Bundesarbeitsgericht
Abgrenzung: Baugewerbe – Dachdeckerhandwerk
Für die Zuordnung eines Betriebes zum Dachdeckerhandwerk, der vom betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe nicht erfaßt wird, kann es ausreichen, wenn mindestens 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit in Anspruch nehmende Arbeiten, die auch dem Baugewerbe zuzurechnen sind ("Sowohl-als-auch" -Tätigkeiten) von "gelernten Arbeitnehmern" des Dachdeckerhandwerks ausgeführt werden. Als "gelernter Arbeitnehmer" in diesem Sinne sind nicht nur Gesellen, sondern auch solche Arbeitnehmer anzusehen, die durch fachkundige Einweisung Kenntnisse und Fertigkeiten im Dachdeckerhandwerk über einen eng begrenzten Teil dieses Gewerkes hinaus erworben haben.

BAG, Urteil vom 16. 5. 2001 – 10 AZR 438/00 (lexetius.com/2001,1545)

[1] 1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Februar 2000 – 16 Sa 1295/99 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im Klagezeitraum nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes zur Auskunftserteilung und Beitragszahlung an die Klägerin verpflichtet ist.
[4] Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (im Folgenden: ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Die Streithelferin der Beklagten ist die Lohnausgleichskasse für das Dachdeckerhandwerk.
[5] Die ZVK nimmt die Beklagte für den Zeitraum Januar 1994 bis November 1995 auf Beitragszahlung in Höhe von 1.391.800,50 DM in Anspruch. Für die Zeit von Dezember 1995 bis September 1996 hatte die Klägerin Auskunft über die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Angestellten sowie die Höhe der Bruttolohn- und Gehaltssumme und für den Fall der Nichterteilung der Auskunft die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 531.320,00 DM verlangt. Diesen Teil ihrer Forderung hat sie für erledigt erklärt.
[6] Die Beklagte wurde 1925 als Einzelunternehmen von dem Dachdeckermeister B V sen. gegründet. Sie ist seitdem Mitglied der Dachdeckerinnung. Ihre Tätigkeit erstreckte sich damals auf die Durchführung von Ziegeleindeckungen und die Abdichtung von Flachdächern. Nach dem Tode des Inhabers wurde die Beklagte als GmbH fortgeführt. Deren Geschäftsführer, der Sohn des Unternehmensgründers, ist Dachdeckermeister. Seine beiden Söhne, von denen der eine Dachdeckermeister, der andere gelernter Betriebswirt ist, arbeiten ebenso wie der Geschäftsführer im Betrieb mit. Seit 1960 nimmt die Beklagte am Sozialkassenverfahren des Dachdeckerhandwerks teil und zahlt monatliche Beiträge an die von den Tarifvertragsparteien des Dachdeckerhandwerks als gemeinsame Einrichtung gegründete Lohnausgleichskasse für das Dachdeckerhandwerk.
[7] Anfang 1990 erweiterte die Beklagte ihren Tätigkeitsbereich auf die Durchführung von Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit und später auf Estricharbeiten unter Verwendung von Gußasphalt im Hoch- und Hallenbau. In den Jahren 1994 bis September 1996 entfielen von der betrieblichen Gesamtarbeitszeit zwischen 23 und 33 % auf Dacheindeckungsarbeiten, wobei mehr als die Hälfte auf Flachdächer, weniger als die Hälfte auf Steildächer entfielen. Zwischen 22 und 28 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit machten Abdichtungsarbeiten wegen Feuchtigkeit im Rahmen der Wannenisolierung, der Isolierung von Schwimmbecken, Kellerböden vor dem Aufbringen von Gußasphalt, Balkonabdichtungen, Abdichtungen von Brückenpfeilern und die Isolierung von Außenwänden im Bitumenspritzverfahren aus. Jeweils weniger als die Hälfte der betrieblichen Arbeitszeit, maximal 49, 2 % im Jahre 1996, entfiel auf die Estricharbeiten unter Verwendung von Gußasphalt.
[8] Im Dezember 1994 waren bei der Beklagten insgesamt 70 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt. Darunter befanden sich 7 Dachdeckergesellen, 4 Klempnergesellen und 28 Dachdeckerhelfer. Im Kalenderjahr 1995 waren insgesamt 73 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt, darunter 7 Dachdeckergesellen, 4 Klempnergesellen und 30 Dachdeckerhelfer; in der Zeit von Januar bis September 1996 waren es 70 gewerbliche Arbeitnehmer, darunter 6 Dachdeckergesellen, 4 Klempnergesellen und 30 Dachdeckerhelfer. Neben dem Geschäftsführer und dessen Sohn war ein weiterer Dachdeckermeister beschäftigt.
[9] Die ZVK ist der Ansicht, der Betrieb der Beklagten sei im gesamten Klagezeitraum ein baugewerblicher im tariflichen Sinne gewesen. Er sei nicht als Betrieb des Dachdeckerhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich der Bautarifverträge ausgenommen. Ausschließlich dem Dachdeckerhandwerk zuzuordnende Tätigkeiten seien nicht in erheblichem Umfang angefallen, die Tätigkeiten seien auch nicht im Umfang von mindestens 20 % von gelernten Dachdeckern ausgeführt oder von Fachkräften des Dachdeckerhandwerks beaufsichtigt worden. Die Abdichtungsarbeiten gehörten nicht zum Dachdeckerhandwerk. Daher schulde die Beklagte im Klagezeitraum die Mindestbeiträge bzw. die begehrten Auskünfte.
[10] Die ZVK hat in der Berufungsinstanz zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 1) an sie 1.391.800,50 DM zu zahlen, 2) ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des VI. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) über die gesetzliche Rentenversicherung arbeiterrentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausüben in den Monaten Dezember 1995 bis September 1996 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden sowie in welcher Höhe die Bruttolohnsumme insgesamt und die Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft in den jeweils genannten Monaten für diese Arbeitnehmer angefallen sind, 3) für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung gem. Ziffer 2) nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 531.320,00 DM zu zahlen.
[11] In der Revisionsinstanz hat die ZVK bezüglich der Anträge zu 2) und 3) beantragt festzustellen, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise erledigt ist, soweit die Klägerin Auskunftsansprüche für den Zeitraum Dezember 1995 bis September 1996 ursprünglich verfolgt und für den Fall, daß diese Auskunftsansprüche nicht innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Urteilszustellung erfüllt werden, die Zahlung einer Entschädigung verlangt hat.
[12] Die Beklagte und die Streithelferin haben sich der Erledigungserklärung angeschlossen und im übrigen beantragt, die Klage abzuweisen.
[13] Die Beklagte und ihre Streithelferin meinen, der Betrieb der Beklagten sei im gesamten Zeitraum ein solcher des Dachdeckerhandwerks gewesen und deshalb vom Geltungsbereich der Bautarifverträge ausgenommen. Wenigstens 20 % der gesamtbetrieblichen Arbeiten seien von gelernten Dachdeckern ausgeführt worden, zu denen auch die Dachdeckerhelfer gehörten, die auf Grund Anweisung durch die drei Dachdeckermeister die Grund- und Fachkenntnisse des Dachdeckerhandwerks erlernt hätten. Soweit die Klägerin Mindestbeiträge geltend mache, werde deren Höhe bestritten.
[14] Das Arbeitsgericht hat der Auskunftsklage für die Monate Dezember 1994 bis September 1996 stattgegeben und die Beklagte für den Fall der Nichterfüllung zur Zahlung der begehrten Entschädigungssumme verurteilt. Bezüglich des Zahlungsverlangens, das seinerzeit auf die Monate Januar bis Dezember 1994 beschränkt war, hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht unter gleichzeitiger Zurückweisung der Berufung der ZVK die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die ZVK ihre Klageanträge weiter, soweit sie nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden sind. Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen, die Revision zurückzuweisen.
[15] Entscheidungsgründe: Die Revision ist unbegründet. Die ZVK hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Beiträge und Auskünfte.
[16] I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Für die begehrte Zahlung und die geforderten Auskünfte bestehe keine Rechtsgrundlage. Zwar unterfielen sämtliche vom Betrieb der Beklagten ausgeübten Tätigkeiten dem betrieblichen Geltungsbereich der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes, jedoch sei der Betrieb der Beklagten gem. § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 2 VTV ausdrücklich vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen, weil die im Klagezeitraum arbeitszeitlich überwiegend ausgeführten Arbeiten dem Dachdeckerhandwerk zuzurechnen seien. Sowohl die Steildach- als auch die Flachdacharbeiten seien Aufgaben dieses Handwerkszweiges. Dazu gehörten auch die Abdichtungsarbeiten von Bauten und Bauwerksteilen gegen Feuchtigkeit. Allerdings handele es sich dabei um solche, die sowohl dem Dachdeckerhandwerk als auch dem Berufszweig des Klebeabdichters zugeordnet werden könnten, wobei letzterer zum Baugewerbe gehöre. Um einen Dachdeckerbetrieb handele es sich, weil Arbeiten, die auch dem Dachdeckerhandwerk zuzurechnen seien, in nicht unerheblichem Umfang, nämlich zu mindestens 20 %, von gelernten Dachdeckern, nämlich Gesellen oder durch einen Dachdeckermeister angelernte Hilfskräfte durchgeführt worden seien. Die Beklagte habe bezüglich der Dachdeckerhelfer unbestritten dargelegt, daß diese sowohl von einem Dachdeckermeister eingewiesen worden seien, als auch daß der jeweilige Dachdeckerhelfer nicht nur in ein eng begrenztes Tätigkeitsfeld des Dachdeckerhandwerks eingewiesen worden sei, sondern ihm Grund- und Fachkenntnisse eines Dachdeckers vermittelt worden seien. Dabei habe die Beklagte im einzelnen vorgetragen, welche Kenntnisse der jeweilige Arbeitnehmer von wem erworben habe. Dies gehe weit über das Anlernen zu einer Spezialtätigkeit hinaus.
[17] Auch wenn man davon ausgehe, der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 2 VTV greife im vorliegenden Fall nicht ein, unterfalle der Betrieb dennoch nicht den Bestimmungen des VTV, weil er im Klagezeitraum auch unter den betrieblichen Geltungsbereich des ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten VTV/Dachdecker gefallen sei und dieser Tarifvertrag nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz den VTV verdränge.
[18] II. Diesen Ausführungen folgt der Senat im Ergebnis und in der Hauptbegründung.
[19] Die ZVK kann ihre Ansprüche nicht auf §§ 27 Abs. 1 und 24 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 12. November 1986 stützen. Bezüglich des Jahres 1994 ist hierfür maßgeblich die Fassung vom 15. Dezember 1993, für das Jahr 1995 in der Fassung vom 12. Dezember 1994 bzw. 23. Juni 1995, und für das Jahr 1996 die Fassung vom 30. November 1995.
[20] 1. Die für die Ansprüche maßgeblichen Vorschriften lauten: "§ 1. Geltungsbereich. … (2) Betrieblicher Geltungsbereich: Betriebe des Baugewerbes das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen. Abschnitt I. Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen. Abschnitt II. Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen und Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Abschnitt III. Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfaßt, nach ihrer durch die Art ihrer betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen. … Abschnitt V. Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen die Arbeiten der nachstehend aufgeführten Arten ausgeführt werden: 1. Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit; … 11. Estricharbeiten (unter Verwendung von Zement, Asphalt, Anhydrit, Magnesit, Gips, Kunststoffen oder ähnlichen Stoffen); … Abschnitt VII. Nicht erfaßt werden Betriebe … 2. des Dachdeckerhandwerks, …"
[21] 2. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankommt, ob im Anspruchszeitraum im Betrieb der Beklagten vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßte Tätigkeiten verrichtet worden sind, wobei auf die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer der Beklagten und nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst, aber auch nicht auf handels- und gewerberechtliche Kriterien abzustellen ist (st. Rspr., vgl. zB BAG 23. August 1995 – 10 AZR 105/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 193 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 79). Werden arbeitszeitlich überwiegend die in § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV konkret genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt, so fallen die Betriebe unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne daß dann noch die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I – III der vorgenannten Tarifnorm zu prüfen sind.
[22] Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, daß sämtliche im Betrieb der Beklagten ausgeübten Tätigkeiten solche sind, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I – V VTV fallen. Estricharbeiten unter Verwendung von Gußasphalt sind in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 11 VTV ausdrücklich genannt. Die Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit, auch wenn sie an Flachdächern vorgenommen werden, fallen unter § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 1 VTV. Hierzu gehören alle Arbeiten, die den arbeitstechnischen Zweck verfolgen, Bauwerke, Bauwerksteile, Gebäude oder Gebäudeteile gegen Erd- und Luftfeuchtigkeit zu schützen (BAG 23. November 1988 – 4 AZR 314/88 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker Nr. 3). Auch die Steildacheindeckungen unterfallen dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV gem. § 1 Abs. 2 Abschn. II, weil sie der Errichtung bzw. Instandhaltung und Instandsetzung von Bauwerken dienen, auch wenn dies nur auf einem kleinen speziellen Gebiet der Fall ist. Durch ein Steildach wird ein Gebäude seinem bestimmungsgemäßen Zweck zugeführt bzw. dieser erhalten, weil ein Gebäude herkömmlicherweise erst dann fertiggestellt bzw. zur Nutzung geeignet ist, wenn das Dach gedeckt ist. Hierbei handelt es sich um bauliche Leistungen, weil diese unmittelbar bauwerksbezogen sind und die Arbeiten solche des Baugewerbes sind. Zu dem weitgefaßten Begriff des Baugewerbes gehört auch das Dachdeckerhandwerk. Es zählt zu dem herkömmlicherweise als Bauhauptgewerbe bezeichneten Zweig des Baugewerbes.
[23] 3. Der Betrieb der Beklagten ist jedoch als Betrieb des Dachdeckerhandwerks nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 2 VTV ausdrücklich vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen, da der arbeitszeitlich überwiegende Anteil der Gesamttätigkeit diesem Gewerbezweig zuzuordnen ist.
[24] a) In keinem der in Frage kommenden Anspruchszeiträume überwog die Tätigkeit der eindeutig und ausschließlich dem Baugewerbe zuzurechnenden Estricharbeiten.
[25] b) Sowohl die Steildach- als auch die Flachdacharbeiten sowie die übrigen Abdichtungsarbeiten wegen Feuchtigkeit gehören zum Dachdeckerhandwerk. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht zum Begriff des "Dachdeckerhandwerks" nicht nur die Tätigkeiten gezählt, die im allgemeinen Sprachgebrauch hiervon erfaßt werden, sondern dem Begriff die im fachsprachlichen Schrifttum und in berufsrechtlichen Vorschriften gebräuchliche Beschreibung zugrunde gelegt. Im berufskundlichen Schrifttum wird die Tätigkeit eines Dachdeckers nicht nur mit der Abdichtung und Deckung von Steildächern beschrieben, sondern auch von Flachdächern, weiterhin das Abdichten von Bauwerken und Bauwerksteilen, weil es mit der Technik der Dachabdichtung verwandt ist (Blätter für Berufskunde I-II C 401, S 3 und 4; Klassifizierung der Berufe, Berufstätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland Ausgabe 1966 Nr. 2433). Auch die berufsrechtlichen Vorschriften (Verordnung über das Berufsbild und die Prüfungsanforderung im praktischen und im fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Dachdeckerhandwerk vom 9. September 1994 BGBl. I 1994 S 2308) umfassen in § 1 Abs. 1 Nr. 1 als dem Dachdeckerhandwerk zuzurechnende Tätigkeiten ua. die Ausführungen von Dachdeckungen und Dachabdichtungen, worunter auch die Erstellung und Abdichtung von Flachdächern fällt und in § 1 Abs. 1 Nr. 9 die Abdichtung von Bauwerken und Bauwerksteilen. Das Herstellen einer Bauwerksabdichtung in der Senkrechten mit Übergang zur Waagerechten kommt ebenfalls als Arbeitsprobe im Zuge der Meisterprüfung gem. § 4 Abs. 1 Nr. 11 der Verordnung in Betracht. Auch für die Ausnahmetatbestände des Abschnitts VII des § 1 Abs. 2 VTV ist erforderlich, daß die zur Ausnahme führende Tätigkeit arbeitszeitlich überwiegend ausgeführt wird. Dies ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Fall.
[26] c) Damit sind die im Betrieb der Beklagten überwiegend ausgeführten Tätigkeiten sowohl als baugewerbliche iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV als auch als solche des Dachdeckerhandwerks iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 2 VTV anzusehen, dh. sie gehören zu den sogenannten "Sowohl-als-auch" -Tätigkeiten, für die das Bundesarbeitsgericht zu Abgrenzungszwecken mehrere Kriterien entwickelt hat, die in ständiger Rechtsprechung angewandt und weiterentwickelt worden sind (vgl. nur BAG 22. Januar 1997 – 10 AZR 223/96BAGE 85, 81 ff. mwN). Werden Arbeiten ausgeführt, die sowohl als baugewerbliche Leistungen iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. I – V VTV als auch als solche eines der in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV genannten Gewerke anzusehen sind, so kommt es für die Ausnahme aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV darauf an, ob neben diesen "Sowohl-als-auch-Arbeiten" in nicht unerheblichem Umfang (mindestens 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit) Arbeiten durchgeführt werden, die ausschließlich dem vom betrieblichen Geltungsbereich ausgenommenen Gewerk zuzuordnen sind, die also für dieses Gewerk typisch sind, oder ob diese Arbeiten in nicht unerheblichem Umfang (ebenfalls 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit) von gelernten Arbeitnehmern dieses Gewerkes ausgeführt werden oder eine entsprechende Aufsicht durch einen Fachmann, zB Meister dieses Gewerkes besteht (BAG 23. August 1995 – 10 AZR 105/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 193 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 79; 22. Januar 1997 aaO).
[27] d) Danach ist der Betrieb der Beklagten ein solcher des Dachdeckerhandwerks im Sinne der Ausnahmebestimmung.
[28] Allerdings fielen nicht zu 20 % typische Dachdeckerarbeiten, nämlich Steildacheindeckungen an. Diese erreichten maximal 17 % der gesamten betrieblichen Arbeitszeit. Es wurden aber Arbeiten, die auch dem Dachdeckerhandwerk zuzurechnen sind, zu mindestens 20 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit von gelernten Dachdeckern iS der Senatsrechtsprechung ausgeführt.
[29] aa) Zwar waren im gesamten Anspruchszeitraum höchstens zwei Dachdeckermeister und zwischen fünf und sieben Dachdeckergesellen im Betrieb tätig, was angesichts der Gesamtzahl der Arbeitnehmer einen Anteil von 10 % nicht überschreitet. Jedoch muß ein gelernter Dachdecker in diesem Sinne nicht die Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk abgelegt haben. Ausreichend ist vielmehr, wenn ein solcher Arbeitnehmer von einem Dachdeckermeister als Dachdecker angelernt wurde. Dabei reicht das Anlernen zu einem bestimmten Klebeverfahren nicht aus (BAG 23. November 1988 – 4 AZR 314/88 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker Nr. 3 mwN). An dieser vom Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Erweiterung des Begriffs der gelernten Dachdecker hält der nunmehr für die Geltungsbereichsstreitigkeiten allein zuständige Zehnte Senat fest. Im Urteil vom 22. September 1993 (- 10 AZR 401/91 – nv.) ist dies hinsichtlich der Zuordnung von Betrieben, die Flachdachabdichtungsarbeiten ausführen, ausdrücklich geschehen. Soweit der Senat im Urteil vom 23. August 1995 (- 10 AZR 105/95 – aaO) ausgeführt hat, daß ein Betrieb, der arbeitszeitlich überwiegend Anschlußverfugungs- und Glasversiegelungsarbeiten ausführt, nur dann als Betrieb des Glaserhandwerks vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen sei, wenn in ihm die Arbeiten in nicht unerheblichem Umfange von gelernten Arbeitnehmern des Glaserhandwerks (Glasergesellen) ausgeführt oder von einem Fachmann des Glaserhandwerks (Glasermeister) beaufsichtigt werden, bedeutet dies keine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung. In dem zugrundeliegenden Fall kam es auf die Frage, wie die Kenntnisse im betreffenden Gewerk erworben wurden, nicht an, da weder gelernte noch angelernte Kräfte des Glaserhandwerks beschäftigt wurden. Auch im Urteil vom 22. Januar 1997 (- 10 AZR 223/96BAGE 85, 81) ist der Senat nicht von der bisherigen Rechtsprechung abgegangen. Wenn hierin als Beispiel für eine Aufsicht am Arbeitsplatz durch einen Fachmann, ein Meister dieses Gewerkes genannt wird, bedeutet dies nicht, daß stets die formale Qualifikation als Meister gegeben sein muß. Beaufsichtigender Fachmann des Dachdeckerhandwerks im Sinne dieser Rechtsprechung kann zB auch ein als Ingenieur ausgebildeter technischer Betriebsleiter sein (BAG 23. November 1988 – 4 AZR 314/88 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker Nr. 3).
[30] bb) Ebenso umfaßt der Begriff des die Arbeiten ausführenden "gelernten Arbeitnehmers" im Sinne dieser Rechtsprechung nicht nur Gesellen. Zum Zwecke der Abgrenzung des betrieblichen Geltungsbereichs des VTV ist eine solche Beschränkung auf diese berufsrechtliche Qualifikation nicht geboten. Zwar mag es zutreffen, daß die Abgrenzung leichter wäre, wenn ausschließlich auf formale Kriterien abgestellt werden könnte. Eine solche Einengung wäre allerdings den tatsächlichen Verhältnissen im Arbeits- und Wirtschaftsleben nicht angemessen. Der Charakter der Handwerksbetriebe läßt sich nicht allein nach dem Anteil der gelernten Mitarbeiter im berufsrechtlichen Sinne bestimmen. Jedenfalls im Baubereich, zu dem das Dachdeckerhandwerk im weiteren Sinne gehört, ist es üblich, daß gelernten Arbeitnehmern eine große Zahl von nicht formal qualifizierten Kräften gegenüber steht. Dies haben die Tarifvertragsparteien durch die Schaffung entsprechender Vergütungsgruppen berücksichtigt. In § 21 des Rahmentarifvertrages Dachdeckerhandwerk vom 27. November 1990 idF vom 6. Dezember 1995 sind in der höchsten Lohngruppe Vorarbeiter eingruppiert. Dies sind Arbeitnehmer, die die fachliche Voraussetzung des Dachdeckergesellen erfüllen oder eine gleichzusetzende Qualifikation durch mehrjährige (mindestens sechs Jahre) Tätigkeit im Dachdeckerhandwerk erfüllen und auf Grund besonderer Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen, Arbeitsaufträge und Baustellenarbeiten im Rahmen der ihnen vom Arbeitgeber erteilten Aufträge sowie unter Anweisung und Beaufsichtigung nachgeordneter Arbeitnehmer anderer Lohngruppen ausführen. In Lohngruppe II sind sodann die Dachdeckerfachgesellen und Dachdeckergesellen eingruppiert, bei denen die bestandene Gesellenprüfung Voraussetzung ist. In den Lohngruppen III und IV sind die Dachdeckerfachhelfer und Dachdeckerhelfer erwähnt, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, jedoch nach der Dauer ihrer einschlägigen Berufsausübung unterschiedlich vergütet werden. Auch die Tarifvertragsparteien gehen demzufolge davon aus, daß eine dem Dachdeckergesellen vergleichbare Qualifikation durch Erfahrung erworben werden und damit die höchste Vergütungsgruppe erreicht werden kann. Die Entlohnungsabstufungen im Dachdeckerhandwerk richten sich also nicht ausschließlich nach der formellen Ausbildung. Auch das Kriterium der Ausführung von Arbeiten nach Anweisung folgt nicht der Art der Ausbildung. Es trifft zwar zu, daß Helfer und Fachhelfer ihre Arbeiten immer nur nach Anweisung ausführen, dies gilt jedoch auch für Dachdeckergesellen der Lohngruppe II b.
[31] Die tarifliche Eingruppierungsregelung bietet damit einen Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien des Dachdeckerhandwerks auch durch mehrjährige Tätigkeit erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten in diesem Gewerk bei der vergütungsmäßigen Bewertung der Tätigkeiten berücksichtigen. Dies ist deshalb auch geboten, wenn es um die Zuordnung von Tätigkeiten zum Dachdeckerhandwerk geht. Dabei ist die Berücksichtigung des Umstandes, inwieweit Arbeiten von Arbeitnehmern ausgeführt werden, die im Dachdeckerhandwerk angelernt worden sind, wie in der Senatsrechtsprechung deutlich wird, mangels tariflicher Vorgaben, nur eine Möglichkeit, die tariflich notwendige Zuordnung vorzunehmen. Daraus folgt einerseits, daß die tarifliche Eingruppierungsregelung nicht als alleiniger Maßstab dienen kann, in welchem Umfang außerhalb einer formalen Qualifikation erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten berücksichtigt werden können, andererseits aber, daß ein "Anlernen" auf einem eng begrenzten Teilgebiet des Dachdeckerhandwerks nicht ausreicht, um einen Arbeitnehmer als "gelernten Arbeitnehmer" dieses Gewerks anzusehen.
[32] cc) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluß gekommen, daß im gesamten Anspruchszeitraum ein über 20 % liegender Anteil an Arbeiten von gelernten Arbeitnehmern des Dachdeckerhandwerks ausgeführt worden ist. Die Beklagte hat für jeden der in den Bereichen Steildach, Flachdach und Abdichtung eingesetzten Arbeitnehmer dessen Alter, Einstellungsdatum bzw. Beschäftigungsdauer, Qualifikation bei der Einstellung, die Person, durch die die Einweisung erfolgt ist, die Tätigkeit während der Beschäftigungszeit und die vermittelten Kenntnisse sowie die betriebliche Stellung dargelegt. Die Darlegung der vermittelten Kenntnisse erschöpfte sich in keinem Fall in der Vermittlung eines bestimmten Klebe- oder sonstigen Arbeitsverfahrens. Vielmehr hat die Beklagte dargelegt, daß allen dort genannten Arbeitnehmern die Grund- und Fachregeln des Dachdeckerhandwerks mit berufsbezogenen Werkstoffen und Abdichtungstechniken vermittelt worden seien. Sodann hat sie vorgetragen, daß den jeweiligen Arbeitnehmern unterschiedliche Kenntnisse vermittelt wurden, zB Abdichten der Anschlüsse und Fugen, Aufbereiten der Vergußmasse, Umgang mit Gefahrstoffen und Behandlung, Anlegen des Gefälles und Einteilen der Flächen und Arbeitsvorbereitung sowie zusätzlich ua. auch der Aufbau und die Anbringung von Arbeitsgerüsten und Kenntnisse der Gefahrengutverordnung. Die Einweisungen sämtlicher Arbeitnehmer erfolgte durch mindestens einen Dachdeckermeister, teilweise zusätzlich noch durch sogenannte Dachdeckeraltgesellen. Diese Aufstellungen sind von der ZVK nicht substantiiert bestritten worden. Diese hat lediglich pauschal vorgetragen, daß die angelernten Kräfte wegen der Spezialisierung im Betrieb der Beklagten für ein Tätigkeitsfeld eingewiesen bzw. angelernt worden seien. Dies trifft jedoch nicht zu. Aus den von der Beklagten eingereichten Aufstellungen geht hervor, daß die Arbeitnehmer zu ihrem überwiegenden Teil zumindest in den Jahren 1995 und 1996 in allen drei Bereichen, nämlich Steildach, Flachdach und Abdichtung, eingesetzt worden sind.
[33] Auf die Einordnung der ausgebildeten Klempnergesellen und deren Tätigkeiten, die sowohl im Flachdach- als auch im Steildachbereich in der Regel in Klempnerarbeiten bestanden, kam es nicht mehr an.
[34] 4. Da sich das Urteil des Landesarbeitsgerichts bereits aus den dargelegten Gründen als richtig erweist, kam es auf die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, in der dieses die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Bewertung der "Sowohl-als-auch" -Tätigkeiten angreift, nicht mehr an.
[35] III. Die Klägerin hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 ZPO). Soweit die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben, hat die Klägerin auch diesbezüglich die Kosten zu tragen, da die Klage von Beginn an unbegründet war.