Bundessozialgericht
Krankenversicherung – Kostenübernahme – heterologe In-vitro-Fertilisation – mittelbare Behandlung – seelische Erkrankung – Verfassungs- und europäisches Gemeinschaftsrecht
Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mittels künstlicher Befruchtung einer Fremdeizelle (heterologe In-vitro-Fertilisation) sind keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.

BSG, Urteil vom 9. 10. 2001 – B 1 KR 33/00 R (lexetius.com/2001,2359)

[1] Tatbestand: Die Klägerin begehrt von ihrer Krankenkasse Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mittels künstlicher Befruchtung einer fremden Eizelle (heterologe In-vitro-Fertilisation).
[2] Die 1965 geborene Klägerin kann infolge eines mit Strahlen- und Chemotherapie behandelten Krebsleidens keine eigenen befruchtungsfähigen Eizellen mehr entwickeln. Sie beabsichtigt deshalb, sich zur Herbeiführung einer Schwangerschaft einen Embryo einpflanzen zu lassen, der durch extrakorporale Befruchtung einer von einer anderen Frau gespendeten Eizelle mit dem Samen ihres Ehemannes entstanden ist. Ihren Antrag, die Kosten der künstlichen Befruchtung und des Embryotransfers zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 1998 und Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 1998 ab. Die dagegen gerichtete Klage ist in beiden Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 24. Februar 1999; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Niedersachsen vom 12. Juli 2000). Das LSG hat ausgeführt, das Gesetz beschränke die Leistungspflicht der Krankenversicherung für Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ausdrücklich auf Befruchtungsversuche mit Ei- und Samenzellen der Ehegatten (homologe Fertilisation). Damit werde weder gegen Vorschriften des Grundgesetzes (GG) noch gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßen.
[3] Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich unmittelbar aus § 27 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die bei ihr bestehende Unfruchtbarkeit sei eine Krankheit, deren Auswirkungen sich durch die beabsichtigte Maßnahme zumindest punktuell überwinden ließen. Auch habe sie wegen des unerfüllten Kinderwunsches eine psychische Störung entwickelt, die auf diese Weise wirksam behandelt werden könne. Die in § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V angeordnete Beschränkung auf das sogenannte homologe System sei verfassungswidrig, denn für die unterschiedliche Behandlung von homologer und heterologer Befruchtung gebe es keine sachliche Rechtfertigung. Schließlich verstoße die Ausgrenzung der in anderen Staaten der Europäischen Union zulässigen Embryospende gegen den europarechtlichen Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit, der bei der Ausgestaltung der nationalstaatlichen Sozialsysteme zu berücksichtigen sei.
[4] Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Juli 2000 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 24. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 1998 zu verurteilen, die Kosten von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mittels heterologer Insemination zu übernehmen.
[5] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[6] Entscheidungsgründe: Die Revision ist unbegründet.
[7] Medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sind nach § 27a Abs 1 SGB V nur dann der Krankenbehandlung und damit den Leistungen der Krankenversicherung zuzurechnen, wenn ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (Nr 4 aaO). Die von der Klägerin angestrebte Implantation eines Embryos, der durch extrakorporale Befruchtung einer von dritter Seite gespendeten Eizelle mit dem Samen des Ehemanns erzeugt wurde, kann deshalb von der Beklagten weder als Sachleistung noch im Wege der Kostenerstattung beansprucht werden.
[8] Der Einwand der Revision, der Anspruch ergebe sich ungeachtet der Beschränkung in § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V unmittelbar aus § 27 Abs 1 SGB V, weil die Überwindung der Unfruchtbarkeit mittels künstlicher Befruchtung als Behandlung einer Krankheit zu werten sei, ist nicht haltbar. Bei der heterologen In-vitro-Fertilisation handelt es sich nicht um Krankenbehandlung iS des § 27 Abs 1 SGB V, denn die Unfruchtbarkeit der betroffenen Frau wird durch die Befruchtung mit fremden Eizellen weder beseitigt noch ausgeglichen (so schon Urteil des 3. Senats des BSG vom 8. März 1990 – 3 RK 24/89BSGE 66, 248, 249 f = SozR 3—2200 § 182 Nr 2 S 4). Ob dies für die homologe Insemination mit eigenen Ei- bzw Samenzellen genauso zu beurteilen ist und ob darauf gerichtete Maßnahmen zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, war bis zum Inkrafttreten des SGB V streitig und ist in der Folge vom Gesetzgeber unterschiedlich beantwortet worden (vgl zur Rechtsentwicklung: Senatsurteil vom 3. April 2001 – B 1 KR 40/00 RBSGE 88, 62, 64 f = SozR 3—2500 § 27a Nr 2 S 14 f – ICSI; Urteil des 8. Senats des BSG vom 25. Mai 2000 – B 8 KN 3/99 KR R – SozR 3—2500 § 27a Nr 1 S 3 f – Kryokonservierung). Das geltende Recht hat die Leistungspflicht der Krankenversicherung bei Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft in § 27a SGB V besonders geregelt, indem es diese Maßnahmen rechtstechnisch der Krankenbehandlung zuordnet, ihre Gewährung durch die Krankenkassen aber an besondere, von § 27 Abs 1 SGB V abweichende Voraussetzungen knüpft. Soweit die Sonderregelung reicht, also auch hinsichtlich der Beschränkung auf die homologe Befruchtung, geht sie der allgemeinen Norm des § 27 SGB V vor und schließt deren Anwendung aus.
[9] Aus § 27 Abs 1 SGB V ergibt sich auch dann kein Anspruch, wenn sich bei der Klägerin, wie von der Revision vorgetragen, als Folge des unerfüllten Kinderwunsches eine krankheitswertige psychische Störung entwickelt haben sollte und diese durch die Herbeiführung einer Schwangerschaft wirksam behandelt werden könnte. Die in § 27a Abs 1 SGB V angeordneten Einschränkungen entfallen nicht deshalb, weil die künstliche Befruchtung nicht allein der Überwindung der bestehenden Unfruchtbarkeit, sondern zugleich mittelbar der Behandlung einer damit zusammenhängenden seelischen Erkrankung dienen soll. Der Senat hat schon in anderem Zusammenhang ausgeführt, daß nach der Systematik des SGB V Spezialregelungen zu einzelnen Maßnahmen der Krankenbehandlung in der Regel als abschließend zu bewerten sind und darin angeordnete Leistungsbeschränkungen oder Leistungsausschlüsse deshalb nicht unter Berufung auf einen aus den Grundnormen der §§ 27, 28 SGB V hergeleiteten umfassenden Behandlungsanspruch oder im Hinblick auf die Verknüpfung mit anderen Maßnahmen im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden können (Urteil vom 6. Oktober 1999 – B 1 KR 9/99 RBSGE 85, 66, 67 ff = SozR 3—2500 § 30 Nr 10 S 38 ff). Das gilt erst recht, wenn nicht ein bestehender Leistungsanspruch eingeschränkt, sondern wie im Fall der künstlichen Befruchtung eine Maßnahme, deren Zugehörigkeit zur Krankenbehandlung zweifelhaft ist, in einem begrenzten Umfang in den Leistungskatalog der Krankenversicherung aufgenommen wird. Der vom Gesetz festgelegte Umfang kann dann nicht unter Hinweis auf einen mittelbar mit der Leistung verfolgten anderweitigen Behandlungszweck erweitert werden.
[10] Unabhängig von alledem scheidet eine Kostenübernahme durch die Beklagte schließlich deshalb aus, weil die Befruchtung menschlicher Eizellen für eine spätere Embryospende nach deutschem Recht verboten ist. § 1 Abs 1 Nr 2 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) vom 13. Dezember 1990 (BGBl I 2746) verbietet unter Strafandrohung, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt. Nicht nur die Übertragung unbefruchteter Eizellen einer anderen Frau, wie das LSG gemeint hat, sondern auch die Befruchtung von Eizellen einer anderen Frau zwecks Übertragung des daraus entstandenen Embryos wird strafrechtlich verfolgt. Behandlungen, die rechtlich nicht zulässig sind, dürfen aber von der Krankenkasse nicht gewährt oder bezahlt werden (Urteil des Senats vom 23. Juli 1998 – B 1 KR 19/96 RBSGE 82, 233, 236 = SozR 3—2500 § 31 Nr 5 S 18 – fehlende Arzneimittelzulassung). Das gilt auch dann, wenn eine solche Behandlung – wie hier von der Klägerin geplant – im Ausland durchgeführt wird, wo sie nicht verboten ist (Urteil vom 15. April 1997- 1 RK 25/95 – SozR 3—2500 § 18 Nr 2 – Organkauf). Allerdings wird die Embryospende selbst, also die Übertragung der befruchteten, entwicklungsfähigen Eizelle in die Gebärmutter der Frau, im ESchG nicht ebenfalls ausdrücklich verboten, so daß gefolgert werden könnte, daß zumindest für den Embryotransfer kein Leistungsausschluß gilt. Indessen ist diese Schlußfolgerung unzutreffend. Der Gesetzgeber wollte mit dem Verbot des § 1 Abs 1 Nr 2 ESchG der Embryospende entgegenwirken, weil diese – wie die Eispende – stets zu einer sogenannten gespaltenen Mutterschaft führt, bei der austragende und genetische Mutter nicht identisch sind. Er ging davon aus, daß das Risiko der daraus möglicherweise erwachsenden Konflikte und negativen Auswirkungen auf die seelische Entwicklung des Kindes nicht in Kauf genommen werden könne. Andererseits hielt er es für problematisch, auch die Embryospende selbst generell zu verbieten, weil sie unter Umständen die einzige Möglichkeit biete, den rechtswidrig erzeugten Embryo vor dem Absterben zu bewahren. Der Embryospende wie den verschiedenen Formen einer Ersatzmutterschaft sollte deshalb schon im Vorfeld durch die Poenalisierung der auf den späteren Embryotransfer zielenden künstlichen Befruchtung begegnet werden (vgl die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 11/5460 S 6 ff). Da das Gesetz somit nicht nur die heterologe In-vitro-Fertilisation als solche, sondern gerade auch eine auf diese Weise herbeigeführte Schwangerschaft verhindern will, sind entsprechende Leistungen der Krankenversicherung insgesamt ausgeschlossen.
[11] Die Beschränkung der Leistungspflicht der Krankenversicherung auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit eigenen Ei- und Samenzellen der Ehegatten verletzt kein Verfassungsrecht. Soweit die Klägerin in dem Ausschluß der heterologen Befruchtung einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG sieht, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß die ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist. Das Revisionsvorbringen zielt auf einen Vergleich zwischen Ehefrauen, bei denen für die künstliche Befruchtung mit dem Samen des Ehemannes eigene Eizellen zur Verfügung stehen, und solchen, bei denen fremde, von einer anderen Frau gespendete Eizellen verwendet werden müssen. Für die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Personengruppen bei der Finanzierung entsprechender Maßnahmen durch die Krankenkassen gibt es indessen hinreichende sachliche Gründe. Dazu zählen die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen allerdings nicht. Das Argument, der Gesetzgeber habe rechtliche Probleme vermeiden dürfen, die sich für die Krankenkassen aus der Möglichkeit der Ehelichkeitsanfechtung bei den aus heterologer In-vitro-Fertilisation hervorgegangenen Kindern ergeben könnten, bezieht sich auf außer Kraft getretenes Recht. Da das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2942) den Statusunterschied zwischen ehelicher und nichtehelicher Geburt und damit auch das Institut der Ehelichkeitsanfechtung mit Wirkung ab 1. Juli 1998 beseitigt hat, kann diesem Gesichtspunkt für zukünftige Leistungsfälle keine Bedeutung mehr beigemessen werden. Gerechtfertigt wird die unterschiedliche Behandlung aber durch die zuvor genannten Gründe, die bereits für das Verbot der künstlichen Befruchtung einer Fremdeizelle im ESchG angeführt worden sind (vgl nochmals BT-Drucks 11/5460 S 6 ff; ferner: Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen vom 23. Februar 1988 – BT-Drucks 11/1856 S 6 ff; Abschlußbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Fortpflanzungsmedizin" – BAnz Beilage Nr 4a vom 6. Januar 1989, S 17 ff).
[12] Mit europäischem Gemeinschaftsrecht steht die gesetzliche Regelung ebenfalls in Einklang. Die Revision beruft sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), derzufolge die Mitgliedstaaten der Europäischen Union den in Art 59 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) festgelegten Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs bei der Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zu beachten haben. Danach sind insbesondere nationale Regelungen, welche die Erbringung oder die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Erbringung oder der Inanspruchnahme solcher Leistungen im Inneren eines Mitgliedstaates erschweren, grundsätzlich unzulässig, es sei denn, sie ließen sich ausnahmsweise aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art 66 iVm Art 56 EGVtr) oder aus anderen zwingenden Gründen des Allgemeinwohls rechtfertigen (Urteil vom 28. April 1998, Rechtssache C-158/96, Kohll, EuGHE 1998, I-1931 RdNr 19, 29, 51 = SozR 3—6030 Art 59 Nr 5 S 9 ff; Urteil vom 12. Juli 2001, Rechtssache C-368/98, Vanbraekel, NJW 2001, 3397 RdNr 41, 42; Urteil vom 12. Juli 2001, Rechtssache C-157/99, Smits/Peerbooms, NJW 2001, 3391 RdNr 46, 47 ff). Eine Diskriminierung grenzüberschreitender Dienstleistungen, sei es auch nur in der Form einer mittelbaren oder potentiellen Benachteiligung, liegt hier jedoch nicht vor. Denn aufgrund der Regelung in § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V kann die umstrittene Leistung zu Lasten der Krankenversicherung weder im Inland noch im Ausland in Anspruch genommen werden. Es ist auch nicht ersichtlich, daß das Verbot der heterologen In-vitro-Fertilisation und die daraus resultierende Beschränkung der Leistungspflicht der Krankenversicherung auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im homologen System gegen Vorschriften oder Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts verstößt. Insoweit bleibt es vielmehr bei dem Grundsatz, daß das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt läßt und das Recht des jeweiligen Mitgliedstaates bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Leistungsanspruch besteht.
[13] Der Revision konnte danach kein Erfolg beschieden sein.
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.