habe – ausgenommen die Kennzeichnung mit einem roten "M" oder dem Etikett mit dem Aufdruck "F. S." – keine eindeutigen äußeren Abgrenzungskriterien gegeben, die eine Zuordnung der einzelnen Stücke zu der Sammlung ermöglicht hätten. Auch an einer klaren räumlichen Absonderung habe es gefehlt, weil sich in den dem Kläger zur Nutzung überlassenen Räumlichkeiten auch Porzellanteile befunden hätten, die ihm nicht hätten übereignet werden sollen.
[12] Der Beklagte zu 2 habe dem Kläger Auskunft über die in der bezeichneten Weise gekennzeichneten Teile der Sammlung zu erteilen. Diese Teile habe der Beklagte zu 2 nicht von dem Beklagten zu 1 zu Eigentum erworben, da letzterer zu einer Verfügung über das Eigentum des Klägers nicht berechtigt und der Beklagte zu 2, wie der Vereinbarung beider Beklagten bezüglich des voraussichtlich gegen den Kläger zu führenden Anfechtungsprozesses zu entnehmen sei, nicht gutgläubig i. S. des § 932 Abs. 2 BGB gewesen sei.
[13] Gegen den Beklagten zu 1 stehe dem Kläger ein Auskunftsanspruch nicht zu. Der Beklagte zu 1 sei weder mittelbarer noch unmittelbarer Besitzer der Mustersammlung. Er könne die Auskunft auch nicht unschwer erteilen, da nicht festgestellt werden könne, daß er Zugang zu den Räumen habe, in denen die Sammlung untergebracht ist. Da dem Kläger gegen den Beklagten zu 2 ein Auskunftsanspruch zustehe, könne er von dem Beklagten zu 1 nicht verlangen, daß dieser sich die zur Auskunftserteilung notwendigen Kenntnisse von dem Beklagten zu 2 verschaffe.
[14] Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht in allen Punkten stand. Das Berufungsgericht hat den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht richtig angewandt und die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs des Klägers gegenüber dem Beklagten zu 1 verkannt.
[15] II. Beide Beklagten sind dem Kläger zur Auskunft über den gegenwärtigen Bestand der Mustersammlung verpflichtet.
[16] 1. Der Kläger ist Ende 1992 Eigentümer der Sammlung geworden, die in Position BI3a der DM-Eröffnungsbilanz der GmbH aufgeführt ist. Dem für die Übereignung einer Sachgesamtheit geltenden Bestimmtheitsgrundsatz ist – wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat – genügt, wenn es auf Grund einfacher äußerer Abgrenzungskriterien für jeden, der die Parteiabreden kennt, ohne weiteres ersichtlich ist, welche individuell bestimmten Sachen übereignet worden sind (Senat, Urt. v. 13. Januar 1992 – II ZR 11/91, NJW 1992, 1161 m. w. N.). Solche Abgrenzungskriterien waren vorliegend gegeben. Eines war räumlicher Natur. Es betraf die in den vom Kläger gemieteten Räumen der GmbH aufbewahrten Musterstücke. Das andere betraf die außerhalb dieser Räume befindlichen Teile der Sammlung und bestand in Markierungen, die sie eindeutig als zur Mustersammlung gehörig auswiesen.
[17] a) Nach den Vereinbarungen des Klägers und der GmbH sollte der Kläger Eigentümer aller Porzellanteile werden, die in den von ihm zu nutzenden Räumen gelagert waren, so daß insoweit von Raumübereignung auszugehen ist. Daß in den Räumen auch nicht zur Mustersammlung gehörendes Porzellan lagerte, steht der Annahme einer Raumübereignung nicht entgegen. Es handelte sich nach der vom Berufungsgericht zitierten Aussage der Zeugin K. nur um eine verhältnismäßig geringe Menge. Nach den Vereinbarungen der Parteien hatte die GmbH insoweit einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rückübertragung, der durch Entnahme der betroffenen Stücke im Wege der Selbsthilfe zu erfüllen war. Der Aussage des Zeugen Rechtsanwalt B. zufolge hat er den Schlüssel zu den gemieteten Räumen nur deshalb nicht für den Kläger als Erwerber mitgenommen, sondern Aufbewahrung des Schlüssels an einem nicht allgemein, aber für den Geschäftsführer der GmbH zugänglichen Ort vereinbart, um der GmbH die Entnahme einzelner Muster für die laufende Produktion, die ihr auf Grund des verabredeten Leihverhältnisses gestattet war, zu ermöglichen.
[18] b) Die außerhalb der dem Kläger überlassenen Räume befindlichen Stücke der Mustersammlung trugen oder erhielten Markierungen, die ihre Unterscheidung von nicht zur Sammlung gehörenden Porzellanteilen ermöglichten. Sie waren der Vereinbarung des Klägers und der GmbH vom 6./7. Oktober 1992 zufolge mit einer roten Numerierung und/oder einem "M", der Aussagen der Zeugin K. zufolge teilweise auch nur mit einem roten Punkt gekennzeichnet; soweit sie noch keine Markierung trugen, wurden sie, wie das Berufungsgericht – von der Revision unangegriffen – festgestellt hat, mit einem Etikett mit dem Aufdruck "F. S." versehen.
[19] 2. Da der Kläger nach dem Vorstehenden Eigentümer der gesamten Mustersammlung ist, trifft den Beklagten zu 2 nicht eine auf bestimmte Teile der Sammlung beschränkte, sondern eine umfassende Auskunftspflicht. Sie leitet sich, wie im Senatsurteil – II ZR 316/96 – vom 1. Dezember 1997 bereits im einzelnen ausgeführt wurde, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ab.
[20] Für den Beklagten zu 1 kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nichts anderes gelten. Daß er nicht Besitzer der Musterstücke ist, rechtfertigt noch nicht die Annahme, er könne die Auskunft nicht unschwer erteilen. Gegebenenfalls hätte er sich um entsprechende Informationen durch den Beklagten zu 2 bemühen müssen, die dieser ihm mit Rücksicht auf die am 11. Mai 1993 zum Nachteil des Klägers geschlossenen Vereinbarungen der Beklagten nicht hätte verweigern dürfen. Mit dem Grundsatz von Treu und Glauben wäre es nicht zu vereinbaren, könnte der Beklagte zu 1 den Kläger
[21] unter Hinweis auf ein ihm fehlendes Hausrecht darauf verweisen, sich die erforderliche Auskunft allein unmittelbar von dem Beklagten zu 2 zu beschaffen. Der Beklagte zu 1 hat die Mustersammlung an den Beklagten zu 2 veräußert, obwohl er, wie die Vereinbarung beider Beklagten betreffend die Kosten des voraussichtlich zu führenden Anfechtungsprozesses zeigt, zumindest mit der Möglichkeit rechnete, daß sie im Eigentum des Klägers stand.