Bundesarbeitsgericht
Vergütung von Überstunden – Theater und Bühnen

BAG, Urteil vom 22. 2. 2001 – 6 AZR 595/99 (lexetius.com/2001,1760)

[1] 1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 29. September 1998 – 7 Sa 796/96 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Der Kläger verlangt von der Beklagten die Vergütung von Überstunden.
[4] Die Beklagte ist Trägerin des örtlichen Theaters. Der Kläger ist dort als Arbeiter in der Abteilung Dekoration beschäftigt. Seine Tätigkeit besteht im Auf- und Abbau der Bühnendekoration bei Proben und Vorstellungen. Die Spielzeit beginnt am 1. September und endet am 31. Juli des Folgejahres. Im August ist das Theater wegen der Ferien geschlossen.
[5] Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Verbandszugehörigkeit der Parteien der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe – (BMT-G-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f BMT-G-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeiter, die an Theatern und Bühnen beschäftigt sind, mit der Sondervereinbarung für Arbeiter bei Theater und Bühnen (Anlage 6), gültig ab 1. Juli 1991, die Bestandteil des BMT-G-O ist (§ 2 Abs. 1 Satz 2 BMT-G-O). Nach § 3 Ziff. 3 dieser Sondervereinbarung haben die Tarifvertragsparteien am 25. Juni 1991 den Tarifvertrag zu § 3 der Anlage 6 zum BMT-G-O (TV-Theaterbetriebszuschlag Arb-O; fortan: TV-TBZ) vereinbart, der ebenfalls am 1. Juli 1991 in Kraft getreten ist.
[6] In den Monaten August 1993 bis einschließlich Juli 1994 leistete der Kläger dienstplanmäßig folgende Arbeitsstunden: August 1993: 176 (Urlaubsmonat); September 1993: 174, 5; Oktober 1993: 191; November 1993: 221, 5; Dezember 1993: 198, 5; Januar 1994: 191, 5; Februar 1994: 128, 5; März 1994: 154; April 1994: 162; Mai 1994: 184, 5; Juni 1994: 163; Juli 1994: 178, 5.
[7] Die Beklagte sah die über die Zahl von monatlich 174 Stunden hinausgehenden Arbeitsstunden als Überstunden an und zahlte Zeitzuschläge für 77, 5 in diesem Zeitraum bis einschließlich Januar 1994 geleistete Arbeitsstunden, die sie als durch Arbeitsbefreiung in den Monaten Februar 1994 bis April 1994 ausgeglichen angesehen hat. Für weitere 31, 5 nicht durch Arbeitsbefreiung ausgeglichene Arbeitsstunden zahlte sie neben dem Zeitzuschlag den auf die Arbeitsstunde umgerechneten Monatsgrundlohn.
[8] Der Kläger verlangt für alle 109 Arbeitsstunden die volle Überstundenvergütung (Zeitzuschlag und auf die Arbeitsstunde umgerechneter Monatsgrundlohn) in Höhe von brutto 1.261,70 DM (77, 5 Stunden x 16,28 DM). Er stützt seinen Anspruch auf die tariflichen Bestimmungen über die Arbeitszeit und die Überstunden, die – soweit hier von Bedeutung – wie folgt lauten:
[9] – BMT-G-O: "§ 14. Regelmäßige Arbeitszeit. (1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich. Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist in der Regel ein Zeitraum von acht Wochen zugrunde zu legen. … § 17. Überstunden. (1) Überstunden sind auf dringende Fälle zu beschränken und möglichst gleichmäßig auf die Arbeiter zu verteilen. Überstunden, deren Notwendigkeit voraussehbar ist, sind am Vortage anzusagen. … (4) Überstunden sind grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen, die Arbeitsbefreiung ist möglichst bis zum Ende des nächsten Kalendermonats, spätestens bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ableistung der Überstunden zu erteilen. Für die Zeit, in der Überstunden ausgeglichen werden, werden der Monatsgrundlohn und etwaige für den Kalendermonat zustehende, ständige (ggf. pauschalierte) Lohnzuschläge weitergezahlt. Im übrigen wird für die auszugleichenden Überstunden lediglich der Zeitzuschlag für Überstunden gezahlt. Nicht abgefeierte Überstunden werden spätestens nach Ablauf der Zeit, in der das Abfeiern zulässig ist, bezahlt. … § 67. Begriffsbestimmungen. 39. Überstunden. (1) Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers über die dienstplanmäßige oder betriebliche tägliche Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden. …"
[10] – TV-Theaterbetriebszuschlag Arb-O (TV-TBZ): "§ 3. Zu §§ 14, 15 BMT-G-O – Arbeitszeit – (1) § 14 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 BMT-G-O findet keine Anwendung. (2) Die regelmäßige Arbeitszeit kann durch Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung um bis zu sechs Stunden wöchentlich verlängert werden. Die Verlängerungsstunden gelten als Mehrarbeitsstunden im Sinne des § 67 Nr. 25 a BMT-G-O. (3) Die tägliche Arbeitszeit darf nur in Ausnahmefällen, wenn es der Betrieb erfordert, auf mehr als zwei Zeitabschnitte verteilt werden. (4) Innerhalb von jeweils sieben Wochen soll mindestens ein Sonntag arbeitsfrei sein, wenn es die betrieblichen Verhältnisse zulassen. § 4. Zu §§ 17, 67 Nr. 39 BMT-G-O – Überstunden – (1) Überstunden sind die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die monatlich über die Zahl von Arbeitsstunden hinausgeht, die sich ergibt, wenn die jeweilige regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 14 Abs. 1 Unterabs. 1 BMT-G-O mit 4, 348 vervielfacht wird. Ist die Arbeitszeit gemäß § 3 Abs. 2 verlängert worden, ist bei Anwendung des Unterabsatzes 1 von der verlängerten Arbeitszeit auszugehen. (2) Überstunden dürfen nur angeordnet werden, wenn ein besonderes Bedürfnis besteht oder die Verhältnisse des Betriebes Überstunden erfordern. …"
[11] Der Kläger hat die Auffassung vertreten, den tariflichen Bestimmungen lasse sich nicht entnehmen, daß die regelmäßige Arbeitszeit mindestens 174 Arbeitsstunden im Monat betrage. Der Arbeitgeber könne nicht einseitig festlegen, welchen Zeitraum er für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen Arbeitszeit zugrunde legt. Hierzu bedürfe es einer Dienstvereinbarung, die es nicht gebe. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden fielen Überstunden nach § 4 Abs. 1 TV-TBZ immer dann an, wenn eine monatliche Arbeitszeit von 174 Stunden überschritten werde. Eine Rechtsgrundlage dafür, daß Monate, in denen Überstunden geleistet wurden, durch Monate, in denen weniger als 174 Stunden gearbeitet wurde, aufgesogen würden, gebe es nicht.
[12] Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.261,70 DM brutto nebst 4 % aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
[13] Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch über die bereits geleisteten Zahlungen hinaus. Nach § 14 Abs. 1 Unterabs. 1 BMT-G-O betrage die regelmäßige Wochenarbeitszeit durchschnittlich 40 Stunden. Unterabs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift, der einen Ausgleichszeitraum von acht Wochen festlege, finde nach § 3 Abs. 1 TV-TBZ keine Anwendung. Um in Theatern eine flexible Spielplangestaltung zu ermöglichen, könne im Rahmen des Direktionsrechts ein längerer Ausgleichszeitraum festgelegt werden. Hiervon habe die Beklagte Gebrauch gemacht und für die Durchschnittsberechnung die Spielzeit zugrunde gelegt. Dies bedeute, daß die Überschreitung von 174 Stunden im Monat nach § 4 Abs. 1 TV-TBZ nicht automatisch zu Überstunden führe. Erst wenn im Ausgleichszeitraum die durchschnittliche monatliche Arbeitsstundenzahl von 174 Stunden überschritten werde, lägen Überstunden vor. Die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit des Klägers habe in der Spielzeit 1993/94 177, 1 Stunden betragen. Damit seien 34, 5 Überstunden angefallen. Darüber hinaus habe der Kläger rechtsirrtümlich für 122 Stunden Überstundenzuschläge erhalten.
[14] Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[15] Entscheidungsgründe: Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.
[16] Der Kläger hat keinen Anspruch auf zusätzliche Vergütung von 77, 5 Arbeitsstunden. Diese Arbeitsstunden waren zwar Überstunden. Sie wurden dem Kläger jedoch durch den Zeitzuschlag und durch Erteilung der im Tarifvertrag vorgeschriebenen Arbeitsbefreiung ordnungsgemäß vergütet.
[17] 1. Nach § 4 Abs. 1 TV-TBZ sind Überstunden die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die monatlich über die Zahl von Arbeitsstunden hinausgeht, die sich ergibt, wenn die jeweilige regelmäßige Arbeitszeit iSv. § 14 Abs. 1 Unterabs. 1 BMT-G-O mit 4, 348 vervielfacht wird. Das bedeutet, daß der Kläger bei einer Vierzigstundenwoche Überstunden grundsätzlich dann leistete, wenn er in einem Monat mehr als 174 Stunden arbeitete.
[18] Zwar ist der Beklagten zuzugeben, daß der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 TV-TBZ nicht an den in § 14 Abs. 1 BMT-G-O festgelegten Ausgleichszeitraum (von damals acht Wochen) gebunden ist und in Ausübung seines Bestimmungsrechts einen anderen Zeitraum, zB die Spielzeit, als Ausgleichszeitraum wählen könnte mit der Folge, daß es nicht darauf ankommt, ob die durchschnittliche Monatsarbeitszeit die 174 Stunden übersteigt. So ist die Beklagte jedoch trotz des flexiblen Dienstplans nicht verfahren. Sie hat vielmehr dadurch, daß sie auch die streitgegenständlichen 77, 5 Arbeitsstunden als Überstunden behandelt und mit dem Zeitzuschlag nach § 22 Abs. 1 Buchst. e BMT-G-O vergütet hat, zu erkennen gegeben, daß es bei der 40-stündigen wöchentlichen Arbeitszeit nach § 14 Abs. 1 BMT-G-O bleiben sollte. Damit waren nach § 4 Abs. 1 TV-TBZ die über 174 Stunden hinausgehende Zahl der Arbeitsstunden als Überstunden anzusehen. Der Kläger hat somit in den Monaten August 1993 bis Januar 1994, in denen er stets länger als 174 Stunden arbeiten mußte, die 109 Überstunden geleistet, zu denen die 77, 5 Stunden gehören, um die es hier geht.
[19] Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 BMT-G-O sind Überstunden grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen, die möglichst bis zum Ende des nächsten Kalendermonats, spätestens bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ableistung der Überstunden zu erteilen ist. Für die Zeit, in der Überstunden ausgeglichen werden, werden der Monatsgrundlohn und etwaige für den Monat zustehende ständige Lohnzuschläge weitergezahlt (§ 17 Abs. 4 Satz 2 BMT-G-O). Im übrigen wird für die auszugleichenden Überstunden lediglich der Zeitzuschlag für Überstunden gezahlt (§ 17 Abs. 4 Satz 3 BMT-G-O). Nicht abgefeierte Überstunden werden spätestens nach Ablauf der Zeit, in der das Abfeiern zulässig ist, bezahlt (§ 17 Abs. 4 Satz 4 BMT-G-O).
[20] 2. Die 77, 5 Stunden wurden durch Arbeitsbefreiung ausgeglichen. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, daß die Beklagte bei Erteilung der Arbeitsbefreiung die zeitlichen Grenzen des § 17 Abs. 4 Satz 1 BMT-G-O beachtet hat. Streit besteht allein darüber, ob die Beklagte von den 47, 5 Überstunden, die der Kläger im November 1993 geleistet hatte, 45, 5 in dem gemäß Dienstplan mit nur 128, 5 Arbeitsstunden belasteten Februar 1994, von den 24, 5 Überstunden, die der Kläger im Dezember 1993 geleistet hatte, 20 in dem gemäß Dienstplan mit nur 154 Arbeitsstunden belasteten März 1994 und von 17, 5 Überstunden, die der Kläger im Januar 1994 geleistet hatte, 12 in dem gemäß Dienstplan mit nur 162 Arbeitsstunden belasteten Monat April 1994 durch Arbeitsbefreiung ausgleichen durfte. Diese Frage hat das Landesarbeitsgericht zu Recht bejaht.
[21] Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f BMT-G-O gelten die Sondervereinbarung der Anlage 6 und der zu § 3 der Anlage 6 zum BMT-G-O von den Tarifvertragsparteien in Kraft gesetzte TV-TBZ. Nach § 3 Abs. 1 TV-TBZ findet § 14 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 BMT-G-O keine Anwendung. Somit ist für die Bestimmung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, die nach § 14 Abs. 1 Unterabs. 1 BMT-G-O 40 Stunden beträgt, nicht in der Regel ein Zeitraum von (in der damals geltenden Tariffassung) acht Wochen zugrunde zu legen. Da der spielplanabhängige Arbeitsablauf an Theatern und Bühnen eine flexible Arbeitszeitgestaltung erfordert, wurde diesen praktischen Erfordernissen durch die in § 3 Abs. 1 TV-TBZ geregelte Ausnahme von der Bestimmung über den für Arbeiter des kommunalen öffentlichen Dienstes grundsätzlich geltenden Ausgleichszeitraum Rechnung getragen.
[22] Zutreffend hat das Berufungsgericht unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu vergleichbaren Fallgestaltungen angenommen, daß die Beklagte in Ausübung ihres billigen Ermessens nach § 315 BGB die im Durchschnitt zu erreichende regelmäßige Wochenarbeitszeit auf die gesamte Spielzeit verteilen, diese also als Ausgleichszeitraum bestimmen konnte. Dies hat die Beklagte in der Weise getan, daß sie für alle Wochen der Spielzeit von einer 40-Stunden-Woche ausgegangen ist, was einer monatlichen Arbeitszeit von 174 Stunden entsprach. Entgegen der Auffassung des Klägers galt für ihn also durchaus in den Monaten Februar, März und April 1994 eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden, so daß die Beklagte in der Lage war, ihm in Höhe der 77, 5 Überstunden aus November und Dezember 1993 sowie Januar 1994 Arbeitsbefreiung nach § 17 Abs. 4 Satz 1 BMT-G-O zu erteilen. Diese Überstunden sind somit durch diese Arbeitsbefreiung und die Zeitzuschläge, die der Kläger erhalten hat, tarifgemäß vergütet worden.
[23] 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.