Bundesverwaltungsgericht
Bauplanungsrecht
Innenbereich; Außenbereich; Ortsteil; Splittersiedlung; Siedlungsstruktur; Gemeindegrenze; Planungshoheit
Ob eine Bebauung eine Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) und damit Teil des Außenbereichs oder Ortsteil (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) und damit bebauungsrechtlicher Innenbereich ist, beurteilt sich nach der Siedlungsstruktur im Gebiet der jeweiligen Gemeinde (im Anschluss an Urteil vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 4C 7. 98 – Buchholz 406. 11 § 34 BauGB Nr. 193).
BVerwG, Beschluss vom 19. 9. 2000 – 4 B 49.00; OVG Koblenz; VG Trier (lexetius.com/2000,1975)
[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 19. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann und Prof. Dr. Rojahn beschlossen:
[2] Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Mai 2000 wird zurückgewiesen. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
[3] Gründe: I. Die Klägerin begehrt im Wege der bauaufsichtlichen Beanstandungsklage die Aufhebung eines Widerspruchsbescheids des beklagten Landkreises, mit dem die Bauaufsichtsbehörde verpflichtet wurde, dem Beigeladenen einen positiven Bauvorbescheid zu erteilen.
[4] Das Baugrundstück liegt in der Ortsgemeinde P. nördlich der Landesstraße und wird durch einen etwa 50 m bis 100 m tiefen Wiesenstreifen von der südlich angrenzenden Bebauung getrennt. Östlich und westlich vom Baugrundstück nördlich der L 16 stehen etwa 170 m bis 180 m voneinander entfernt jeweils zwei Wohnhäuser, die ebenso wie das Baugrundstück im Norden von Wald umgeben sind. Die Wohnhäuser östlich vom Baugrundstück werden durch eine Straße, die zugleich die Gemeindegrenze bildet, von einem Ortsteil der östlichen Nachbargemeinde O. getrennt.
[5] Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, weil das Baugrundstück im Außenbereich liege und das Bauvorhaben zu einer unerwünschten Verfestigung einer Splittersiedlung im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB führen würde. Der Beigeladene wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
[6] II. Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
[7] 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr der Beigeladene beimisst.
[8] Die Beschwerde möchte sinngemäß rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob bei der Auslegung des Begriffs der Splittersiedlung in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB allein auf die Siedlungsstruktur in dem Gebiet der Gemeinde abzustellen ist, in der das Bauvorhaben realisiert werden soll, oder ob ein unmittelbar angrenzender, im Zusammenhang bebauter Ortsteil jenseits der Gemeindegrenze in die Beurteilung miteinzubeziehen ist. Der Beigeladene verweist auf den östlich vom Baugrundstück entstandenen Ortsteil der Gemeinde O. und meint, das Berufungsgericht habe bei seiner siedlungsstrukturellen Bewertung die unmittelbar jenseits der Gemeindegrenze anschließende "Bebauung mit ortsähnlichem Charakter, eigenem Dorfnamen und einer über die Jahre hinweg verdichteten Bebauung … von immerhin ca. 40 Wohnhäusern" nicht ausklammern dürfen.
[9] Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage ist nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig, da sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist. Wie der beschließende Senat mit Urteil vom 17. Februar 1984 – BVerwG 4C 56. 79 – (Buchholz 406. 11 § 35 BBauG Nr. 211) entschieden hat, ist für die Frage, wie im Rahmen des § 35 Abs. 2 und 3 BBauG eine Streubebauung in siedlungsstruktureller Hinsicht zu beurteilen ist, auf die Siedlungsstruktur im Gebiet der Gemeinde abzustellen, in der das Bauvorhaben verwirklicht werden soll. In seinem Urteil vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 4C 7. 98 – (Buchholz 406. 11 § 34 BauGB Nr. 193) hat der Senat erneut ausgeführt, für die Frage, ob ein Bebauungskomplex nach seinem Gewicht als Ortsteil oder als Splittersiedlung anzusehen ist, komme es auf die Siedlungsstruktur der jeweiligen Gemeinde an.
[10] Diese Rechtsprechung beruht letztlich darauf, dass sich die Planungshoheit der Gemeinde auf ihr Gebiet beschränkt. Der Gesetzgeber hat in § 35 Abs. 2, 3 und 4 BauGB eine generelle gesetzliche Planungsregelung geschaffen, nach der ein Außenbereichsvorhaben nur dann ohne gemeindliche Bauleitplanung zu genehmigen ist, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Die Fortentwicklung der Bebauung nach dem gesetzlichen "Planersatz" wird der Gemeinde gerade auch deshalb zugemutet, weil sie durch eigene aktive Bauleitplanung die Möglichkeit hat, die bauliche Entwicklung in eine andere Richtung zu steuern. Daraus ergibt sich jedenfalls dem Grundsatz nach, dass der Gemeinde im Rahmen der gesetzlichen "Ersatzplanung" nur das zuzurechnen ist, was sie durch sachgerechte eigene Planung auch abwenden könnte. Die Gemeinde hat aber kaum eine Möglichkeit, das Heranrücken eines bebauten Ortsteils einer Nachbargemeinde an ihren Außenbereich planerisch zu verhindern (vgl. auch Senatsurteil vom 3. Dezember 1998, a. a. O., zum Begriff des Ortsteils i. S. von § 34 Abs. 1 BauGB). Das wiederum verbietet es, für die siedlungsstrukturelle Bewertung vorhandener Bebauung im Rahmen von § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB einen anderen räumlichen Bezugsrahmen zugrunde zu legen, als er für die Planungshoheit maßgebend ist (in diesem Sinne bereits Senatsurteil vom 17. Februar 1984, a. a. O.).
[11] 2. Die erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) bleibt erfolglos, da das Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus keinen Anlass hatte, in die Beurteilung der Frage, ob die Wohnhäuser östlich vom Baugrundstück des Beigeladenen eine Splittersiedlung bilden, den jenseits der Gemeindegrenze gelegenen Ortsteil der Gemeinde O. einzubeziehen.