Bundesarbeitsgericht
Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
1. Die vom Arbeitgeber gemäß § 2 BeschSchG zu treffenden vorbeugenden Schutzmaßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz berechtigen ihn nicht, der sexuellen Belästigung beschuldigte Arbeitnehmer zu entlassen, wenn ihnen eine entsprechende Tat nicht nachgewiesen werden kann. Auch § 4 BeschSchG (JURIS: BSchG) gewährt insoweit kein Kündigungsrecht.
2. Eine Kündigung wegen des Verdachts sexueller Belästigung bleibt nach allgemeinen Grundsätzen zulässig.
BAG, Beschluss vom 8. 6. 2000 – 2 ABR 1/00 (lexetius.com/2000,4502)
[1] Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. Dezember 1999 – 12 TaBV 35/99 – wird zurückgewiesen.
[2] Gründe: A. Der Beteiligte zu 3) (1945 geboren, verheiratet) wurde von der antragstellenden Arbeitgeberin seit 6. November 1972 als Kraftfahrer beschäftigt. Die Arbeitgeberin betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit 60 Filialen, in denen etwa 650 Arbeitnehmer tätig sind, davon 90 % Frauen. Die Filialen sind in mehreren Bezirken zusammengefaßt, für die jeweils ein Bezirksleiter verantwortlich ist, der als leitender Angestellter gilt. Der Beteiligte zu 3) ist seit 1978 Mitglied des Betriebsrats – des Beteiligten zu 2) – und seit 1980 dessen Vorsitzender. Bei den letzten Wahlen im März 1998 erhielt die von ihm angeführte Liste der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) 98 % der abgegebenen Stimmen.
[3] Im Sommer 1995 rief die HBV dazu auf, das Unternehmen der Arbeitgeberin vom 23. Juni 1995 an zu bestreiken. Am 19. Juni 1995 offenbarten zwei Bezirksleiterinnen – die seit 1984 beschäftigte Zeugin B. und die seit 1987 beschäftigte Zeugin S. – dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin, sie seien in insgesamt acht Fällen vom Beteiligten zu 3) sexuell belästigt und genötigt worden. Beide hatten ihre Laufbahn als Verkäuferin begonnen, waren sodann zur Filialleiterin und 1995 bzw. 1993 zur Bezirksleiterin befördert worden. Beide hatten vorher auf Initiative des Beteiligten zu 3) bei Betriebsratswahlen kandidiert und gehörten von 1994 bis März 1995 bzw. von 1988 bis Ende 1992 dem Betriebsrat an. Sie hielten ihre Angaben in eidesstattlichen Versicherungen vom 21. Juni 1995 fest. Darauf beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat dessen Zustimmung zu einer außerordentlichen Tatkündigung gegenüber dem Beteiligten zu 3). Von einer Verdachtskündigung sah sie ausdrücklich ab. Nach der Verweigerung der Zustimmung beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht Wuppertal (Az. 4 BV 94/95) deren Ersetzung. Das Arbeitsgericht wies den Antrag nach Vernehmung von 14 Zeugen mit Beschluß vom 5. Dezember 1995 zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Az. 14 TaBV 11/96) nach Vernehmung von sieben Zeugen durch rechtskräftigen Beschluß vom 24. Juni 1996 mit der Begründung zurück, der Arbeitgeberin sei der Beweis der gegen den Beteiligten zu 3) erhobenen Vorwürfe nicht gelungen.
[4] Am 3. November 1997 verurteilte das Amtsgericht Wipperfürth den Beteiligten zu 3), nachdem das Strafverfahren wegen der übrigen Vorwürfe eingestellt worden war, aufgrund von drei der von den Zeuginnen geschilderten Vorfälle wegen sexueller Nötigung in drei minderschweren Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen. Das Landgericht Köln verwarf mit Urteil vom 17. Juni 1998 die vom Beteiligten zu 3) dagegen eingelegte Berufung. Dieses Urteil wurde aufgrund der Verwerfung der Revision des Beteiligten zu 3) durch das Oberlandesgericht Köln am 27. November 1998 rechtskräftig. Das Landgericht hat aufgrund seiner Beweisaufnahme drei der acht von den Zeuginnen geschilderten Vorfälle als erwiesen angesehen.
[5] Ein weiteres, von der Arbeitgeberin nach der Verurteilung des Beteiligten zu 3) durch das Amtsgericht Wipperfürth eingeleitetes Zustimmungsersetzungsverfahren blieb in drei Instanzen erfolglos (vgl. Senatsbeschluß 16. September 1999 – 2 ABR 68/98 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 38). Nachdem die Arbeitgeberin am 7. Dezember 1998 von der Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts Köln in dem Strafverfahren Kenntnis erlangt hatte, beantragte sie am 9. und 14. Dezember 1998 beim Betriebsrat erneut die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3). Da der Betriebsrat diese am 11. und 16. Dezember 1998 wiederum verweigerte, leitete die Arbeitgeberin mit zwei am 14. und 18. Dezember 1998 beim Arbeitsgericht eingereichten Anträgen das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren ein. Den ersten Antrag nahm sie zwischenzeitlich zurück.
[6] Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, wegen der vom Beteiligten zu 3) ausgehenden Gefährdung sei ihr dessen Weiterbeschäftigung nicht zumutbar. Die Notwendigkeit der Kündigung ergebe sich aus ihrer Verpflichtung, sexuelle Belästigungen von Mitarbeiterinnen zu unterbinden.
[7] Die Arbeitgeberin hat beantragt, 1. die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3) zu ersetzen, 2. hilfsweise die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen, fristgemäßen Kündigung des Beteiligten zu 3) unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist zu ersetzen.
[8] Der Beteiligte zu 3) und der Betriebsrat haben zur Begründung ihres Antrags auf Zurückweisung der Zustimmungsersetzungsanträge behauptet, die gegen den Beteiligten zu 3) erhobenen Vorwürfe seien unberechtigt. Im Zusammenhang mit dem Strafverfahren dränge sich der Eindruck auf, daß die Verurteilung des Beteiligten zu 3) habe durchgepeitscht werden sollen, weil das Landgericht Köln lediglich die Belastungszeuginnen als glaubwürdig angesehen habe und nur die drei Vorfälle angeklagt worden seien, bei denen keine unmittelbaren Entlastungszeugen vorhanden gewesen seien.
[9] Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag zu 1) erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts und hilfsweise die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
[10] B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.
[11] I. Das Landesarbeitsgericht hat – kurz zusammengefaßt – angenommen: Die Rechtskraft der Verurteilung des Beteiligten zu 3) und die Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Mitarbeiterinnen vor künftigen sexuellen Belästigungen zu schützen, reichten schon nicht aus, einen an sich wichtigen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben. Das Tatgeschehen allein und die strafgerichtliche Verurteilung als solche ohne Berücksichtigung der später eingetretenen Rechtskraft seien bereits Streitgegenstand des vorangegangenen Zustimmungsersetzungsverfahrens gewesen. Allein aus der Rechtskraft könne die Arbeitgeberin aber keinen kündigungsrelevanten Vertrauensverlust ableiten. Jedenfalls sei nach Würdigung der Strafurteile und in Ansehung der Beweiswürdigungsproblematik der non-liquet-Entscheidung der 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf beizupflichten. Auch bei Dritten könnten bei unvoreingenommener Betrachtung Zweifel an sexuellen Nötigungshandlungen bleiben, selbst wenn sie davon überzeugt seien, daß sich der Beteiligte zu 3) nicht stets nur kollegial-neutral verhalten, sondern gelegentlich eindeutige und zudringliche Annäherungsversuche unternommen habe. Bei der Würdigung der Zeugenaussagen komme der Strafgerichtsbarkeit keine den anderen Gerichtsbarkeiten überlegene Kompetenz zu. Die Zeuginnen hätten nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Beteiligten zu 3) gestanden und es spreche wenig dafür, daß sie von besonderer Naivität, Unerfahrenheit oder Ängstlichkeit gekennzeichnet seien. Dies gelte um so mehr, wenn sie sich trotz erster Erfahrungen über die Zudringlichkeit des Beteiligten zu 3) weiter in vermeidbare Situationen begeben hätten. Es liege auch nicht nahe, das zeitliche Zusammenfallen der Vorwürfe mit der Streiksituation bei der Arbeitgeberin als Zufälligkeit abzutun. Unter diesem Aspekt blieben schließlich Zweifel, ob sich der letzte Vorfall in der von der Zeugin geschilderten Weise zugetragen und, obwohl geringfügig und mit keiner sexuellen Belästigung verbunden, das "Fass gleichsam zum Überlaufen" gebracht habe, wie das Landgericht angenommen habe.
[12] II. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts greifen im Ergebnis nicht durch. Die Arbeitgeberin hat keinen Anspruch auf die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu der von ihr geplanten Kündigung. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 Abs. 1 KSchG kann der Arbeitgeber dann die Ersetzung der Zustimmung verlangen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB voraus, es müssen also Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (BAG 22. August 1974 – 2 ABR 17/74 – BAGE 26, 219, 223 ff.; 10. Februar 1999 – 2 ABR 31/98 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 47 zu B II 1 der Gründe). Ein solcher Sachverhalt liegt nach den den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vor.
[13] 1. Die Kündigung ist nicht als Verdachts- oder Druckkündigung gerechtfertigt. Die Arbeitsgerichte dürfen eine Kündigung nur unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung beurteilen, wenn der Arbeitgeber die Kündigung – zumindest hilfsweise – auf den entsprechenden Verdacht stützt (Senat 3. April 1986 – 2 AZR 324/85 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63 zu II 1 b der Gründe; 20. August 1997 – 2 AZR 620/96 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 27 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7 zu II 1 b der Gründe). Eine Verdachtskündigung will die Arbeitgeberin hier bewußt nicht aussprechen.
[14] Auch als Druckkündigung ist die Kündigung nicht gerechtfertigt. Dazu müßten Dritte von der Arbeitgeberin unter Androhung von Nachteilen die Entlassung des Beteiligten zu 3) verlangt haben (vgl. Senat 4. Oktober 1990 – 2 AZR 201/90 – AP BGB § 626 Druckkündigung Nr. 12 = EzA BGB § 626 Druckkündigung Nr. 2 zu II 1 der Gründe; 31. Januar 1996 – 2 AZR 158/95 – BAGE 82, 124, 134 f.). Darauf hindeutende Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.
[15] 2. Zutreffend rügt die Rechtsbeschwerde allerdings als rechtsfehlerhaft, daß das Landesarbeitsgericht den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung des Beteiligten zu 3) in Verbindung mit den vorgeworfenen Taten nicht als Grund angesehen hat, der nach § 626 Abs. 1 BGB an sich geeignet ist, die beabsichtigte Kündigung zu rechtfertigen.
[16] a) Die gemäß § 322 Abs. 1 ZPO iVm. §§ 46 Abs. 2, 80 Abs. 2 ArbGG mit dem Beschluß des Senats vom 16. September 1999 (aaO) eingetretene materielle Rechtskraft der den Antrag zurückweisenden Entscheidung in dem Vorverfahren steht der Berücksichtigung der erst nach der letzten Anhörung in den Tatsacheninstanzen dieses Vorverfahrens rechtskräftig gewordenen strafgerichtlichen Verurteilung nicht entgegen. Bei der Entscheidung über einen Zustimmungsersetzungsantrag handelt es sich um eine rechtsgestaltende Entscheidung (Senat 11. Mai 2000 – 2 AZR 276/99 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Deren Rechtskraft umfaßt nicht allein die Ersetzung der Zustimmung als solche (so aber Ascheid Kündigungsschutzrecht Rn. 701, 702), sondern auch die Feststellung der Berechtigung bzw. im Fall der Antragszurückweisung der Nichtberechtigung der Herbeiführung der Gestaltungswirkung, dh. das Bestehen oder Nichtbestehen eines Gestaltungsgrundes (vgl. allgemein zu Gestaltungsurteilen Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. § 322 Rn. 66, 67, 121; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 58. Aufl. § 322 Rn. 43 "Gestaltungsurteil"; Zöller/Vollkommer ZPO 21. Aufl. § 322 Rn. 4 f.; Musielak ZPO § 322 Rn. 63 f.; entsprechend für die Rechtsfolgen der rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit des Gestaltungsaktes "Kündigung" Senat 26. August 1993 – 2 AZR 159/93 – BAGE 74, 143, 150 ff.).
[17] Für die Grenzen der Rechtskraft der Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren gelten die für Urteile maßgeblichen Grundsätze (BAG 20. März 1996 – 7 ABR 41/95 – BAGE 82, 291, 293 ff.). Der für die Bestimmung der Rechtskraft eines Urteils maßgebliche Zeitpunkt ist der der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (BGH 17. Februar 1982 – IV b ZR 657/80 – BGHZ 83, 278, 279 ff.; Stein/Jonas/Leipold aaO § 322 Rn. 237; Zöller/Vollkommer aaO vor § 322 Rn. 53). Soweit allerdings im Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdeverfahren ausnahmsweise neue Tatsachen vorgebracht werden können, gilt der Schluß der mündlichen Verhandlung über dieses Rechtsmittel (Stein/Jonas/Leipold aaO § 322 Rn. 237). Vom Rechtsbeschwerde- bzw. Revisionsgericht sind nach der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung entstandene Tatsachen zu berücksichtigen, wenn sie unstreitig sind und schützenswerte Belange der Gegenpartei – bzw. im Beschlußverfahren anderer Beteiligter – nicht entgegenstehen (BAG 16. Mai 1990 – 4 AZR 145/90 – BAGE 65, 147, 150 ff.).
[18] Der Senat hat in dem Verfahren 2 ABR 68/98 die Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung aufgrund ihrer Rechtshängigkeit im vorliegenden Verfahren nicht als neue Tatsache berücksichtigt (16. September 1999 aaO zu II 2 f der Gründe). Da der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) auch nach der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung die Unschuld des Beteiligten zu 3) unter Aufrechterhaltung von dessen ursprünglicher Einlassung geltend gemacht haben, bedurfte es weiterer Tatsachenfeststellungen. Auch nach der Rechtskraft des Strafurteils hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, mit substantiiertem Vortrag seine Unschuld darzulegen; gegebenenfalls ist eine erneute Beweiserhebung erforderlich. Durch die Berücksichtigung neuer unstreitiger Tatsachen in dritter Instanz soll nur verhindert werden, daß die Parteien bzw. Beteiligten auf ein erneutes Verfahren verwiesen werden, obwohl das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht ohne die Notwendigkeit weiterer Tatsachenfeststellungen die neuen Tatsachen bei seiner rechtlichen Würdigung berücksichtigen kann (Stein/Jonas/Grunsky aaO § 561 Rn. 24). Dies war im Verfahren 2 ABR 68/98 aufgrund der Erforderlichkeit weiterer Tatsachenfeststellungen nicht möglich. Schon deshalb umfaßt die Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren nicht den nach Abschluß der Tatsacheninstanzen eingetretenen Umstand der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung.
[19] b) Die Ersetzung der Zustimmung scheitert auch nicht, wie das Landesarbeitsgericht wohl meint, an der rechtskräftigen Zurückweisung des Antrags der Arbeitgeberin im ersten Zustimmungsersetzungsverfahren. Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung wirkt nur so lange, wie sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht wesentlich geändert hat. Dazu müssen sich diejenigen Tatsachen geändert haben, die für die in der früheren Entscheidung ausgesprochene Rechtsfolge als maßgeblich angesehen wurden (BAG 27. August 1968 – 1 ABR 6/68 – BAGE 21, 139; 21. Januar 1981 – 6 ABR 68/79 – BAGE 35, 1, 2 ff.; 20. März 1996 aaO zu B II 4 der Gründe). Der Senat hat im Beschluß vom 16. September 1999 (aaO zu II 2 e der Gründe) angenommen, daß die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen einer im Betrieb begangenen Straftat in Verbindung mit der vorgeworfenen Tat als neue Tatsache an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu begründen, weil sie den Betriebsfrieden gefährden kann. Das auf der Rechtskraft der strafgerichtlichen Schuldfeststellung beruhende Außerkrafttreten der Unschuldsvermutung kann die Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers massiv beeinträchtigen, etwa wenn nach der Verurteilung wegen eines Tötungs-, Körperverletzungs-, Sexual- oder Vermögensdeliktes und nach dem Bekanntwerden dieser Verurteilung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit für den Arbeitgeber, einzelne oder alle Kollegen und/oder einzelne oder alle Geschäftspartner mit dem verurteilten Arbeitnehmer nicht mehr oder nur erheblich eingeschränkt möglich ist. Dann kann nicht nur das Interesse des Arbeitgebers an der Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens beeinträchtigt sein, sondern je nach den Umständen auch sein Interesse an einem unbelasteten Kontakt des Arbeitnehmers mit Kunden und Geschäftspartnern. Diese Interessen können nicht nur durch eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer im Betrieb begangenen Straftat beeinträchtigt werden, sondern auch bei schweren außerbetrieblichen Delikten.
[20] c) Unzutreffend ist der Ausgangspunkt der Prüfung durch das Landesarbeitsgericht, es komme darauf an, ob allein die Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung und die Verpflichtung des Arbeitgebers, Mitarbeiterinnen vor sexuellen Belästigungen zu schützen, an sich geeignet sind, die Kündigung zu rechtfertigen. Maßgeblich ist, ob der rechtskräftige Schuldspruch unter Berücksichtigung der Tatvorwürfe eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen auslösen kann. Wie der Senat schon in seinem Beschluß vom 16. September 1999 (aaO) ausgeführt hat, ist ein Strafurteil ohne Rückkoppelung an die eigentlichen Tatvorwürfe nicht geeignet, ein persönliches Defizit des Arbeitnehmers (fehlende Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Eignung) zu belegen, das als personenbedingter Grund zur Kündigung berechtigen würde. Sowohl unter dem Aspekt verhaltens- als auch unter dem personenbedingter Gründe ist immer auch auf die der Verurteilung zugrundeliegenden Taten oder – hier nicht relevant – den Verdacht der Tatbegehung abzustellen. Der Arbeitgeber stützt die Kündigung, wenn er auch auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung abstellt, nicht mehr allein auf die vorgeworfene Tat, sondern zusätzlich auf das mit der diesbezüglichen strafrechtlichen Verurteilung verbundene Unwerturteil als neue Tatsache.
[21] d) Nicht zu folgen ist auch der Ansicht des Landesarbeitsgerichts, ein Kündigungsgrund liege nicht vor, weil dafür konkrete negative Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis erforderlich und solche nicht eingetreten seien. Zwar setzt eine Kündigung, zumal eine außerordentliche, generell die Beeinträchtigung erheblicher betrieblicher oder vertraglicher Interessen voraus. Wird ein Arbeitnehmer jedoch von einem Strafgericht rechtskräftig wegen einer Straftat verurteilt und wird dadurch wegen der Auswirkungen der Verurteilung auf Kollegen, Geschäftspartner, Kunden oder den Arbeitgeber selbst ein regulärer Einsatz des Arbeitnehmers auf unabsehbare Zeit unmöglich, liegt bereits in dieser Störung eine Beeinträchtigung erheblicher betrieblicher Interessen, ohne daß dazu weitere Umstände hinzutreten müssen. Von einer Störung in diesem Sinn kann bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen sexueller Belästigung von Kolleginnen regelmäßig ausgegangen werden, ohne daß es auf die vom Landesarbeitsgericht vermißte konkrete Gefährdung des Betriebsfriedens ankäme, zumal wenn – wie hier – eine der Taten im Betrieb selbst begangen wurde. Eine derartige Verurteilung führt im Normalfall zu Ängsten, Befangenheit und Ablehnung insbesondere bei im Betrieb beschäftigten oder dem Arbeitnehmer in geschäftlichen Kontakten begegnenden Frauen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, seinen Arbeitnehmerinnen derartige Belastungen auf unabsehbare Zeit zuzumuten und mögliche daraus folgende Beeinträchtigungen der betrieblichen Zusammenarbeit in Kauf zu nehmen. Gegenüber in Geschäftsbeziehungen mit seinem Unternehmen stehenden Frauen kann er dies ohnehin nicht, vielmehr kann ihm dann der Abbruch der Geschäftsbeziehung drohen. Überdies ist die Wertung der §§ 2, 4 BeschSchG zu berücksichtigen, durch die die Pflicht des Arbeitgebers, seine Beschäftigten vor sexuellen Belästigungen zu schützen, ausdrücklich betont wird.
[22] e) Der vom Landesarbeitsgericht berücksichtigte Gesichtspunkt, seit der letzten abgeurteilten Tat im Januar 1995 sei geraume Zeit vergangen, ändert an der Geeignetheit des Sachverhalts zur Rechtfertigung der Kündigung schon deshalb nichts, weil sich die Taten selbst über mehre Jahre hingezogen haben und zwischen ihnen zum Teil zeitliche Abstände von mehreren Jahren liegen. Daher kann der bisher eingetretene zeitliche Abstand allein die Störung des Arbeitsverhältnisses nicht beseitigen.
[23] 3. Die Rechtsbeschwerde scheitert jedoch daran, daß das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, die Tatvorwürfe gegen den Beteiligten zu 3) seien auch unter Berücksichtigung der Feststellungen der Strafgerichte wiederum nicht bewiesen (S 12 – 22 des Beschlusses). Selbst nach rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilung hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, seine Unschuld geltend zu machen (Senat 16. September 1999 aaO zu II 2 e der Gründe). Gelingt ihm dies, weil die Arbeitsgerichte auch nach der Schuldfeststellung durch die Strafgerichte in Auseinandersetzung mit deren Feststellungen den Tatvorwurf für nicht erwiesen erachten, kann in der Regel keine eine außerordentliche Kündigung rechtfertigende Beeinträchtigung der Interessen der Arbeitgeberin mehr vorliegen. Andernfalls würde eine mit § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO nicht zu vereinbarende Bindung an die Tatsachenfeststellungen der Strafgerichte angenommen.
[24] a) Dazu genügt es allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer auch nach der strafgerichtlichen Verurteilung nur pauschal seine Unschuld behauptet. Erforderlich ist substantiierter Vortrag (Senat 16. September 1999 aaO zu II 2 e der Gründe). Der Arbeitnehmer muß auf den Sachverhalt, der Grundlage der Tatvorwürfe ist, konkret eingehen und ihn aus seiner Sicht im einzelnen schildern. Darauf ist es Sache des Arbeitgebers, seinerseits substantiiert zu erwidern, wobei er sich allerdings in der Regel auf die Feststellungen der Strafgerichte stützen kann. Ergibt danach die Prüfung durch die Arbeitsgerichte, daß auf der Grundlage der Schilderung des Arbeitnehmers der Tatvorwurf unberechtigt, nach der Darstellung des Arbeitgebers dagegen die strafgerichtliche Schuldfeststellung zutreffend ist, sind die Vorwürfe gegebenenfalls unter Berücksichtigung neuer Beweismittel durch eine erneute Beweisaufnahme ein weiteres Mal aufzuklären (Senat 16. September 1999 aaO zu II 2 e der Gründe). Im Rahmen der Beweisaufnahme kann das Arbeitsgericht die Beweisprotokolle aus dem Strafverfahren und die tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil ohne Bindung an diese nach den allgemeinen Grundsätzen der Verwertbarkeit von Beweiserhebungen anderer Gerichte im Wege des Urkundsbeweises verwerten. Die Parteien bzw. Beteiligten können aber eine erneute Beweiserhebung verlangen, da der persönliche Eindruck, die persönliche Anwesenheit, die Ausübung des Fragerechtes und die Möglichkeit der Gegenüberstellung eine dem Urkundsbeweis überlegene Richtigkeitsgewähr bieten (BGH 14. Juli 1952 – IV ZR 25/52 – BGHZ 7, 116, 122; 6. Juni 1988 – II ZR 332/87 – NJW-RR 1988, 1527 zu 1 der Gründe). Nicht verlangt werden kann eine Auseinandersetzung der Beteiligten mit der Begründung des Strafurteils und den Aussagen der Zeugen im Strafverfahren, da es sich nicht um eine wiederholte Vernehmung iSv. § 398 ZPO handelt (vgl. BGH 6. Juni 1988 aaO zu 2 der Gründe).
[25] Hier haben sich der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) ausführlich mit den Tatvorwürfen auseinandergesetzt und sich erneut auf die umfangreiche Einlassung des Beteiligten zu 3) aus dem ersten Zustimmungsersetzungsverfahren berufen. Dies war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ausreichend. Hat der Arbeitnehmer wie hier bereits im ersten Zustimmungsersetzungsverfahren eingehend seine Unschuld dargelegt, genügt die Wiederholung dieses Vortrags. Eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Feststellungen der Strafgerichte ist selbst im Urteilsverfahren nicht erforderlich. Um so weniger kann dies in dem nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegenden Beschlußverfahren verlangt werden.
[26] b) Die auf der urkundsbeweislichen Heranziehung der eidesstattlichen Versicherungen der Zeuginnen S und B, der Urteile des Amtsgerichts Wipperfürth und des Landgerichts Köln sowie des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. Juni 1996 beruhende erneute Tatsachenfeststellung durch das Landesarbeitsgericht ist zwar möglicherweise schon deshalb nicht verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, weil das Landesarbeitsgericht die von der Arbeitgeberin bereits in der Antragsschrift benannten Zeuginnen nicht erneut vernommen hat. Ein darin liegender Verfahrensfehler greift jedoch nicht durch, weil er von der Rechtsbeschwerde nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen wurde. Die §§ 561 Abs. 2, 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO gelten auch im Rahmen der Begründung der Rechtsbeschwerde nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Daher sind Verfahrensverstöße nur aufgrund einer ausdrücklichen Verfahrensrüge zu berücksichtigen (BAG 24. Mai 1957 – 1 ABR 8/56 – AP ArbGG § 92 Nr. 7 zu II 1, 2 der Gründe; 1. März 1963 – 1 ABR 3/62 – BAGE 14, 117, 122; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 94 Rn. 16). Eine solche hat die Rechtsbeschwerde nicht erhoben. Die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe sich über die Entscheidungen der Strafgerichte hinweggesetzt, kann nicht als Verfahrensrüge verstanden werden. Ihr Inhalt beschränkt sich auf das Vorbringen, das Landesarbeitsgericht hätte sich der Würdigung der Strafgerichte anschließen müssen. Dies widerspricht § 14 EGZPO. Selbst wenn man die Rüge aber als Verfahrensrüge auffassen und trotz der fehlenden Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm gemäß § 554 Abs. 3 Nr. 3 a) ZPO als zulässig ansehen wollte, wäre sie nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat sich nicht über die Entscheidungen der Strafgerichte hinweggesetzt, sondern sich ausführlich mit diesen auseinandergesetzt. Wenn die Rechtsbeschwerde die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts hätte angreifen wollen, hätte dies konkreter Verfahrensrügen bedurft. Der Senat ist daher an die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden, daß die Tatbegehung trotz der Feststellungen der Strafgerichte nicht erwiesen ist.
[27] c) Die Rechtsbeschwerde macht auch zu Unrecht geltend, nach der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung gebiete § 2 BeschSchG die Kündigung als Maßnahme zum Schutz der Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin. Zu den nach § 2 Abs. 1 BeschSchG gebotenen vorbeugenden Schutzmaßnahmen gehört nicht die Entlassung von Arbeitnehmern, die bisher keine sexuelle Belästigung begangen haben bzw. denen die Begehung einer solchen nicht nachgewiesen werden konnte. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kommt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BeschSchG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur bei sexueller Belästigung in Betracht. Eine solche muß daher festgestellt sein. Mit dem Beschäftigtenschutzgesetz wurden keine neuen Kündigungsgründe geschaffen. Erst wenn eine sexuelle Belästigung festgestellt ist, sind die bezeichneten Maßnahmen nach den Umständen des Einzelfalles geboten, wenn ihre gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Durch das Beschäftigtenschutzgesetz hat sich kündigungsrechtlich nichts geändert (vgl. Gutsche Das zweite Gleichberechtigungsgesetz S 125; Schiek Zweites Gleichberechtigungsgesetz für die Privatwirtschaft § 4 BeschSchG Rn. 2, 3; Herzog Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz S 214 f.; Worzalla NZA 1994, 1016, 1020; ErfK/Schlachter § 4 BeschäftigtenschutzG Rn. 1; KR-Fischermeier 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 443; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz 7. Aufl. Rn. 532). Eine Kündigung wegen des bloßen Verdachts einer sexuellen Belästigung kommt nur ausnahmsweise in Betracht (vgl. Schiek aaO § 4 BeschSchG Rn. 3). Dafür müssen die Tatbestandsmerkmale einer Verdachtskündigung erfüllt sein.
[28] Entgegen der Einschätzung der Rechtsbeschwerde führt das Beschäftigtenschutzgesetz daher nicht zu einer Bindung der Arbeitsgerichte an die Feststellungen der Strafgerichte. Auch bei der Prüfung der Handlungspflichten nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BeschSchG ist von den Arbeitsgerichten selbständig zu prüfen, ob eine sexuelle Belästigung begangen wurde. Dies schränkt den Anwendungsbereich des Beschäftigtenschutzgesetzes keineswegs "bis zur Bedeutungslosigkeit" ein, sondern trägt lediglich der Selbständigkeit der verschiedenen Rechtswege Rechnung. Auch im Rahmen des Beschäftigtenschutzgesetzes hat die strafgerichtliche Verurteilung eines Arbeitnehmers wegen Sexualdelikten nicht Tatbestandswirkung. Die Arbeitgeberin argumentiert im übrigen widersprüchlich, wenn sie einerseits ausdrücklich von einer Verdachtskündigung absieht und darüber hinaus die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, ein solches Delikt sei nicht bewiesen, nicht mit dem gesetzlich vorgesehenen Mittel der Verfahrensrüge angreift, andererseits aber geltend machen will, trotzdem gebiete ihre Schutzpflicht gegenüber ihren Mitarbeiterinnen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3). Damit versucht die Arbeitgeberin letztlich, eine Tatkündigung mit einem nicht bewiesenen Verdacht zu begründen. Dies ist kündigungsrechtlich nicht möglich.
[29] 4. Auf die – gewichtigen – Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts kommt es daher nicht mehr an.